In ihrer Salzamt-Residency diesen Juli hat Gesine Grundmann die beiden Arbeiten GENUGGEKRIEGT und OI hergestellt. Die Donau verbindet. Eine Textbotschaft an einem Ende – und ein Beton-Ei als skulpturale Verlängerung des Forum Metalls am anderen Ende: Gesine Grundmann mit einem Text über ihre Arbeiten. Und das Arbeiten an den Arbeiten.
Mit ihren Werken, die sich primär der Skulptur und der Installation zuordnen lassen, aber auch Verfahren der Malerei, der Fotografie und von Schrift und Text einbeziehen, befragt Gesine Grundmann unsere zivilisatorische Umgebung. Sie ist Bildhauerin und Konzeptkünstlerin und mit ihren Beiträgen im weitergehenden Sinne Archäologin und Soziologin. Bei aller intentionalen Verschiedenheit der einzelnen Arbeiten nimmt sie durchgehend die Rolle der zupackenden Beobachterin ein, die ihre Sujets sozusagen seziert und in ihrer Verfasstheit definiert, in der Umsetzung aber noch ein Anderes anspricht. (…)
(…) Zugleich interessiert sie sich für das Potential von Material: wie eines, so wie es bei ihr auftritt, vorgibt, ein anderes zu sein. Ihr Spektrum umfasst Eisen, Bronze, Granit und Marmor, Holz und Wolle, Keramik und Acrystal, Wellpolyester und Styropor, Karton: also „klassische“, handwerklich zu bearbeitende und dabei mitunter störrische Naturmaterialien wie auch neue, chemisch gewonnene Stoffe vornehmlich für die industrielle Weiterverarbeitung. Folglich erprobt Grundmann ganz unterschiedliche Verfahren des Zugriffs auf diese, auch als Recherche und Experiment. (…)“
Zitat: Thomas Hirsch, aus: Eigentlich (Auf Augenhöhe)
Als Künstlerin interessiere ich mich für die Materialität, die uns täglich umgibt, und deren ableitbare Eigenschaften (ebenso Geräusche und Klänge), die ich in meiner Kunst konzeptionell nutze. Daher geht es mir um das Spannungsfeld von Konzeption und Materialität. In den so entstehenden Arbeiten manifestieren sich stets widerstreitende kunsttheoretisch-philosophische Ansätze und poetische Wendungen. G. G.
Ursprünglich sollte mein Aufenthalt im Salzamt im April 2021 sein, wurde dann aber verschoben, weil zu dem Zeitpunkt die Corona-Inzidenz so hoch war. Das hat mir ganz gut gepasst, denn den März 2021 hatte ich schon in den Lichtenberg-Studios in Berlin verbracht, wo ich eine temporäre Intervention im Außenraum realisiert hatte; ein 12 Meter langes Banner mit der Aufschrift POLITICAL WELLNESS, dort aber illegal angebracht im 4. Stock an der Fassade eines leerstehenden Plattenbaus in einem abgesperrten Areal zu einer belebten T-Kreuzung.
Für die Residency in Linz hatte ich bereits eine Arbeit im Außenraum angedacht. Das ursprüngliche Vorhaben fand ich dann aber, nicht zuletzt vor Ort, nicht mehr adäquat. So wusste ich bei meinem Eintreffen in Linz noch nicht genau, was ich dort machen würde.
Ein paar Arbeiten, mit denen ich in meinem Atelier nicht weiterkam und eine Auswahl an Material und Werkzeugen für Eventuelles hatte ich dabei.
Die besten Dinge passieren immer „nebenher“ und so sorge ich gerne dafür, dass möglichst „nebenher“ etwas passieren kann. Da ich als Künstlerin mit Deleuze eine gewisse Begeisterung für das Außen hege, habe ich mich über die Freiheit gefreut, das ursprüngliche Projekt ändern zu können. Die Vorstellung ist das, was man schon kennt, und durch das Außen kommt immer etwas Neues hinzu. Oft habe ich erfahren, dass durch diese Unvorhersehbarkeiten meine Vorhaben willkommene Zusatzkonnotationen erhalten haben und vitaler wurden. Auf diese Weise bin ich froh, wenn ich erst einmal kommen und dann etwas entwickeln kann.
Nach ausgiebigem Streunen durch Linz und Umgebung, Besuchen von Ausstellungen, Ausstellungsräumen und Museen in Linz und Wien, auf dem Pöstlingberg und der Voestalpine Stahlwelt, in den Lagern Gusen und Mauthausen, sowie den Gesprächen mit Kolleg*innen und Ansprechpartner*innen vor Ort, hat sich das Ei am Winterhafen als Arbeitsvorhaben herauskristallisiert. Die Schablone zum Drehen des „Beton“-Eies hatte ich mir mitgebracht für den Fall, dass ich die bereits angedachte Außenversion einer schon realisierten Innenversion in Linz ausarbeiten wollen würde.
Den Donaustrand habe ich wegen seiner Klarheit (bez. der weitgehenden Abwesenheit von Stadtmobiliar) und seiner friedlichen Atmosphäre (und auch seiner Besucher) gewählt. Sozusagen in skulpturaler Verlängerung zum Forum Metall, dessen Arbeiten dauerhaft und in ähnlichen Abständen zueinander installiert sind, wollte ich hier das temporäre Ei in die landschaftliche Situation schmiegen. Um die Oberfläche zu verdichten, aber auch um dem Ei eine synchrone Ambivalenz zu verschaffen, habe ich es in ein Kunststoffnetz eingesponnen, das einem Boots-Bojen- oder einem Orangennetz ähnlich ist. Das Netz hatte ich von Anfang an mitgedacht.
Die Größe des Eies korrespondiert ziemlich gut mit der des menschlichen Körpers, es hat die Größe eines mittleren menschlichen Körpers, mehr oder weniger verdichtet (das Volumen eines großen Rumpfes oder das Volumen eines kleinen Körpers). Man nimmt sofort eine körperliche Beziehung zu ihm auf und setzt es mit dem eigenen Körper in Verbindung. Außerdem hat es gute Sitzhöhe und Stabilität. Anlehnen kann man sich ebenfalls gut.
Die klassische Form des Eies fügt sich in die Landschaft ein und hebt sich ebenso von ihr ab. Das Ei als Potenz von Unausweichlichem, von Zukünftigem oder/und von Harmonie. Durch das umflechtende Netz bekommt es eine zeitgenössische Konnotation, eine Verdichtung der Oberfläche und Absurdität/Ambivalenz.
Was dort mit dem Ei passiert, entzieht sich meiner Kontrolle und meinem Wissen. Natürlich würde mich interessieren, ob und wie es hin und her gerollt wird, wie lange das Netz drum herum hält, ob jemand das Ei haben, transportieren oder schwimmen lassen möchte … (Ich hatte keine Zeit auszuprobieren, ob es schwimmt oder untergeht), oder es einfach ein Donaustrand-Ei wird/bleibt und wie lange es hält. Vielleicht werde ich in das nächste Ei zur Befriedigung meines Interesses einen Peilsender einbauen.
Die andere Arbeit befand sich ca. zweieinhalb Kilometer flussaufwärts. Die Donau verband kurzzeitig die beiden Arbeiten real. Das Transparent/Banner/die Zeichnung GEN UGG EKR IEGT zerlegt die beiden Wörter (genug gekriegt) in vier Zeilen, entstanden durch Auslassungen innerhalb eines schwarzen Körpers, der fast an die Ränder der Bauzaunplane/des Bildträgers stößt und vielleicht etwas bedrohliches Ungestümes hat.
Die Zeichnung GEN UGG EKR IEGT (ca. DIN A2) gab es bereits seit ein paar Wochen. An unterschiedlichen Tagen wurde sie wiederholt. Das Anliegen, sie auf einer mitgebrachten Bauzaunfolie in den Außenraum zu tragen, entstand erst mit der Arbeit am Ei. Ich wollte die besondere Lage des Ateliers nutzen, um den auf der Donau Vorbeifahrenden eine Nachricht zu senden. Da wir Text im öffentlichen Raum meist in gedruckter oder digitaler Form begegnen, war es mir wichtig, diese ambivalente Botschaft nicht drucken zu lassen, sondern selbst auf die Plane zu malen/zeichnen.
Das Transparent hing dort 2 Tage (vom 28.–30. Juli). Das Ei habe ich mithilfe meines Ateliernachbarn am Abend des 29. Julis zum Donaustrand am Winterhafen gefahren.
GENUGGEKRIEGT könnte einerseits bedeuten, dass nun genug Krieg geführt wurde – man denkt vielleicht sofort an die russischen Angriffe auf die Ukraine, andererseits könnte man auch an die etymologische Herkunft des Wortes ‚Krieg’, nämlich ‚kriegen’ denken. Das Begehren/Haben/Wollen, das besonders in der westlichen Kultur verankert ist. Weitere Assoziierungen und Allusionen von Gesellschaftssystem und psychischer Fragilität, Innen/Außen etc. sind zugelassen.
* Textzitat: Dr. Thomas Hirsch „Eigentlich (Auf Augenhöhe)“, in: Hirsch, Dr. T. (Hrsg.) „GESINE GRUNDMANN – GOLDENE ACHT“, Bönen, 2017, Seite 15 ff.