Bei Unruly Thoughts, einem feministischen Online-Festival diesen Jänner, standen Theoretikerinnen, Performerinnen und Kulturarbeiterinnen des afrikanischen Kontinents und der Diaspora im Zentrum einer Tagung. Deren Beiträge haben eurozentristische Perspektiven und den Hochheitsanspruch auf gesellschaftliche, kulturelle und politische Diskurse nachhaltig verschoben. Ein Festivalbericht von Melanie Letschnig.
Eine Frau mit kobaltblauer Haut und dicken Zöpfen, maßgekleidet in schwarzer und blauer Folie sowie mit Kombatstiefeln, ihre Fingernägel sind lang, die eckig gefeilten Spitzen signalrot. Sie hockt vor einem computergenerierten Hintergrund aus hellblauem Wasser, Zweige eines Baumes in das Bild montiert, und zeigt Zähne. So zu sehen auf dem Plakat zum Festival Unruly Thoughts – on feminisms and beyond, das – kuratiert von Sandra Krampelhuber für FIFTITU% – von 27. bis 29. Jänner 2022, von Linz ausgehend, weltweit online seine Verzweigungen in die Welt geästelt hat. Gestaltet wurde das Plakat von Designerin und Visual Artist Selly Raby Kane, ihre Zeichens Teil des senegalesischen Künstler*innenkollektivs Les Petites Pierres mit Sitz in Dakar. Das Sujet repräsentiert die Verschränkung von Altem und Neuem, von Organischem und Anorganischem, Körper und Äther. Letzteres ein Thema, das bestimmend war für die Austragung des Festivals – die Vor- und Nachteile des Zoomens. FIFTITU%, die Organisatorinnen, haben die Herausforderung angenommen und sich um die bestmögliche Verbindung gekümmert, damit das Festival möglichst störfrei in die Welt übertragen werden konnte.
„Unruly Thoughts have a powerful history in feminisms“, heißt es im Trailer zum Festival. Worum sich die angesprochenen widerspenstigen Gedanken spinnen, wurde in den drei Tagen des Festivals eindrucksvoll in Vorträgen, Gesprächen, Performances und Filmvorführungen dargelegt. Einleitend formuliert Tmnit Ghide, Host des Festivals, Absichten und Ziele: Das Eröffnen, Konkretisieren und Verknüpfen feministischer Perspektiven abseits eurozentrischer Sichtweisen, sowie die Entwicklung von Strategien, um für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung zu kämpfen. Die Zugangsweisen zur Umsetzung dieser politischen Agenden waren gleich am ersten Abend breit angelegt: Kholeka Putuma (Südafrika) liest aus ihrem Gedichtband Hullo, Bu-Bye, Koko, Come in1, in dem sich die Autorin unter anderem der Auslöschung des Vermächtnisses schwarzer Frauen in den Archiven widmet. Im anschließenden Gespräch mit Tmnit Ghide weist Putuma darauf hin, dass viele der Frauen, die sie in Hullo … zitiert, nicht mehr die Rechte an ihrem Werk besitzen und weist so auf die Herstellung von Unsichtbarkeit hin – „Poetry in the time of the digital … I’m imagining all your faces“, sagt sie zuvor zu den Teilnehmer*innen des Festivals. Es folgt Poetra Asantewa (Ghana) mit dem Vortrag ihres Gedichts F-Word, in dem das Problem der „korrekten“ Definition eben dieses Wortes besprochen wird. Den ersten Abend beschließt das Screening von Éthel Oliveiras und Júlia Marianos Film SEEDS: BLACK WOMEN IN POWER (BR 2020), in dem brasilianische Politikerinnen und ihre Arbeit porträtiert werden.
Sichtbarkeit und Freiheit als Aktion
Den zweiten Tag beginnt Karima 2G (Italien / Liberia), die über „The Power of Afro-feminist art and Black Feminism in Italy“ spricht. Sie thematisiert, dass Frauen der 2. Generation in Italien immer noch keinen Platz in der italienischen Gesellschaft haben, fordert Auflehnung gegen Viktimisierung und stellt in ihrem Vortrag Role Models wie die Autorin Esperance Hakuzwimana Ripanti, die Politikerin Marwa Mahmoud und die Athletin Danielle Frederique Madam vor. Karima 2G, die ihre Musik selbst produziert, wird am Abend auch als Spoken-Word-Performerin in Erscheinung treten. Nach ihr meldet sich die Autorin und Sozialkritikerin Minna Salami (Schweden / Finnland / Nigeria) aus London. Mit ihrer Einstiegsfrage – „How does a freedom person act?“ – eröffnet sie einen Analysekomplex aus Geschichten Afrikas, metaphysischen Fragestellungen als Teil von Black Feminism und der Kritik an euro-patriarchalem Wissen, dem Hierarchisierung als Machtbasis zugrunde liegt und das – eine der Kernaussagen des Vortrags – Frauen beibringt, an sich selbst zu leiden. Dieser Gewaltförmigkeit setzt Minna Salami Freiheit als Aktion entgegen, die niemals auf Diener*innenschaft beruhen kann.
Den Nachmittagsblock beschließt Mahen Bonetti (USA/Sierra Leone), die Gründerin des African Film Festival – Pionierin! Sie berichtet im Gespräch mit Tmnit Ghide über die Geschichte des Festivals, wie es war, in den 1960er Jahren als Filmemacherin in der Sowjetunion zu arbeiten und über erste Berührungen mit europäischem Art-House-Kino in New York. Als 1993 das African Film Festival zum ersten Mal stattgefunden hat, hätte es zehn Tage dauern sollen. Aus zehn Tagen wurde aber ein Monat, das Begehren nach Kino aus Afrika wurde offensichtlich. Essenziell für den Erfolg solcher Projekte, so Bonetti, ist das Arbeiten im Kollektiv und die Aufrechterhaltung einer Autonomie, die sich nicht von Orten und Förderungen abhängig macht. Das Gespräch zwischen ihr und Ghide ist lebhaft, die Sehnsucht der hier schreibenden Teilnehmerin auf eine Wiederholung dieses Gesprächs nicht im Virtuellen, sondern im Raum fleischlicher Anwesenheit wurde immer größer und hat sich seitdem nicht gelegt.
Der Abend startet fulminant mit den HOETEP BLESSINGS (GF 2016) von Tabita Rezaire (Französisch-Guyana), einem Kurzfilm, in dem sich die Regisseurin als mächtige Performerin in bester 1990er-CGI-Ästhetik offensiv und lustvoll gegen die popkulturelle Ausweidung von Hoetep stellt. Es folgt Toussa mit ihrer Rap-Nummer “Bataaxalu Jigeen” (“Letter of a Woman”) in Wolof, einer der Sprachen Senegals. Toussa ist Vorreiterin in Sachen feministischer Rap in Senegal, 2009 hat sie gemeinsam mit anderen Rapperinnen, Sängerinnen, Produzentinnen und Beatmakers das Hip Hop-Kollektiv GOTAL gegründet.2 Karima 2G beschließt mit der Live-Premiere ihres Songs „Libera“ das Performanceprogramm. In der Filmsektion gibt es darauf TEZEN (HT/FR 2016) von Shirley Bruno, ALINE (CH/SN 2021) von Rokhaya Marieme Balde und AURORA (CU 2019) von Everlane Morales zu sehen.
Tag 3 startet mit einem Animationsfilm-Workshop, geleitet von Comfort Arthur (Ghana/Großbritannien), die in Ghana ihr eigenes The Comfy Studio3 leitet und im Gespräch über ihren Anspruch berichtet, Filme gleichzeitig didaktisch und unterhaltsam zu gestalten. Rama Salla Dieng (Großbritannien/Senegal) spricht in ihrem Vortrag über Strategien politischer Vernetzung und greift diesbezüglich Fragen auf wie: Welche Themen beschäftigen Feministinnen des afrikanischen Kontinents und der Diaspora? Welche Rolle spielt das Digitale für die Vernetzung? Wie treten die Frauen miteinander in Verbindung, welchen Blick werfen sie auf feministische Geschichte? Und eine der Kernfragen: Wie steht es in diesen Prozessen um Self Care? Auch in Anlehnung an diese Frage spricht sich Dieng für einen sexpositiven und lustzentrierten Feminismus aus, ein Ansatz, der eine Lösung für die von Minna Salami aufs Tapet gebrachte Rolle von Frauen als an sich selbst Leidenden qua Patriarchat bieten kann. Unlearning ist hier als politische Praxis gefragt.
Daran anschließend spricht Christelle Oyiri (Frankreich) über die Bedeutung von matrifocality, die als gesellschaftliches Konzept ökonomische Macht durch familiäre Netzwerke generiert. Viele der Beiträgerinnen – so auch Oyiri – thematisieren in ihren Vorträgen, wie sie als 2. oder 3. Generation kontinuierlich ihre Position innerhalb einer Gesellschaft behaupten müssen, die sich das (illegitime) Recht herausnimmt, Körper und Existenzen zu sprechen und damit Repräsentationen zu erzeugen, die nichts mit dem Selbstverständnis eines eigenen Ichs zu tun haben. Die Vorträge sind geprägt von dieser Erfahrung, die sich in Verbindung mit Anderen setzt und so das Persönliche zur Grundlage intersektional-feministischer Theorie macht.
Der letzte Vortrag des Festivals wird beigesteuert von Donna P. Hope (Jamaica), Spezialistin für die Geschichte der “Dancehall’s Rebel Women“ wie Lady Saw, Macka Diamond aka Lady Mackerel und Shenseea. Hope erläutert in bestechender Art und Weise, wie die Frauen des Dancehall diskriminierende Kategorien wie gender, race, class, colours & age selbstbewusst vereinnahmen, ihre Musik damit spicken und über lustvoll zelebrierte Körperlichkeit – die nicht nur akustisch laut ist – gegen Unterdrückung – auch innerhalb der für lange Zeit männlich dominierten Dancehall-Szene – auftreten. Ein Vortrag aufregend und lebendig wie ein Livekonzert.
Das Festival endet mit einer Podiumsdiskussion “On the Importance of Feminist Alliances in the Digital Space“ unter Beteiligung von Zainab Floyd (USA/Haiti), Sandra Manuel (Mozambique/Ghana), Hawa Kebe (Österreich/Senegal/Elfenbeinküste), Feminista Jones (USA) und Robyn-Lee Pretorius (South Africa) und dem Screening von Rosine Mbakams DELPHINE’S PRAYERS (CM/BE 2021) sowie Amandine Gays SPEAK UP (FR 2017).
Ein paar abschließende Bemerkungen: FIFTITU% und Sandra Krampelhuber ist mit diesem Festival Großes gelungen. Drei Tage lang standen Theoretikerinnen, Performerinnen und Kulturarbeiterinnen des afrikanischen Kontinents und der Diaspora im Zentrum einer Tagung, deren Beiträge eurozentristische Perspektiven und den Hochheitsanspruch auf gesellschaftliche, kulturelle und politische Diskurse nachhaltig verschoben haben. So viel für mich Neues, das sich mir initiierend erschlossen hat und dementsprechend ist Unruly Thoughts auch als Auftrag zu verstehen, von den Frauen zu lernen, weiterführend interessiert zu bleiben und sich kundig zu machen.
Dass das Digitale zugleich Fluch und Segen ist, hat sich auch diesmal herausgestellt. Einerseits hat die Technik ein Zusammenkommen und den Austausch zumindest im Virtuellen ermöglicht, gleichzeitig ist damit die Sehnsucht nach dem Treffen und miteinander Sprechen im konkret-fleischlichen Raum ins Unermessliche gestiegen – ein Eindruck, der von den Tagungsbeiträgerinnen immer wieder thematisiert wurde. Das Digitale kann im Sinne der Vernetzung immer nur der erste Schritt sein, im nächsten Schritt geht es hinaus auf die Straße, in die Communities, auf den Dancefloor. See you!
1 Der Titel des Gedichtbandes bezieht sich auf den Text von Brenda Fassies Song „Istraight Lendaba“ (1992).
2 Einen kleinen Einblick in das Schaffen von GOTAL gibt es hier: www.youtube.com/watch?v=nvXZRZvUYak, aufgerufen am 15. Februar 2022
3 www.thecomfystudios.com, aufgerufen am 16. Februar 2022
Mehr zum ausführlichen Programm: unruly-thoughts.com