Kunst als Gehilf*in bei der queeren Produktion von etwas Anderem: Das Personnel Bodily Parts Office (P.B.P.O.) versteht sich als Büro, das durch künstlerische Interventionen zum Reflektieren über Körper aufruft. Es war im Juli für die BestOFF Sommerfrische in Gmunden. Ralf Petersen hat das Büro dort besucht.
Rebecca Strasser-Kirchweger und Robin Renner studieren Raum- und Designstrategien. Im Rahmen einer Lehrveranstaltung zum Thema „Macht und Frieden“ fiel den beiden auf, dass sie auf die Frage, aus welchem Grund sie Feminst*innen sind, eine ähnliche Antwort gegeben haben: Beiden war es ein Dorn im Auge, dass die normativ binäre Gesellschaft Menschen in ihrer Selbstbestimmungsfreiheit einschränkt – in Form von bürokratischen Institutionen, die Personen nach Geschlechtsidentität zu ordnen suchen. Beide merkten, wie sie diesen Hürden ausgesetzt sind und dass dieser Umstand die Grundlage ihres feministischen Engagements bedeutet. „Zu denken, es reiche ein Kästchen, um eine der intimsten Fragen zu beantworten, ist Provokation“, schreibt Rebecca dementsprechend in einer Ankündigung des Büros.
Rebecca erzählt, dass es beim Ausfüllen des Anmeldeformulars an der Kunstuniversität Linz drei Boxen gibt, von denen eine angekreuzt werden muss, um Auskunft über die eigene Geschlechtsidentität anzugeben: Männlich, Weiblich oder Divers. Nachdem Rebecca Divers angekreuzt hat, klingelte sogleich das Telefon: Die Information dürfe nicht von jener in Rebeccas Reisepass abweichen. Dieser Schlüsselmoment brachte die entscheidende Idee für ein Projekt rund um bürokratische Hürden, die eine Geschlechtsidentität mit sich bringt. „Der Personifizierungsprozess“, sagt Robin, „ist ein Verfahren, wo die meisten Menschen einen Anknüpfungspunkt haben“. So gründete sich das P.B.P.O. als Vorhaben, die genannten Erfassungsmechanismen durch satirische Nachahmung zu hinterfragen, und der kritischen Auseinandersetzung mit dem juristischen Geschlecht eine Bühne zu bieten.
Die drei Kästchen, wie man sie zum Beispiel in den Formularen der Kunstuniversität Linz zum Ankreuzen anbietet, männlich, weiblich und divers, erweitert das Büro auf alle sechs in Österreich legalen Eintragungen. Das heißt, es kann zusätzlich noch zwischen inter, offen und keine Angabe ausgewählt werden. Außerdem verlässt das P.B.P.O. das alleinige Erfassungsmerkmal Geschlecht, verkleinert parallel die Erfassungseinheit und vermehrt sie gleichzeitig: Es werden keine Personenausweise ausgestellt, sondern Körperteilausweise. Dabei darf ein Körperteil maximal zehn mal zehn Zentimeter groß sein. „Bevor man etwas abschafft“, sagt Robin, „muss man es aufgliedern“. Beim Büro bekommt man einen Ausweis für z. B. Hand, Knie, Nippel, Nase oder Ohr. Die Körperteile bekommen neben Namen auch die Möglichkeit, ein Statement auf dem Ausweispapier abzugeben. Anschließend wird der Pass autorisiert, ausgestellt, archiviert. Mit diesem Experiment der Personifikation der Körperteile bezweckt das P.B.P.O. Denkanstöße zu geben, Diskussionsraum zu schaffen. Wie identifiziert man jemanden in 2D? Wieso leiten wir unsere Persönlichkeiten von unseren Körpern ab? Mündet das Konzept des Büros in ein fortlaufendes Quartettspiel, bei dem jede Person dutzende Ausweise mit sich führt? Dabei stehen nicht abstrakte Konzepte im Mittelpunkt, sondern tagesaktuelle Probleme, die Aufmerksamkeit fordern, aber ignoriert oder bekämpft werden.
„So lange wie …, bin ich Feminist:in“ – das war die Aufgabe, die Rebecca und Robin im zu Beginn angesprochenen Seminar gestellt wurde. Robin bezog sich auf die dritte Geschlechtskategorie, die in Österreich zwar rechtlich anerkannt ist, auf die sich aber nur auf Antrag mit ergänzendem Fachgutachten wechseln lässt, und schrieb: „As long as you pretend, I don’t exist, I will be a feminist.“ Rebeccas Antwort war „As long as I have to drop my pants for bureaucracy, I will be a feminist“. „Ich sage das nicht“, erklärt Rebecca, „weil ich nicht in ein Raster passe, sondern weil ein funktionierendes System dieses Raster nicht braucht. Solange Gesundheits- und Rechtswesen aber etliche Lücken aufweisen, muss man mit veralteten Waffen kämpfen – und die Hosen runterlassen.“
Bei einer Schwangerschaft, erzählt Rebecca, sei die erste Frage, was es denn wird? Die erste Frage, die dann wiederum dem Kind gestellt werde: Was willst du einmal werden? In der Welt vom P.B.P.O. sind diese Fragen unsinnig, denn sie gehen von der Grundlage aus, dass das Werden ein Ende hat, ein Ziel. Das Büro versucht den Menschen zu helfen, in dem es eine Ebene schafft, auf der sich Körperteile versammeln, um ihre Heterogenität zu feiern, statt nach einer Welt zu suchen, die sie reproduzieren können. Die Geschlechterfrage ist eine Frage des Lernens – mit anderen Worten, des Wagnisses: Das Wagnis, zu experimentieren, zu erschaffen, eigene Perspektiven, Beziehungen, Verbindungen herzustellen (soziale, amouröse, künstlerische).
Bei der BestOFF Sommerfrische, einem Kooperationsformat der Kunstuniversität Linz mit den Salzkammergut Festwochen, das im Juli neun Tage lang in Gmunden gastierte, zeigte sich das P.B.P.O. performativ der Öffentlichkeit: Nachdem das Duo im Frühjahr im Linzer Raumschiff ein Minifestival organisierte, bei dem weitere Künstler*innen, Bar und buntes Programm mit dabei waren, nennt Robin den Aufenthalt am Traunsee eine „Expedition“. Nur das Nötigste haben die beiden dabei, um im Galerie-Kontext dynamisch auf eigene und fremde Struktur(ierung)en reagieren zu können. Während der eingerichtete Arbeitsort selbst zum Ausstellungsstück wird, geht es bei den Performance-Dienstreisen des Büros vor allem darum, den Prozess nach außen zu kehren, möglichst barrierefrei und inklusiv zu sein, zur Nachahmung aufzurufen. Die Expedition appelliert, anders zu denken, queere Räume zu konstruieren, heteronormative, binäre Sichtweise zu destabilisieren. Wer das Büro betritt, die Arbeit vor Ort betrachtet, wagt es vielleicht, Teil der Performance zu werden. „Und wenn das zu schwer für dich ist“, verspricht eine Informationsbroschüre, „sind wir da, um zu helfen“.
Rebecca Strasser-Kirchweger und Robin Renner dient das Büro als Findungsprozess der eigenen Arbeitsweise. Für die Zukunft wünscht sich Robin auf der einen Seite Quantität („Möglichst viele Ausweise!“), parallel möchten die beiden aber auch in puncto Materialität der Identifizierungskarten zu etwas Eigenem finden, vielleicht wird es eine Scheckkarte. Das Büro ist im Werden, in Änderung begriffen, zwischen Markieren und Verschwinden. „Noch heute möchte ich manchmal verschwinden“, schreibt Robin auf dem Instagramprofil des Büros. Das Büro ist ein Weg, diesem Bedürfnis entgegen zu treten: Die Kunst markiert das Verschwundene, sie dient als Fragmentierer und Multiplizierer, als Gehilfin bei der queeren Produktion von etwas Anderem, Verschiedenem.
Ein integraler Bestandteil des P.B.P.O. ist das Wartezimmer, in dem es zur Unterhaltung und Bildung queerfeministische Zines und Bücher gibt. Ein Buch, das mir Rebecca empfiehlt, ist „Sexing the Body: Gender Politics and the Construction of Sexuality“ von Wissenschaftlerin Anne Fausto-Sterling. Selbst das grundlegendste Wissen über Sex und Gender, argumentiert Fausto-Sterling, ist von gesellschaftlichen Definitionen von Normalität geprägt, in der wissenschaftliche Erkenntnisse produziert werden.
Das Büro sieht sich als Anlaufstelle und Plattform, für eine nicht zentralisierte Konzeption von Geschlechtsidentitäten. Wer, wie Robin, an System Dysphoria leidet, oder, wie Rebecca, Schwierigkeiten hat, sich zu identifizieren, findet beim P.B.P.O. keine finalen Antworten, sondern einen Safe Space, der eine*n davor bewahrt, alleine der wachsenden Kompliziertheit ausgesetzt zu sein, die sowohl aus dem gesellschaftlichen Zuordnungsdiktat entsteht, als auch aus den komplex-vermischten Zuständen an Informationen und Möglichkeiten, die ausbrechen, wenn man sich ersterem entzieht. Das Personnel Bodily Parts Office ist nicht die Endstation, sondern eine Überspitzung, „ein Zwischenschritt bis zur Utopie“, wie Robin sagt. Bis es soweit ist, kreuzen wir Kästchen an. Den Kästchen wohnt Struktur inne. Die Kästchen verschaffen unseren Körperteilen Sicherheit. Das „Ich“ ist die materielle Version unserer selbst, die Einheit, die entsteht, wenn sich unsere Körperteile zu unseren Körpern zusammensetzen.
Das „Ich“ bietet der sozial geprägten Identität ein Medium. Unsere Körper sind Werkzeuge für Kommunikation und Interaktion. Aber vielleicht sind unsere Körperteile froh über das Fragmentiertsein, glücklich übers Alleinsein, weil sie sonst nirgends dazu passen. Vielleicht bewegen wir uns in Wahrheit tagtäglich durch eine Assemblage von Körpern, ein Konstrukt, das auf den Laien unverständlich wirken muss. Doch statt die Verwobenheiten durchdringen oder interpretieren zu wollen, könnten wir mit ihnen experimentieren. Jedes Wissen ist verkörpertes Wissen: Das Gestrüpp kennt sich also aus.
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