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Aufsässig waren wir nie.

By   /  1. Juni 2018  /  No Comments

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Diese Welt ist kein guter Ort. Sie ist eher ein Limbus, eine Vorhölle, in der Vertreter*innen der langweiligsten und nutzlosesten Spezies ever Tag und Nacht Smalltalk führen, sich wichtigmachen, in oder aus Kameras glotzen, Wale mit Plastik vollstopfen, sich gegenseitig abschlachten und schadenfroh hetzen, wenn es anderen noch schlechter als einem selbst geht oder jemandes siebenjährige Tochter ermordet aufgefunden wird. Wenige, ganz wenige Menschen gibt es, die die Klugheit, den Respekt und die Stärke besäßen, aus ihr einen guten Ort und ein gutes Miteinander zu machen, aber die sterben früh und sie lassen mich und die anderen Zornigen zurück in Elend und Selbstmitleid.

Diese Welt ist kein guter Ort. Sie ist ein Paradies für Schmeichler und Schleimer, für Mittelmäßige, für Brave und Anständige, für Dauergrinser und Haargelfanatiker, für Eindeutige und Fleißige, für Herzlose und Strebsame, die sich den Herrgott der Nützlichkeit übers Bett hängen. Es gibt kaum einen Science-Fiction-Film, dessen Dystopien nicht längst zur Realität geworden sind. Und wir bauen Häuser, putzen uns die Zähne, stricken Socken, säen Tomaten, tätscheln die Kinder, kaufen Müll und feiern Gartenpartys, als ob nichts wär’.

Diese Welt ist kein guter Ort. Nicht für Schwarze, Rote, Grüne, Gelbe, nicht für Dreibeinige oder Einbeinige, nicht für Geflüchtete, nicht für jene, die keinen Krieg mögen, nicht für jene, die Angst haben, nicht für Radfahrende, nicht für Lernende und Lehrende, nicht für jene, die nicht schlagen wollen, nicht für jene, die nicht geschlagen werden wollen und schon gar nicht für jene, die sich an den Straßenrand setzen und nur schauen wollen. Menschen, die sich an den Straßenrand setzen und nur schauen wollen, sind eine Bedrohung. Sie kaufen nichts und sitzen nur da. Sie sind nicht nützlich. Sie sind in gewissem Sinn aufsässig und nicht einmal das sind sie absichtlich.

Wann waren wir eigentlich das letzte Mal aufsässig? Waren trotzig, rebellisch, aufständisch, subversiv, umstürzlerisch, aufmüpfig, bockig, störrisch, trotzig, trotzköpfig, verbockt, widerborstig, widerspenstig, renitent, dickköpfig, kratzbürstig, unbotmäßig, oder – veraltet – widersässig und faktiös, in der Schweiz übrigens auflüpfig – und haben uns aufgelehnt?

All diese Synonyme für aufsässig kennt der Duden und wir sitzen immer noch am Straßenrand und sind viel, aber nicht aufsässig. Und dennoch öffnen sich die Mainstream-Schubladen der Aufsässigkeit und wir werden hineingestoßen. Die ARD nennt die Schauspielerin Kristen Stewart nicht nur „rebellisch“, weil Sie am Red Carpet in Cannes ihre High Heels auszieht, mehr noch betitelt das Magazin Brisant! den Beitrag mit „Kristen Stewart macht sich nackig!“ Sie macht sich allerdings gar nicht nackig, sie zieht bloß die Schuhe aus. Und der „rebellische Akt“ ist eine grundvernünftige, nachvollziehbare öffentliche Geste, mit der Stewart – wie schon letztes Jahr übrigens, warum also die gespielte Überraschung? – zum Ausdruck bringt, was sie davon hält, dass Frauen* in Cannes auf dem roten Teppich hohe Schuhe tragen müssen, während die anderen einen Scheißdreck müssen.

Liebe Welt, liebe Medien: Ihr müsst aufhören, Menschen, die sich klar, sachlich und absolut vernünftig verhalten, als rebellisch oder aufsässig zu bezeichnen. Frauen* brechen keine Regeln oder verhalten sich „unnormal“, wenn sie etwa öffentlich sagen, dass ihnen Gewalt angetan wurde oder sie öffentlich dagegen protestieren, dass sie zwangsverheiratet werden, sich Männern unterwerfen sollen, keine Jobs aufgrund ihres Alters, ihres Geschlechts, ihrer Hautfarbe oder ihrer sexuellen Orientierung bekommen. Es ist daran nichts Aufrührerisches, nichts Rebellisches, nichts Aufsässiges, wenn jemand die Rechte, die ihm qua Menschenrechtskonvention zustehen, einfordert.

Denn es ist wohl kaum etwas normal daran, dass Männer, die sich nicht im Griff haben, ganz offensichtlich verwirrt sind, Dinge sagen, die andere herabwürdigen, Menschen von sicheren Häfen, Ländern und Systemen aussperren und sich auch noch stolz dafür rühmen, die mächtigsten Ämter bekleiden.

Männer sollten deshalb vielleicht eine Pause einlegen, ähnlich dem einmaligen türkischen Männerverbot im Jahr 2011, als es dem Verein Fenerbahce wegen massiver Ausschreitungen seiner Fans für ein Spiel untersagt wurde, erwachsene Männer ins Stadion zu lassen. 41.000 Frauen und Kinder hatten Spaß, jubelten, feuerten ihr Team an. Ein Spiel lang kein Gegröhle, kein Machogehabe, keine aggressiven Brunftgeräusche.

Männern sollte nicht nur im Sport und nicht nur für ein Spiel, sondern auch im echten Leben die Möglichkeit gegeben werden, sich der Last ihrer Kraft, ihres Einflusses, ihrer Machtpositionen zu entledigen. Es sollte ihnen leichter als bisher gemacht werden, sich einzugestehen, dass die meisten von ihnen über die Jahrhunderte hinweg keine einzige besonnene, nachhaltige und weiterführende Idee hatten, um die wirklichen Herausforderungen dieser Welt anzugehen. Schaut euch um, Männer, und schaut, wo die Welt steht. Wie sehr sie im Arsch ist. Und nennt mir einen einzigen triftigen Grund, warum Frauen*, Kinder und die klugen Männer euch eine einzige weitere Sekunde am Ruder lassen sollten?

Klingt das aufsässig? Klingt das aufrührerisch? Klingt das rebellisch?

Was aber, wenn der Begriff aufsässig bloß erfunden wurde, um alle Geschlechter, die nicht dem typisch männlichen entsprechen, in eine Schublade zu stecken? Um eine Entschuldigung für Ohrfeigen und Schläge parat zu haben? Um über eine Ausrede zu verfügen, andere in die Schranken zu weisen, die nicht der eigenen Wertvorstellung entsprechen? Wirklich hinterfragt wurde das nie. Ein System aber, das sich unreflektiert bloß seiner Aufrechterhaltung wegen perpetuiert, schlingert irgendwann nur noch ohne Ziel und ohne Motiv dahin. In diesem Irgendwann sind wir gerade angekommen – das letzte Aufbegehren eines wirklich schlechten, unkreativen und inhumanen Systems, das die ganze Welt mittlerweile an den Rand der Existenz gebracht hat, ist unüberhörbar und wir haben alle ein bisschen Mitleid. Jede* allerdings, die nun versucht, den irren oder betrunkenen oder einfach nur machtbesessenen Lokführer vom schlingernden Zug zu holen, ist vielleicht sehr mutig. Niemals aber ist das aufsässig.

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  • Published: 6 Jahren ago on 1. Juni 2018
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  • Last Modified: Mai 30, 2018 @ 2:37 am
  • Filed Under: Kolumnen

About the author

wiltrud katherina hackl forscht zu und schreibt über konstruktionen von weiblichkeit und wasser und ist aktuell als universitätsassistentin an der kunstuni linz tätig, wo sie u.a. zu flüssen als orte der erinnerung lehrt. für ihr projekt „die flüssin“ sammelt sie geschichten von und mit flüssen. wiltrudhackl.com

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