Die HipHop-Band Texta wird wieder mit Theater-Agitprop-Edutainment aktiv – und der ihnen eigenen popavantgardistischen Version vom totalen Theater. Ein Vorgeschmack auf „Welcome to Astoria“, das im Oktober im Musiktheater Premiere hat. Von Christian Wellmann.
Mit dem furiosen Stück „Max’n Morizz“ gelang einem entfesselten Ensemble 2013 ein Überraschungserfolg, Wiederaufführungen inklusive. So etwas kannte man bis dahin eigentlich gar nicht in Linz: modernes, risikoreiches, aufrüttelndes („Crossover“-)Theater und Publikumserfolg – ohne steifen Kragen, so ganz und gar nicht provinzmiefig. Wahrlich modernes Theater. Ein leicht verändertes Kollektiv geht nun in die zweite Runde: Welcome to Astoria ist eine Rap- & Live-Zeichen-Performance, mit der HipHop-Band Texta und Lukasz Aleksander Glowacki aka Mamut, frei nach Jura Soyfers Astoria – von Dominik Günther und Franz Huber.
Ein Landstreicher (gespielt von Aurel von Arx) erfindet einen Staat – dass dieser Staat real nicht existiert, ist bald allen egal: Das zeitlose Soyfer-Stück ist aktueller denn je, wo Asylsuchenden Menschenrechte abgesprochen werden – oder gar das Menschensein –, wo der Begriff „Staat“ gründlichst hinterfragt gehört und Passivität King ist. Verborgene Wahrheiten sollen zum Vorschein gebracht werden, das „Totale Theater“ (Antonin Artaud) beschwörend, und es gilt via ZuseherInnen-Einbindung und Nutzung möglichst verschiedener Bereiche künstlerischen Ausdrucks eine magische Sogwirkung zu erzielen: Begrifflichkeiten wie Staat/Vaterland/Utopie sind zu hinterfragen.
Dazu Agitprop und Edutainment von Texta, gewohnt stilsicher, als gelenkiger Soundtrack und politisches Bindemittel zum Umschiffen der Hoffnungen und Sehnsüchte der Astoria-ProtagonistInnen – inklusive einem veritablen Hit-Ohrwurm namens „Astoria Party“ und einem jazzigen Song namens „Reimverbot“. „Der Staat findet in unseren Köpfen statt“ (so Huckey von Texta) oder: „Der Staat ist Disco“ (Laima).
Spannend auch das zeichnerische Moment, eingebracht von Mamut: „Ich werde das Theaterstück künstlerisch begleiten, d. h. live Zeichnungen auf Papier anfertigen, die mit einer Kamera zeitgleich auf die Bühne übertragen werden. Damit sollen geplante Ideen umgesetzt werden, sowohl als auch spontan auf das Stück agiert und improvisiert werden. Jede einzelne Vorstellung wird etwas anders aussehen“, so der Linzer Graffiti-Künstler, der zur Crew Cancontrollers gehört. Mamut bemalt und besprüht Wände, Leinwände, macht mit Antilog Live-Painting-Performances, zeichnet viel spontan und versucht aus dem Moment heraus etwas zu kreieren. „Ich finde es immer spannend, wenn unterschiedliche Kunstformen – wie Schauspiel/Malerei – aufeinander treffen, man kann da am meisten voneinander lernen. Man darf sich bei Astoria aber kein klassisches Graffiti vorstellen: Es wird skizzenhaft, dekorativ werden, viel Schwarz/Weiß. Bei Ausstellungen sieht man nur fertige Bilder, bei Astoria wird man die Entstehung mitverfolgen können.“
Ab Oktober 2015 sollte man sich dieses neue Prunkstück unangestaubten Theaterhandwerks mit szenischen Kunstgriffen über der Gürtellinie nicht an sich vorbeiziehen lassen. Ach ja: schnell Karten sichern!
In der Folge gibt nun Dominik Günther (Inszenierung) einen ersten Einblick ins Astoria-Universum. Günther ist seit 2005 freier Regisseur mit Arbeiten am Thalia Theater Hamburg, Deutsches Theater Berlin, Landestheater Linz, etc. er arbeitet auch immer wieder in der freien Szene, zuletzt mit dem Stück „Die Dinge meiner Eltern“ von und mit Gilla Cremer. Er gewann den österreichischen Theaterpreis „Stella“ (2009) mit seiner Inszenierung „Clyde und Bonnie“. Inszenierte fürs Goethe Institut Hanoi den „Kaukasischen Kreidekreis“ von Brecht, heuer wird es eine weitere Inszenierung am Staatstheater Hanoi geben: Das Kinderstück „Der Fischer und seine Frau“. Darüber hinaus weiter als „Trashentertainer“ Nik Neandertal aktiv, mit seiner Band themotherfuckinggang, als Hymnensänger bei der Hamburger Kult-Veranstaltung Rock& Wrestling und mit einer eigenen Punk-Karaoke-Show auf St. Pauli.
Wie legst du die Inszenierung/Regie von Welcome to Astoria an, was ist speziell?
Günther: Welcome to Astoria ist kein geschlossenes Theaterstück, sondern es wird vieles an jedem Abend neu entstehen. Die Zuschauer sind zum Beispiel aktiv dabei. Sie werden zwar keinen direkten gestalterischen Eingriff in den Abend haben – sie haben aber die Möglichkeit, Bürger eines neuen Staates, dem Staat Astoria, zu werden und nehmen quasi an der Staatsgründungsparty teil. Somit ist jeder natürlich aufgefordert mit zu überlegen, in welchem Staat bzw. System er leben möchte. Und wo der Reiz, aber auch die Fallen von Utopien liegen. Grundvoraussetzung für die Teilnahme ist allerdings, dass man sich für ca. eineinhalb Stunden von seiner bisherigen Realität trennen muss, indem man sein Mobiltelefon nicht mit in den Saal bringen darf.
Du arbeitest als Regisseur oft mit „fächerübergreifenden“ Ensembles, mit Musik, Puppenspiel, etc.?
Da ich in meiner Band selbst ja auch noch Musiker bin, komme ich sowieso ständig mit diversen Kunstformen in Berührung und arbeite neben „klassischen Theaterformen“ immer wieder mit anderen Kunstgattungen zusammen. Somit ergeben sich neue theatrale Ausdrucksmöglichkeiten und überraschende Kombinationen. Ich kann Theater natürlich nicht neu erfinden, weil schon so ziemlich alles gemacht wurde, was möglich ist. Aber ich kann immer neu ansetzen und neue Impulse weiter entwickeln.
Wird Zeichnung und HipHop in Astoria verwendet, weil es provozieren/wachrütteln soll, wie das Stück selbst?
In Astoria soll es Wahrnehmungs- und Realitätsverschiebungen geben. Einmal die gezeichnete Realität, die sich mit einer filmischen, aber auch mit einer darstellerischen Ebene vermischen kann. Dazu kommt dann noch das gerappte Wort, das ebenfalls mit der Zeichnung, mit dem Zuschauer und auch mit Auszügen des Soyfer-Textes kollidiert bzw. koaliert. Ob alles Sein doch nur Schein sein wird, werden wir ja sehen. Das zeigt: wir haben viel vor mit diesem Abend! Ob sich dies alles einlöst, weiß man nie, sicher ist jedenfalls, dass diese Form absolut neu ist. Also: unbedingt teilnehmen!
Wie sind deine Erfahrungen mit dem Musiktheater, ihr habt ja dort das Stück „Max’n Morizz“ sehr erfolgreich aufgeführt?
Es ist toll, dass das Musiktheater offen ist für solch genreübergreifende Projekte und damit seinem Versprechen nachkommt, sich auch der Subkultur der Stadt zu öffnen. Natürlich ist das bei einem so großen Apparat wie dem Musiktheater ein enormer organisatorischer bzw. dispositorischer Aufwand, sodass der Planungsvorlauf für so ein Projekt sehr lang ist. Aber alle geben wie immer Vollgas – und ich bin sicher, dass am Ende genau wie bei Max’n Morizz etwas ganz Großes dabei herauskommen wird!
Welcome to Astoria, Uraufführung: 23. 10. 2015, BlackBox Musiktheater, Linz