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Zwischen kolonialer Vergangenheit und postmoderner Zukunft

By   /  29. August 2024  /  No Comments

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Film abseits des Mainstreams, afrikanische Filme beim Fimfestival Cinema Africain!: Christian Klosz schreibt über das im Oktober stattfindende Festival und über zwei senegalesische Filme, die beim Festival laufen werden – über den Eröffnungsfilm Xalé von Moussa Seen Absa und über Money, Freedom, a Story of the CFA Franc von Katy Lane Ndiaye.

Von 23. bis 26. Oktober 2024 findet im Moviemento in Linz das Cinema Africain! statt. Das von Sandra Krampelhuber kuratierte Festival will laut Eigenbeschreibung dem „jungen, dynamischen“ afrikanischen Film „abseits des Mainstreams“ eine Plattform bieten, auch um die Sichtbarkeit afrikanischer Perspektiven zu fördern, Stereotype zu brechen und für Diskussionen zu sorgen. Der Schwerpunkt der diesjährigen Ausgabe liegt auf dem Senegal. Da ist es nur folgerichtig, dass der Eröffnungsfilm aus dem Senegal kommt, und übrigens auch der zweite hier besprochene Film kommt aus dem Senegal. Mit Xalé von Moussa Seen Absa und Money, Freedom, a Story of the CFA Franc von Katy Lane Ndiaye sind es zwei gleichermaßen sehenswerte, aber doch sehr unterschiedliche Werke, die hier exem­plarisch besprochen werden sollen – und die auch repräsentativ für das Festival stehen.

Innenansicht aus einem senegalesischen Vorort
Xalé, dessen Regisseur Moussa Seen Absa international anerkannter Filmschaffender und Künstler ist, ist ein packender, äußerst kreativ umgesetzter fiktionaler Spielfilm, eine Mischung aus Familien-Drama und Thriller, technisch versiert gestaltet, der eine „Innenansicht“ des Lebens in einem Vorort von Dakar präsentiert. Es ist Absas dritter Teil einer Trilogie, die sich afrikanischen Frauen widmet, die Teile 1 und 2 wa­ren 1995 bzw. 2002 erschienen. Der Film handelt von familiärer Gewalt, der Hoffnung auf ein besseres Leben – und den unausweichlichen Konsequenzen für schlechte Taten.

Mit großem Gespür für das Leben der Menschen vor Ort (Absa stammt selbst aus einem Dakarer Vorort) und einer besonderen Sensibilität für die „weibliche Perspektive“ bringt der Regisseur auch westlichen Zuschauer/innen die Lebenswelt der Bewoh­ner/innen des senegalesischen Vororts nahe. Xalé war übrigens der von Senegal nominierte Kandidat für den Auslands­oscar im Jahr 2022.

Fesseln der kolonialen Vergangenheit
Money, Freedom, a Story of the CFA Franc ist eine völlig andere Art Film: Eine recht trockene, anspruchsvolle, an Information dichte Dokumentation mit starker ökonomischer Schlagseite. Regisseurin Ndiaye wur­de im Senegal geboren, wuchs aber in Paris auf und lebt inzwischen in New York. In ihrem Film trifft eine westlich geprägte, postkoloniale Perspektive auf die „Innenansicht“ afrikanischer Eliten. Die Filmemacherin interviewt afrikanische Wis­senschaftler und Ökonomen (tatsächlich al­le­samt männlich), aber auch ehemalige Führungspolitiker wie den Premierminister von Benin (auch alle männlich). Behandelt wird die Geschichte der Währung CFA Franc, die in vielen afrikanischen Staaten heute noch genutzt wird, obwohl sie vor vielen Jahrzehnten von Frankreich als Besatzungsmacht eingeführt wurde und als Überbleibsel des Kolonialismus gilt. Der penibel recherchierte Film versucht, die wei­terhin bestehenden Verbindungen und Aus­wirkungen zwischen den CFA-Staaten und der ehemaligen Kolonialmacht zu ergründen und die möglichen Interessen aufzudecken, die Frankreich daran haben könnte, dass afrikanische Währungen weiterhin an die französische (früher der Franc, heute der Euro) gekoppelt sind.

Money, Freedom, a Story of the CFA Franc ist voller Details. Es ist beinahe ökonomisches Vorwissen nötig, da sich der Film intensiv mit den wirtschaftlichen Dimensionen der Währungspolitik befasst und vor Fachbegriffen und -diskussionen nicht zurückschreckt. Er beleuchtet ein zumindest bei uns eher unbekanntes Kapitel afrikanischer (Kolonial-)Geschichte und tut dies auf filmtechnisch hohem Niveau.

Wenn man Ndiayes Film etwas vorwerfen möchte, dann, dass er doch etwas einseitig ist: Die „französische Seite“ kommt nicht zu Wort (vermutlich eine bewusste Entscheidung, trotzdem schade, weil so kein „ganzheitliches Bild“ entstehen kann). Eben­so gibt es keine Stimmen aus der „normalen“ oder „einfachen“ Bevölkerung der por­trätierten afrikanischen Staaten. Und keine weiblichen Stimmen. Inwiefern die akademisch-theoretischen Diskussionen afrikanischer Intellektueller und Eliten für das Gros der in Afrika lebenden Bevölkerung relevant und repräsentativ ist, bleibt offen.

Familiendrama in Dakar
Ganz anders geht da Xalé vor, der den Alltag einer – zumindest wirkt es so aus Perspektive eines westlichen Betrachters – recht normalen, durchschnittlichen senegalesischen Familie porträtiert: Der Film beginnt mit einem Schock, eine junge Frau ersticht einen älteren Mann mit einem Messer, während sie gemeinsam im Bett liegen – wir wissen nicht, wer die beiden sind und warum das passiert. Die Jahreszahl 2020 wird eingeblendet, dann folgt ein Zeitsprung ins Jahr 2010. In der Folge wird chronologisch erzählt, wie und warum es zur Bluttat kam.

Im Zentrum des Films steht das Schicksal der 2010 15 Jahre alten Awa (hervorragend gespielt von Nguissaly Barry), ihres Zwillingsbruders Adama und deren Onkel Atoumane. Adama verdingt sich als Sonnenbrillenverkäufer, träumt aber von der Flucht übers Meer nach Europa bis nach Paris, um sich dort ein neues Leben aufzubauen. Seine Schwester tut das als Träumerei ab, sie genießt die Dates mit ihrem Freund und träumt nicht von der weiten Ferne, sondern von einem eigenen Frisörladen im Dorf. Derweil lernt sie ihr Handwerk in jenem ihrer Tante Fatou.

Die Generationenfrage
Als ihre Großmutter stirbt, fordert diese am Sterbebett, dass sich Atoumane und Fatou verheiraten sollen, um die Familientradition zu erhalten. Fatou muss sich widerwillig fügen, doch sie verweigert ihrem neu­en Gatten das Zusammenleben als Ehepaar (und damit auch den Sex). Atoumane, eine ganz und gar schwache und anstandslose Persönlichkeit, versucht, Fatou zu vergewaltigen, sie flüchtet daraufhin für immer aus dem gemeinsamen Haus. Für Atoumane ist es der Beginn einer Abwärtsspirale, er wird sich auch an seiner Nichte Awa vergreifen wollen, mit drastischen Konsequenzen für beide.

Xalé ist das Porträt verschiedener Generationen einer Familie, deren unterschiedliche Vorstellungen und Erwartungen zu Spannungen und Konflikten führen. Die junge Generation ist gefangen zwischen alten Traditionen, mit denen sie nichts mehr zu tun haben will, den Menschen, die auf diesen beharren und ihnen bereitwillig folgen – und ihren eigenen Hoffnungen und Träumen.

Regisseur Absa setzt Gesangs- und Tanzeinlagen ein, in denen bunt gekleidete Gruppen von Männern oder Frauen die jeweiligen Protagonist/innen mit den Konsequenzen ihres Handelns konfrontieren. Diese imaginierten Sequenzen, kleine Filme im Film, sollen einen „Gewissenskampf“ darstellen und eine „höhere Macht“ symbolisieren, die das Schicksal leitet. In seinem diffizilen Porträt der Lebenswelten ganz unterschiedlicher Figuren hat Xalé auch etwas Universelles und Humanistisches, denn Generationenkonflikte, die Spannung zwischen Tradition und Fortschritt, aber auch die simple Frage nach „Gut und Böse“ sind allgemein relevante Themen.

Die Zukunft eines Kontinents
Aus einer globalen Meta-Perspektive betrachtet befassen sich beide Filme auf ihre eigene, originäre Art mit der Zukunft des afrikanischen Kontinents, seinen Bevölkerungen und Gesellschaften. Die koloniale Vergangenheit wird thematisiert (vor allem in Money, Freedom …), aber auch typische afrikanische alltägliche Herausforderungen (vor allem in Xalé).

In Absas Film werden Themen wie Flucht und Migration bzw. deren Hintergründe angesprochen, auch die durchaus unterschiedlichen und ambivalenten Haltungen dazu in der Gesellschaft vor Ort: Während Adama in Europa seine Zukunft sieht, wirft ihm sein Vater vor, „davonzulaufen“. Er solle lieber zur Schule gehen, sich bilden und zuhause daran arbeiten, dass die Dinge besser würden. Vergleichbare Aussagen – wenngleich auf anderer Ebene und in anderem Kontext – gibt es auch in Ndiayes Film, etwa von Interviewpartnern, die afrikanischen (politischen) Verantwortungsträgern Ähnliches vorwerfen, nämlich nicht die Zukunft ihrer Heimat im Sinne zu haben, sondern eigene Interessen. Dort allerdings werden weniger die persönlich-individuellen Dimensionen beleuchtet, sondern vielmehr die historischen, makro-politischen und -ökonomischen.

Für ein westliches Publikum ist vermutlich das von beiden Filmen auf unterschiedliche Weise adressierte Thema Migration am interessantesten, das im populistisch emotionalisierten politischen Alltag bei uns stets banalisiert und verkürzt dargestellt wird: Der Begriff „Wirtschaftsmigration“ dient oft als Schlagwort, wenn die Rede von „Migrant/innen aus dem globalen Süden“ ist, die „uns überrennen“ würden. Doch die Realität ist komplexer, wie insbesondere Xalé zeigt, vor allem die Motivlage der Flüchtenden: Adama muss nicht um sein Leben fürchten, er wird nicht politisch verfolgt, ein „Asylgrund“ läge bei ihm also nicht vor. Trotzdem ist er bereit, sich mit einem kleinen Boot auf die Reise nach Europa zu machen, für die er Unmengen Geld an einen Schlepper zahlt. Seine Eltern warnen ihn, dass ihm falsche Hoffnungen gemacht würden, ihm Sand in die Augen gestreut würde, der Schlepper nur Geld machen wolle. Trotzdem will Adama sein Leben riskieren – für eine bessere Zukunft. Xalé bewertet das nicht, nimmt es einfach hin, als eine afrikanische Realität, eine pragmatische Nüchternheit, die auch uns im Umgang mit dem Thema manchmal gut täte.

Statement gegen Stereotype
Nicht zuletzt sind beide Filme auf ihre Art starke Statements gegen eurozentristische Stereotype: Dass auch das immer noch verbreitete Bild von bitterarmen, hungernden, völlig hilflosen Menschen auf die Mehrheit der Afrikaner/innen nicht zutrifft, zeigen sowohl Xalé, als auch Money, Freedom, a Story of the CFA Franc (womit nicht gesagt werden soll, dass es diese Schicksale nicht auch gibt). Beide Filme tragen so dazu bei, ein zeitgemäßes, realistisches und vielschichtiges Bild eines Kontinents und seiner Menschen zu vermitteln.

Zum Festival Cinema Africain! schreibt in dieser Ausgabe auch Sandra Krampelhuber – mehr Infos zum Festival und zum Programm finden sich bei diesem Beitrag.

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About the author

ist Filmkritiker und Journalist. Er ist Gründer und Chefredakteur von filmpluskritik.com und dasmediumonline.com und nebenbei auch für newsflix.at und die Filmmedien Kino-Zeit und spielfilm.de als Autor tätig.

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