Die Ausstellung Clean Cube. Zur Kritik der reinen Vernunft zeigt im Juni in der ehemaligen Waschstraße der Kulturtankstelle Arbeiten über Sauberkeit und Schmutz. Victoria Windtner, die die Ausstellung textlich begleitet, beleuchtet beispielhaft – und montiert einen Text, der über die Ausstellung hinaus seine eigene Thematik im Diskurs über Reinheit, Ökonomie und den unsichtbaren Dreck forciert. Ergebnis dessen sind Gedankensprünge zwischen Kunst und Sauenwaschung.
Rosa Haut, spritzendes Wasser und abgespülter Kot. Das war meine erste bildhafte Assoziation, als ich die Worte „Ästhetiken der Reinigung“ las. Es war während den Vorbereitungen zur Ausstellung Clean Cube. Zur Kritik der reinen Vernunft. Die Ausstellung ist in der Kulturtankstelle zu sehen, nimmt die Location der ehemaligen Waschstraße beim Wort und thematisiert tradierte Vorstellungen von Reinheit, Sauberkeit und Schmutz sowie deren kulturelle, politische und religiöse Dimensionen.
Die Waschstraße, ein gefliester Ort, in dem automatisierte Prozesse ablaufen, um Schmutz von Autos abzuwaschen, spülte meine eigenen Gedanken fast automatisch in den gleichen Kontext, aus dem die eingangs beschriebene Assoziation – der rosa Haut, des spritzenden Wassers und des abgespülten Kotes – stammt. Es handelt sich um eine Fotografie zum Artikel „Einmal waschen bitte“, in der Fachzeitung „Die Landwirtschaft“, der Landwirtschaftskammer Niederösterreich. Zu sehen ist ein Schwein umgeben von Gitterstäben und eine weiße, männliche Person, die einen Wasserstrahl auf das rosa Lebewesen richtet, um den Dreck von seinem Körper abzuspritzen.
Die Ausstellung Clean Cube zeigt eine Video-Sound-Installation, die mich an das beschriebene Bild erinnert. Der Wasserstrahl und das Abwaschen finden sich in zwei parallel abgespielten Videos von Carina Nimmervoll wieder. Links wäscht die Künstlerin Temperafarbe von ihren Füßen ab und reibt ihre Zehen und Fußflächen immer energischer aneinander, um die Farbe zu entfernen. Das Wasser verfärbt sich rot und die Farbe setzt sich an der weißen Badewanne ab. Rechts ergießt sich ein Wasserstrahl über ihre Füße. Füße, Farbe, Sichtbarmachung, Entfernung – Die Künstlerin erklärt mir, dass es unter anderem auch darum geht, dass uns die oft wenig beachteten Füße die Möglichkeit geben uns aus Situationen zu entfernen.
Diese positive Idee mit befreiender Wirkung bringt mich zurück zum Schwein unter dem Wasserstrahl. Die äußerlichen Bedingungen in der Landwirtschaft sind allerdings allesamt nicht darauf ausgelegt, dass sich dieses Schwein aus der bestehenden Situation entfernen kann. Obwohl es vier Füße hat. Das Schwein auf dem eingangs beschriebenen Bild in der Landwirtschaftszeitung ist ein Mutterschwein, also Protagonistin im landwirtschaftlichen Schweinereproduktionssystem. Die dargestellte Szene zeigt eine Praktik im Sinne des Hygienemanagements der Tierproduktion: die Sauenwaschung. Dabei wird schwangeren Schweinen der Kot, Urin und Staub von ihren Körpern abgewaschen. Dies geschieht kurz bevor sie vom Wartestall, wo sie sich ab der künstlichen Befruchtung durch Menschenhand befinden, in den Abferkelstall gebracht werden, wo die Geburt ihrer Ferkel stattfindet. Die Waschung ist ein einzigartiger und dem Mama Schwein vorbehaltener Moment. Zu keinem anderen Zeitpunkt werden innerhalb des Produktionsprozesses lebendige Schweine gewaschen, obwohl an ihren Körpern andauernd Kot, Urin und Staub kleben. Der Schmutz in Form von Fäkalien ist fixer Bestandteil der landwirtschaftlich-industriellen Struktur. Eine Tatsache, die mich zum Werk Berührung von Angelika Windegger führt.
Das in der Kulturtankstelle unscheinbar wirkende Waschsetting mit der Handlungsanweisung „Vor dem Eintreten Händewaschen“. Die Kulisse der Holzkonstruktion erzeugt ein Täuschungsmanöver. Ein Blick in die Rauminstallation löst Irritation aus und Windegger macht die Manipulation sogleich sichtbar. Sie zeigt, dass sich das zum Händewaschen angebotene Wasser in einem zirkulären Kreislauf befindet. Jede*r wäscht sich mit demselben Wasser die Hände. Dadurch kommt es zur indirekten Berührung. So werden Steuerungsmechanismen, Reinheitsansprüche und Berührungsängste angesprochen sowie gesellschaftliche Prägungen und kulturelle Codes.
Eröffnet wird dabei auch die Frage, was Schmutz denn überhaupt ist und wie Schweine eigentlich so Schmutz geworden sind, dass die Bezeichnung ihrer Art und ihrer Nachkommen sogar als Schimpfwörter verwendet werden. Die Grundsteine für die Konstruktion des „schmutzigen Schweins“ wurden in den monotheistischen Religionen gelegt. Kunsthistoriker und -wissenschafter Roger Fayet erklärt in „Reinigung. Vom Abfall der Moderne zum Kompost der Nachmoderne“ (2003), dass die expliziten Ursachen für Reinheit und Unreinheit von Tieren* in der Bibel im „Prinzip der eindeutigen Zugehörigkeit zu einer bestimmten Tierkategorie“ (Fayet, 53) liegen. War keine eindeutige Zuordnung des Tieres* möglich, galt es als unrein. Die schmutzigen Vorurteile, die der Mensch gegenüber dem Schwein hegt, sind auf sein eigenes Schmutzverständnis und Ordnungssystem zurückzuführen. Der Mensch verletzt aber häufig selbst die festgelegten Kategoriengrenzen, beispielsweise wenn es um die Grenze von Außen und Innen und deren Durchbrechung geht. „Was die Menschen verunreinigt, sind Körperausscheidungen, Hautaussatz, Geschwüre, genitale und menstruale Ausflüsse, sowie der Vorgang der Geburt“, schreibt die Sozialanthropologin Mary Douglas, in „Reinheit und Gefährdung“ (1988). Douglas beschreibt den Schmutz selbst als etwas Relatives, „etwas, das fehl am Platz ist“ und hält fest: „Wo es Schmutz gibt, gibt es ein System“. (Douglas, 52f)
Im System der Schweineproduktion können die allgegenwärtigen Fäkalien als ambivalenter Code verstanden werden. Aufgrund des Haltungssystems werden Schweine zudem, was die Vorurteile über sie schon lange sagen, schmutzig. Ethologische Untersuchungen haben allerdings gezeigt, dass Schweine, wenn es ihre Umgebung erlaubt, oder sie nicht in Gefangenschaft leben, Liege- und Kotplätze trennen. Es entspricht also nicht dem schweinlichen Wesen, über dem eigenen Kot zu leben, wie es ihnen die aktuelle landwirtschaftliche Produktionspraxis mittels Vollspaltenböden abverlangt und ihnen verunmöglicht schweinliche Bedürfnisse nach Sauberkeit auszuleben.
Dieser Gedanke führt mich zurück in die Ausstellung Clean Cube und zum Werk Untitled – How would you like to get rid of it? von Bernadette Laimbauer. Es ist ein Angebot zur sinnlich-interaktiven Begegnung im Ausstellungsraum. Ein Würfel aus Seife bildet das Gegenüber der One-to-One-Performance zwischen Mensch und Riesenseife. Das ästhetische Objekt transformiert sich durch den Kontakt mit Wasser und menschlichen Körpern. „Die Seife nimmt den Schmutz mit, der Schmutz verschwindet und dabei auch die Seife selbst“, erklärt Laimbauer und gibt eine klare Handlungsanweisung – „Bitte berühren!“. Das Material wird zur Performerin, so benannt bei Quasikunst im Rahmen des Kunst- und Technologiefestivals Stadtwerkstatt 48×3 2017, bei Tanja Brandmayrs Eisberg – The Entity – 48 Hours Meltdown. Der Eisblock als Performer ist längst verschwunden, weil geschmolzen, doch in meiner Phantasie findet zwischen Riesenseife und Eisblock eine performative Verschmelzung statt und es läuten die Hochzeitsglocken.
Jegliche Romantik verfliegt, wenn ich überlege, dass auch Mama Schwein als materielle Performerin gedacht werden kann. Ist sie doch rechtlich nicht mehr als Sache und Eigentum eines Menschen in einem milliardenschweren Industriezweig. Dazu kommt, dass diesem Industriezweig viel daran liegt, die eigenen Produktionsbedingungen unsichtbar zu machen. Immer häufiger tritt dabei die Politik auf und stellt die Weichen zur rechtlichen Legitimierung der Unsichtbarmachung. Es handelt sich dabei um Rechtstexte, die in den Vereinigten Staaten von Amerika bereits einen eigenen Namen bekommen haben – Agriculture Gags (Ag-Gags). Der amerikanische Autor und Journalist Mark Bittmann prägte den Begriff, es handelt sich dabei um „Rechtstexte, die das Aufdecken von Missständen in der Agrarindustrie bestrafen sollen“ (derstandard.at 2015). In Ober- und Niederösterreich gibt es bereits derartige Rechtstexte, #Betretungsverbot, #Feldschutzgesetz und Vergleichbares in der bundesweiten Schweinegesundheitsverordnung (SchwG-VO). An einer Erweiterung wird auf Bundesebene aktuell gearbeitet. Im Programm der schwarz-blauen Bundesregierung ist die Rede von Schutz „gegen das illegale Eindringen in Stallungen“ und „Beweisverwertungsverbot“. Das könnte bedeuten, dass beispielsweise Bilder, die in Stallungen gemacht wurden, nicht vor Gericht verwendet werden dürfen, sondern vernichtet werden müssen, weil sie illegal entstanden sind. Die Unsichtbarmachung der Produktionsbedingungen und möglicher Missstände erreicht eine neue Dimension. Dabei bietet Österreich zum Schutz von Eigentum ausreichend Möglichkeiten, trotzdem soll landwirtschaftliches Eigentum besonderen Schutz erhalten. Das Argument „Sie wollen doch auch nicht, dass jeder* in ihr Wohnzimmer reinschaut“, wird in diesem Kontext oft strapaziert. Bei Produktionshallen und Tierstallungen handelt es sich jedoch faktisch nicht um Wohnzimmer von Bauernfamilien und damit nicht um Räumlichkeiten, in denen die Privatsphäre unter besonderem Schutz steht.
Ein Vernichtungsgebot von Bildmaterial erinnert ein bisschen an Bilderverbot und Bilderstreit. Andrey Ustinov überführt in ICONOCLASH. Footage zu einem nicht-realisierten Videoprojekt das Thema Bilderstreit in den Kontext einer modernen multikulturellen Großstadt. Er zeigt einen Mann beim sachgemäßen Zerstören von Werbebildern. Herr C. arbeitet als Plakatkleber in Köln und ihn stören so manche Botschaften und Bildmotive auf den Plakaten, die er aufkleben muss. Für ihn ist das Herunterreißen der Plakate eine politisch subversive Geste, es gehört aber ebenso wie das Aufbringen der Plakate zu seiner Arbeit. Wird ein Plakat heruntergerissen, das saubere, glücklich wirkende Schweine auf einer grünen Wiese zeigt, schließt sich der Kreis zu Mama Schwein. Sie wird niemals in ihrem Leben eine grüne Wiese betreten, aber die Erinnerung an sie ist in einen Text geflossen, der assoziativ Bilder und Diskurse aus dem Ausstellungskontext aufnimmt und anhand zeitgenössischer Kunst den Blick auf das zeitgenössische System der Schweineproduktion eröffnet. In der Ausstellung selbst ist keine Sauenwaschung zu sehen.
Über Schweine zu schreiben ist vermutlich nicht besonders schick. Selbst kritischen Zeitgenoss*innen ist die Erwähnung dieser Lebewesen unbequem, wenn es außerhalb von Speisekarten geschieht und die üblichen sprachlichen Verhüllungen, wie Stelze, Schnitzel, Schinken und Speck durch die Benennung der lebendigen Wesen selbst entblößt werden. Doch Unbequemlichkeiten zugunsten erweiterter Sichtweisen nehme ich gerne in Kauf. Versprochen.
Das Wort Tier wird im Text mit einem * versehen, um auf die soziokulturelle Konstruktion des Begriffs zu verweisen.
Clean Cube. Zur Kritik der reinen Vernunft
8.–22. Juni 2018, tägl. 16.00–20.00 h
kulturtankstelle
Dametzstrasse 14
4020 Linz
Opening am 7. Juni 2018 um 18.00 h mit einer Performance von Bernadette Laimbauer
Für zwei Wochen wird die kulturtankstelle, das neue Coop-Lab des OÖ Kulturquartiers und der Kunstuniversität Linz, zum Clean Cube oder besser: zu einem Ort der Auseinandersetzung mit den Ökonomien der Reinheit in Kunst, Politik, Religion und Gesellschaft. Ausgangspunkt der Ausstellung im Linzer City Parkhaus war das Dispositiv der ehemaligen Waschstraße – eine von automatisierten Prozessen begleitete Passage im urbanen Raum.
16 Künstler*innen befragen die Grenzen der Sauberkeit und die Reinheitsideale der Moderne. Sie spielen mit der Kontamination, untersuchen Mechanismen des Ein- und Ausschlusses, urbane Wasserkreisläufe, politische Aufräumrhetorik und den Schmutz des White Cube.
Künstlerische Positionen:
Santiago Alvarez, Maria Dirneder, Johannes Fiebich, Eveline Handlbauer, Julie Sophie Kratzmeier, Twana Kushnau, Bernadette Laimbauer, Matthias Lindtner, Domas Schwarz, Atena Neuhuber, Carina Nimmervoll, Jens Pecho, Marlene Penz, Andrey Ustinov, Nico Joana Weber, Angelika Windegger
Redaktion: Lisa Maria Schmidt, Stefanie Schiefermair, Victoria Windtner Kuratorische
Leitung: Anne von der Heiden und Jasmin Mersmann
Begleitprogramm
12. Juni, 18.00 h VORTRAG Roger Fayet (Zürich): Abfall, Ordnung und Immersion bei Song Dong und Christoph Büchel
22. Juni, 10.00–20.00 h WORKSHOP
Programm und weitere Infos unter www.kulturtankstelle.at