… und was scheidet es aus? Wie funktioniert eigentlich der Stoffwechsel von Linz? Im afo ist derzeit die Ausstellung Metabolismus der Stadt zu sehen. Georg Wilbertz über Ausstellung und Infrastrukturen der Stadt.
Mit der Utopie der Stadt (und damit sind keine utopischen Idealstädte gemeint) verbindet sich, seit es die Stadt als Siedlungsform gibt, die Idee, dass es sich letztlich um eine Art Heilsort handelt. Dessen Bedeutung geht weit über die bloße Gewährleistung von sozialer, politischer, ökonomischer und kultureller Versorgung und Identität hinaus. Die Stadt ermöglicht vielfältige Lebensformen und repräsentiert – in unterschiedlicher Ausprägung und mit unterschiedlicher Konsequenz – ein mehr oder weniger offenes System des verdichteten Zusammenlebens. In der Antike oder dem europäischen Mittelalter wurden häufig metaphysische Einrichtungen und „Installationen“ (Religion, Kult etc.) genutzt, um die Stadt im Bewusstsein ihrer Bewohner*innen zu einem sicheren und lebenswerten Platz zu machen. Gelang dies im realen Leben meist nur sehr eingeschränkt (privilegierte Kreise ausgenommen), so gewann die irdische Stadt zumindest als Abbild religiös motivierter, eschatologischer Modelle eine heilsbringende Bedeutung. Schließlich war es das Himmlische Jerusalem, das am Ende aller Zeiten im mythischen Raum des Jenseits all jene städtischen Ideale und Existenzträume, die hier auf Erden – bis heute – nicht zu realisieren sind, erfüllen sollte.
Infrastrukturen als Heilsversprechen
Auch wenn für uns heute derartige Vorstellungen kaum noch von Bedeutung sind und wir unsere „Heilssuche“ längst in die „paradiesischen“ Pseudo-Realitäten digitaler Medien und Gemeinschaften auslagern: die Stadt ist nach wie vor (trotz aller weltweit zu beobachtenden Verwerfungen) der physische Ort, der am ehesten die Hoffnung auf persönliche Verwirklichung verspricht. Die zentrale Voraussetzung hierfür bildet im Idealfall das reibungslose Funktionieren der Stadt. Dieses wird seit der Industrialisierung vor allem gewährleistet durch Infrastrukturen und Apparaturen, die meist unsichtbar (fast wie die Wunderwirksamkeit des Religiösen) im Untergrund der Städte und Siedlungen – wie von Geisterhand – werkeln. Die Unterwelt unter der Oberfläche der Stadt war bis zur Verlagerung der lebenserhaltenden Infrastrukturen in den Untergrund im Verlauf des 19. Jahrhunderts nicht unbedingt eine positiv konnotierte Sphäre. Hier verbargen sich die bösen Kräfte, ihr entstiegen die krankmachenden Dämpfe und bis zu den strafenden Tiefen der Hölle war es auch nicht weit. Mit der Industrialisierung und den komplexen Prozessen der Großstadtwerdung fand eine auf funktionale Optimierung hin orientierte Umdeutung der Welt unter der Oberfläche statt. In ihr verbarg man die Versorgungskreisläufe, die den Organismus (durchaus wörtlich zu verstehen) Stadt am Leben erhielten. Seitdem verlaufen unter der Oberfläche unserer Städte die Arterien, die uns mit Wasser, Energie, Wärme, Information etc. versorgen. Ihnen stehen die Ausscheidungskanäle (z. B. für Abwasserentsorgung) gegenüber.
Die vom afo architekturforum in Auftrag gegebene und von Alexander Gogl (Innsbruck) sorgfältig kuratierte Ausstellung „Metabolismus der Stadt“ widmet sich, auf Linz und sein Umland bezogen, diesen meist verborgenen Ver- und Entsorgungssystemen. Der Begriff Metabolismus überträgt damit metaphorisch das Bild biologischer oder medizinischer Stoffwechsel auf den Organismus Stadt.1 Dabei stehen sechs Themenschwerpunkte im Ausstellungsraum des Erdgeschosses im Mittelpunkt: Abfallsystem, Abwassersystem, Erdgas, Energie, Fernwärmesystem und Trinkwasser. Mit installativer Eindrücklichkeit (Videos: Reinhard Zach) widmet sich das Kellergeschoss des afo dem sogenannten Donaudüker (duiker = niederl. Taucher), der unterhalb der Flusssohle der Donau diese kreuzt. Als eine der für die 1970er Jahre typischen Großstrukturen dient der 375 m lange und begehbare Düker mit separaten Röhren für Abwasserentsorgung und Frischwasserversorgung.
Ein- und Übergänge: Kanäle des Unbewussten
Neben der Darstellung von Funktionsweisen und der Nennung wichtiger statistischer Größen, die das Ausmaß der Versorgung (und damit unserer Abhängigkeit) verdeutlichen, bilden die Schnittstellen und Übergänge von Unter- und Oberwelt einen wesentlichen Aspekt der afo-Schau. Ausgediente Verteilerkästen, die sich zuhauf im städtischen Raum finden und die originalgroßen Frottagen von Kanaldeckeln verweisen auf die „Eingänge“ und Verbindungen des Oben mit dem Unten. Im Alltag beachten wir diese technischen Installationen kaum und wissen in der Regel nicht, womit und für was sie mit dem Untergrund verbunden sind. Unsere „Vertikalisierung des Bewusstseins“ (Thomas Macho) manifestiert sich weitestgehend unbewusst über Momente der psychischen Verdrängung. Was sich da unten alles dicht gedrängt abspielt, möchten wir eigentlich nicht genau wissen, solange der schöne Schein der benutzbaren Oberfläche weitestgehend intakt bleibt und die urbanen Funktionen ihren Zweck erfüllen. Die – altbekannte – Analogie der Stadt mit dem menschlichen Körper, seinem verborgenen Stoffwechsel und seinen Kreisläufen unter der Haut drängt sich unmittelbar auf.
Offene Städte mit offenen Grenzen: Netze
Längst haben sich die bis zum Einsetzen der Industrialisierung klar definierten, durch fortifikatorische Maßnahmen sichtbar umgrenzten Städte in offene, ausufernde Topographien verwandelt. Nicht nur die Stadtgrenzen sind kaum noch wahrnehmbar. Auch die Infrastrukturen bilden seit Langem Netze und Vektoren aus, die weit ins Umland hineinreichen und dieses existenziell mit der Stadt verbinden. Folgerichtig steht im Zentrum von „Metabolismus der Stadt“ eine von Alexander Gogl detailliert ausgearbeitete Karte von Linz und Umgebung, die diese Verbindungen und Abhängigkeiten eindrucksvoll verdeutlicht. Das Denken in funktionalen Netzen, die Räume verbinden, strukturieren und überspannen ist ein konstituierender Teil innerhalb der Moderneentwicklung. Die erst im 19. Jahrhundert intensiv einsetzende Netzbildung kennt prinzipiell keine Grenzen. Selbst Natur- und Landschaftsräume wurden von Beginn an als „Aufmarschzonen“ für die infrastrukturelle Entwicklung instrumentalisiert und dementsprechend gefährdet oder zerstört. Bereits das Netz des 19. Jahrhunderts war eng geknüpft und zeigte Tendenzen einer ersten, aggressiven Globalisierung. Stellt man die Verbindung des übergeordneten Netzes mit dem Kreislauf einer konkreten Kommune (z. B. Linz) her, wird deutlich, dass die Offenheit der Netze ganz konkret und über das Symbolische hinaus die soziale und kulturelle Offenheit der Stadt bedingen. Unsere Form gesellschaftlichen Lebens mit all ihren Freiräumen ist ohne das Netz undenkbar. Dies ist die positive Nachricht.
Postwachstumsgesellschaft
In Linz und seiner Umgebung dominiert die Linz AG monopolartig die beschriebenen Systeme. Linz stellt diesbezüglich sicher keine Ausnahme, sondern eher die Regel dar. Die wirtschaftlichen, gerade auf dem Energie- oder Digitalsektor weltweit immer dynamischer vorangetriebenen Konzentrationsprozesse galten lange als gewinnmaximierende, zugleich „sichere“ Strukturen. Sie wurden auch hinsichtlich ihrer negativen Wirkungen auf Gesellschaften und Demokratien mehrheitlich kaum in Frage gestellt. Kurator Alexander Gogl ist skeptisch, ob hinsichtlich der Fragen von Nachhaltigkeit und Effizienz derart großräumig angelegte Ver- und Entsorgungsstrukturen dauerhaft zukunftsfähig sein können. Er plädiert dafür, lokale Einheiten und Netze zu entwickeln oder zu stärken. Dies böte nicht nur die Möglichkeit, punktgenauer entsprechend der tatsächlichen Anforderungen die notwendigen Leistungen zu generieren und zur Verfügung zu stellen. Es hätte sicherlich auch ein stärkeres Bewusstsein für das eigene Handeln und die eigene Verantwortung innerhalb infrastruktureller Systeme zur Folge. In demokratiepolitischer Hinsicht eine längst überfällige Notwendigkeit. Corona und der unsägliche, verbrecherische Krieg des Diktators Putin führen uns diese Zusammenhänge gerade schmerzlich vor Augen. Diese Krisen mit ihren Boykott- und Blackoutszenarien verdeutlichen die Anfälligkeit der bisher als „alternativlos“ apostrophierten Großstrukturen. Aus der „heilbringenden“ Utopie einer aus dem Verborgenden sprudelnden, immer verfügbaren Versorgung durch städtische Netze erwächst inzwischen die – wie auch immer begründete – Dystopie gesellschaftsgefährdenden Totalversagens. Bei aller informativen Neutralität der afo-Ausstellung schwingen diese Aspekte untergründig mit. Sie passt deshalb bestens in unsere Zeit.
1 Thematisch hat die Ausstellung nichts mit der Bewegung der Metabolisten zu tun, die vor allem im Japan der 1960er Jahre mit ihren Utopien zur dynamisierten Stadt der (meist flexibel gedachten) Megastrukturen wichtige Beiträge zum Städtebaudiskurs nach 1945 leisteten. Georg Wilbertz ist Architektur- und Kunsthistoriker und lebt in Linz.
Metabolismus der Stadt Unter dem Asphalt wird der Platz knapp … Ein Blick auf die Leitungspläne zeigt, wie eng es im Unterbau einer Stadt tatsächlich zugeht. Fernwärme schmiegt sich an Abwasserkanal, dazwischen kreuzen sich Strom, Telefon- und Internetkabel. Wasser- und Gasleitungen drängeln sich durch den verbleibenden Raum. Das afo architekturforum oberösterreich verwandelt sich in eine Miniaturdarstellung des Organismus Linz und lässt den Besucher dessen ober- wie auch unterirdische Teile erkunden. Kurator: Alexander Gogl.
Ausstellung: 23 .09. 2022–27. 01. 2023
Eröffnung: 22. 09. 2022 | 19:00 h
Öffnungszeiten: Di–Fr, 15:00–19:00 h
afo.at/programm/metabolismus-der-stadt
Metabolismus extra im Dezember:
Metabolismus und Glühwein – Freiluftkino beim Wärmepol: Do, 15. Dez, 18:00 h
Metabolismus der Stadt – Kuratorenführung: Fr, 16. Dez, 14:00–15:00 h
van Laak, Dirk: Alles im Fluss. Die Lebensadern unserer Gesellschaft – Geschichte und Zukunft der Infrastruktur. Frankfurt am Main 2018, S. Fischer, ISBN 978-3-10-397352-5