Vom 23. bis 26. Oktober 2024 wird erstmals in Linz das internationale Filmfestival Cinéma Africain! stattfinden, das sich dem afrikanischen Filmschaffen widmet. Über die Hintergründe des von Jaapo – für Partizipation von Women of Color veranstaltete Filmfestival schreibt Kuratorin Sandra Krampelhuber. Sie hat außerdem mit Nadia Denton über die Bedeutung und Hintergründe von afrikanischen Filmfestivals gesprochen.
Auf die Frage, ob seine Filme in Europa verstanden würden, antwortet einer der Gründungsväter des afrikanischen Kinos, der senegalesische Autor und Filmemacher Ousmane Sembene mit diesen Worten: „Um es ganz klar zu sagen. Europa ist nicht mein Zentrum. Europa liegt am Rand von Afrika. Nach 100 Jahren hier, sprechen sie meine Sprache? Ich spreche die ihre. Meine Zukunft hängt nicht von Europa ab. Ich würde mich freuen, wenn sie mich verstehen würden, aber das macht keinen Unterschied. Nehmen Sie die Karte Afrikas, legen Sie Europa und Amerika zusammen, und es bleibt immer noch Platz übrig. Warum eine Sonnenblume sein und sich der Sonne zuwenden? Ich selbst bin die Sonne!“
In seiner Aussage macht Sembene die Kritik an der eurozentrischen Sichtweise deutlich. Indem er Europa als am Rande liegend beschreibt, kehrt er das übliche Machtverhältnis um und stellt Afrika in den Mittelpunkt. Diese Perspektive fordert die westliche Welt heraus, Afrika nicht länger als „das Andere“ zu betrachten, sondern als gleichwertiges Gegenüber mit reicher Kultur und Geschichte.
Auch heute ist der Okzident noch weit davon entfernt, diese Herausforderung anzunehmen, daher wollen wir diesen zurechtgerückten Blick mit dem internationalen Filmfestival Cinéma Africain!, das vom 23. bis 26. Oktober 2024 erstmals in Linz stattfindet, weiter schärfen. Das Festival – veranstaltet mit Jaapo – für Partizipation von Women of Color – widmet sich dem afrikanischen Filmschaffen und will dem Publikum in Linz teils neue Perspektiven auf den Kontinent und seine Diaspora eröffnen, ein junges und dynamisches Afrika zeigen, Stereotype aufbrechen und zu einem besseren Verständnis des Kontinents beitragen. Das Programm umfasst kontemporäre Spiel- und Dokumentarfilme aus verschiedenen afrikanischen Ländern sowie Werke afrikanischer Filmemacher:innen aus der Diaspora. Internationale Regisseur:innen werden in Linz zu Gast sein.
Der Wunsch und die Idee, afrikanisches Kino in einem Festivalformat nach Linz zu bringen, entstand nicht über Nacht. Filmprogramme mit Schwerpunkt Afrika waren fester Bestandteil in vielen meiner bisherigen kulturellen Formate, u. a. auch 2015 in den gleichnamigen Filmtagen der Stadtwerkstatt. Meine eigene Reise in die Welt des Filmes startete vor 20 Jahren mit einem Aufenthalt in Jamaika und einer Low-Budget-Filmproduktion über Frauen in der Reggae- und Dancehall-Kultur. Dabei hatte ich wenig praktisches, doch viel kulturtheoretisches Wissen mit dabei und den beständigen Drang, einseitige westliche Sichtweisen zu hinterfragen und in einen globalen Kontext zu stellen. Film erschien mir dafür das ideale Medium. Weitere Filmproduktionen in Ghana und im Senegal folgten und auch viele Festivalteilnahmen in Europa, Afrika und den USA, worauf mein heutiges Netzwerk an internationalen Filmemacher:innen und Filmexpert:innen mit Fokus auf Filme Afrikas und der afrikanischen Diaspora basiert. Selbst bei diesen Festivals zu Gast zu sein und deren Dynamiken von innen heraus kennenzulernen, zeigte mir die wertvollen Synergien, die sie nicht nur für das Publikum, sondern auch für Filmschaffende bieten. Einer dieser dabei entstandenen Kontakte war die britische Filmexpertin Nadia Denton. Als Filmkuratorin, Autorin und Produzentin, hat sie sich auf die Förderung und Verbreitung von Filmen Afrikas und der afrikanischen Diaspora spezialisiert und die Sichtbarkeit afrikanischer und afro-diasporischer Filmemacher:innen erhöht. Sie war es auch, die seinerzeit meinen ersten Film entdeckte und mir das Vertrauen gab, weiterzumachen. Seither verbindet uns eine langjährige Zusammenarbeit in unterschiedlichen kulturellen Gebieten. Auch bei Cinéma Africain! wird Nadia Denton anwesend sein und uns neben internationalen Filmschaffenden mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen bereichern.
Für die Referentin unterhielten wir uns über die Bedeutung und Hintergründe von afrikanischen Filmfestivals:
Sandra Krampelhuber: Als Filmindustrie-Expertin, mit einem starken Fokus auf das Kino der afrikanischen Diaspora sowie die nigerianische Filmindustrie – wie würdest du den allgemeinen Begriff des afrikanischen Kinos definieren?
Nadia Denton: Ich würde es als filmische Formen beschreiben, die auf dem afrikanischen Kontinent entstanden sind, obwohl ich denke, dass es in einigen Kontexten auch Inhalte beschreiben könnte, die von Afrika oder der afrikanischen Diaspora inspiriert wurden. In der heutigen Zeit halte ich es für hilfreicher, die Präsentation von Inhalten aus Afrika in einen spezifischen regionalen Kontext zu stellen, da es in der Region eine solche Vielfalt an Erfahrungen gibt und das Namensschild „Afrika“ keineswegs eine Einheitsgröße ist.
SK: Was ist deiner Meinung nach die wichtigste Auswirkung der afrikanischen Filmfestivals auf die weltweite Wahrnehmung des afrikanischen Kinos und afrikanischen Kulturen?
ND: Das internationale Netzwerk afrikanischer Filmfestivals hat dazu beigetragen, diese Filmkultur am Leben zu erhalten und den Filmemacher:innen ein Gefühl für den Wert ihrer Arbeit zu vermitteln, was unbezahlbar ist und bedeutet, dass wir als Filmindustrie Werte für kommende Generationen schaffen. Ich denke, dass die strukturelle Hierarchie in der Branche dazu führt, dass afrikanische Filme, die auf A-Filmfestivals wie Cannes, Berlinale und Sundance gezeigt werden, mehr Aufmerksamkeit erhalten, als wenn sie auf einem afrikanischen Filmfestival laufen. Letztere haben oft mit begrenzten finanziellen Mitteln zu kämpfen und sind daher nicht in der Lage, eine so breite Öffentlichkeits- und Marketingwirkung zu erzielen. Mein Eindruck ist daher, dass afrikanische Filmfestivals vielleicht mehr Einfluss auf ihr lokales Umfeld haben als auf die globale Wahrnehmung; das ist in einem Kontext wichtig, in dem sich das Lokale dank der sozialen Medien so leicht mit dem Globalen überschneidet.
SK: Können afrikanische Filmfestivals in der westlichen Hemisphäre und einer Kleinstadt wie Linz bestehende Narrative und Stereotype über Afrika und die afrikanische Diaspora in Frage stellen und umgestalten? Können solche Filmveranstaltungen ihr Publikum beeinflussen?
ND: Auf jeden Fall, eine solche Veranstaltung kann einen massiven Einfluss haben und das lokale Publikum in die Lage versetzen, sich in andere kulturelle Narrative einzufühlen und ein besseres Verständnis für die Menschlichkeit der dargestellten Gesellschaften zu entwickeln, was insgesamt unglaublich bereichernd ist und letztendlich zu kognitiven Verschiebungen führen kann. Ich bin davon überzeugt, dass es wichtig ist, klein anzufangen, auf lokaler Ebene, und in den Gemeinden eine Lobby aufzubauen, die das Publikum dazu befähigt, einige der subtilen Botschaften, die es von den Filmen, die es gesehen hat, selbst zu verbreiten.
SK: Und wie denkst du können afrikanische Filmfestivals zum Prozess der Dekolonisierung beitragen; welche Auswirkungen haben sie auf die Infragestellung kolonialer Narrative und die Förderung vielfältiger afrikanischer Perspektiven?
ND: Indem sie Inhalte zeigen, die die Wahrnehmung der europäischen/westlichen kulturellen Dominanz in Frage stellen, tragen afrikanische Filmfestivals zu einem Prozess der Dekolonisierung bei. Alles, was ein Filmfestival tut, von der Vermarktung, die die afrikanische Kultur mit Würde darstellt, über die Präsentation von Sprecher:innen afrikanischer Herkunft, die aus einzigartigen Perspektiven erzählen können, bis hin zur bloßen Dokumentation der Veranstaltung in Institutionen, die möglicherweise ein koloniales Erbe haben, ist Teil der umfassenderen Bemühungen um Entkolonialisierung.
Die Dekolonisierung des afrikanischen Films ist ein fortlaufender Prozess, der weit über einzelne Festivals hinausgeht. Es bedarf einer kontinuierlichen Auseinandersetzung mit den Strukturen der globalen Filmindustrie, der Förderung, Produktion und Distribution afrikanischer Filme sowie der fundierten Reflexion über die Art und Weise, wie afrikanisches Kino im globalen Norden präsentiert und rezipiert wird. Das Festival Cinéma Africain! ist ein Versuch, in diesem Prozess als einer von vielen Puzzlesteinen mitzuwirken. Indem es nicht nur afrikanische Filme zeigt, sondern durch begleitende Talks, eine Masterclass und Q&A-Sessions mit eingeladenen Filmemacher:innen Räume für Diskussion und Begegnung schafft, öffnet Cinéma Africain! eine Chance zum kritischen Diskurs über postkoloniale Themen, die Herausforderungen der afrikanischen Filmindustrie und die Repräsentation afrikanischer Geschichten. Von intimen Porträts bis hin zu gesellschaftskritischen Dokumentationen bietet das Festival einen umfassenden Einblick in die vielfältigen Realitäten und künstlerischen Ausdrucksformen des Kontinents und seiner Diaspora und behandelt Themen wie Mythologie, Identität, Kolonialismus, Feminismus und Coming of Age, welche insbesondere durch Erzählungen und Perspektiven von Frauen* beleuchtet werden.“
Das internationale Festival Cinéma Africain! wird veranstaltet mit dem Verein Jaapo – für Partizipation von Women of Color.
www.jaapo.at
www.cinema-africain.at
Festival Venues: Moviemento Kino Linz, Salon Fiftitu%, Kunstuniversität Linz, Solaris, Stadtwerkstatt.
Die Festivalnightline am 26. 10. 2024 findet in Kooperation mit der Stadtwerkstatt statt.
Das Programm sowie alle Detailinformationen werden auf der Festivalhomepage www.cinema-africain.at veröffentlicht.
Nadia Denton ist Expertin in der Filmindustrie mit über einem Jahrzehnt Erfahrung als Kuratorin, Impact Producerin und Sprecherin, mit Schwerpunkt auf dem Kino der afrikanischen Diaspora.
Zu ihren Büchern gehören The Black British Filmmakers Guide to Success und The Nigerian Filmmaker’s Guide to Success: Beyond Nollywood. 2017 produzierte sie die BBC World Service-Radiodokumentation SHOOTING IT LIKE A WOMAN über Frauen in der nigerianischen Filmindustrie.
Zu ihren jüngsten Tätigkeiten zählen Arbeiten mit dem BFI LFF, Raindance Film Festival, Durban Film Mart, EFM bei der Berlinale, SUNDANCE Film Festival, British Council, Comic Relief, London Film School, BBC Arabic Festival und Tribeca Film Festival. Sie ist Mitglied von BAFTA.