Die Referentin #2 - Beiträge der Ausgabe

Weg mit den Menschen!

Tanja Brandmayr | Kunst und Kultur, 1. Dezember 2015
Die Referentin #2

Die Installations-, Foto- und Filmkünstlerin Tea Mäkipää ist mit der Ausstellung „Years after Zero“ bis 5. Februar im Kunstraum Goethestraße zu sehen.

Menschen und Tiere – bis einer den anderen wieder frisst. Foto Tea Mäkipää

Menschen und Tiere – bis einer den anderen wieder frisst. Foto Tea Mäkipää

Years after Zero – das klingt ein wenig nach Tabula rasa, steht aber auch für die Werkschau von Tea Mäkipää, die im Kunstraum Goethestraße (fast) mit den 00er-Jahren beginnend präsentiert wird. So werden im Hauptraum Mäkipääs Arbeiten größtenteils als dokumentarische Bilder von Projekten der letzten 17 Jahre zu einer Timeline aneinandergereiht: auch als Abbildung der menschlichen Hybris, der Gier und der Arroganz des denkenden, sprechenden und technologieentwickelten Menschen.
Die in den Projekten dargestellte Sehnsucht nach verantwortungsvoller Lebensführung äußert sich als Kampagne, etwa für bedrohte Tierarten. Die lösungsorientierte Hinwendung zu einer anderen Möglichkeit von Natur führt zu Projekten mit ungewöhnlichen Schutzzonen: Tiere wohnen mitunter in mit Pflanzen bewachsenen Auto-Innenräumen: zu wenig Platz sonst fürs Wildlife. Auch wenn es um die Domestizierung des Menschen geht, sieht die Situation nicht rosig aus: Das wilde Leben ist an der Fassade möglich, zum Beispiel in einer „parasitär“ angebrachten Hütte in den luftigen Höhen der Stadthäuser. Das Domus selbst ist – in anderen Projekten – wiederum ein kippendes Konstrukt, manchmal entkernt, bzw. ohne Wände, auf Infor­mations- und Versorgungsströme reduziert. Oder, anderes Projekt: Die Öl-Epoche wird zu Grabe getragen – im Petrol Engine Memorial Park … Insgesamt, das Schicksal jeder neuen Technologie: Die erhoffte Lösung führt in den nächsten Irrtum.
Und immer wieder: Projekte mit oder über Tiere, mit oder über die Natur. Ethik. Dass Menschen, Tiere und Natur in einem hierarchiefreien Miteinander leben, das vermittelt an manchen Stellen schon beinahe surreal anmutende Seligkeit (siehe Abbildung und Titel, „World of Plenty“), und steht wohl als fantastisches Wunschbild gegen die Ungleichheit, Verschärfung, Ausbeutung, Verdrängung der Lebewesen. Dass bei Mäkipää gerne mal auf den Trick des „Augenzwinkerns“ zurückgegrif­fen wird, verschleiert aber großzügig, dass der Ernst hier konfrontativ auftritt. Denn spätestens beim Projekt „Recycled“, das die Wiederverwendung von Grabsteinen thematisiert, auf denen etwa „übermeißelte“ Namen abgelesen werden können, verwischt jeder heitere Individualismus. Ne­benbei geht es um die Information, dass die zeitliche Befristung der Grabstellen zu kurz bemessen ist: Zu wenig Zeit also für den Menschen, um zu verwesen. Doppeldeutige Gefühle entstehen: Von wegen, dass der Mensch selbst im Tod noch immer zu wenig Zeit hat – und wann er endlich ganz weg sein wird. Spätestens jetzt ist klar, dass es um eine ernste Angelegenheit geht.
Im Untergeschoß des Kunstraums eine wichtige Ergänzung durch Objekte, Malereien und Videos. Das Bärenprojekt „Prima Carnivora“ besteht, noch einmal unerwartet gewendet, allerdings aus Malereien und Skulpturen des finnischen Braunbären Juuso und seiner Bärenmutter Tessu, die im Predator Center in Finnland leben. Die Tiere stellen für Tea Mäkipää Kunst her. Ein skurriles Setting, das die ausgestellten Büsten einem Dokumentationsvideo gegenüberstellt, in dem sich die Bären im Gehege insgesamt als freundlich kooperierend, aber dennoch auch als gnadenlose Materialzerkleinerer erweisen. Belustigend dabei der Bezug zu Jonathan Meese, den Tea Mäkipää durch das Setting eingebracht hat: Sie zitiert damit die Arbeitspraxis eines Künstler-Superstars, der, Mäkipää sinngemäß im Gespräch, ebenso nur durch die von seinen zig Angestellten vorgefertigten und aufgestellten Büsten durchgeht – um sie zu „finishen“. Soviel zur Kunst per Prankenhieb – und wie Natur, Kunst, Mensch, Tier im ethischen Spiel zueinander und gegeneinander stehen. Empfehlenswerte und bisher umfassendste Schau der finnischen Künstlerin! Und besides: Nicht nur Kunstbubi Juuso firmiert mit seiner Bärenmutter Tessu aktuell in Linz. Ein Bild vom angesprochenen Meister Meese ist zurzeit in der Lentos-Schau Rabenmütter zu sehen: die „Mutter Meese“. Anderer Kontext, auch sehr gut.

TEA MÄKIPÄÄ – Years After Zero
Die Ausstellung läuft bis 5. Februar 2016.
www.kunstraum.at
www.tea-makipaa.eu

Tanja Brandmayr
ist unter anderem Autorin, Künstlerin und Redakteurin der Referentin.
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