Die Referentin #2 - Beiträge der Ausgabe

Auf zum Geflecht

Stephan Roiss | Kunst und Kultur, 1. Dezember 2015
Die Referentin #2

Zweifelsohne zählt das „Music Unlimited“ zu den spannendsten Festivals Österreichs. Von 6.–8. November ging es zum 29sten Mal über diverse Bühnen von Wels. Stephan Roiss über drei Tage voller grenzüberschreitender Musik im Schatten des Rechtsrucks.

In Wels eröffnete Agnes Hvizdalek mit geschlossenen Augen ein Universum. Foto WaWo

In Wels eröffnete Agnes Hvizdalek mit geschlossenen Augen ein Universum. Foto WaWo

Kuratiert wurde das heurige „Unlimited“ von Christof Kurzmann, der als Musiker bereits etliche Male das Festival be­reicherte. Der Wiener (und passionierte Teilzeit-Argentinier) agiert auf der Bühne vorwiegend mit Laptop, Saxophon oder Stimme und wird international geschätzt – nicht nur für seine künstlerische Qualität im engeren Sinn, sondern zudem für seinen offenen und unprätentiösen Zugang zu Klangkunst aller Art. Für Eingeweihte war rasch klar, dass sich hinter dem Untertitel des diesjährigen Festivals – „charhizmatic music“ – mehr als nur ein abgeschrägter Wortstamm verbirgt. Denn Kurzmann ist auch Gründer des Labels „charhizma“ (das mittlerweile keine Musik mehr veröffentlicht, aber wei­ter als Veranstaltungs- und Vernetzungsplattform fungiert). Und im Namen „charhizma“ wiederum wird das Wörtchen „Rhizom“ mitgedacht. Dieser ursprünglich biologische Terminus wurde in den 1970ern von Deleuze und Guattari aufgegriffen, metaphorisch aufgeladen und zur Beschreibung von kulturellen Systemen vorgeschlagen. Statt mit strengen Hierarchien und wertenden Oben-Unten-Schemata operierten Deleuze/Guattari mit komplexen Netzstrukturen, deren Knotenpunkte alle miteinander in Verbindung stehen und folglich auch vielfältig Einfluss aufeinander üben können. Auf das Gebiet der Musik angewandt eröffnet sich so ein Denkhorizont, in dem etwa die Grenzen zwischen E- und U-Musik, zwischen Under- und Overground oder zwischen diversen Stilen porös, durchlässig, nichtig werden. Und aus der Theorie speisen sich Aktionspotentiale, konkret: Musik ohne Scheuklappen und Schubladen, ohne elitären Duktus, aber auch ohne reaktionäre Neidkultur, die alles im Mainstream angekommene a priori verurteilt. Unlimited eben.

Passend zum Festival also, das programmatisch im Free Jazz verwurzelt ist, aber genreübergreifend Raum für alle Arten von improvisierter, experimenteller, progressiver, konzeptuell arbeitender, auf irgendeine Weise entgrenzender Musik bietet. So wurde das Unlimited 2015 zwar einerseits Ornette Coleman gewidmet: eine Ausstellung von Plattencovern des kürzlich verstorbenen Free Jazz-Pioniers flankierte das Live-Geschehen und das Eröffnungskonzert bestand wesentlich aus Interpretationen von Arbeiten Colemans. Andererseits kam beim Techno-Set von Ventil, mit der hervorragenden Schlagzeugerin Katharina Ernst, Clubstimmung auf, während Leonel Kaplan und Klaus Filip mit extrem reduzierten Tonmaterial die Stille rahmten. John Cage, schau owa. Der Solo-Auftritt Michael Zerangs wiederum überraschte zweifach: Zum einen präsentierte sich der renommierte Schlagzeuger als Gitarrist und zum anderen gab er ungewöhnlich konventionelle Singer-Songwriter-Nummern zum Besten. Das Unlimited versammelte – bei ausgewogenem Geschlechterverhältnis – wieder einmal Szenegrößen aus nah und fern: von Carla Bozulich, Irène Schweizer, Isabelle Duthoit über Christian Fennesz und Burkhard Stangl bishin zum legendären DKV Trio (Hamid Drake, Kent Kessler, Ken Vandermark), das zum Abschluss des Festivals ein konstant hochenergetisches Improvisationsgewitter entladen sollte.

Wie üblich wurden die Konzerte ab 19 Uhr im Alten Schl8hof absolviert, während samstags und sonntags Nachmittag andere Locations in der Stadt bespielt wurden (Pavillon, Stadttheater, Medienkulturhaus). Unüblich hingegen war die Dichte des Abendprogramms. Selbst wenn man wollte – und auf das delikate Essen, Pausenplausch und Ruhephasen verzichtete – war es de facto unmöglich, allen Auftritten zur Gänze beizuwohnen. Denn zwischen den Saalkonzerten wurden in einem Nebenraum mit begrenztem Fassungsvermögen knackige Solokonzerte dargeboten. Darunter Sets von Vokalistinnen, Agnes Hvizdalek etwa, die mit geschlossenen Augen ein Universum eröffnete, Vinyl-Zauberer Dieb 13, insgesamt vier Pianistinnen (besonders beeindruckend: Katharina Klement und Elisabeth Harnik) oder dem ewig frischen Altmeister Franz Hautzinger, der leider mit technischen Problemen konfrontiert war. Auch der geheime Höhepunkt des Festivals fand auf der Nebenbühne statt: Der Drummer Didi Kern (BulBul, Fuckhead) hat in den letzten Jahren verstärkt gezeigt, dass er nicht nur als wuchtiger Weirdrocker, sondern auch in cleaneren Impro-Gefilden zu Höchstleistungen fähig ist. Sein Sologig erfrischte mit einer tadellos tighten Tour de Force durch die Stilistiken, punkiger Performativität und einer herzhaften Brise Helge Schneider.

In den Veranstaltungssälen des Alten Schl8hofs unterstützten Projektionen die Atmosphäre. Matrixgrüne und sattgelbe Geflechte – fraglos Verweise auf das Rhizom von Deleuze/Guattari – waberten lang­sam über schwarze Bildflächen. Auch Worte wurden eingeblendet: „Nehmt euch, was ihr wollt“ etwa oder „refugees welcome“. Das Unlimited hat seit jeher nicht nur musikalische, sondern auch gesellschaftspolitische Grenzziehungen hinterfragt. Es ist kein Geheimnis, das sowohl der veranstaltende Verein Waschaecht als auch der Schl8hof nie Liebkinder kulturkonservativer Kräfte gewesen sind. Nach den jüngsten Wahlergebnissen auf Landes- und Stadtebene (blau-schwarze De-facto-Koalitionen, erstmals ein blauer Bürgermeister) könnten die Zukunftsprognosen also wahrlich rosiger aus­fallen. Wolfgang Wasserbauer (Wasch­aecht & Schl8hof): „Besser wird es sicher nicht! Für Unlimited 30 gibt es noch eine Fördergarantie seitens der Stadt Wels, danach wird man weitersehen. Die kulturpolitischen Signale der FPÖ, so es solche überhaupt gibt, gehen Richtung Massenveranstaltungen, also Richtung Ausverkauf und Transport von kulturellen Werten ins Wirtschaftsressort. Welche Auswirkungen das auf die freie Szene hat, wird man sehen. Mir schwant nichts Gutes.“ Aber die Köpfe werden nicht in den Sand, sondern zusammengesteckt: „Wir sind sozusagen am ‚Sammeln und Basteln‘, am Ideen und Strategien Entwickeln. Es wird was geben müssen, das ist klar!“ Im Rhizom gibt es mannigfaltige Kräfteverhältnisse, absolute Ohnmacht gibt es keine.

www.musicunlimited.at
www.waschaecht.at
www.schlachthofwels.at

Stephan Roiss
Autor & Musiker. Musikalisch aktiv bei Äffchen & Craigs, Fang den Berg, MULM und Kassa 4. Seine Hörspiele wurden u. a. im SWR, MDR und Deutschlandradio Kultur ausgestrahlt. Sein Debütroman Triceratops war 2020 für den Deutschen Buchpreis nominiert. www.stephanroiss.at
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