Die Künstlerin Betty Wimmer taucht ins Material ein, versteht Performance als räumliches Gedicht und hat über die Jahre ein verzweigtes, wiederkehrendes und sich transformierendes Bezugssystem in ihren Arbeiten geschaffen. Sie hat heuer eine Installation gezeigt, die in der ersten Version bereits 1998 entstanden ist. Tanja Brandmayr hat die Arbeit gesehen und Betty Wimmer im Atelier besucht.
5 trees, die Arbeit, die Betty Wimmer im Mai 2018 anlässlich ihrer Aufnahme in die Künstlervereinigung Maerz neu installiert hat, entstand bereits 20 Jahre zuvor und war ursprünglich mit After Christmas betitelt. 1998, noch während des Studiums der Bildhauerei, „in einer ungemein produktiven und experimentellen Phase“, wie sie im Atelier stehend sagt, begann Wimmer zum Thema „Holz und Werkzeug“ zu arbeiten. Dies führte kurzerhand zum Aussteigen aus der herkömmlichen Form von Bearbeitung. Ein Kreieren und Schnitzen etwa wurde zu einer Hinwendung zum Material – und zu einer prozesshaften Abarbeitung der Fragestellung, ab wann der Baum zum Holz wird, sozusagen in der Frage organisch vom Baum in Richtung Holz gehend.
Vorgefundene Bäume wurden, ganz in Manier eines experimentell-künstlerischen Zugangs, auf ihre Materialeigenschaften geprüft, wurden entnadelt, beschnitten, angesägt, geklappt, gedreht, gewendet und verhackt. Danach wurden diese Phasen als sichtbar gewordene Prozesse miteinander und zueinander gestellt. Zu Material- und Bearbeitungsthemen wie Holzkern und Hackstock wurden Perspektivenwechsel und diverse Baum-Formalisierungen arrangiert. Und heute wie damals sprechen verkehrt gehängte, zu groß geratene oder geknickt inszenierte Bäume ambivalente Gefühle vom Bruder Baum bis zur Holzwirtschaft und zur ausgebeuteten Umwelt an. Einem beschnittenen, fast nackten, in den Raum gestellten Stamm wird das Stereotyp eines Tannenbaumes, wie ihn Kinder zeichnen, zu Füßen gelegt – gleichzeitig verspielt wie nur mehr Schatten seiner selbst. Der verkehrt gehängte Baum biegt sich unerklärlich, als ob wochenlang Wind durch den Raum geblasen wäre. Ein Baum entfaltet dramatische Wildheit im ausgebreiteten Geäst. Besonders in der 2018er-Version werden über die Ausstellungsdauer von mehreren Wochen Prozesse der Vertrocknung und Abnadelung sichtbar. Und trotz der offensichtlich großen Ähnlichkeit der beiden Versionen meine ich 2018 insgesamt eine Verschiebung zu „mehr Organischem“ zu erkennen, während ich in der Galerie Maerz noch den Bezug auf das im 98er-Titel referenzierte Weihnachten finde, als versteckte blaue Christbaumkugel in den Zweigen.
Zurück ins Atelier. Es scheint typisch für Betty Wimmer zu sein, Materialthemen wieder aufzugreifen, sie anderswo vorzufinden, verschiedene Strategien anzugehen, Dinge mitunter auch sprichwörtlich zu nehmen. Hinsichtlich Holz bedeutete das etwa, dass in den späten 90ern das sprichwörtliche „Brett vor dem Kopf“ zu einem ganzen Brettsystem vor dem Kopf wurde – als vernageltes Labyrinth aus in Kopfhöhe angebrachten Brettern. In der Serie Durchbruch wurden Türen mit verschiedenen Werkzeugen durchstoßen, um sie in einer anderen Arbeit, Nach dem Durchbruch, wieder zu einer undurchdringbaren Gesamttüre zusammenzuzimmern. Sozusagen im tischlerischen Zeitsprung kommen ab 2009 Holzhäuschen dazu, die ebenfalls in Kopfhöhe aufgehängt werden. Die mittlerweile mehrfach verwendeten und bespielten Sound-Häuschen stammen ursprünglich aus dem Projekt Die Homebase des kranken Hasen (Kunstraum Goethestrasse, 2009) und hatten den Titel Hütteldorf: Mit dem eigenen Kopf in die Häuschen hineingeschlüpft, hörte man Menschen von ihren Spleens berichten. Und an diesem Punkt eröffnet Betty Wimmer weitere Verzweigungen in ihrer Werksgeschichte, wie etwa Sitzgelegenheiten, die sie für diese Ausstellung gemacht hatte, und die als mit Gras bezogene Minimulden später ins Europäische Parlament wanderten (innerhalb des Projekts Hörstadt). Zwischenzeitlich entwickelte Betty Wimmer auch, motiviert durch die Idee, „zur Ruhe zu kommen“, andere Sitzgelegenheiten, die in Berliner Galerien bis zum Steirischen Herbst aufgestellt wurden, etwa als rot-samtene palettes deluxe (2010). Und, um auf die Häuschen aus Hütteldorf zurückzukommen: Diese wurden 2014 in der Urban Farm in Leonding als houses neu gehängt und mit einer Akustik von Fallgeräuschen versehen. Genauer gesagt stammten die Sounds von fallenden Lebensmitteln wie Mehl, Salz, Reis aus einer ebenfalls längeren Auseinandersetzung, die auch bis in die früheren Jahre der Ausbildung zurückreichten: Aus dem Thema „Fluss“ hat Betty Wimmer weitreichend von Blutzirkulation bis kommerziellem Warenfluss assoziiert, um dann ihre – durchaus zu größerer Weitreiche geratenen – Fallbilder zu entwickeln, wo etwa Mehl, Salz, Reis, Trockenpüree oder auch Mohn in derartiger Weise verschüttet wurden, dass sie gleichsam auf sehr eindrückliche Weise zu performativen Bildern wurden, quasi zu Wasserfällen unterschiedlicher Texturen (Fallbilder, 1999). Beinahe selbstverständlich führten diese Materialien später zu anderen performativen und visuellen Arbeiten.
Während ich nun im Atelier auf ein Bild einer Mehlperformance in den Straßen Berlins blicke, erzählt Betty Wimmer von ihrem sinnlichen Interesse am Prozess; von einem „Lustaspekt und neugierigem Hedonismus“ in ihrer Kunst, der sie „in kindlicher Verspieltheit, in forscherischem Umgang nicht nur mit Material arbeiten, sondern ins Material hineingehen“ lässt. Im Falle der eben angesprochenen Mehlperformance beschreibt das in poetischer Weise ein Eingehülltsein in organische Partikel. Mitten in Berlin befindet sich die Künstlerin sozusagen in einer Mehlwolke aus Weizen. Insofern versteht sich eine Definition von Performance „als räumliches Gedicht“, wie Betty Wimmer ihren Zugang zur Performance beschreibt, in bildhafter Leichtigkeit fast von selbst. Ebenso scheint dies für eine Klebestreifenarbeit zu gelten, Textur meiner Haut (2000), wo Betty Wimmer sich zuerst mit Farbe bedeckt hatte, um danach Tape-Abzüge ihrer Haut zu machen, die sie auf Glas anbringt. Der Ansatz aus räumlichem Gedicht und der Körperlichkeit eines „ins Material Hineinkriechens“, bedeutet allerdings nicht nur sphärische Leichtigkeit, sondern auch offensivere Konfrontation mit dem Material, O-Ton: „Ich mach gern so viel Sauerei, wie geht, ich arbeite zum Beispiel nicht nur mit Mehl, sondern knete meine Haare hinein, verschwende zu diesem Zeitpunkt keinen Gedanken danach, wie es weitergeht, ob etwa das Mehl dann in der Dusche zu Teig wird, und so weiter“.
Zwei Arbeiten mehr, im assoziativen Zickzack-Kurs durch die Schaffensphasen: Das Eintauchen in Körperlichkeit, Materialien und Texturen zeigt sich auch in frühen Ölbildern (1997). Hier hat sich Betty Wimmer als Ganzes in Olivenöl getaucht, um sich anschließend auf der Leinwand abzudrucken. Durchaus lässt sich hier eine Referenz auf Yves Kleins blaue Performances ziehen, allerdings organisch transformiert, transparent und von sexuell aufgeladener Zartheit. Und, um an dieser Stelle wieder in ganz andere, äußere Atmosphären zu wechseln: Wir nehmen in der Schiliftgondel Heart of Gold Platz, womit wir an dieser Stelle wieder zu den Sitzgelegenheiten zurückkehren. Die dreisitzige Gondel Heart of Gold wurde ab 2010 an unterschiedlichen Plätzen in Linz positioniert, ermöglichte verschiedene Blicke auf die Stadt, etwa vom Schigebiet des Linzer Schlossbergs, je nach erlebter Wetterlage auch mal mit verlaufenden Regentropfen auf der Plexiglaskuppel vor Augen. Später wanderte Heart of Gold auch im Vorgarten des Kulturvereins Kapu, mit dem Betty Wimmer unter anderem Projekte wie die WIR-AG (2005) verwirklicht hat. Diese für zeitgenössische KünstlerInnen ja durchwegs zum künstlerischen Selbstverständnis gehörende Positionierung zu sozialen Themen, aber vor allem auch ihr vielgestaltiges kulturpolitisches Engagement in der weniger institutionalisierten Szene, haben ihr über die Jahre wohl auch eine Bezeichnung als Aktivistin eingebracht.
So im Atelier stehend, inmitten von Fotos, Bildern und Relikten von vielen Arbeiten aus über 20 Jahren Kunstschaffen, bin ich beeindruckt von einem, ich möchte sagen, Auseinanderdriften der gewählten Mittel bei gleichzeitiger konsequenter inhaltlicher Weiterführung und Transformation der künstlerischen Themen. Aussagekräftig ist auch die Vielzahl an Zusammenarbeiten mit KollegInnen und Institutionen; ebenfalls ein Humor, der vielen Arbeiten innewohnt. Beziehungsweise: Ist das nun Humor oder sozial paradox, wenn im Gang eines Berliner Leerstands (Moabit, 2000 und 2001) eine Anlaufbahn für einen Weitsprung markiert wurde, und kurz vor dem Absprungpunkt der Gang eine 90-Grad-Ecke aufweist? Ist das einfach nur lustig oder deutet das auf eine Lebenssportlichkeit, die quasi schon unmögliche Leistungswendungen, das heißt: Leistungskurven bis Leistungsecken, inkludiert?
Wie die geneigte Leserin, der geneigte Leser vielleicht schon bemerkt hat: Die lediglich beispielhaften Aufzählungen sind nicht ansatzweise vollständig, und verfolgen zudem eher nachgeordnet die chronologisch geordnete Information. Sie kultivieren geradezu Betty Wimmers Arbeitsansatz der thematischen Verzweigungen und einer Art gegensätzlicher Verwandtschaft. In diesem Sinne zwei abschließende Arbeitsreferenzen, die nun doch etwas der Chronologie der neueren und kommenden Arbeiten geschuldet sind: Eine der letzten performativen Arbeiten, Light, hat Betty Wimmer im Herbst 2017 gezeigt. Eine Lichtschlange in einen weißen Overall gestopft, ließ die Künstlerin zur erleuchteten Skulptur werden (Flat1, Wien). Und im kommenden Jahr wird es ein installiertes Bett im botanischen Garten in Linz geben – eine vergrabene Liegestelle mit „Gras in Augenhöhe“, wie Betty Wimmer meint. Und wie kann es anders sein – mit Referenzen auf ein früheres Projekt, in diesem Fall dürfte das mit Pflanzen aus der Berliner Zeit zu tun haben. Aber warten wir ab.
Alles in allem, nach einigen sich vielleicht auch textlich widerspiegelnden 90°-Wendungen: Besonders hervorstechend finde ich ein Element, das sich in einer Fähigkeit zu äußern scheint, Themensetzungen auf höchst eigene Weise auszulegen und weiterzuführen; ein Talent, auch innerhalb von Gruppen oder KünstlerInnenverbänden gemeinsame Vorhaben nicht nur nahe am Thema abzuarbeiten – sondern in künstlerischer Eigenständigkeit eine Navigation über die hochassoziativen Meere zu finden, die die eigene sowie die gemeinsame Arbeit anreichert und permanent weiterführt. Oft verwässert ja die Teilnahme vieler Köchinnen den Brei, Betty Wimmer scheint er aber erst zu Hochform aufgehen zu lassen. Für mich bleibt nun – im gedanklichen Geflecht dieser vielen Arbeiten und weitläufigen inhaltlichen Verzweigungen stehend – der Wunsch nach einer größeren Präsentation dieser Arbeiten und Zusammenhänge.
Betty Wimmer, geboren 1973 in Bad Ischl. HTBLA Hallstatt (Bildhauerei), Kunststudium (Bildhauerei, Raumstrategien, Multimedia) an der Linzer Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung (bei Renate Herter) und an der Hochschule der Künste Berlin (bei Rebecca Horn). Künstlerin, Performerin, Aktivistin. Die ausgebildete Bildhauerin arbeitet seit Jahren an Raum- und Designstrategien, die meist in Installationen oder Performances münden. Ausstellungen und Performances in Linz, Wien, Frankfurt, Berlin, Toulouse, Budapest, Brüssel, Basel, Köln, …
Betty Wimmer lebt und arbeitet in Linz.