Art Brutal: Das Musiktheater-Performancestück Hades 2.0 war im November im Phönix zu Gast. Christian Wellmann hat es sich angesehen – und den No-Name-Hero-Gott-der-Unterwelt Patrik Huber getroffen.
„Motten um mein Hirn sitz ich vor Spiegeln und die Stille flüstert mir zu come as you are – come as you are blas ich zum Sturm“
Ein aus der Zeit gezerrter, archaischer Monolith baut sich auf der Phönix-Bühne auf, das Publikum zur anstrengenden Selbstreflexions-Reise drängend. Hades 2.0 ist kein konventioneller Theaterabend, viel mehr eine Oper Light, im reduzierten Ziegel-Bühnenbild. Performativ an den Abgründen kratzend, mental Entrücktes in eine trübe Nebelsuppe reingeschnitten. Eine zentrale Rolle darin nimmt die (oft repetitive) Sprache ein. Dazu in Musik gebettetes Wehklagen, Schreie, laute Laute, Flüsterbeton. Der Abstieg in Hubers Inferno ist düster, makaber, grotesk, aber poetisch. In anrüchige Experimentaltexte wie blutiges Fleisch gewickelt. Abstrakte Sprache, die Mystik in sich birgt. Ist es Ausdruck des Desasters, in dem wir leben? Gibt es gar Antworten auf diese „Stürmischen Zeiten“? Wohl eher ist es eine dringend benötigte Hirnspülung. Der König der Toten trifft den Teufel der Lebenden, im River Full Of Bones. Art Brutal.
Das aktuelle „Musiktheater-Performancestück“ des zwischen den Kunstdisziplinen am Stacheldraht tanzenden Linzer Künstlers Patrik Huber ist ein Fiebertraum, in dessen Zentrum ein in mehrere Wesen gesplitteter, namenloser (Anti-)Held steht, der zwischen Fiktion und Realität wie ein Flipperball der Mythologie in der Zwischenwelt herumgeschleudert wird. Soll er bleiben oder gehen? Zeus ist zuständig für die Oberwelt, Hades für die Unterwelt. „Es ist eine Figur, die sich den Göttern entziehen möchte, weder im Leben noch im Tod ist, im Styx dahintreibt und dort Zerwürfnisse und Erkenntnisse zwischen den Parallelitäten hat“, so Patrik Huber, der Hauptdarsteller, der auch die Texte geschrieben hat, im Gespräch mit der Referentin. Worauf sein Dahintreiben abzielt, bleibt nebulös. „Es sind abstrakte Texte. Die Sprache, die ich verwende, ist nicht unbedingt etwas Erklärendes. Was für mich generell interessant ist am Theater: Wenn es nicht unbedingt etwas vorkaut oder vorgibt, sondern wenn es auch um etwas Geheimnisvolles oder Mystisches geht.“ Seine Stücke passieren assoziativ, eine Idee führt zu einer anderen. „Ich mache auch viele improvisatorische Stücke, wo ich aus dem Blauen heraus rezitiere.“ Beim Hades-2.0-Stück hält sich Huber aber akribisch an seinen selbstverfassten Text: „Ich wollte wieder einmal einen geschriebenen Text haben, ihn sozusagen nicht loslösen, endlich wieder einmal ein fertiges Stück haben.“
Die Herausforderung ist, den Text straff umzusetzen und etwas zu schaffen, das mehr oder weniger überall gespielt werden kann. „Es sind verschiedene Figuren, die im Protagonisten vorkommen und natürlich geht es um etwas Psychotisches oder sich mehrfach Wiederholendes“, so der gelernte Grafiker und Reproduktionstechniker, der in unterschiedlichen Kunstgefilden autodidaktisch unterwegs ist. Es gibt weiters sich wiederholende Mantras, wie beispielsweise „Fleisch, totes Fleisch, rohes Fleisch“, die Selbstreflexion fürs Publikum sind. „Ich glaube, dass gerade diese rezitativen Stellen, die sich immer wieder wiederholen, dazu dienen, dass man in diese Schleife hineinkommt, da kann man abschalten. Man muss nicht immer nachdenken, wenn sich das wiederholt. Wenn man sich fallen lässt, dann entsteht irgendwann ein anderer Zugang oder Verständnis. Dieser Zustand des Typen, der dort schwimmt oder treibt, ist ja etwas Transzendentes. Aus dem Totenreich oder aus Einsichten ins Leben, aus dem heraus fügt sich das zusammen.“
Alles in einer intuitiven Erzählweise und Sprachwelt, durchtränkt von mehrdeutigen englischen Phrasen und 80er-Jahre-Songs. „Die Popmusik-Zitate kommen von der Thematik des Schreibens. Ein stakkatoartiger Fluss, das hat dann alles gut zusammengepasst. „Sweet Dreams ist ein surrealer Traum, mehr oder weniger, da passt der Refrain gut“, ergänzt er. „Oder wie bei Road To Nowhere der Talking Heads: Ich weiß nicht, wohin es geht.“
Dazu verwendet er Schlüsselsätze wie: „In Katzenmägen brütet sich die Zukunft aus“. „Das ist auch so ein kryptischer Satz, der sehr bildhaft, emotional ist und gleichzeitig sehr abstrakt. Es baut sich ein Textkonvolut auf. Wenn das schön dasteht, fällt es aber im nächsten Moment wieder durch eine Phrase zusammen oder es festigt sich, man weiß das nicht so genau“, so Huber zu Sätzen, die etwas auf die Spitze treiben und es verdichten. „Wenn die Sprache körperlich wird, das heißt, wenn man sich bewegt und die Sprache verzerrt, an ihr herumreißt, dann bekommt die Sprache einen Körper. Das durchbricht dann vielleicht auch die Wand zum Publikum, weil man sich nicht zurücklehnen kann und das Stück einfach anschauen kann, sondern gefordert wird. Ich glaube, ich brauche das Körperliche in der Sprache.“ Die ein Sog und nicht einfach zu durchblicken ist. Das Paradies offenbart Abgründiges.
Sein erstes selbst inszeniertes Theaterstück am Phönixtheater hieß Aida (Opus Trash nach Verdi) von 2004. Das Libretto wurde zurecht gekürzt und die Lieder von Aida durch Popsongs, wie Born To Be Alive, ersetzt. Beim Tanzhafenfestival 2018 war es hingegen ein größeres Format mit 20 Leuten, das sich für nur eine Aufführung als sehr aufwändig herausgestellt hat. Jetzt ist er zum bewährten Minimalformat zurückgekehrt.
Patrik Huber arbeitet viel mit Musik, weil das ein guter Träger ist, der für ihn einfach passt. Mit dem ebenso dauerumtriebigen Ottensheimer Musiker Gigi Gratt hat er bei Hades 2.0 den perfekten Komplizen an seiner Seite. Gigi schafft es, nur mit Gitarre, Trompete und Loops ein ganzes Orchester in das oft in rotes, blutiges Licht gehüllte Ziegelambiente zu malen: eine Musikwand, kontrastiert von ruhigen Momenten, dazu die oft stark verhallte Stimme des No-Name-Heros. Beschwörungen wiederholen sich drone-doomig und können im Raum fast ertastet werden.
Mit Gigi hat er bereits 2005 beim Bonesmashery Man, dem Knochenzertrümmerer, ebenso eine mythologische Figur, zusammengearbeitet. Gefangen im Blut der Seelen, die er getötet hat, sucht er verzweifelt nach einem Ausweg. Auch das ist eher (düsteres) Musiktheater – ETA Hofmann oder Nick Cave sind die Kinder der Nacht.
Hades 2.0 wurde durchgehend mit Musik geplant, als Stück mit einem Musikanten. Vorher wurden von Huber Musikmotive gefertigt und der Text dazugefügt. „Dann haben Gigi und ich das gemeinsam noch einmal aufgearbeitet. Er ist fixer Bestandteil, aber das Stück war vorher schon da.“ Im Dezember wird es nochmals im Bauhof in Ottensheim gespielt und auch weitere Aufführungen im deutschsprachigen Raum sind geplant.
Mit genreübergreifenden, interdisziplinären Projekten bedient Huber mehrere Kunstsparten und Unterhaltungsebenen. Ein Freigeist mit unsinnigem Humor, der Groteske verpflichtet, zwischen Performance, Schauspiel, Musik, Malerei, Installationen etc. Meistens hat seine Multi-Kunst eben einen musikalischen Aspekt, am Rande der Unvorhersehbarkeit. „Performances müssen eine gewisse Spannung in sich bergen. Ich mache das nicht nur des Publikums wegen, sondern mich interessiert es, dem nachzugehen. Mir taugt das, ein bisschen am Sprachbaum zu rütteln. Für mich sind Theatersachen nicht so „Theater-Theater“, sondern sie mischen sich in Richtung Performance. Ein Mittel, um Texte zusammen mit der Performance zu etwas Eigenem zu machen.“
Sein großformatig gemalter Zyklus Paradies – Garten der Verfänglichkeit „ist auch so ein Stoff, wo es darum geht: was ist Paradies? Paradies ist oft auch ein Garten der Verfänglichkeit. Paradies kann relativ schnell kippen. Was mich interessiert, ist die subversive Ebene und Sprache, die es überall gibt, auch in der Natur.“
Seine wohl bekannteste Kunstfigur, Georgie Gold, ist ein abgehalfterter Entertainer der 1970er-Jahre, der aberwitzige Schoten rund um seine berühmten WeggefährtInnen auftischt – und bald ein Comeback feiert. „Demnächst werde ich den GG wieder aus seiner Hüttn holen. GG ist eigentlich ein gewiefter Typ, der auch so surreale Geschichten erzählt. Er tut ja so, als ob er für viele Leute aus dem Showbusiness, wie Mick Jagger oder Brigitte Bardot, Retter oder Triebfeder war. Er selbst stellt sich aber nicht so dar, der ganze Rummel interessiert ihn nicht, er erzählt einfach die Geschichten und singt ein bisschen. Und nutzt das Understatement für Geschichten, die es so nicht gibt. Trotzdem steht er im Mittelpunkt – und bringt sich selbst in eine Position, in der er selbst der Star ist. Mick Jagger hat er etwa den Mund paniert, mit einem Hammer, weil er nie Satisfaction gehabt hat. Ein Surrealist auf höchstem Niveau. Man liebt ihn für seine Geschichten, die man ihm fast auch noch glaubt – das hat einmal jemand darüber passenderweise geschrieben.“
Mit Jens Vetter gibt es außerdem musikalische Auftritte als Vetter_Huber-Duo – Sound Art als eskalierender Industrial-Techno. Oder die Performance-Gruppe The Living Dead Clowns, in der Nachbarschaft der Tiger Lillies. Das Buch Poems For Anarchy (2018) ist ein lyrisch-prosaisch-experimentelles Textbuch mit Fotos und CD, wo die Texte mit Musik vertont werden. Er überlegt, es nochmals herauszubringen.
Ebenfalls im November fand die Produktion der Fabrikanten, Meeting Wittgenstein statt, zu dem Huber eine musikalische Sprachperformance beisteuerte: „Mit einer Zerpflückung der Sprache, weil beim Wittgenstein geht’s auch oft darum, dass er die Sprache sisyphusartig zerpflückt. Ich habe das einfach als Spiegel benutzt und sozusagen meinen Geist durch dieses Gitter gepresst.“
Seine Lebensgefährtin Crystn Hunt Akron hat dazu experimentelle Musik gemacht. Mit der Musikerin und Künstlerin hat er bereits etliche Projekte umgesetzt. So hat sie zum Beispiel die Kostüme für Hades beigesteuert, bei der Regie mitgearbeitet oder vor zwei Jahren in Rijeka beim Kulturhauptstadt-Projekt EBRIPHON aus Geräuschen eines Frachtschiffs eine Komposition gemacht.
Zum Abrunden des gargantuesken Huberschen Werks sei auf seinen eigenen Kanal auf dorf.tv hingewiesen, wo regelmäßig neue Arbeiten zu finden sind, so auch in Bälde Hades 2.0.
Hades 2.0
Bauhof Ottensheim
16. Dezember, KV KomA