Die Referentin #39 - Aktuelle Beiträge

Das autonom regierte Hockeyfeld

Ralf Petersen | Kunst und Kultur, 5. März 2025
Die Referentin #39

Zur Abwechslung mal Sport: Die Serie Shoresy und ein Black-Wings-Spiel in Linz. Ralf Petersen sets the fucking tone: Er hat sich im Jänner 2025 in die LINZ AG Eisarena begeben, um zu recherchieren, was am Eishockey dran ist – und am Mythos vom autonom regierten Feld.


Hauptsache Hitsssss: Hockey ist Vollkontaktsport. Foto Ralf Petersen

Liga, Sponsor*innen, Schieds­richter*innen, Trainingsstab: Alles schön und gut, aber die Regeln werden mit Leben gefüllt und ausgelegt von jenen, die ihre Körper aufs Spiel bzw. im Spiel einsetzen. Die Entstehung und Entwicklung des Mannschaftssports Eishockey ist eng mit dem Kampf um Selbstbestimmung der Spielenden auf dem Feld verflochten.

Philipp Lukas hat für die Linzer Black Wings in 18 Jahren über 700 Spiele gemacht. Seine Rückennummer: die 21, eine der sechs „pensionierten“ Nummern, welche nicht mehr vergeben werden. Eine weitere, die 55, gehört Lukas’ Bruder Robert, der ebenfalls den Großteil seiner Karriere bei den Black Wings verbrachte. Die Geschwister, gebürtige Wiener: Linzer Legenden. Im Internet findet sich ein Clip von 2013, in dem der mikrofonverkabelte Philipp auf dem Eis einen Schiri, der ihn verwarnt („Beim nächsten Mal waunst mi angehst, kriegst an Zehner!“), mit angestrengt hoher Stimme anschnauzt: „Oida, willst du mich verarschen? Ich lauf dir nach wie ein Hund, Oida!“ Harmlos, natürlich, aber Gerechtigkeitssinn, Eigenverantwortung, Deutungshoheit gar demonstriert dieses anekdotische Beispiel durchaus. Heutzutage – Anzug tragend, zum Erfolg der Mannschaft nicht mehr als Flügelspieler, sondern als Lenker & Denker: als Coach beitragend – muss der gewählte Ton natürlich gemäßigter daherkommen. Aber auch nach dem Spiel, bei nüchtern gestellten Fragen, ist die Anspannung des Trainers noch in der Stimme zu spüren: „Erhöhter Puls: Ich sag: Das ist Eishockey“, des Trainers Resümee nach dem umkämpften Sieg gegen bissige Bozner Mitte Jänner. Wie geht man mit solch einem schwierigen Spiel um? „Am Ende des Tages geht alles im Eishockey sehr schnell“, erklärt Lukas, fachmännisch in die Kamera blickend, „Man muss akzeptieren, wie und was passiert. Unser Fokus muss auf dem liegen, was wir kontrollieren können.“ 

Im Eingangsbereich der Halle in Schlagworten die Werte: RESPECT, LEADERSHIP, TRUST, COMMITMENT, COMMUNICATION. Es füllt sich die Eisarena: Gut eine Stunde vor Anpfiff tummeln sich schon Hunderte, wollen den sozialen Ort betreten, ins Stadion, sich setzen, trinken, reden. Fans von in und außerhalb der Stadt treffen sich, ihre Black Wings zu sehen – und der gastierenden Mannschaft eine möglichst schwierige Zeit zu bereiten: dem Hockey Club aus Bozen, in der Tabelle ein paar Plätze weiter oben als die sechstplatzierten Linzer. Die Stahlstadtjungs wollen den Besuch gern punktelos zurück nach Italien schicken: „Top Spiel mit Playoffcharakter“, verkündets aus den Boxen, „Da gibts kein Taktieren mehr und kein Zurückblicken“: Die Scheibe muss am Torwart vorbei geschummelt – oder geprügelt – werden, möglichst oft: „They don’t ask how, they ask how many“, wie ein Credo des Sports besagt. Dieses Motto, wie auch andere hilfreiche Sprüche, hab ich – Sportlaie – mir angelernt bei der Serie „Shoresy“, die den titelgebenden Hockeyspieler beim Versuch begleitet, seiner unterklassigen Mannschaft, den Sudbury Bulldogs, zu einer Siegesreihe zu führen. „Shoresy“ spielt im Norden Ontarios: im ländlichen Kanada, in dem Hockey keine Leibesertüchtigung, sondern ein Grundbedürfnis ist. 

In der Linzer Eisarena: 35 Minuten vor Spielbeginn wird sich warm gemacht. Die Aufregung steigt, die Ränge füllen sich, 3879 Besucher*innen werden sich heute einfinden. Eine rote Eisbearbeitungsmaschi­ne mit blauer Unterbodenbeleuchtung tut ihr Werk: das Eis wieder zu glätten. Gelenkt von einem kundigen Mitarbeiter hobelt das Fahrzeug die oberste Eisschicht ab, wirft Waschwasser aufs Spielfeld, um verbliebenen Pulverschnee aufzulösen und tiefe Furchen auszuwaschen. 25 Minuten noch: energiegeladene Hits. Pump it up!! 20 Minuten vorm Spiel müssen die Spieler runter von der Bahn. Kinder sammeln die Pucks, die zum Warmschießen gedient hatten, in den Tornetzen. 15 Minuten bis zum Face Off im Mittelkreis: Maskottchen „Gonzo“, vielleicht eine Amsel, dreht, die Zuschauer*innen anheizend, ein paar Runden. Auf der Bank der Gäste wird fleißig am Riechsalz, was für einen schnellen Adrenalinrausch sorgt, geschnüffelt, auch – hinter vorgehaltener Mappe – vom Trainer. Jetzt werden Flammenwerfer postiert, es ist soweit: Einlauf der Mannschaften. Begeistertes Aufjubeln auf den Rängen. AC/DC, Thunderstruck: „I looked round/ And I knew there was no turning back (thunder)/ My mind raced/ And I thought, what could I do? (Thunder)“

Großes Pfeifkonzert, als die Namen der startenden Spieler der Bozner Foxes verlesen werden: Gastfreundlich ist sie nicht, diese Stadt. Jetzt sind auch die Schiris da: Zeit rauszufinden, wie nutzdienlich – oder doch nur dekorativ – sie sind. Los gehts! Sechs gegen Sechs. Ab gehen die ersten 20 Minuten. Bei „Shoresy“ hab ich gelernt, dass es in der Anfangsphase wichtig ist, to „set the fucking tone“: gleich einmal zeigen, wer hier der Chef ist und zwar mit dem Ellenbogen. Nun finden die Spiele der Sudbury Bulldogs in der Serie auf unterklassigem Niveau – im „Senior Whaleshit Hockey“ – statt und nicht wie hier, in Linz, in der obersten Spielklasse: Dementsprechend zögerlich beginnt die Partie: keine Spur von einem „Enforcer“, einem Vollstrecker, der Bodychecks verteilt und die eignen Stürmerstars verteidigt: Stattdessen sind es „die offensivstarken Gäste“, die „von Beginn an das Tempo“ bestimmen, wie es später im Matchreport heißen wird. Bedeutet aber nicht, dass es sanft hergeht: Dass ein Spieler mal – und mit guter Wucht – gegen die Bande gedrückt wird, gehört klar zum Spiel – zur Show. Was wollen die Fans sehen? Geschwindigkeit, Präzision? Endlose, fliegende Spielerwechsel, sprühendes Eis, rhythmisches Trommeln zum Soundtrack: Das lässt keinen kalt; bzw. kalt ist es sowieso, sonst schmilzt das Spielfeld. Timeout: Kids am Schneeschippern. Sorgsam beschau ich die Spieler und ihre Interaktionen: Ob hier auch pausenlos einander getriezt, herausgefordert, gereizt wird? In jeder Sportart gibt es Elemente des Trash-Talkings, das darauf abzielt, die Gegner zu verunsichern, dazu zu bringen, an etwas anderes als das gerade Passierende zu denken. Hockey-Beleidigungen nennt man „Chirps“, zwitschern also, was gut zu Maskottchen Gonzo passt, welches man vor ein paar Jahren mit einem Update versehen wollte. In den sozialen Medien liest man als Antwort zu diesem Aufruf Ablehnung, gar Wut von Fans, die die Tradition der Black Wings in Gefahr sahen. Mehrere Nutzer*innen forderten gar, das Team möge endlich seinen Namen ändern, da abgesehen von diesem „eh nix mehr übrig“ wäre von „ihrem Verein“. Damit wird wohl die ursprüngliche oder eine andere, vorherige Iteration des 1992 gegründeten Klubs gemeint sein: Der damalige EHC Black Wings Linz spielte zunächst in Ober- und Regionalliga, dann in der 2. Division, bevor es zur Saison 2000/01 ins Oberhaus ging. Hier kamen auch Philipp Lukas, ein Jahr später sein Bruder Robert zum Verein. Gemeinsam waren sie Teil des Meisterkaders 2003. Seitdem ging es mal bergab, mal bergauf: Konkurs, Neugründung, wechselnde Sponsor*innen und Namensgeber*innen, erneuter Meistertitel 2012, Führungskrise, Neuanfang, Abspaltungen und Reintegrationen: ganz normaler Wahnsinn zwischen Leistungssport und Herzblutangelegenheit. 

Auf der Eisbahn verliert die Bozner #27 ihren Hockeyschläger. Weil der Spieler aber keine Möglichkeit sieht, seinen krummen Stock wieder aufzuheben, ohne Momentum zu opfern, rennt er dem Puck hinterher, tritt ihn vom Gegner weg mit dem Schlittschuh. Eine Minute noch im ersten Drittel: Die Halle lärmt, es ist eine andere, eine extremere Art der Dichotomie aus Anheizen und Angeheiztheit zu spüren jetzt. Wenns direkt vor einem Spieler an die Scheibe fetzt – schnelles, hartes Spiel, jawoll! – da bekommt man schon eine viszerale Reaktion, das setzt Euphorie frei: Es wird die intellektuelle Verarbeitungskraft überrannt vom barbarischen Mitgröhldrang: Hau ihn weg, setz dich durch. Nur: Mir ists wurscht, welches Trikot der, der schubst, und welches der, der geschubst wird, trägt. Damit bin ich allein: Während die robusten Manöver der Linzer frenetisch bejubelt werden, hagelts Buh-Rufe und Beschimpfungen, gilt die Aktion einem der Black Wings-Spieler: Wünscht man sich gar ein Einschreiten der Unparteiischen in den schwarz-weiß gestreiften Trikots? Das erste Drittel verabschiedet sich torlos. Ein Pausenspiel folgt, bei dem zwei Duos einander im Gokartslalom auf dem rutschigen Untergrund duellieren, bevor wieder Black Wings und Foxes rasant übers Eis gleiten. Dann muss ein Spieler in die „Box“: Zwei Minuten Strafe für #11, Stuart, noch elf Minuten zu spielen im zweiten Drittel. Jetzt! Drei Minuten vor Rundenschluss endlich das Toooor: Alles rastet aus, die Black Wings führen, #74 Feldner auf #3 Moro: „Hier regiert der EHC“, skandiert das – man will sagen: Volk.

Zerbrechende Schläger, rutschiges Eis, blutige Nasen, Hände auf Eisbeuteln. Im dritten Drittel endlich der Führungsausbau: 2:0, „the worst lead in hockey“, wie ich – vom Fernsehschauen – weiß. Keine Minute mehr auf der Uhr, da prügeln die Bozner tatsächlich das 2:1, zugegebenermaßen sehr unfein. „Are you fucking serious?“, will eine englischsprechende Person hinter mir lautstark wissen. Die Gäste, scheinbar starken Willens, der ausbleibenden Gastfreundschaft mit hohem Risiko zu entgegnen, werfen alles nach vorn. Knapp zehn Sekunden auf der Uhr, wehrt Linzer Keeper Tirronen mit Killer-Reflex einen hochgefährlichen Querschläger ab. Dann ists aus: Wieder einmal haben die Hockeyspieler sich selbst verwaltet, wieder hat der EHC regiert: „That’s what sets this game apart: It’s a game played with honour and respect“, erklärt einmal Nat, die Klubbesitzerin von Shoresys Team, den Bulldogs: „Because if you wanna play dishonourably or disrespectfully, you’ll get your fucking teeth knocked out.“ Würds ein viertes Drittel geben, wer weiß, vielleicht hätten wir auch das Glück gehabt, Zähne fliegen zu sehen. Wobei: Irgendwann ists auch zu spät, den Tone anzugeben.

 

Die Steinbach Black Wings Linz sind eine österreichische Eishockeymannschaft und spielen in der ICE-Hockey League.
blackwings.at

Shoresy ist eine kanadische Fernsehserie von und mit Jared Keeso. Die ersten vier Staffeln könnt ihr im Internet auf einer Streamingplattform eurer Wahl schauen.

Ralf Petersen
schreibt für die Referentin über Kunst, Kultur, Theater & seit Neuestem Sport.
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