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Fortgehen mit der Neuen Beverly
Ich bekomme als neu gemeldete Bürgerin der Stadt Linz ein Gutscheinheft für städtische Einrichtungen und beschließe, den Bädergutschein einzulösen, sitze wenig später in einer Wärmekabine. Der Mann gegenüber beginnt ein Gespräch darüber, dass heute „wenig los“ ist. Drei Frauen kommen rein, zuerst stilles Schauen, dann er zu einer der Frauen: „Ich war schon sieben Mal auf Kur, das Herz!“. Gefühlter Stolz. Eine Frau verlässt die Kabine. Er sagt auf einmal: „Die Dame hat gar nicht geschwitzt.“ Plötzliche Hinwendung zu mir: „Schwitzen Sie?“. Alle Blicke auf mir.
Kurz später bin ich draußen aus der Kabine und bewege mich durch die Becken. Heute hat das hier etwas von der Stimmung eines Sanatoriums. Im warmen Wasser sitzen Leute, die Erholung brauchen, Burnout-Rekonvaleszente und Arbeitsrückkehrer. Ich fange im Sprudelbecken für einen Moment den Blick eines Mannes auf, der starr und mit hochgeklebtem Augenlid ins Leere schaut, das Bild bleibt hängen. Er kommt mir wie eine stille und zugerichtete Figur vor. Die notdürftig zusammengeflickte Menschenhaufenwirklichkeit als Beibild zur Weltillusion. Das Wasserbecken als zynische Regenerationszone der brutalen Welt da draußen. Etwas später, auf dem Weg in den Ruhebereich begegne ich wieder dem herzkranken Connaisseur, der mit seinem ununterbrochenen und lautstarken Reden so tut, als ob er hier alleine zuhause wäre. Und weil er auch mit den Angestellten ausführlich über Außerirdische wie A. Gabalier, J. Heesters oder E. A. von Hannover diskutiert, stelle ich fest, dass er tatsächlich hier zuhause ist, im Gegensatz zu mir, die ich hier nur meinen werbemäßig versprochenen „Wellness-Kurzurlaub“ verbringe. Als es um den Geruch der dazukommenden Ehefrau geht, wird es kurz indiskret, denn sie stellt richtig, dass sie sicher nicht fischle, denn sie habe Hühnerbrust gegessen.
Am späten Nachmittag auf dem Weg zur Donau werde ich von einem Mann angesprochen, den ich nicht sehr gut verstehe, der aber 300 Euro braucht, um nicht am selben Abend delogiert zu werden – die Caritas habe ihm nur einen kleinen Betrag gegeben. Als ich ihm auf die vorgeschlagenen 100 Euro zwei Euro geben will, beginnt er zu weinen und sagt: „Bitte, liebe Frau, wenigstens 10 Euro“. Ich rede am Abend mit einer Freundin darüber. Wir sitzen in einer Bar und sie erinnert sich, dass ihr etwas Ähnliches passiert ist und wir rätseln, ob das auch tatsächlich derselbe Mann gewesen sein könnte. Beiden ist uns schon passiert, dass bei Unzufriedenheit über den gegebenen Betrag laut geschimpft wurde. Zuerst Weinen und dann plötzlich Wut … und wir verstehen es ja. Vor allem wenn es um Differenzen von zwei zu 100 Euro geht. Wir fühlen uns beide hilflos. Im Aquarium spricht uns dann ein kleiner knorriger Typ an und schimpft los. Wortbrocken und Satzteile machen langsam Sinn. Er empört sich über so einiges und fasst dann zusammen: „Überall auf der Welt erleben Menschen schlimme Sachen, Katastrophen, Kriege, Flucht, wirklich schlimme Sachen, aber hier in Europa glauben die Leute, es sei hart, den Jakobsweg zu gehen“. Nachsatz, bevor er abzieht: „Europäer sind solche Idioten“. Wir sehen ihm nach. Plötzlich changiert das Empfinden. Ich bemerke, dass die zehn Euro, die ich am Nachmittag hergegeben habe, die zehn Euro waren, die ich mit meinem Gutscheinheft für Neubürgerinnen beim Eintritt ins Bad gespart habe. Mein Neusein in der Stadt ist übrigens relativ, ich arbeite und lebe hier schon seit Jahren, war nur nicht gemeldet. Mein erster offizieller Tag als Linzerin hingegen, das sage ich zu meiner Freundin: Gutsein auf Gutschein. Das sage ich nochmal und rufe es schon fast ins Lokal hinein: Gutsein auf Gutschein! Immerhin ist die Ersparnis wieder weg, das sage ich dann auch noch meiner Freundin: Ich bleibe somit der Stadt nichts schuldig. Wenigstens das. Und ich sage noch: Gut so! Als ob irgendetwas gut wäre.