Der Feminismus und sein immanentes Befreiungspotetial in Popkultur und Fashion: Riot-Grrrl, Radical Chic, Attitude und die größere soziale Gerechtigkeit – Sarah Held zeigt Beispiele, Widersprüche und Emanzipationspotentiale auf.
Nicht nur in der Mode feiern die 90er Jahre mit der aktuellen Retrowelle eine regelrechte Renaissance, auch innerhalb der Popkultur zeigen sich diverse Phänomene aus den 90ern, allen voran das Revival des Girl-Power-Slogans. Dieser steht für eine vermarktbare feministische Attitüde, die vorwiegend mit der etwas platten Phrase der Spice Girls assoziiert wurde bzw. wird. Ähnlich wie diverse andere massenkompatible Erscheinungen hat auch der popfeministische Spice Girls-Girl-Power-Slogan einen aktivistischen und/oder subversiven Background. Vor dem Bubble-Up zur nahezu inhaltsleeren Oberflächenrhetorik des Pop-Mainstreams der 90er Jahre positionierte sich die punkinduzierte Riot-Grrrl-Bewegung mit emanzipatorischen Slogans wie Revolution Girl Style Now. Diese dienten zur Identitätsbildung und -verortung sowie dezidiert zum aufrührerischen Verhalten, aber vor allem zur Bandenbildung innerhalb einer feministischen Sisterhood. Als genderorientiertes Punk-Subgenre weist die Riot-Grrrl-Bewegung einerseits ästhetische Verwandtschaft zum Punk auf, bildete aber eine eigene Bildsprache heraus, die heute innerhalb der Riot-Grrrl-Retrowelle reproduziert und erweitert wird. (1) Welche Beispiele zeigen sich in der aktuellen Popkultur für die Vermarktung feministischer Slogans bzw. deren Verwendung als Tool zur Identitätsbildung? Es werden vestimentäre Praxen skizziert und die Schnittstelle feministischer Intentionen im Modekontext aufgezeigt.
Nicht nur in sozialen Netzwerken und szeneorientierten Kontexten sind feministische Mode und ein sogenannter Riot-Grrrl-Style sichtbar. Der Onlineshop Feminist Apparel hat sein Sortiment komplett auf Radical Chic ausgelegt, so kann sich dort von Kopf bis Fuß mit feministischem Merchandise eingedeckt werden, glitzernde Accessoires inklusive. Es werden Nischen geöffnet und kleine Untergrund-Designlabels, beispielsweise Indyanna (2) gegründet, die ihre Kollektionen mit aufrührerisch klingenden Titeln wie riots start everywhere benennen und sich in den Kleidungsstil von Riot-Grrrl-Bands wie Bikini Kill, Bratmobile oder Le Tigre verorten.
Was früher als subkulturelle Do-it-yourself-Mode der Riot-Grrrl-Bewegung entstand, wurde mittlerweile über Indie-Labels bis hin zu globalen Modeketten kommerzialisiert. Den endgültigen Schritt weg von der Szene markiert das T-Shirt mit dem Druck der Lexikon-Definition des Substantivs „Feminism“ des schwedischen Modehauses H&M aus dem Jahr 2015.
Die Verwendung von feministischen Symboliken und Bildsprachen unter kapitalistischen Interessen großer globaler Marken ist kritisch zu betrachten und auch hier muss wie bei verschiedenen aktuellen feministischen Erscheinungen in der Produktvermarktung das Framing mitgedacht werden: Wer agiert, wie wird agiert, was sind die Rahmenbedingungen und unter welchen Prämissen werden welche Absichten verfolgt? Im Beispiel der H&M-Kampagne handelt es sich weniger um eine ideell orientierte Massenverbreitung von feministisch-emanzipatorischen Inhalten denn um eine kapitalistische Verwertungslogik. Feminismus wird hier zur zentralen Marketingstrategie hipper Labels reduziert und als solche vermarktet. Aktivistisch bleibt es eher an der Oberfläche, wenn Jacken mit glitzernden Riot-Schriftzügen verziert werden, wie beispielsweise beim Start-Up Indyanna aus Berlin. Bildsprachlich wird hingegen modische Selbstdarstellung mit feministisch-subversiven Inhalten assoziiert. Ein weiteres Beispiel für die Verwendung von feministischer Bildsprache und -ästhetik ist Karl Lagerfelds Inszenierung im Rahmen der Ready-to-wear-Modenschau 2014. Der Catwalk sollte den Eindruck einer Frauenrechtsdemonstration erzeugen. Dabei liefen die Models mit Demo-Transparenten über den Laufsteg und forderten allerdings statt Gleichberechtigung ihr Recht auf Luxusmode von Chanel ein. Feministisches Potential versteckt sich hier nicht, denn die Darstellung beschränkt sich auf eine inhaltslose Repräsentation, die weder das subversive noch das feministische Moment der referenzierten Ästhetik reproduziert, besonders im Hinblick auf die körperfeindlichen Zitate des Designers. (3)
Popkultur und Mode wird häufig vorgeworfen, feministische Maxime als Marketingstrategie zu verwenden. Das geschieht zum Beispiel bei der Pop-Sängerin und Aktivistin Beyoncé Knowles, deren feministisches Engagement und öffentliche Selbstbezeichnung als Feministin in radikal-feministischen Kreisen kritisch diskutiert werden. (4) An dieser Stelle muss eingeworfen werden, dass eine Ikone wie Beyoncé größeren Einfluss auf ein breites, zumeist junges Publikum hat als die einschlägigen Diskussionen der Genderforschung und radikal-aktivistischer Gruppierungen. Allerdings erweisen sich jüngst publizierte Tatsachen bezüglich der Produktionsbedingungen von Beyoncés Modelabels Ivy Park als problematisch. Das Label nutzt zur Produktion der Designs Kollaborationen mit Fast-Fashion-Derivaten wie TopShop und lässt in Sweatshops in Sri Lanka produzieren. (5) Hierbei zeichnen sich die üblichen Problematiken kapitalistischer Konsumkultur ab. Das Beispiel der Sängerin Beyoncé wird allerdings im Diskurs auf einer anderen Ebene verhandelt, denn durch ihre feministische Einschreibung und ihren Black-Movement-Aktivismus in den USA werden solche Skandale medial besonders gern verwertet. Es ist allerdings auch eine berechtige Entrüstung.
Richten wir – im Zusammenhang mit den Produktionsbedingungen – den Fokus auf die mexikanischen Sweatshops (Maquiladores) von Ciudad Juárez, um zu zeigen, dass mit Modepraxen auch Handlungsmacht geschaffen werden kann. Die Grenzregion ist bzgl. der Femicides seit den 1990er Jahren immer wieder im Gespräch, weil dort seitdem mehrere hundert bzw. tausend Frauen getötet wurden und verschwunden sind. Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen Femicides und Maquiladores, da dort Frauen in der Mehrzahl arbeiten und häufig auf dem Weg zur Arbeit verschwinden. (6) Neben verschiedenen künstlerischen Auseinandersetzungen (z. B. Desconocida Unknown Ukjet) oder Menschenrechtskampagnen (z. B. FEMAP) ist die Modemanufaktur NI EN MORE ein Versuch, die Situation für Frauen in Juárez zu verbessern. Dabei handelt es sich um ein junges Modelabel, das 2018 Marktreife erlangen möchte. Sie propagieren Ziele wie beispielsweise ein nachhaltiges Geschäftsmodell von, mit und für Frauen aus Juárez. Das Label erzeugt dabei Mode vor Ort, mit allen Produktionsschritten von Design bis Textilherstellung. Das beinhaltet nicht nur einen de-globalisierten Herstellungsprozess der Kleidung, sondern auch eine soziale, gar aktivistische Intention. Denn die Initiator*innen versuchen mit ihrer Strategie, sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen sichtbar zu machen und alternative Arbeitsmöglichkeiten für Frauen in Juárez zu schaffen. (7) Die sozioökonomischen Bestrebungen des Modelabels zeigen deutlich eine ethisch-moralische Komponente von Modeherstellung im Kontext von feministischen Aktivismus. Schließlich ist die Branche dafür bekannt, sehr häufig unter ethisch fragwürdigen Bedingungen zu produzieren. Das betrifft Designware genauso wie massengefertigte Normkleidung der großen Modehäuser. Natürlich gibt es hier Ausnahmen, die bewusst auf den LOHA-Trend setzen und fair herstellen lassen.
Hinsichtlich einer anderen, technologisch orientierten Entwicklung: Seit einigen Semestern kann man an der Linzer Kunstuniversität den Studiengang Fashion & Technology studieren. Der Studiengang scheint ein Experimentalfeld zu sein und setzt auf Technik. Bei einem Besuch der Werkstätten und einer Führung durch die Räumlichkeiten in der Tabakfabrik wird deutlich: hier soll ein neuer Wind wehen. Ich spüre einen Hauch von Aufbruchsstimmung dort, wo Mode mit Technologie kombiniert wird und damit neue Wege begangen werden sollen. Bei so viel wahrgenommenem Aufschwung ist auch eine feministische Note deutlich spürbar. Gerade in Bezug auf Körpernormierungen und Körperpolitiken scheint sich in Linz etwas zu tun. Möglicherweise gelingt es im lokalen Experimentalraum, die mächtigen körperfeindlichen Diskurse an der Schnittstelle von Mode und Technologie mit Innovationen möglicherweise zu schwächen. (8)
Zum Abschluss möchte ich zur poppigen Feminismusvariante zurückkehren und betonen, dass im Sinne eines Spread-the-word die aktuellen Entwicklungen durchaus förderlich für die Verbreitung feministischer Intentionen sind, um Nachwuchs für die Sisterhood zu gewinnen. Zudem verhilft die Popvariante Feminismen zu einem Imagewechsel: sich buchstäblich in neuem Kleid zu zeigen. Kurzum, es trägt dazu bei, die Attraktivität einer feministischen Selbstbezeichnung zu erhöhen, denn es gilt in bestimmten Kreisen als schick, Feminist*in zu sein. Zudem wird möglicherweise einen Einstieg bereitet, sich auch tiefergehend mit der Materie zu beschäftigen und nicht nur feministisch motivierte Bildsprachen auf Textilien zu tragen.
1 www.missy-magazine.de/2016/05/30/riot-grrrl-chic
2 www.indyanna.squarespace.com
3 www.pop-zeitschrift.de/2014/10/12/mode-oktobervon-sabina-muriale12-10-2014
4 www.theeuropean-magazine.com/julia-korbik–3/9500-feminism-as-a-trend
5 www.huffingtonpost.com/michael-shank/how-beyonces-ivy-park-lab_b_10143234.html?guccounter=1
6 Tipp: Lourdes Porillos Dokumentation Señorita Extravida – Missing Young Women
7 Weiterlesen auf www.nienmore.com/home
8 www.ufg.at/Fashion-Technology.11325.0.html