Die Referentin #41 - Aktuelle Beiträge

Das Leben der Brigitte Schwaiger

Silvana Steinbacher | Kunst und Kultur, 26. August 2025
Die Referentin #41

Vor fünfzehn Jahren hat sich der einstige Medienstar Brigitte Schwaiger das Leben genommen. Die Biografie der Freistädter Schriftstellerin zeigt viele Facetten: den fulminanten Erfolg ihres Erstlings, wenig beachtete weitere Bücher, ein kaum bekanntes bildnerisches Werk und Jahre der Entbehrung und psychischen Krisen. Die aktuell laufende Ausstellung zu Brigitte Schwaiger im StifterHaus hat sich Silvana Steinbacher an­gese­hen.

Ausstellungsansicht im StifterHaus: Brigitte Schwaiger – „Wenn man schreibt, hält man das  für Realität, was man schreibt“
Ausstellungsansicht im StifterHaus: Brigitte Schwaiger – „Wenn man schreibt, hält man das für Realität, was man schreibt“. Foto Otto Saxinger

Das Leben der Brigitte Schwaiger verführt geradezu zur Inszenierung, ja möglicherweise Dramatisierung. Die jun­ge schöne Schriftstellerin, die von der Bestsellerautorin zum Sozialfall mit psychischen Problemen „abrutschte“, ließe sich durchaus spektakulär prä­sentieren. Betritt man die Ausstellung Brigitte Schwaiger – „Wenn man schreibt, hält man das für Realität, was man schreibt“, ist jedoch sogleich ein unaufdringlicher, sachlicher Zugang zu der 1949 geborenen Freistädter Autorin zu bemerken. 

Der ebenfalls aus Freistadt stammende Literaturwissenschaftler Stefan Maurer zeigt als Kurator dieser Ausstellung Bücher der Autorin, einen Teil ihrer umfangreichen Korrespondenz mit anderen Schrift­stelle­r:innen und auch anderen Kunstschaffenden – wie Arnulf Rainer – sowie Dokumente des medialen Hypes um sie, dem sie sich bald nicht mehr gewachsen sah. Die Schau beinhaltet aber auch ihre bildnerischen Arbeiten, ihren Schriftverkehr mit Behörden und Ämtern und – besonders berührend – ihre peniblen Aufzeichnungen der Ausgaben des täglichen Lebens, zu denen sie sich aufgrund ihrer prekären finanziellen Umstände gezwungen sah. 

Triumph

Brigitte Schwaiger, in bürgerlichen Verhält­nissen aufgewachsen, feierte 1977 mit ihrem ersten Roman Wie kommt das Salz ins Meer einen sensationellen Erfolg. Das Buch wurde 500.000 Mal verkauft und in mehrere Sprachen übersetzt. Bereits nach wenigen Monaten wurde die dritte Auflage gedruckt, bis zum heutigen Tag sind es fünfzehn. Die Autorin schildert in ihrem Erstlingswerk das Scheitern einer jungen Frau, umgeben von einer in Konventionen verstrickten Umwelt. Nach ihrer frühen Heirat bemerkt sie, dass sie in der Ehe den gleichen Zwängen unterliegt wie zuvor bei ihren Eltern. Eingesperrt in dieser Ehe bietet sich ihr keine Möglichkeit zur Selbstverwirklichung. Der sehr dominante Ehemann, der Druck Kinder zu bekommen und der Haushalt bestimmen ein Leben, das sie sich so nicht vorgestellt hat. In einer patriarchal geprägten Zeit spricht der Text auch Frauen besonders an, und die damalige Frauenbewegung vereinnahmte das Werk. Schwaiger stand dem eher kritisch gegenüber. 

Viele ihrer Kolleg:innen lobten ihren Roman überschwänglich, unter ihnen der berühmte Bestsellerautor Johannes Mario Sim­mel. Bestandteil der Ausstellung ist auch ein Fernsehgespräch zwischen Johannes Ma­rio Simmel und der aufstrebenden Brigitte Schwaiger, in dem die Literatur nur wenig thematisiert wurde und die damals junge Autorin ihrem arrivierten Kollegen humorvoll und schlagfertig konterte. 

Nach ihrem Erstling ist Schwaigers Leben schlagartig ein anderes: Sie wird herumgereicht, zu Talkshows eingeladen, gibt unzählige Interviews. Diese Situation, die sich wahrscheinlich viele Schreibende sehnlich wünschen, hat Brigitte Schwaiger offenbar nicht bewältigt, denn bereits wenige Monate nach ihrem Sensationserfolg begibt sie sich, psychisch und physisch „ausgebrannt“, in klinische Behandlung und absolviert eine Schlafkur. 

Immer wieder war Schwaiger mit einer Fra­ge von Lesenden, die Realität mit Fiktion verwechseln, konfrontiert: Ist Ihr Roman biografisch? Statt einer Antwort darauf hier nun kurz die wichtigsten Daten zu ihrem Leben, die demonstrieren, dass das Buch zum Teil, aber eben nur zum Teil biografisch gefärbt ist. 

Biografie

Brigitte Schwaiger wurde 1949 in Freistadt geboren, die Mühlviertler Stadt mit damals rund 8000 Einwohner:innen empfand sie bereits in ihrer frühen Jugend als einengend und bedrückend. Vielleicht ist es auch aufschlussreich, sich die Zeit, in der sie als Jugendliche und junge Frau lebte, vor Augen zu führen. Erst 1969, als Brigitte Schwaiger immerhin zwanzig Jahre alt war, erlangten verheiratete Frauen in Österreich die volle Geschäftsfähigkeit und benötigten nicht mehr die Zustimmung ihres Ehemanns für viele Rechtsgeschäfte. Es lässt sich gut vorstellen, dass die Konventionen im ländlichen Bereich noch ausgeprägter waren. Doch zurück zu Schwaigers Leben. Sie besuchte das Gymnasium in Freistadt und legte dort die Matura ab. 1968 heiratete sie einen spanischen Tierarzt und Offizier, mit dem sie in Madrid und auf Mallorca lebte und sie beschäftigte sich dort mit Malerei und Bildhauerei. Nach ihrer Scheidung kehrte sie wieder nach Österreich zurück und hat in Linz einige Spuren hinterlassen. Sie besuchte die Pädagogische Akademie, ohne sie abzuschließen, trat unter anderem als Schauspielerin auf. Im Linzer Kellertheater am Hauptplatz hat sie auch bei Hermann Ungars Die Gartenlaube Regie geführt. 1973 erschien in den Facetten, dem Literarischen Jahrbuch der Stadt Linz, unter dem Pseudonym Eva Quidenius ihre achtzehnseitige Erzählung „España Cani“, die ohne Interpunktion und in Kleinschreibung gehalten ist. Später war sie als Regieassistentin beim ORF und als Sekretärin in einem Wiener Theaterverlag tätig, bevor sie ab Mitte der 1970er-Jahre als freiberufliche Schriftstellerin ihren Lebensunterhalt verdiente. 

Ausstellungsansicht im StifterHaus: Brigitte Schwaiger – „Wenn man schreibt, hält man das für Realität, was man schreibt“
Ausstellungsansicht im StifterHaus: Brigitte Schwaiger – „Wenn man schreibt, hält man das für Realität, was man schreibt“. Foto Otto Saxinger

Malerei

In der Ausstellung Brigitte Schwaiger – „Wenn man schreibt, hält man das für Realität, was man schreibt“ vermittelt der Kurator Stefan Maurer nicht nur ihre wechselhafte Lebensgeschichte, sondern zeigt auch eine Auswahl des weniger bekannten bildnerischen Schaffens der Künst­lerin. Nicht nur literarisch, sondern auch in dieser Sparte diente ihr Freistadt als Inspiration. In der Brauhausgalerie in Freistadt fand die erste Ausstellung ihrer Werke statt.

Korrespondenz

Brigitte Schwaiger korrespondierte mit vielen ihrer Kolleg:innen, unter anderem mit Alois Brandstetter, mit dem sie befreundet war, mit Gerhard Roth, Hubert Fink, Heim­rad Bäcker und Karin Struck, auch mit dem Autor und Kritiker Wolfgang Kraus und in ihren letzten Lebensjahrzehnten intensiv mit Andreas Okopenko. Brigitte Schwaiger ist, wie die Besuchenden der Ausstellung erfahren, alles andere als eine „Einbuch-Autorin“, auch wenn fast nur ihr Erstling Wie kommt das Salz ins Meer in Erinnerung geblieben ist. Rund 15 weitere Bücher sowie auch Bühnenstücke, Hörspiele und Gedichte zählen zu ihren Werken. Sie thematisiert dort zumeist Verletzungen, Depressionen, bürgerliche Enge und psychische Krisen, resultierend aus dem Zwang, sich „gutbürgerlichen“ Normen und Werten anzupassen. Er wünsche sich, so der Kurator Stefan Maurer, dass Brigitte Schwaiger wieder in ein „schönes Licht“ gerückt werde, so wie auch einer ihrer Romantitel heißt.

Auch Kritiken auf ihre nachfolgenden Bücher sind räumlich nahe zu den Dokumentationen des medialen Erfolgs ausgestellt und vermitteln so besonders deutlich, dass die Kritik keineswegs milde mit der einst so geliebten Autorin umgegangen ist. Über ihr zweites Buch Lange Abwesenheit, publiziert 1980, sagt eine Rezensentin unter anderem: „So werden ihre Kindheits- und Jugenderinnerungen doch mitunter zu einer Banalitätenparade mit all den Schaustücken, die man aus den verschiedenen Memoiren kennt.“ 

Politik

Auch die politische Seite der Autorin, über die bisher kaum debattiert wurde, lernt das Publikum in der Ausstellung kennen. Anlässlich der Waldheim-Affäre 1986 hält sie in der Freistädter Arbeiterkammer einen Vortrag unter dem Titel „Was darf ich von einem Bundespräsidenten erwarten? Von der Verantwortung des Schriftstellers gegenüber seinen Lesern“. „Momentan bin ich beseelt von einer Anti-Waldheim-Kampagne, die in Freistadt ganz allein von mir aus geht“, schreibt sie in einem Brief.

Geldsorgen

Es würde kein vollständiges Bild dieser Autorin ergeben, ließe man zwei wesentliche Aspekte ihrer Persönlichkeit – was in dieser Ausstellung nicht der Fall ist – unberührt: zum einen ihre äußerst labile Verfassung und zum anderen ihre prekäre finanzielle Situation. Vor allem in Briefen und Aufzeichnungen wird spürbar, wie sehr Brigitte Schwaiger ihre Wege zum Arbeits- und Sozialamt als demütigend empfand. Bereits mit fünfundvierzig Jahren ist sie gezwungen, Sozialhilfe zu beantragen. Einige Medien wühlten damals beinah genüsslich in diesem Abstieg und berichteten von der einstigen Bestsellerautorin, die nun ein Sozialfall ist. In der Ausstellung zu sehen ist etwa ihr Sozialausweis aus dem Jahr 2005. Nicht mehr „als Wunderkind, sondern als von Instanzen wie Individuen gebrandmarktes, wundes Kind“ fühle sie sich.

Brigitte Schwaiger (1949–2010).
Brigitte Schwaiger (1949–2010). Foto Karl Kofler

Psychische Disposition

Die finanziellen Sorgen und die damit verbundenen Demütigungen begründen sich wohl auch in der labilen Verfassung der Autorin. Nach anhaltenden Problemen kämpfte sie ab den 1990er-Jahren mit einer psychischen Erkrankung, die Aufenthalte in psychiatrischen Einrichtungen nötig machte. Schwaiger schrieb darüber sehr offen in ihren Werken, beispielsweise in Schönes Licht, in Tränen beleben den Staub oder in dem 2006 im Czernin Verlag veröffentlichten Roman Fallen lassen, in dem die Autorin ihren Zustand schildert. Ihre jahrelangen Behandlungen und ihr offener Umgang mit ihrer psychischen Situation konnten aber offenbar keine nachhaltige Verbesserung bewirken, denn 2010 nahm sich Brigitte Schwaiger das Leben.

Obwohl die Autorin mit ihrem Erstlingsroman einen sensationellen Erfolg hatte, wurde sie mehr und mehr vergessen. Das soll sich durch diese Ausstellung ändern, aber nicht nur dadurch: In Freistadt wurde vor einigen Jahren der Brigitte-Schwaiger-Literaturweg eröffnet und die Brigitte-Schwaiger-Gesellschaft gegründet. Und die derzeit laufende Ausstellung wird auch in einem Begleitkatalog dokumentiert. 

 

Brigitte Schwaiger – „Wenn man schreibt, hält man das für Realität, was man schreibt“
StifterHaus Linz, bis 13. März 2026
Öffnungszeiten: Di bis So, 10:00–15:00 Uhr
www.stifterhaus.at

Silvana Steinbacher
ist Autorin und Journalistin.
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