Die Referentin #39 - Aktuelle Beiträge

Zu Lebzeiten ein Star, heute vergessen

Silvana Steinbacher | Kunst und Kultur, 4. März 2025
Die Referentin #39

Die 1814 geborene Schriftstellerin und Journalistin Betty Paoli galt mit 25 Jahren bereits als Star. Die Literaturwissenschaftlerin Karin S. Wozonig hat jetzt zwei Bücher über den Shootingstar von einst vorgelegt, die im Stifterhaus rund um den internationalen Frauentag präsentiert werden. Silvana Steinbacher über eine vergessene Autorin, die auch heute noch Beachtung verdient.


Betty Paoli: Riecht vielleicht etwas zu sehr nach Emancipation. Foto Fotoatelier Pietzner, vor 1895. Wien Museum

Gleich zu Beginn: Ich wusste bisher nichts von Betty Paolis Existenz. Dass sich ihre zu Lebzeiten enorme Bekanntheit nicht bis in die Gegenwart erhalten hat, ist auf mehreren Ebenen erstaunlich. Einerseits war sie eine prominente Schriftstellerin und galt zu ihrer Zeit als die berühmteste Lyrikerin Österreichs, andererseits zeigte Betty Paoli auch alle Seiten einer schillernden Frau. Sie bewegte sich in den vornehmsten Adelskreisen ihrer Zeit, hatte zahlreiche Liebschaften und drang in Gebiete vor, die damals Frauen verschlossen waren. 
Der Reihe nach: Betty Paoli ist 1814 unter dem Namen Barbara Elisabeth Glück in Wien geboren und war, nachdem ihre Mut­ter zuerst ein Vermögen geerbt und dann verloren hatte, bereits mit sechzehn Jahren dazu gezwungen, für sich zu sorgen. Für unverheiratete Frauen des Bürgertums oh­ne finanziellen Hintergrund boten sich zu ihrer Zeit fast nur die Stellen einer Gouvernante oder Gesellschafterin an. Doch davon später.

Betty Paoli und die Lyrik

Betty Paoli, dieses Pseudonym hat sie sich zugelegt, ist eine Pionierin der Liebeslyrik, sie war die erste Frau in der österreichi­schen Literatur, die unter anderem Sehnsucht, Schmerz und Begehren aus weiblicher Sicht in die Lyrik einbrachte. Die erste Strophe ihres Gedichts „Mit dir!“:
    
Nimm mich mit, wohin dein Fuß
Auf des Lebens Pfaden gehet, 
Denn da weht mir Heimathsgruß,
Wo dein süßer Athem wehet

Obwohl sie ihr Leben in ihren Versen beinahe offenlegte, geizte sie interessanterweise in der Realität mit Erzählungen aus ihrem Privatleben. In der Dichtung richtete sie ihren Fokus auf die Metrik, sie war um Präzision bemüht. Ihr Werk ist beeinflusst durch den englischen Dichter Lord Byron und den Spätromantiker Nikolaus Lenau. Betty Paoli war nicht nur Lyrikerin, sondern schrieb auch, abgesehen von ihren journalistischen Arbeiten, Novellen und ihren einzigen Roman Weltschmerz.

Die in Wien lebende Literaturwissenschaftlerin Karin S. Wozonig hat kürzlich zwei Bücher über die Lyrikerin des Biedermeier vorgelegt, eine 500 Seiten umfassende Biografie und eine Sammlung ausgewählter Werke Paolis mit einem Nachwort der Herausgeberin, beide im Residenz Verlag erschienen. Wozonig wollte mit ihrer Biografie eine Leerstelle im Bild der Dichterin füllen, wie sie im Gespräch sagt. Um einen Bogen zur Gegenwart zu schließen: In den vergangenen Jahren sind Gedichte Paolis im Internet auf Lyrikportalen wiederaufgetaucht, ein erster Schritt, sie aus ihrem Schattendasein zu holen?
Wozonig berichtet auch ausführlich über das Leben der Dichterin, wird dabei aber dennoch nie geschwätzig. Es dürften zwei Ereignisse in Paolis jüngeren Jahren gewesen sein, die die Dichterin erschütterten. Offensichtlich wurde sie von dem Schriftstellerkollegen Ludwig August Frankl verführt und sitzengelassen. Der zweite Schicksalsschlag ist vermutlich der frühe Tod ihres Sohnes. Ihr Gedicht „Das todte Kind“ beginnt mit drei rhetorischen Fragen:

So frühe schon vollendet?
Verblühet schon im Keim?
Der Gott, der dich gesendet,
Rief Dich so bald schon heim? 

Ihr sonst schwärmerischer Grundton dreht sich mit zunehmenden Alter um Einsamkeit. Und auch die Enttäuschung, trotz ihrer zahlreichen Liebschaften keinen ebenbürtigen Partner zu finden, spiegelt sich in ihrer Lyrik.

Betty Paoli und die Literarischen Salons

Paolis Tätigkeiten als Gouvernante und Gesellschafterin, die sie lediglich zum Broterwerb ausübte, boten ihr auch Vorteile. In den 1840er-Jahren trat sie in Wien eine Stelle als Gesellschafterin bei Fürstin Maria Anna Schwarzenberg an, wodurch ihre lebenslangen Verbindungen zum Adel angebahnt wurden, und bei Schwarzenberg knüpfte Paoli auch Kontakte mit Intellektuellen und Künstler:innen ihrer Zeit – so wie auch schon in ihrer vorherigen Stelle bei der jüdischen Salonière Henriette Wertheimer. Ein literarischer Salon diente zwischen dem 17. und 20. Jahrhundert als privater Treffpunkt für Diskussionen, Lesungen oder musikalische Veranstaltungen. Vor allem wohlhabende gebildete Frauen luden zu diesen Salons ein. Betty Paoli kannte die Großen ihrer Zeit und war – lange bevor es diesen Begriff gab – gut vernetzt. Die Anzahl ihrer Freundschaften und Bekanntschaften – die nicht nur in den Salons begannen – ist erstaunlich. Sie stand mit den VIPs ihrer Zeit auf du und du, und das oft über einige Jahrzehnte.
Marie von Ebner-Eschenbach zählte nicht nur zu ihren Freundinnen, sondern Paoli förderte die Dichterkollegin auch maßgeblich. Sie war unter anderem mit Franz Grillparzer und mit Heinrich Heine befreundet, sie verehrte Annette von Droste-Hülshoff und es verband sie eine tiefe Freundschaft zu Adalbert Stifter, dessen Vorschlag, nach Linz zu übersiedeln, sie aber nicht aufnahm. Der Hintergrund für Stifters Überlegung war das Jahr 1848, denn als die revolutionären Ereignisse des Jahres die Lage der unverheirateten Betty Paoli in Wien erschwerten, zog Paoli nach Deutschland und verdiente dort ihren Unterhalt mit Sprachunterricht und als Gesellschafterin, aber auch mit Veröffentlichungen, damals auch schon journalistischer Natur.


Marie von Ebner-Eschenbach (1830–1916), Schriftstellerin, Betti Paoli und Frau von Fleischl beim Kartenspielen, im Mai 1899. Foto Richard Fleischl von Marxow (Fotograf), Wien Museum Inv.-Nr. 51399, CC0 (sammlung.wienmuseum.at/objekt/468069/)

Betty Paoli als Mensch

Setzen wir beim Revolutionsjahr 1848 fort: Natürlich wurde auch in Adelskreisen der Ruf nach Freiheit propagiert, allerdings war in diesen Kreisen der Ruf nur für die Intellektuellen und nicht für die Arbeiter gedacht. Anna Maria Schwarzenberger forcierte in ihrem erlesenen Salon, dem Betty Paoli angehörte, politische Diskussionen. 
Bezüglich einer Ehe war die Dichterin zwiespältig. Mit der Aussage des Freundes Franz Grillparzer, wonach ihm sinngemäß zum Heiraten schlicht der Mut fehlte, und mit seiner Bekundung, dass ihm der Gedanke unerträglich sei, es könnte ihn jemand beim Arbeiten stören, konnte sie sich identifizieren. Dennoch blieb die Sehnsucht nach einer Beziehung. Betty Paoli plagten immer wieder auch finanzielle Sorgen, ab 1855 aber lebte sie als Gesellschafterin im Haus der Förderin und Salonière Ida Fleischl.
Betty Paoli arbeitete nicht nur literarisch, sondern auch als Journalistin, und das genauso präzise wie als Dichterin. Bei ihren Kritiken konnte sie unbarmherzig vorgehen und selbst ihre Freundin Marie von Ebner-Eschenbach war vor ihren gnadenlosen Bewertungen, meist unter vier Augen, nicht gefeit. „Ihr ganzes Leben lang war die Autorin Betty Paoli geistreich, meinungsstark, mieselsüchtig, im persönlichen Umgang beeindruckend wegen ihres scharfen Verstandes, gefürchtet für ihr unverblümtes Urteil, berühmt für ihren Witz und ihre düsteren Prophezeiungen“, fasst Karin S. Wozonig in ihrem zweiten, der Lyrik gewidmeten Paoli-Buch Ich bin nicht von der Zeitlichkeit! zusammen. 
Warum ist Marie von Ebner-Eschenbach im Gegensatz zu Betty Paoli heute noch populär? Karin S. Wozonig nennt dafür mehrere Gründe. Marie von Ebner-Eschenbach war nicht nur schon zu ihren Lebzeiten eine Berühmtheit, sondern ihr hervorragendes erzählerisches Werk hat länger weitergewirkt als Betty Paolis Bekanntheit. Hinzu kommt, dass die Lyrik bis Mitte des 19. Jahrhunderts eine große Bedeutung genoss, was in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts abebbte. Und Paolis Prosawerk ist im Gegensatz zu jenem von Ebner-Eschenbach deutlich schwächer. 

Betty Paoli als Journalistin

In ihrer Funktion als Journalistin schrieb Paoli Literatur- und Theaterkritiken und „erlaubte“ es sich sogar, über Bildende Kunst und Ausstellungen zu berichten, was ihre männlichen Kollegen empörend fanden. Ein heute unbekannter Journalist mokierte sich, wohl stellvertretend für viele seiner Kollegen: „Es ist gewiß eine seltene Erscheinung, die vielleicht etwas zu sehr nach Emancipation riecht, wenn eine Dame die Kritik so scharf in Journalen handhabt, geschieht das aber in einer Weise, welche zeigt, daß die Kritikerin ihrer Aufgabe auch nicht entfernt gewachsen ist, so zwingt einem dies ein stilles, wehmütiges Lächeln ab, wenn man das Talent der Dame sonst achtet.“
Doch Betty Paoli ließ sich nicht entmutigen. Ab 1850 berichtete sie in Reisefeuilletons für die österreichische Zeitung Lloyd von ihren Reisen nach Frankreich und Italien und gilt somit als die erste professionelle Journalistin Österreichs. Ab 1856 über­setzte sie auch Stücke aus dem Französischen für das Burgtheater und kam so auch mit der Theaterwelt in näheren Kontakt. 

Betty Paoli als Pionierin

Führen wir uns die Zeit, in der Betty Paoli gelebt hat, vor Augen. Wie haben bürgerliche Frauen gelebt, was wurde von ihnen erwartet? Noch im 19. Jahrhundert verfügten Frauen über keine Selbstbestimmung und hatten keinerlei Recht, am politischen Leben teilzunehmen. Als unverheiratete Frau muss Betty Paoli wohl schon dadurch unkonventionell gewirkt haben. Und nicht nur das, als Künstlerin, Journalistin und Frau mit deutlich erkennbaren feministischen Ansichten erfüllte sie ganz sicher nicht das erwünschte Bild einer Frau im Zeitalter des Biedermeier. 
Betty Paoli war eine vielseitige Frau, als Lyrikerin eine Pionierin, die erste professionelle Journalistin Österreichs und mit den Größen der damaligen Zeit befreundet. Dennoch ist sie heute vergessen, was sich nach diesen beiden hervorragenden Büchern hoffentlich ändern wird.

 

Karin S. Wozonig, Betty Paoli. Dichterin und Journalistin. Eine Biographie;

„Ich bin nicht von der Zeitlichkeit!“. Ausgewählte Werke. Hg. v. Karin S. Wozonig, beide Residenz Verlag (2024)

StifterHaus, Linz, 11. März 2025, 19:30 h
Zum Internationalen Frauentag:
Karin S. Wozonig über Betty Paoli
Freier Vortrag mit Lesepassagen

Silvana Steinbacher
ist Autorin und Journalistin.
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