Das Konzept ist einfach erklärt: Die Gruppe trifft sich alle zwei Monate zum Austausch und zur Diskussion. Die Terminfindung wird online abgewickelt, das Datum so gewählt, dass die Mehrheit dabei sein kann. Der Ort für das Treffen wird immer neu bestimmt. Neue Menschen für die Gruppe kommen über Mundpropaganda dazu. Was vielleicht Züge einer Selbsthilfegruppe hat, ist in Wahrheit viel mehr. Es ist der feministische Buchclub in Linz. Conny Erber stellt ihn vor.
Hanna Herbst, Journalistin und Autorin des Buches „Feministin sagt man nicht“, stellte dieses im Dezember 2018 im Linzer Kepler Salon vor. Sie sprach über ihre persönlichen Erfahrungen, die sie literarisch festgehalten hat, über ihre Ansichten und Meinungen zum Feminismus und auch darüber, was jeder Mensch zu einer feministischeren Welt beitragen kann. „Es gibt, glaub ich, unendlich viele Sachen, die man machen kann. […] Man kann feministische Lesekreise gründen. […] Und dann tolle Bücher kaufen, von den letzten 100 Jahren, von tollen Menschen.“
(Zitat Hanna Herbst, Kepler Salon, 2018)
Hanna Herbsts Worte haben nach diesem Abend Anklang gefunden und waren der Anstoß für die Gründung des feministischen Buchclubs Linz. Das Anliegen war und ist auch heute noch, sich mit Literatur von Frauen und Männer zum Thema Feminismus zu beschäftigen und diese im Kollektiv zu diskutieren. JJ Bola spricht über Feminismus in seinem Buch so: „Feminismus wird oft als antimännliche Ideologie eingeordnet, als eine Bewegung, die Männer auslöschen will, und sie als inhärentes Problem der Gesellschaft darstellt. In Feminism is for Everybody schreibt bell hooks: In einfachen Worten: Feminismus ist eine Bewegung, die den Sexismus, die sexistische Ausbeutung und die Unterdrückung beenden will.“ (Bola, S. 86). Der Austausch auf Augenhöhe und besonders das Nachwirken der Diskussionen über verschiedenste Lebensrealitäten und Sichtweisen über genau diesen Feminismus als Bewegung, machen diese Buchclubtreffen nachhaltig.
Aber ist ein Buchclub noch eine zeitgemäße Form, um zu diskutieren und sich auszutauschen; ein Buch überhaupt noch ein angemessenes Medium, um Lebensrealitäten, Erfahrungen und Wissen in Bezug auf Feminismus zu generieren?
Die AutorInnen Frank Wegner und Katharina Raabe geben in ihrem Buch „Warum Lesen – Mindestens 24 Gründe“ mittels Texten und Kurzbeiträgen von LyrikerInnen, SchriftstellerInnen, SoziologInnen, wie Jürgen Habermas, Annie Ernaux, Hartmut Rosa, Friederike Mayröcker und vielen mehr, Gründe an, warum das Lesen an sich erfahrungsorientiert ist und viele Ebenen anspricht. Für die Schriftstellerin Annie Ernaux ist Lesen deshalb „die freieste kulturelle Tätigkeit, die es gibt“, denn man kann dabei interaktionsentlastet nachdenken, nachlesen oder vor- und zurückblättern. Sie betont, wie das Lesen ihre Biografie nachhaltig und radikal beeinflusste. Es veränderte ihr soziales Umfeld und führte zu einer Distanzierung von Eltern und Herkunftsmilieu, was sie lange als Verrat wahrnahm. Aber es ermöglichte auch die Begegnung mit anderen, denn „Lesen trennt und verbindet“.
Die gleiche Erfahrung wurde auch im feministischen Buchclub Linz gemacht. Das Buch, das beim nächsten Treffen besprochen und diskutiert wird, wird meistens durch kollektive Abstimmung gewählt. Buchvorschläge sind immer willkommen und erwünscht, sofern sie inhaltlich den Kriterien entsprechen. Bei der Auswahl der Bücher geht es um feministische Lebensrealitäten und Erfahrungen, aus denen die Menschen im Buchclub ihre eigene Wirklichkeit reflektieren und neu ordnen können, fremde Wirklichkeiten erfahren und darin eintauchen können. Nachdenken, Diskutieren und, wie Annie Ernaux auch schreibt, dieses Nachlesen und Vor- und Zurückblättern, macht die Auseinandersetzung mit feministischer Literatur besonders. Es geht auch darum, dass die Motivation zur Gestaltung, zum Tun und Verwirklichen durch Bücher eine große Anziehungskraft hat und Veränderung schafft. So schreibt auch Chimamanda Ngozi Adichie in ihrem Buch „Mehr Feminismus. Ein Manifest und vier Stories“: „Das Geschlecht ist überall auf der Welt von Bedeutung. Ich möchte, dass wir anfangen, von einer anderen Welt zu träumen und Pläne zu schmieden. Für eine gerechtere Welt. Für eine Welt voll glücklicherer Männer und Frauen, die ihr wahres Selbst nicht verbergen müssen.“ (siehe Adichie, 2018, S. 19). Und es liegt an uns, und genauso auch an einem feministischen Buchclub, diese Welt glücklicher zu machen und Pläne zu schmieden.
Geschmiedet wurde auch am Gedanken, den feministischen Buchclub auszuweiten und besser zu vermarkten und zu promoten. Feministische Literatur soll Wellen schlagen und ein vielseitiges Publikum ansprechen. Nur mit einer starken Masse kann Veränderung passieren. Diesem Ansatz kann man auf jeden Fall schon etwas abgewinnen und dieser Vorgehensweise Zustimmung entgegenbringen. Nur ist das nicht der Kern, das Herzstück vom feministischen Buchclub Linz. Es soll keine Massenabfertigung und kein Massenevent sein, kein oberflächliches Austauschen von homogenen Meinungen. Der feministische Buchclub möchte unterschiedlichste Positionen aus der Literatur gewinnen und dementsprechend verwerten. Ein gutes Beispiel ist dafür das Buch „female positions“, in dem angeführt wird: „In female positions wird nicht eine Geschichte erzählt, sondern 20 Positionen in Form von Analysen, Erlebnissen, Erfahrungen, Sehnsüchten und Veränderungsansätzen bilden das Hier und Jetzt aus weiblicher Sicht ab – 20 Blickwinkel zur Verortung von Geschlechtergerechtigkeit, keinen Anspruch auf Ausschließlichkeit – aber sehr wohl den Anspruch auf ihre Einzigartigkeit stellen.“ (female positions, S. 9)
Die Einzigartigkeit ist auch im Buchclub selbst zu finden – nämlich durch den individuellen Zugang zur Literatur und die Ansprüche, die daran geknüpft werden. Bei der Diskussion über das gelesene Buch wird dann ersichtlich, wo der Fokus gelegt wurde, welche Passagen zum Nachdenken angeregt haben, wie das Gesamtwerk wahrgenommen wurde. Und genau dieser Aspekt ist es auch, der den Wert eines Buchclubs ausmacht, auch heutzutage. Die Diskussion untereinander und die Auseinandersetzung mit Literatur haben einen ungemeinen Mehrwert. Nicht nur für die Menschen, die das Buch gelesen und diskutiert haben, sondern auch für deren soziales Umfeld. Mit jedem Buch, mit jedem gelesenen Satz, mit jeder Diskussion darüber, steigt die Selbstermächtigung. Es ist beobachtbar, dass durch die Literatur der Horizont erweitert wird und vieles im Alltag, genau durch diese Literatur, verändert wird. Seit der Buchbesprechung von „Feminist City“ von Leslie Kern, die über Städte und Stadtplanung schreibt und aufzeigt, wie Frauen dadurch benachteiligt werden, wird auch die eigene Stadt anders wahrgenommen und analysiert. Gleichzeitig wird auch das eigene Verhalten in Frage gestellt bzw. werden Muster durchbrochen und auch Ansprüche und Erwartungen in Hinblick auf die Gleichstellung der Geschlechter gestellt. Leslie Kern schreibt über die Stadt: „Eine feministische Stadt müsste eine Stadt sein, in der Hindernisse – physische und soziale – abgebaut werden, in der alle Körper willkommen und versorgt sind. In einer feministischen Stadt stünde die Fürsorge im Zentrum, nicht, weil Frauen weiterhin vornehmlich dafür verantwortlich sein sollten, sondern, weil die Stadt das Potenzial hat, die Sorgearbeit gleichmäßiger zu verteilen. Eine feministische Stadt müsste auf die kreativen Mittel setzen, die Frauen immer genutzt haben, um sich gegenseitig zu unterstützen, und Wege finden, um diese Unterstützung in das Gewebe der Stadt selbst einzuarbeiten.“ (siehe Kern, S. 63) Solche Aussagen und Textpassagen regen zur Veränderung an.
Durch den Buchclub und die Auseinandersetzung mit Literatur und deren unterschiedlichen Positionen werden auch die Geschlechterrollen hinterfragt und auf individueller Ebene teilweise auch verändert. „Das Problem mit Geschlechterrollen ist, dass sie uns vorschreiben, wie wir sein sollen, statt anzuerkennen, wie wir sind. Man stelle sich nur vor, wie viel glücklicher wir wären, wie viel freier, so zu sein, wie wir sind, wenn es diese belastenden Erwartungen nicht gäbe.“ (siehe Adichie, 2018, S. 25)
Die Frage, ob ein feministischer Buchclub auch nachhaltig gesellschaftlich verändern kann und starre Strukturen aufbrechen oder sogar Paradigmenwechsel vornehmen kann, ist vielleicht eine Sache des Blickwinkels. Ist es bereits nachhaltig, wenn im Diskurs mit einzelnen Personen der Schritt für eine gleichberechtigte und gleichgestellte Welt getan wird – „Am Ende verspricht Alan doch noch, keiner Frau mehr auf den Hintern zu hauen. Die Journalistin zieht Bilanz: Alan war der Einzige, bei dem sie Erfolg hatte. Es brauchte 120 Minuten, um einen Mann davon zu überzeugen, dass er aufhört, Frauen zu belästigen.“ (Schutzbach, S. 54). Oder kann man erst von Nachhaltigkeit und Veränderung sprechen, wenn Gesetzestexte überarbeitet und rechtliche Schritte eingeleitet werden. Eine Frau, die 2018 auch im Kepler Salon war, hat auf diese Frage, die ebenfalls dort gestellt wurde, nur geantwortet: „Ob es etwas bewirkt oder verändert, wissen wir nicht, aber es verändert uns.“
So ist es auch mit dem feministischen Buchclub und den Erfahrungen, die wir damit machen: Sie verändern uns. Sie verändern unser Umfeld. Sie verändern unsere Wahrnehmung. Und sie verändern auch die Kreise, die wir ziehen.
Alle Menschen, die ebenfalls größere Kreise ziehen möchten, sind herzlich willkommen im feministischen Buchclub Linz.
Quellen:
Adichie, Chimamanda Ngozi: Mehr Feminismus! Ein Manifest und vier Stories. Frankfurt am Main: Fischer, 2018
Bolla, JJ: Sei kein Mann. Warum Männlichkeit ein Albtraum für Jungs ist. München: hanserblau, 2021
Banglmayr, Daniela; Baumann, Susanne; Hochholzer, Sandra (Hrsg.): female positions. Linz: 2022
Kern, Lesie: Feminist City. Münster: Unrast-Verlag, 2020
Kepler Salon, Aufzeichnung mit Hanna Herbst: www.dorftv.at/video/30568
Schutzbach, Franziska: Die Erschöpfung der Frauen. München: Droemer Verlag, 2021
Wer sich für den feministischen Buchclub interessiert: corneliaerber@hotmail.com