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Das hypnotische Drängen auf ein Festival hin

By   /  1. März 2024  /  No Comments

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Festivalprogrammen gehen Einreichungsprozedere voraus – so auch der Local-Artist-Schiene des Filmfestivals Crossing Europe 2024. Ralf Petersen stellt hier drei Einreicher*innen vor und geht der Frage nach, was Filmschaffende über die Motivation zum Filmmachen und den Stellenwert von Festivals zu sagen haben. Zu den 172 Local-Artist-Einreichungen gehören übrigens gleich drei von Petersens eigenen Filmen. Der Autor, der auch Filmemacher ist, beginnt mit sich selbst.

Als Jugendlicher waren es Stunts und Skateboarding, die mir Lust auf die filmische Ausdrucksform bereiteten. Mit Punker Motte und Klassenkamerad Niklas drehte ich Stange und Klotz, eine episodische Komödie über zwei Freunde, die auf ein Konzert gehen wollen, sich aber den Eintritt nicht leisten können. Internet hatte ich keins, weswegen der Film auf dem Youtube-Kanal von Schulfreund Hendrik landete – mein erster Verleiher! Das nächste Filmprojekt war ein Horrorkurzfilm über eine drei Meter große, schwebende Wurst, die die Residenzstadt heimsucht. Kleopatra muss mit ihren Freund*innen das Rätsel um den Fluch lösen. In diesem Fall hab ich mit Cornelius zusammengearbeitet, der mir sagte, man dürfe nicht einfach irgendwas filmen. Jedes Bild müsse mühevoll austariert sein. Wir haben eine Premiere in einer ehemaligen Schlachterei gemacht. „Regie seh ich bei dir nicht“, meinte Metzgerdarsteller René. Bei einem Q&A hat ein Screeningveranstalter zu mir gesagt, Wurst sei „kein Film, sondern ein viel zu langer Scherz“.

Ab 2022 habe ich das Arbeiten mit Found Footage und Appropriation derselben begonnen. Bei der Veranstaltungsreihe Unortiges Kino von Laura Rumpl durfte ich ein paar meiner filmischen Skizzen zeigen, unter anderem auf einem Parkplatz unter einer Autobahnbrücke – den Ort hatte man durch eine Art Schnitzeljagd finden müssen. Im Herbst 2023 ermutigte mich mein Dozent Dariusz Kowalski dazu, mein Projekt Auf der hohen See bei der Diagonale einzureichen. Super: Nach der Abgabe wäre ich befreit von dem Materialhaufen und dem Zwang, ihn weiter zu formen. Ich wütete über dem Material. Die Deadline war da, ich schickte die Bewerbung ab. Ein wenig später war auch die Abgabefrist für’s Crossing Europe, für das Local Artist Programm. Da schickte ich meinen Film auch hin. Experimentalfilmdozent Siegfried A. Fruhauf riet mir, „alles, was du hast“ hinzuschicken. Das Crossing Europe solle mal schauen, sagte er, „dass sie so viel wie möglich zeigen“ von den örtlichen Filmschaffenden. Möglichkeit zur Mitgestaltung. Also schickte ich auch zwei meiner Super-8-Produktionen hin.

Das Crossing Europe gibt’s seit 2004. Das Besondere an dieser Gründungszeit war aus Sicht von Filmschaffenden die zugänglicheren Produktionsbedingungen. In den 90ern, sagt Fruhauf, hätte man Filme, die etwa auf Mini-DV oder VHS gefilmt wurden, nicht bei einem Festival zeigen können. Hier war alles auf die Projektion analogen Filmmaterials ausgelegt. „Du hättest deinen VHS-Film auf 35mm kopieren müssen.“ Video wurde damals in den Bereich bildende Kunst geschoben: Ausstellungen statt Kinosäle. Das hat sich um 2000 geändert. Auf einmal gab’s Beamer in den Kinos. Spartenmäßig lief es bei den Festivals anfangs noch getrennt, aber der gemeinsame Rahmen war da. Bei einer Exkursion des Experimentalfilmkurses ins Filmmuseum Wien sagt uns Mitarbeiterin Anna Sophie Dohnalek: „Der Film ist ein Kunstwerk, welches wir auf der Leinwand ausstellen.“

Fruhauf ist dem Crossing Europe seit dem Beginn verbunden. Für die erste Ausgabe steuerte er den Teaser bei, Phantom Rides, der auf die Ursprünge des Films als Jahrmarktattraktion verweist. „Das hypnotische Drängen hin auf ein Zentrum, auf die Coming Attraction zu: das anstehende Festival“, beschreibt Regisseurin Maya McKechney den Trailer damals. Es nicht abwarten können. Das Dopamin wollen, jetzt, sofort. Und das Warten zögert’s hinaus. Edging. Theoretiker Roland Barthes spricht von der situation de cinéma: Die Dunkelheit des Kinos verleite zu einem „Dämmerzustand“, wie vorm Einschlafen, bevor das „Festival der Affekte“, der Film, losgeht.

2004 war Fruhauf Artist in Residence beim Crossing Europe. Die Idee, sagt er, war es, Werke zu zeigen, die sich schwierig auf die Leinwand übertragen ließen: Mehrkanalarbeiten zum Beispiel. Fruhauf wollte gerne „7.000 Monitore benutzen, um den Verlauf der Sonne visuell darzustellen“. Am Ende wurden es sieben. 2005, beim zweiten Crossing Europe, gewann er mit Mirror Mechanics den Local Artist Award. „Immens wichtig“, beschreibt er diese Rampe, die Preise und Rückmeldung für eine*n junge*n Filmschaffende*n bedeuten. Geld und Gutscheine wirken Wunder, damit man sein eigenes Filmmachen ernster nehmen und betreiben kann.

Ein Filmfestival ist ein Treffpunkt für Filmschaffende, für Interessierte, Freund*innen, Familie. „Ich mag das“, erzählt mir Friederike Zinner, „wenn Leute sich zu einem Event versammeln und das den Raum auch verändert; die Leute, die Begeisterung verbreiten.“ Sie hat wie ich heuer beim Crossing eingereicht. Auch die Künstle­r*in­nen selbst erleben ihre Filme auf besondere Weise. „Es war das erste Mal, dass ich meinen Film auf fetter Leinwand mit geiler Soundanlage und viel Publikum geschaut hab“, berichtet Laura Jana Luterbach von ihrer Erfahrung beim Crossing Europe 2023, bei dem sie zu den Local Artists gehörte.

Leinwand, Sound, Zuschauer*innen und die Programmierung mit anderen spannenden Produktionen lassen die eigene Arbeit neu erscheinen. Auch die in Linz studierende Künstlerin Sofie Spreitzer erzählt mir, ihren Film Schwerelos beim Tallinn Black Nights Film Festival in Estland zu sehen, war für sie wie ihn „das erste Mal zu schauen“, obwohl sie vorher durch den langen Produktionsprozess schon fast gefühlstaub für den eigenen Film gewesen war. Sofie Spreitzer hat ebenfalls heuer, wie Friederike Zinner und ich, beim Crossing Europe in der Local-Artist Schiene eingereicht.

Die aufgezeichnete Realität setzte Spreitzer im Schnitt nach Gefühl zusammen. „Mein Bild vom Protagonisten wird so am authentischsten“, sagt sie. Zwar sei es eine künstlerische Arbeit, aber „es redet eine reale Person, keine künstliche Abstraktion“. Schwerelos fußt auf Interviewaufnahmen, die eine sich transformierende Biographie nachvollziehen. Diese Geschichte wollte Spreitzer „nicht für die erzählen, die sich eh auskennen“. Eine Gratwanderung: Nicht plakativ sein, zwischen Relevanz und künstlerischer Ausdrucksform oszillieren. „Mein Film soll strapazieren“, sagt Spreitzer, „aber nicht zu sehr.“ Kamerafrau Constanze Radak meinte, maximal sieben Minuten und der Stoff sei auserzählt. „Die kommt vom klassischen Film“, sagt Spreitzer. Gegenpol war Dozent Dariusz Kowalski: „Das geht länger!“, fand er. Und woher wusste Spreitzer, dass der Film abgeschlossen ist? „Ich tu mich da ganz schwer, Grenzen zu setzen.“ Da kam die Deadline von Tallino ins Spiel. Die hat Spreitzer genutzt: „Zack, fertig!“

„Ich arbeite gern mit allen Medien, die mich interessieren“, sagt Laura Jana Luterbach. Sie sei facettenreich, ließe sich gerne überraschen, „welche Facetten aufploppen“. 2022 hat die Schweizerin ein Austauschsemester an der Kunstuniversität Linz gemacht. Bei Willhaben hat sie sich eine 90er-Handycam gecheckt, mit Kassette. Die habe sie immer dabeigehabt: „Tagebuch“. Mit anderen Erasmus-Studierenden saß sie beim Essen. „Ich bin abgehauen, wollte echtes Linzer Leben kennenlernen.“ Also hat Luterbach den Abend am Urfahraner Jahrmarkt verbracht und „super voyeuristisch“ den Leuten dabei zugesehen, wie sie „Glücksmomente kaufen“. „Ich hatte super Filmmaterial, aber eben auf Kassette.“ Beim Digitalisieren geholfen hat Fruhauf, den alle Sigi nennen. Zurück in der Schweiz hat Luterbach ein Lied zu toxischer Liebe aufgenommen, welches sie mit dem Material kombinierte. Ein Freund aus Linz riet ihr, den Film beim Local Artist Programm einzureichen. „Aber ich bin doch gar nicht local“, dachte Luterbach. Dabei zeigt Kleiner Schlawiner im Sinne einer Translokalität eine Welt, die in Linz betrachtet werden kann, aber nicht linzspezifisch ist. Kamerablicke verraten, dass die Voyeuristin nicht unentdeckt bleibt, sich nicht – wie im Kino, beim gemeinsamen Voyeurismus – in einer schwarzen Kammer versteckt. „Ich hab kein großes Schamgefühl. Einfach dreist drauf los geschossen“, sagt Luterbach. „Ist das nicht illegal?“, wurde sie beim Q & A auf dem Crossing Europe gefragt. „Eine Grauzone“, weiß Luterbach.

Beim Jahrmarkt geht’s um die Kontrolle des Kontrollverlusts. Wie beim traditionellen Film. Das formularische Blockbuster-Kino kitzelt Dopamin heraus. „Der experimentelle Film“, sagt Sigi Fruhauf, sei „extrem notwendig zur Reflexion der eigenen Mittel“. Statt Gerätefetischismus und Konventionen eine Hervorkehrung der eigenen Gemachtheit. Das Crossing Europe kann bei der Abbildung von verschiedenen Perspektiven und durch die Sichtbarmachung von Diversität dabei helfen, „kleinen Perlen“ eine Bühne zu bieten, Low- oder No-Budget-Filmen, hochpersönlichen Kunstwerken. Gut wäre es, findet Friederike Zinner, wenn Filmfestivals nicht nur Filme auswählen, die „viele Leute sehen wollen“, sondern persönlich geschnittene Produktionen. „Es ist interessant, was Leute machen, wenn sie nicht denken: Mein Film passt so gut aufs Festival, sondern schauen, was möglich ist.“ Über ihren Film SPbs (steht für Stille Phänomene bewegen sich), eine assoziative Reise von verschiedenen Kunstwerken, sagt sie: „Ich bin die einzige Person, für die dieser Film wichtig ist.“ Zinner schätzt die Beschäftigung mit etwas, das man nicht gelernt hat; lernen durchs Tun und dabei herausfinden, „wer man ist“, wenn es keinen Grund und keinen Boss gibt. „Ich habe Momente, die versuche ich festzuhalten. Ich würde gerne sehen, was die anderen Leute für Momente haben“, sagt sie. Nicht Intellektualisierung dessen, was man gesehen hat, sondern eine Wirkung, dass man etwas – idealerweise Unerklärliches – spürt. „Ratio ist nicht alles“, findet auch Laura Luterbach. Sie hat „die tiefe Überzeugung, dass aus dem Folgen von Intuition eine Freiheitsqualität wächst.“ Wider die Endlosschleife; stattdessen das Risiko eingehen, nicht verstanden zu werden und damit die Gleichförmigkeit unterlaufen. Beim Crossing gespielt zu werden, sagt Luterbach, war eine Ermutigung, hat gezeigt, dass das eigene Schaffen in diesem Kontext auch Platz findet und „Qualität hat, die gesehen wird.“ Das Local Artist Programm als Möglichkeit zur Mitgestaltung sei top, findet Friederike Zinner, weil „es wichtig ist, dass man Filme macht und es die Möglichkeit gibt, sie einzureichen.“ Bezüglich der Anzahl der Einreichungen schreibt mir Matthias Eckkrammer vom Pressebüro des Crossing, die allgemeine Tendenz sei steigend. Siegfried Fruhauf sagt, man könne beobachten, dass außerdem über die Jahre die Qualität gestiegen sei. Na also: Schickt alles hin, was ihr habt; die nächste Deadline kommt bestimmt.

 

Wir werden es gesehen haben: Es handelt sich bei diesem Text beabsichtigterweise um ein Einreicher*innen-Porträt. Das heißt, zu Redaktionsschluss war die Entscheidung, welche Filme bei Crossing Europe 2024 gezeigt werden, noch nicht gefallen. Ob und welche der vorgestellten Künstler*innen im Programm zu finden sind, kann zu Erscheinen dieses Textes aber bereits im Programm nachgelesen werden. Damit abschließend, auch das ist Reality: Falls es dieses Mal für vorgestellte Protagonist*innen nichts geworden wäre, dann ein anderes Mal bei einem anderen Festival.

 

Sofie Spreitzer ist Künstlerin und Filmschaffende und lebt in Wien.
Friederike Zinner ist Medienkünstlerin und studiert in Linz.
Beide haben bei Crossing Europe eingereicht.
frizzizinner.org

Siegfried A. Fruhauf ist Experimentalfilmmacher und -Dozent.
siegfriedfruhauf.com

Laura Jana Luterbach ist Künstlerin und Pflegefachfrau. Sie lebt in Luzern und hat 2022 ein Austauschsemester an der Kunstuniversität Linz gemacht.
laura-jana-luterbach.kleio.com

Crossing Europe Filmfestival Linz
30. April–5. Mai 2024
crossingeurope.at

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About the author

ist Autor und Künstler und lebt in Österreich. ralfpetersen.info

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