Die Referentin #33 - Beiträge der Ausgabe

Nicht österreichisch genug

Mar Pilz | Kolumnen, 30. August 2023
Die Referentin #33

Eine Geschichte über Mikrodiskriminierung

Es wurde uns gesagt, dass man über Politik, Religion und Geld nicht zu viel reden sollte, besonders nicht am Sonntagsmittagstisch. Und über Diskriminierung und Rassismus zu sprechen, ist in Österreich ebenso schwierig. Aber diese Themen sitzen so oder so mit am Tisch. Wir tun es bewusst oder unbewusst, dass wir darüber sprechen. Entweder weil wir gerne zeigen, wie gut wir über komplexe Themen Bescheid wissen, oder weil wir gerne provozieren, oder einfach, weil wir so ignorant sind, dass wir nicht einmal verstehen, wie wir zu unseren Meinungen gekommen sind. Aus welchem Grund auch immer, wir alle haben eine Meinung zu Diskriminierung, und niemand von uns ist davon ausgenommen. Wir alle haben mindestens einmal in unserem Leben Diskriminierung ausgeübt, und nur sehr wenige von uns sind in der Lage zu erkennen, wann und wie wir das getan haben. Es ist schwer zuzugeben, dass wir diskriminierende Personen sind.

Manchmal denke ich, dass uns nicht ganz klar ist, was Diskriminierung ist und was der Begriff alles umfasst. Wenn wir also von „Mikrodiskriminierung“ sprechen, können wir nicht automatisch erwarten, dass jede und jeder weiß, was damit gemeint ist. Diejenigen, die Mikrodiskriminierung wahrnehmen, sind in der Regel diejenigen, die sie erleben. Bei denjenigen, die Mikrodiskriminierung ausüben oder ausgeübt haben, ist das so normalisiert und verinnerlicht, dass sie diese nicht erkennen können und sie sogar als „Scherz“ rechtfertigen.

Vor ein paar Tagen wollte ich mich genauer über Diskriminierung, insbesondere über Mikrodiskriminierung informieren, da ich an meinem letzten Arbeitsplatz (an dem ich gekündigt habe) ein Ereignis erlebt habe, das stark mit Diskriminierung, insbesondere Rassismus, verbunden war. Ein Skandal! Wie kann ich es wagen, über Diskriminierung an einem Arbeitsplatz in Österreich zu schreiben? Ich sollte dankbar sein, dass man mir die Chance gegeben hat, dort zu arbeiten, auch wenn mein Deutsch nicht perfekt ist, wie mir mein jetziger Ex-Chef einmal ins Gesicht sagte! Wie ironisch!

In Gesellschaften, die sich selbst als entwickelt betrachten, ist es heute verpönt, sich rassistisch zu äußern und Diskriminierung offen zu praktizieren. Aber sie werden nicht ohne Grund als entwickelte Gesellschaften bezeichnet, nicht wahr? Denn sie sollten die Möglichkeit gehabt haben, über die Fehler der Geschichte nachzudenken und daraus zu lernen. Oder haben sie die Zeit nur dazu genutzt, um Probleme einfach zu verwässern oder gar zu verschleiern? Ich überlasse diesen Gedanken der bescheidenen Meinung eines jeden.

Aber die Tatsache, dass ich mich rechtfertigen muss, warum ich Österreicherin bin, aber nicht wie eine Österreicherin aussehe, bestätigt die letzte genannte Hypothese. Oder die Tatsache, dass ich immer wieder, nach ein paar Minuten Gespräch mit jemandem, die typische Frage hören muss, woher ich komme, und meine Antwort, dass ich Österreicherin bin, sie nicht überzeugt. Und sie wollen noch wissen, woher meine Eltern kommen. Ich habe den Eindruck, dass sie wirklich nicht interessiert sind, woher ich komme, sondern warum ich dunkelhaarig und dunkeläugig bin und nicht österreichisch aussehe, obwohl ich einen österreichischen Nachnamen habe und sage, dass ich Österreicherin bin. Und selbst wenn ich ihnen die Geschichte meiner Vorfahren erzähle, werde ich nie österreichisch genug sein. Das erinnert mich an die Zeit, als ich mit meinem Partner eine neue Wohnung suchte und die Maklerin versuchte, mich dazu zu bringen, ihr zu antworten, woher ich „ursprünglich“ komme. – „Ursprünglich“, fragte ich sie am Telefon? Haben Sie nicht die Kopie meines Reisepasses gesehen? Was hat das damit zu tun, woher ich ursprünglich komme, wenn Sie doch nur wissen wollen, ob ich Österreicherin bin oder nicht und ob ich die Miete bezahlen kann? – Und sie antwortete mir: „Warum? Sind Sie nicht stolz auf Ihre Wurzeln?“ Ich kann bis heute nicht verstehen, was mein Stolz auf meine Wurzeln damit zu tun hat, dass ich die Miete bezahlen kann. Aber bei mir ist angekommen, dass sie keine Ausländerin als Mieterin haben wollte.

Mikro-Diskriminierung ist für die Menschen, die sie ertragen müssen, genauso schädlich wie explizite Diskriminierung. Die Art und Weise, wie sie ausgedrückt wird, ist nicht dieselbe, aber der Hintergrund der Praxis ist es. Nicht-weiße Menschen auf eine niedrigere Stufe als weiße Menschen zu stellen, ist Rassismus und somit Diskriminierung. Genauso wie der Glaube, dass wir, weil wir eine andere Hautfarbe haben und in einem anderen Land geboren wurden, keinen Zugang zu Bildung hatten und nicht gleich oder besser gebildet sind. Außerdem müssen wir uns stereotypische Vorstellungen gefallen lassen, wie zum Beispiel die Annahme, dass wir, nur, weil wir braun sind, keinen Sonnenbrand bekommen können oder dass wir, weil wir aus warmen Ländern kommen, an die Hitze gewöhnt sein sollten. Ganz zu schweigen davon, dass wir Frauen, nur, weil wir braun, schwarz, lateinamerikanisch oder afrikanisch sind, sexualisiert werden und als heißer gelten als weiße Frauen. All diese und andere Ideen und subtile Kommentare sind Mikrodiskriminierung.

Genauso wie die vielen Male, in denen weiße Österreicherinnen im Dialekt sprechen, mich aber auf Hochdeutsch mit: VERSCH-TEHST – DU – MICH? ansprechen. Oder die Male, in denen wir (eine schwarze Freundin und ich) erlebt hatten, dass die Leute am Nebentisch auf Deutsch über uns redeten, weil sie dachten, dass wir sie nicht verstehen können. Und diese und viele andere Geschichten könnte ich euch erzählen, was Menschen, die nicht genug Österreicher*innen sind, täglich erleben.

Ich glaube, dass es Zeit ist, die fantastische Idee aufzugeben, dass Österreich nur weiß ist. Das ist es schon lange nicht mehr. Österreich ist bunt geworden … und das ist auch nichts Schlimmes.

Mar Pilz
eine politische inkorrekte Frau.
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