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Om, Shanti – der Weg zur Erleuchtung?!?

By   /  30. August 2023  /  No Comments

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Über den kulturellen Wandel, das Suchen und Finden von Spiritualität, die innere Erleuchtung … und was die pushy Trends der Kunst eventuell damit zu tun haben … darüber schreibt Conny Erber und assoziiert aus soziologischer Sicht.

Foto Pixabay, spirituell invertiert

Nun ja, um zu merken, dass sich Gesellschaften verändern und gesellschaftlicher Wandel unaufhaltsam ist, muss man nicht Soziologie studiert haben. Obwohl ich jedem Menschen dieses Studium ans Herz lege, sind manche Phänomene auch ohne diese Ausbildung omnipräsent und klar ersichtlich. So sind Themen der Achtsamkeit, der Spiritualität, der inneren Erfüllung, der Selbsterkenntnis und der allumfassenden persönlichen Bereicherung in aller Munde. Auch in der Kunst- und Kulturbranche wird verstärkt auf Erlebnis, Erfahren oder ein „Eintauchen“ gesetzt. Ob es nun Kunstinstallationen mit performativen oder technologischen Elementen sind, Musikfestivals mit Yoga- und Meditationseinheiten, oder ob nun spirituelle Zeremonien den klassischen Vernissage-Abend überhaupt ablösen: Vieles lässt eine Sehnsucht erahnen, die gestillt werden möchte, nach Vertiefung, Intensität oder Spiritualität. Wir beginnen mit letzterer.

Wer suchet, der findet?
Laut dem psychologischen Lexikon wird der Begriff der Spiritualität bezeichnet als „die Belange des menschlichen Wesens, die man früher eher dem übernatürlichen und religiösen Bereich zuordnete. Spiritualität meint all jene Bereiche und Erfahrungen von Menschen, die über die je unmittelbare Wirklichkeit des Individuums hinausreichen. […] Eine akzeptierte klare Definition von Spiritualität gibt es derzeit nicht. Im modernen Sprachgebrauch bezeichnet Spiritualität eher die Ausrichtung von Menschen auf eine über ihre unmittelbaren individuellen Bedürfnisse hinausreichende Wirklichkeit jenseits von traditioneller Religion und wird häufig als Gegenpol zu ihr verstanden.“1 Es geht also darum, dass die eigene Wirklichkeit durch weitere, womöglich irrationale und transzendale, Erfahrungen und Erlebnisse bereichert wird. Kein Wunder also, dass der Hype um Yoga, Klangschalen und Meditation nicht abreißt. Nicht zu verdenken, dass schamanische Ritualabende mit südamerikanischem Kakao oder Ayahuasca-Zeremonien verstärkt angeboten werden. Nicht unüblich sind tagelanges Schweigen und Fasten, um in sich zu kehren und Erkenntnisse über sein Innerstes zu bekommen, Autor Mohsen Mirmehdi präzisiert: „Alle diese Angebote geben vor, uns unsere schläfrig und tumb gewordene Spiritualität, also unsere schlaff gewordene Vitalität zu neuer Aktivität und Effektivität zu erwecken.“2 Aber was möchte überhaupt erweckt werden? Ist es wirklich die tiefergehende Auseinandersetzung und gleichzeitige Erfahrung, die die Persönlichkeit wachsen lässt. Oder ist es schlichtweg Langweile, die ganzen Gesellschaften vorgaukelt, den Weg der Erleuchtung zu beschreiten und über sich selbst hinauswachsen zu wollen. Nochmal Mirmehdi: „Nach meiner Wahrnehmung begann diese (im 20. Jahrhundert zweite) Welle der Sinnsuche gleichzeitig mit dem Zerfallsprozess der Studentenrevolte Anfang der 1970er Jahre. Offensichtlich führte die enttäuschte Erwartung, die Gesellschaft mit praktischem Griff nach außen verändern zu können, dazu, die erhoffte Veränderung zunächst mit einem Griff nach innen zu beginnen. Das Anliegen war dasselbe, die Aktionsrichtung hatte sich umgedreht. Denn anstatt durch Veränderung der äußeren Verhältnisse der vermissten Humanität zuzumarschieren, war es nun die Absicht, durch Stärkung der inneren Zustände der Humanisierung der Gesellschaft entgegenzuschreiten.“. Füttert der derzeitige Status Quo der Gesellschaft mit ihren politischen (Fehl-)Entscheidungen, beängstigenden Zukunftsszenarien und ständigen Wertewandeln die Sehnsucht nach berauschenden und vor allem schönen Erfahrungen oder ist es die schlichte Ohnmacht bezüglich der Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit, die nur eine Ermächtigung des eigenen Inneren zulässt. Wie agiert nun die Kunst, um diese persönlichen Ermächtigungen zu fördern und zu unterstützen?

Kunst als Eintauchen und überragendes Erlebnis
Wir setzen fort mit dem Begriff Immersion und mit meiner Redakteurin, die als Künstlerin mehrere Artist-run-Projekte betreibt und ebenfalls ein Soziologiestudium durchgeatmet hat. In Richtung erlebnisorientierte Wahrnehmung, oder einem Versprechen von Erlebnisintensität, hat sie, ihrer Aussage nach, in der Kunst in letzter Zeit öfters mit fast religiösen Inszenierungen zu tun gehabt, von Licht und Klang zum Beispiel, als fast psychedelische Kathedralen mit leichtem Wellness-Effekt, mit technologischen Raffinessen verbrämt wie gefühlt tausend einzeln angesteuerten Elementen (aber auch anderes) und gerne auch als „raumgreifende immersive Skulptur“ tituliert. Überhaupt sei, ihrer Aussage nach, eine fast inflationäre Verwendung des Wortes „immersiv“ festzustellen, als attributiver Zusatz zu ziemlich vielem, was derzeit angeboten wird. Es verweist auf intensives Erleben, ein „Eintauchen“. Die „Immersion“, ein ähnlich attraktives Last-Hot-Shit-Wort wie die „Interaktivität“ der 90er Jahre, ist zumindest auf halbwegs seriöse Weise in seiner kulturgeschichtlichen Verwendung einem religiösen Kontext zuzuordnen. Der Begriff wird aktuell vor allem in der Kombination mit technikaffinen Kunstarbeiten und den letzten Technologie-Entwicklungen angeboten. Und irgendwo zwischen Staunen vor der Kunst, der Technik oder auch nur dem eigenen Eskapismus knien wir fast spirituell aufgeladen nieder und setzen die VR-Brille auf, tauchen ein in die Kunst oder ins Videogame. Und weil Technologie so schön mit Kapitalismus verschränkt ist, hat meine Redakteurin folgendes Zitat auch als passend gefunden, es ist von Jeremy Gilbert. Es bezieht sich auf den Unterschied zwischen Moderne und Postmoderne, hat aber vor allem eine interessante Pointe hinsichtlich Kapitalismus aufzuweisen. Demzufolge könnte „die ‚Postmoderne‘ in der Tat eine einfachere Angelegenheit sein als die ‚Moderne‘. Wenn die Erfahrung der Moderne die Erfahrung eines fortwährenden Wettstreits zwischen dem Kapitalismus und seinen institutionellen Rivalen war – ob feudal und traditionell auf der einen oder modern, demokratisch und sozialistisch auf der anderen Seite – dann ist ‚Postmoderne‘ vielleicht nur der Name für die Situation, in der dieser Wettstreit schließlich zugunsten des Kapitalismus entschieden wurde“3

Und das passt irgendwie wieder gut mit den Hippies und mit dem oben angeführten gescheiterten Versuch zusammen, zumindest kurz mal wieder den Kampf für eine bessere Gesellschaft aufgenommen zu haben, sozusagen den Kampf gegen den Kapitalismus kurz mal wieder re-enacted zu haben. Wie unscharf die Definitionen und Grenzziehungen zwischen Moderne, Postmoderne (Postpost- oder Hochpost-Irgendwas) auch sein mögen: Wir sind mit einer Übermacht von Sachzwängen, sich überschlagenden globalen Entwicklungen, schwerwiegenden gesellschaftlichen Problemlagen konfrontiert. Der Kampf gegen den Kapitalismus scheint tatsächlich verloren. Und eine Kritik an der Gesellschaft ist auch kein Wachstumsmarkt. Ganz anders hingegen bei den Angeboten zwischen Freizeitmarkt, Kultur, Wellness, Sinnsuche und Selbstoptimierung. Deshalb scheint der Weg in Richtung abgefeierter Individualität, Erlebnischarakter, neuer Innerlichkeit, oder auch eines spirituellen Versprechens einerseits leichter – und andererseits auch ökonomisch offen. Damit aber weg von meiner Redakteurin. Und hin zu anderen, individueller auf den Menschen und seine vielleicht sogar „postmodernen Bedürfnisse“ zugeschnittenen Kunstdefinitionen.

Kultureller Wachstumsmarkt
„‚Kunst‘ ist ein kulturelles Tätigkeitsfeld, in dem Menschen sich bemühen, ihre Gefühle und Gedanken durch ein selbst geschaffenes Werk oder durch eine Handlung auszudrücken. Diese schöpferische Gestaltung, die nach heutigem Verständnis weitgehend auf Intuition beruht, befindet sich damit jenseits der Wissenschaft. In diesem Sinne stellt Kunst ein Medium dar, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Insofern sie als Ausdrucksmittel der eigenen Persönlichkeit dient, kann sie helfen, sich selbst zu finden, sich in der Welt zu positionieren. Durch Kunst kann der Mensch sein Innerstes hervorbringen, verborgene Sehnsüchte, Träume an die Oberfläche transportieren. Kunst kann Grenzen abbauen: Die/der Kunstschaffende wird durch die Kunst innerlich befreit und so vermag es die Kunst, den/die KünstlerIn zu verändern. Durch die Auseinandersetzung mit der eigenen Person, mit Gefühlen, positiven oder negativen Emotionen, gestaltet sich ein neues Selbstbild.“4 Schön und gut. Es sei dahingestellt, ob die Welt eine bessere wird, wenn wir nun alle Künstler:innen werden und unserer eigenen Persönlichkeit Ausdruck verleihen. Es sei ebenso dahingestellt, ob sich unser Bewusstsein gegenüber der Welt gänzlich so verändert, dass sich eine Umkehr einstellt und die Sehnsucht in uns gestillt wird. Definitionen wie oben mögen menschenfreundlich motiviert sein, jedoch wird der Kunst viel zugeschrieben und gerade auch viel abverlangt; ob sie die Erwartungen erfüllen kann, sei ebenfalls dahingestellt. So locken Angebote, Ausstellungen, Bücher und Filme, die in der Ankündigung schon hochgradiges versprechen. Auch Kultur ist ein Wachstumsmarkt, wie Spiritualität. Und zwischen beiden entstehen ineinander übergreifende Angebote und Märkte. Nicht immer geht es dabei um Sinnsuche. Öfter geht es darum, dass einfach sehr viel Angebot da ist – und der Mensch schlichtweg gerne das Angebot prüft und schaut, was da ist. Im Hintergrund geht es – wie so oft – ums Wohlfühlen mit dem guten Geschäft.

Spiritualität als Versprechen – Erleuchtung als (unerreichbares) Ziel
Fakt ist, dass ein gesellschaftlicher und auch kultureller Wandel durch innere Sehnsüchte vorangetrieben wird. Früher war der (meistens katholische) Glaube ein Anker und Anhaltspunkt vieler Menschen. Durch das Aufbrechen dieser Dogmen findet sich eine Freiheit vor, mit der viele Menschen nicht umgehen können und auch nicht umgehen wollen. Eine innere Leere macht sich breit, die wieder gefüllt werden darf. Der Wunsch nach Erleuchtung und ein Ankommen am Ziel (wie auch immer das definiert sein mag) lässt viele Menschen hetzen und verzweifelt suchen. Erkenntnisse werden beim Trance-Atmen oder Ecstatic-Dance gefunden. In der Schwitzhütte, am Yoga-Retreat in den Bergen oder beim gemeinsamen Mantra-Singen wird der Weg zur sehnsüchtig erwarteten Erleuchtung beschritten. Halt kurz Inne. Schließ deine Augen. Atme tief ein. Atme noch tiefer aus. Komm mit auf die Reise deiner Möglichkeiten. Es kann nämlich durchaus sein, dass die innere Sehnsucht genauso auch wieder gestillt werden kann durch lange, berauschende Tanzabende mit Freund:innen. Oder durch ewig lange Gespräche mit Fremden an einem lauen Sommerabend. Oder durch ein kurzes Innehalten am Donauufer. Oder auch durch ein hundsordinäres kaltes Bier an einem heißen Tag. Muss wirklich jede Erfahrung den spirituellen Horizont erreichen? Jede Kunstinstallation noch tagelange im Kopf nachvibrieren? Muss alles achtsam und im Bewusstsein für mein höheres Selbst geschehen? Wo ist die Kunst, die nichtssagend ist. Wo ist die Musik, die keinem gefällt. Wo sind die Bücher, die wieder weggelegt werden. Und vor allem, wo sind die Menschen, die sich selbst genügen.

Spiritualität. Kunst. Sehnsucht. Begriffe, die eigenständig, aber auch in Kombination nicht nur soziologisch spannend sind. Begriffe, die uns auch weiterhin begleiten werden. Möge die Reise zur Erleuchtung und Erkenntnis führen.

 

1 Dorsch, Lexikon der Psychologie: dorsch.hogrefe.com/stichwort/spiritualitaet

2 Mohsen Mirmehdi in: Agnes Wuckelt, Annebelle Pithan, Christoph Beuers (Hg.), „Was mein Sehnen sucht …“ – Spiritualität und Alltag, Forum für Heil- und Religionspädagogik, Band 5, Comenius-Institut: Münster 2009

3 GILBERT, Jeremy. Common Ground: Democracy and Collectivity in an Age of Individualism. Pluto Press, London, 2014, Zitat S. 15.

4 Tina Lindemann/Ina Schmid in: Agnes Wuckelt, Annebelle Pithan, Christoph Beuers (Hg.), „Was mein Sehnen sucht …“, siehe oben, Fussnote 2. 

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About the author

ist gelernte Soziologin und angehende Sozialwirtin. Job-Hopperin seit jeher, immer wieder im Kunst- und Kulturbereich tätig und engagiert. 2019 gründete sie den feministischen Buchclub Linz und versucht die Welt besser zu machen.

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