Mensch und Natur, eine gescheiterte Beziehung?
Die Referentin #39
Crossing Europe: Das Filmfestival, das heuer am 29. April in Linz beginnt, widmet sein Local Artist Special heuer dem Filmemacher, bildenden Künstler und Umweltaktivisten Edgar Honetschläger. Der Versuch einer künstlerischen Verortung von Christian Klosz.
Midas Ants. Foto Edgar Honetschläger
Gezeigt werden bei Crossing Europe vier ausgewählte Arbeiten Honetschlägers, zwei Kurz- und zwei Langfilme, jeweils in zwei Programmen zusammengefasst, der Künstler wird selbst anwesend sein. Ergänzt wird der Schwerpunkt durch eine Ausstellung seiner Arbeiten im Nordico Stadtmuseum.
Edgar Honetschläger ist gebürtiger Linzer, wodurch sich der Oberösterreich-Bezug begründet, der ausschlaggebend für die etablierte Local Artist-Schiene beim Crossing Europe ist, lässt sich aber am besten als wahrer Kosmopolit bezeichnen: Seit Jahrzehnten lebt er vorwiegend im Ausland, mit Stationen in New York, Los Angeles, São Paulo, Tokio, Rom, also städtischen Metropolen, bevor er vor 14 Jahren zum „Landei“ geworden ist, wie er sagt, als er unter dem Eindruck der Kraftwerk-Katastrophe in Fukushima seine damalige Heimat Tokio verließ und nach Europa zurückkehrte.
Er ließ sich in Italien nieder, begründete dort einen kleinen Gemüsegarten, um sich selbst versorgen zu können. Aus diesem Projekt, dessen Antrieb es war, herauszufinden, wie man sich ganzjährig selbst versorgen kann, entstand schließlich die NGO GoBugsGo, die menschenfreie Flächen schaffen möchte. Aus dem anfänglichen 20 m2 großen Gemüsegarten wurde eine riesige Fläche von 800 m2. „Mit GoBugsGo hegen wir den utopischen Plan, in der Welt Flächen zu schaffen, die kein Mensch mehr betreten darf, um die Natur sich selbst zu überlassen“, so Honetschläger.
Diese ganz persönliche Hinwendung zur Natur brachte Honetschläger aber auch in Kontakt mit den lokalen Bauern in Italien – und sensibilisierte ihn für deren Probleme und aktuelle ökologische Herausforderungen. Und die Brüche im Verhältnis zwischen Mensch und Natur, die immer wieder zentraler Bestandteil seiner Arbeiten sind.
Honetschlägers neuester Film Midas Ants (2023), der beim Crossing Europe zu sehen sein wird, stellt dieses Verhältnis thematisch ins Zentrum: Der experimentelle Essayfilm ist ein Mosaik, das puzzleartig und assoziativ Gedanken zu Mensch und Natur, Mensch und Fortschritt, Mensch und Mensch und Mensch und Gott verwebt, dabei auf historische, philosophische und aktuelle gesellschaftliche Fragen verweist. Nicht immer erschließt sich der Sinn des Gezeigten sogleich, dem Publikum wird Geduld abverlangt.
Midas Ants beginnt mit einer Reise in die griechische Antike zur Figur des Midas, die oft als Symbol für Gier gelesen wird: Der hellenische König wünschte, alles durch Berührung zu Gold zu machen, um seinen Reichtum ins Unermessliche zu steigern. Problematischer Nebeneffekt: Wenn alles zu Gold wird, gibt es irgendwann auch kein Essen mehr. Oder Mitmenschen.
Von diesem Gedanken ausgehend erforscht Honetschläger die Geschichte des Verhältnisses zwischen Zivilisation und Natur. Er zeigt verschiedene fiktive Figuren, manche in der Gegenwart angesiedelt, andere historisch. Eine Stimme aus dem Off ergänzt das Gezeigte um gedankliche Reflexionen, die sich auch mit der (europäischen) Ideengeschichte auseinandersetzen. Als dramaturgische Anker fungieren zwei Charaktere, die immer wieder auftauchen: Eine Dryade, eine mythologische Figur, halb Mensch, halb Pflanze. Und ein Esel, der Beobachter.
Neben allgemeinen philosophischen Überlegungen übt Midas Ants aber auch konkrete Gesellschaftskritik, spricht aktuelle Themen der Gegenwart an: Er befasst sich mit Kapitalismus, Individualismus (und seinen Schattenseiten), hinterfragt kritisch den aufklärerischen Fortschrittsgedanken, dem er eine „mechanistische Sichtweise“ andichtet, kritisiert Kolonialismus, ist dabei aber nicht gänzlich frei von Exotismus und Utopismus.
Das Ergebnis kann man ein dichtes, tiefgründiges Traktat nennen. Oder ein esoterisches Essay, das um sich selbst kreist, das liegt im Auge des Betrachters. In Honetschlägers eigenen Worten schließlich ist sein Film „der Versuch, die Kristallisationspunkte in der Menschheitsgeschichte festzumachen, an denen sich unsere Vorstellungen von Natur verändert haben.“
Auch der zweite, im Rahmen des Crossing Europe Festivals gezeigte Langfilm von Edgar Honteschläger befasst sich mit der Verhältnis zwischen Mensch und Natur, allerdings auf andere Weise und aus anderer Perspektive: Aun – The Beginning and End of All Things aus dem Jahr 2011, weitgehend in Japan und auf Japanisch gedreht, folgt einer klareren narrativen Struktur als Midas Ants, ist aber trotzdem kein Spielfilm mit klassischer Dramaturgie, sondern eine Mischung aus filmischem Essay und Science Fiction-Fabel, die auch auf shintoistische Gedanken rekurriert.
„Aun“ durchzieht folgendes Mantra, folgender Leitgedanke, der mehrfach wiederholt wird:
Alles was uns umgibt ist vom Menschen geschaffene Natur.
An Selbstzerstörung zu glauben ist eine Hybris.
Selbst wenn es uns gelänge,
welch winziger Punkt im Universum die Erde doch gewesen sein wird.
Auf narrativer Ebene beginnt der Film mit einer tragischen Geburt, bei der der Erfinder Sekai seine Frau und der neugeborene Aun seine Mutter verliert. Jahre später sehen wir Sekai, wie er im Rahmen von Experimenten versucht, eine neue Energiequelle zu erschließen. Er ist völlig von seiner Arbeit vereinnahmt, in ihr versunken, vernachlässigt seinen Sohn, spritzt sich Drogen – und stirbt schließlich.
Jahre später versucht ein brasilianischer Forscher namens Euklid (der Name verweist wohl nicht zufällig auf den griechischen Mathematiker), Sekais visionäre Arbeit fortzusetzen, die die Zukunft für die Menschheit garantieren soll. Doch nur mit der Hilfe von Aun kann das Experiment gelingen.
Obwohl Aun eben Handlungsversatzstücke aufweist, ist auch dieser Film experimentell angelegt. Die intendierte Botschaft bleibt beizeiten etwas schwammig, dafür entschädigen aber wunderschöne Aufnahmen: Bilder von Japans Natur, von Gebäuden, vom Himmel, vom Strand. Von Tokios Skyline. Und nicht zuletzt kunstvolle mikroskopische Aufnahmen aus Reagenzgläsern, die zusammen mit dem gelungenen Soundtrack traumähnliche Sequenzen aus einer anderen Welt ergeben. Von den beiden Langfilmen, die beim Crossing Europe zu sehen sein werden, ist Aun sicher der zugänglichere. Selbst wer dem Inhalt nicht folgen kann oder mag, kann sich von den Bildern in Honetschlägers Welt entführen lassen.
Komplettiert wird das Filmquartett durch die beiden Kurzfilme Give Nature a Break und Civilization Sucks, beide etwa eine Minute lang. Und in beiden tritt der Künstler selbst auf.
Der Erstgenannte besteht im Kern aus einer simplen Botschaft: Gebt der Natur eine Pause, schafft menschenfreie Zonen. Illustriert wird all das durch eine alte, in einem Wald stehende Mauer, die durch einen Bagger eingerissen wird. Der Film ist im Grunde auch Werbung für Honetschlägers oben erwähntes Projekt GoBugsGo. Civilization Sucks zeigt den Künstler dabei, wie er mit einem Faden seine Haare, die an diesem befestigt sind, in die Höhe zieht. Ob es hier einen tieferen Sinn gibt, oder das Dadaismus in Reinform darstellt, ist schwer zu sagen.
Alle Filme zeigen Edgar Honetschläger jedenfalls als eigenwilligen Künstler, der in seinen Arbeiten versucht, Ideengeschichte, Gesellschaftskritik, philosophische Überlegungen, Mythologie und Umweltschutz zusammenzudenken. Bei allem Symbolismus ist der der Bezug zur Gegenwart, zur Klimakrise, den immer sichtbarer werdenden Auswirkungen derselben und der Herausforderung, darauf Antworten zu finden, erkennbar. In einem Interview beschreibt Honetschläger den aktuellen Zustand der Zivilisation wie folgt: „In all den Zyklen, die die Menschheit durchlaufen hat, kommen wir immer wieder an einen Wendepunkt, jedoch so dramatisch und bedrohlich wie jetzt war es wahrscheinlich noch nie.“
Und als Antrieb hinter seinem Aktivismus formulierte er folgende Frage: „Der Mensch wünscht sich Freiheit, wo hört die des Individuums auf und fängt die der Natur an? Wieso billigen wir der Natur keine zu?“ Seine Werke geben keine Antworten darauf. Aber sie regen zum Nachdenken darüber an.
Edgar Honetschläger bei Crossing Europe
Das Local Artist Special über Edgar Honetschläger umfasst vier ausgewählte filmische Positionen:
Civilization Sucks, IT 2018, 1 min.
Aun – The Beginning And The End of All Things, AT/JP 2011, 102 min.
Give Nature A Break, AT 2022, 2 min.
Le Formiche Di Mida – Midas’ Ants, AT/IT 2023, 75 min.
Crossing Europe findet von 29. April bis 4. Mai in Linz statt.
www.crossingeurope.at
Edgar Honetschläger im Nordico
Give Nature a Break
11. 04. – 24. 08. 2025
Das Nordico Stadtmuseum Linz widmet Edgar Honetschläger eine umfassende Personale.
Als Antwort auf die katastrophalen Auswirkungen des Anthropozäns gründete Honetschläger 2018 die Non-Profit-Organisation GoBugsGo – Set Nature Free, eine transdisziplinäre Initiative, die Kunst mit Umweltaktivismus verbindet. Als utopische künstlerische Vision werden Zonen errichtet, aus denen der Mensch ausgeschlossen ist.
Neben hundert Arbeiten, darunter großformatige Film-Kulissen, ist auch in Linz eine „Non-Human-Zone“ – eine „lebende Skulptur des 21. Jahrhunderts“ zentraler Teil der Ausstellung. Am Foto: Edgar Honetschläger in der Film-Performance für die NGO gobugsgo.org, 2022.
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