Die Referentin hat Tinou Ponzer vom Verein Intergeschlechtlicher Menschen Österreich, VIMÖ, eingeladen, zur aktuellen „Gender-Debatte“ zu schreiben – und darüber, warum es Schutzräume für alle braucht.
Seit Monaten gibt es wieder mal in Medien und Politik eine sogenannte „Gender-Debatte“. Auslöser der aktuellen Aufregung scheint der deutsche Gesetzes-Entwurf zur Selbstbestimmung und Gleichstellung trans-, intergeschlechtlicher und nicht-binärer (TIN) Menschen vom Juni 2022 zu sein1. VIMÖ, der Verein Intergeschlechtlicher Menschen Österreich, begrüßt diesen sehr, weil er endlich die riesigen Hürden für Personenstands- und Namensänderungen abbaut und die Änderung dieser Daten als das anerkennt, was sie sind: bürokratische Verwaltungsschritte ohne pathologisierende Zuschreibungen und mühsame Gutachtenverfahren. Der Entwurf kündigt auch Schadensersatz für Körperverletzungen und Zwangsscheidungen von intergeschlechtlichen und transgeschlechtlichen Menschen an – ein so wichtiger Punkt, den niemand in der Debatte der Erwähnung wert findet. Gleichzeitig scheinen diejenigen, die behaupten, Frauenschutzräume seien durch so ein Gesetz gefährdet, den Entwurf gar nicht gelesen zu haben – denn dieser Auszug bezieht sich genau auf diese Sorge: „Es wird weiterhin darauf geachtet werden, dass Schutzbereiche für vulnerable und von Gewalt betroffene Personen nicht missbräuchlich in Anspruch genommen werden. Gewalttätige Personen gleich welchen Geschlechts haben z. B. wie bisher keinen Zugang zu Frauenhäusern. Zugangsrechte zu Frauenhäusern richten sich weiterhin nach dem jeweiligen Satzungszweck der privatrechtlich organisierten Vereine.“
Wer sich mit Lebensrealitäten von TIN Menschen befasst, weiß, dass sie im Gegensatz zur cis-endogeschlechtlichen Bevölkerung mehr Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt sind. Es geht bei diesem Hinweis nicht um „wer hat es schlimmer“, sondern um Realitäten, die da sind. Es geht um patriarchale, geschlechtsspezifische Gewalt, welche mit Homofeindlichkeit und Frauenhass durchsetzt ist – eine leider geteilte Erfahrung mit cis Frauen und Lesben. FrauenLesben machen genauso die Erfahrung in gesellschaftliche Strukturen mit Gewalt „passen“ zu müssen, aufgrund dessen, dass sie sind, wer sie sind – oder was ihnen zugeschrieben wird. Jeder Mord einer cis oder trans Frau ist einer zuviel!
Vulnerablen Gruppen wie trans Frauen werden Schutzräume und richtige Unterbringungen verwehrt, aus der Angst heraus, dass ein Gewalttäter in diese mit geändertem Personenstand und Namen und „als Frau verkleidet“ eindringen würde. Nachdem dies so oft als Argument gebracht wird: Wer fragt eigentlich danach, ob die Frauen in Frauenhäusern z. B. das auch so empfinden, dass Selbstbestimmung für trans, inter und nicht-binäre Menschen gefährlich ist für sie, und welche Bedürfnisse sie haben? Wo sollen TIN Menschen untergebracht werden, wenn sie in „männlichen“ Bereichen mitunter körperlich angegriffen werden und in „weiblichen“ Bereichen aber nicht untergebracht werden dürfen? Warum lässt man sie nicht selbst entscheiden, was das Beste wäre?
Gewalt gegen Frauen passiert jetzt schon – wie kann man hier Frauen auseinanderdividieren und die einen schützen und die anderen nicht? Wieso beschäftigt man sich nicht mit den notwendigen umfassenden Konzepten? Die Frauenhauskoordinierung e. V. in Deutschland hat sich im September 2022 ganz klar inklusiv positioniert. Aus dem Statement: „Ob cis, trans*, inter* oder non-binär: Passender, bedarfsgerechter Gewaltschutz darf niemals dem Zufall überlassen werden.“2
Alleine von einer „Gender-Debatte“ zu sprechen verharmlost, was hier passiert – seit Monaten diskutieren cis Menschen über trans Menschen, insbesondere trans Frauen, aber auch trans Männer. Dabei wird auch die – immer noch nicht annähernd ideale – Gesundheitsversorgung und Zugänglichkeit dazu für trans Jugendliche massiv in Frage gestellt. Weder wissenschaftliche noch community-basierte Quellen oder Quellen aus dem psycho-sozialen Fachbereich werden geteilt, um Stimmung gegen Spezial-Kliniken zu machen und den Eindruck zu erwecken, dass Trans-Aktivismus manipulativ sei und selbstbestimmte medizinische Unterstützung junge Lesben dazu bringe, medizinisch zu transitionieren und so ihre körperliche und psychische Integrität verletzt werde. Studien dazu zeigen, dass der Großteil der Menschen eine De-Transition durchführt, nicht, weil sie draufgekommen sind, dass sie nicht trans sind, sondern aufgrund von sozialem, gesellschaftlichem, familiärem Druck und Diskriminierung, und weil es für sie einfacher ist, mit der Dysphorie zu leben, statt sich permanentem Hass und Ablehnung auszusetzen. Durch die Möglichkeit, eine Transition durchführen zu können, wurden viele Leben gerettet und erheblich verbessert, allein durch die Möglichkeit der richtigen Behandlungen und durch die wichtige soziale Anerkennung!
„Es gibt nur zwei biologische Geschlechter.“ Diese Aussage hören wir in letzter Zeit oft. Dabei wird nicht nur Transgeschlechtlichkeit als biologische Wahrheit verneint, sondern auch intergeschlechtliche Menschen werden wieder vollkommen unsichtbar gemacht. Der langwierige, harte und schmerzhafte Weg, den inter Menschen gegangen sind, um auf die massiven Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen, welche passieren, damit intergeschlechtliche Körper in die biologischen Normvorstellungen passen, und dafür zu kämpfen endlich in ihrem Geschlecht und ihrer Geschlechtsidentität anerkannt zu werden, wird einfach beiseite gewischt und erneut unsichtbar gemacht. Die UN, die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und einige Länder haben uns nach Jahrzehnten des Widerstandes gehört und uns unsere Rechte anerkannt, wir werden uns nicht von einem rechts-radikalisierten Movement diese Anerkennungen wegnehmen lassen. Und dabei brauchen wir Unterstützung und Allianzen. Die Gesellschaft braucht umfassende, entpathologisierte Aufklärung zur Vielfalt von Geschlecht, körperlichen Merkmalen und Identitäten – und einen positiven Zugang dazu, keinen gewaltvollen.
„Der Begriff Frau soll ausgelöscht werden …“. Geschlechter-inkludierende Sprache zu verwenden, heißt möglichst viele sichtbar, benennbar zu machen. Niemand verlangt dabei, dass der Begriff Frau nicht mehr verwendet werden darf – nur, weil darauf verwiesen wird, dass mit anderen Begriffen mehr Menschen benannt werden und daher nicht ausschließlich von Frauen gesprochen werden soll, wenn es beispielsweise um körperliche Voraussetzungen geht. Trotzdem wird behauptet, dass der Begriff Frau gelöscht werden soll. Woher kommen diese Behauptungen? Steht Angst dahinter, Angst etwas zu verlieren? Geht es um Machtpositionen und Ressourcen, die cis-endogeschlechtliche Frauen für sich jahrzehntelang erkämpft haben? Gespräche auf Augenhöhe über solche Ängste wären hier ein guter Ansatz, anstatt medial Gruppen, Personen anzugreifen und ihnen potentiell gewalttätiges Verhalten zu unterstellen. Es sollte um ein gemeinsames Kämpfen gehen – gegen weiße, patriarchale Machtstrukturen, um mehr Raum, mehr Sichtbarkeit, mehr Ressourcen zu erlangen.
Was in Österreich entschieden wird, entscheiden nicht die Minderheiten. Wer hat eine Plattform? Wer wird in der breiten Öffentlichkeit gehört? Wer hat Machtposition? Wer kann (mit-)bestimmen, Gesetze beschließen? Welche TIN-feindlichen Diskussionen werden – vielleicht ungewollt – befeuert? Es gibt genug Stimmen in der Regierung und den Oppositionsparteien, die über Geschlechtervielfalt und unsere Realitäten nichts wissen oder sogar aktiv unsere Existenz in Frage stellen und Gleichstellung und Verbesserung der Lebenssituationen verhindern. Gerade wenn trans, nicht-binäre, inter Menschen im Parlament angegriffen oder lächerlich gemacht werden, braucht es klare Positionen und Unterstützung! Die Konsequenzen einer trans- und interfeindlichen Rhetorik und Politik haben real die Betroffenen jeden Tag zu tragen. Vielen Menschen geht es die letzten Monate aufgrund dieser öffentlichen Debatte nicht gut. Es ist psychisch belastend, wenn über unsere Körper und Identitäten, über unsere Leben so verständnislos geredet wird und mehr die Emotionen von anderen als Fakten darüber entscheiden, welche Möglichkeiten TIN Menschen erfahren werden oder nicht. Gerade wenn gemeinsame feministische Zusammenschlüsse und Ziele so dringlich sind. Achtsamkeit für unterschiedliche Erfahrungen müssen wir alle immer bewusst haben. Aber niemandem wird dadurch etwas weggenommen, wenn wir auch Menschenrechte erfahren! Solidarität heißt aktiv unterstützen, Aktivismus und Politik machen, die gerade marginalisierte Gruppen miteinbezieht, intersektional wirkt und Menschen nicht gegeneinander ausspielt. Solidarität heißt auch, dass Betroffene nicht alleine gelassen werden, wenn Diskussionen um ihre Rechte und ihre Existenz geführt werden. Alles, was wir wollen, ist selbstbestimmt und in Ruhe leben können – gleichberechtigt und so, wie wir sind!
Der Artikel basiert großteils auf einem Statement von VIMÖ:
vimoe.at/2022/10/17/vimoe-statement-geschlechtervielfalt