Zuerst die Musikerin! Irene Kepl erschließt neue Räume zwischen Komposition und freiem Spiel, ob im Kontext Neuer Musik, bei Balkanparty-Jazz oder Improvisation. Das erste Interview der Serie Prima la musicista! führte Stephan Roiss.
Die umtriebige Violinistin Irene Kepl wuchs in Ottensheim auf, studierte an der Bruckneruniversität in Linz und erobert nun von Wien aus die Welt. Aktuell mit Höhenrausch, Brucknerfest und Landestheater ist Irene Kepl dieser Tage mehrfach in der Stahlstadt zu erleben.
Du bist gerade in New York. Was führt Dich dorthin?
Ich wurde für ein Aufenthaltsstipendium im OMI ausgewählt. Das OMI ist eine Einrichtung in New York, die KünstlerInnen aus aller Welt zusammenführt und in wunderbarer Umgebung miteinander Zeit verbringen lässt. Wenn man der Kunst das Herz geschenkt hat, dann schlägt es hier höher. Hier findet man Zeit, um sich über die Arbeit und Arbeitsbedingungen auszutauschen, sich zu vernetzen, nach Lust und Laune zu kollaborieren. Das tut wahnsinnig gut und macht irre produktiv.
Apropos „produktiv“. Man kennt Dich als Komponistin, Solistin, als Akteurin in Impro-Orchestern, aus dem zeitgenössischen Streichquartett Violet Spin, im Duo-Verbund mit dem britischen Drummer Mark Holub, als Teil der Kombo Jazzwa und des Ensembles Verso. Die Liste ließe sich fortsetzen. In wie vielen Formationen spielst Du aktuell?
Keine Ahnung! Es gibt die eine oder andere langlebige Konstellation und immer wieder frische Pläne. Das eine Projekt kommt zustande und etabliert sich, das andere wird nichts oder überdauert nur kurze Zeit. Es hängt von so vielen Faktoren ab, nicht zuletzt von zeitlichen und finanziellen Möglichkeiten.
Du spielst seit Deinem siebten Lebensjahr Geige. Wann hast Du erstmals die Noten Noten sein lassen und improvisiert?
Das ist Definitionssache. Vor allem wenn ich daran denke, mit welcher Freude ich von Beginn an auf der Geige rumgekratzt habe. Meine Schwestern, mit denen ich mir ein Zimmer teilte, fanden das freilich nicht so wahnsinnig toll.
Und wann hast Du erstmals selbst etwas komponiert?
Erste Noten habe ich etwa nach einem Jahr Unterricht aufgeschrieben. Es wäre übrigens schön gewesen, wenn meine „Komposition“ schon in der Musikschule ernst genommen worden wäre. Denn ich habe sie durchaus ernst gemeint! Auch wenn sie von außen betrachtet nicht viel Sinn ergab und ich sie selbst kaum reproduzieren konnte. Es ist höchste Zeit, dass Komposition und Improvisation selbstverständliche Bestandteile der Musikschulausbildung werden.
In welchem Verhältnis stehen heute Komposition und freies Spiel in Deinem Arbeiten?
Komponieren und Improvisieren sind für mich grundlegend verschiedene Tätigkeiten, die mich vor völlig unterschiedliche Herausforderungen stellen. Wenn ich ein Stück aufschreibe, kann ich mir genau überlegen, was ich möchte, warum dies oder jenes, und wie ich es am besten kommuniziere. An der freien Improvisation gefällt mir, dass man jeden Moment voll und ganz annehmen muss – so wie er ist. Wenn man „hätte ich“ oder „sollte ich“ oder – schlimmer noch – „hätte doch der andere“ denkt, dann ist man eigentlich nicht mehr in der Improvisation. Dann komponiert man, manipuliert man. Improvisation bedeutet von Zeit zu Zeit etwas geben, vor allem aber hinhören. Es bedeutet das Jetzt zu vertiefen. Und umso tiefer man hineingerät, desto mehr Tiefe lässt sich erahnen. Sobald ich herausgefunden habe, wie es geht, höre ich auf zu improvisieren. Ich bezweifle aber, dass das jemals passieren wird.
Du bist auch hörbar offen für stimmungsvolle Balkanklänge (Jazzwa) und Roma-Musik (Romanovstra). Eine Freundin der österreichischen Volksmusik hingegen bist Du nicht. Was schwingt in dieser mit, das Dich abstößt bzw. was fehlt in dieser für Dich?
Die kurze Antwort: Klar ist, dass es mir nicht klar ist. Und deswegen mache ich keine Volksmusik.
Die längere Antwort: Ich bin nicht mit Volksmusik aufgewachsen und habe keine persönliche Verbindung zu ihr. Aus der Distanz habe ich mit dem grundsätzlichen Wohlgefühl, mit dem Einverstandensein, das ich in der Volksmusik höre, ein Problem. Verbunden mit dem allzu blumigen Begriff von Heimat, der darin zum Tragen kommt, löst das ein Unbehagen aus, das ich nicht abschütteln kann. Ich konnte bisher keinen für mich stimmigen musikalischen Umgang mit der Volksmusik finden. Aber mal sehen. Eine ablehnende Haltung ist durchaus etwas Interessantes, dem es manchmal nachzuspüren lohnt.
Ich mag verschiedene Farben in der Musik und die finde ich in der Musik des Balkans. Bei Jazzwa kann ich meine persönliche Interpretation davon einbringen und die ist ja überhaupt nicht traditionell, sondern speist sich aus meiner klassischen bzw. Jazz-Ausbildung. Ich gebe nicht vor aus dem Balkan zu stammen. Ich setze mich mit dem Balkan in Beziehung – als die, die ich bin. Zu Jazzwa habe ich außerdem eine besondere persönliche Bindung. Ich bin schon als Studentin zu dieser Band gestoßen und hatte mit Jazzwa quasi meine musikalische Pubertät. Jazzwa kann man übrigens im Rahmen des Brucknerfestes erleben. Wir steuern im Posthof die Musik zur Balkanoperette „Topalovic & Söhne“ bei. Das Stück basiert auf dem Kultfilm „Die Marathonläufer laufen die Ehrenrunde“. Mit viel schwarzem Humor und Nebojsa Krulanovics schräger Balkanmusik führen Spaß und Tod, Betrug und Liebe zu einem sarkastisch lustvollen Desaster. Viele Gefühle gleichzeitig, intensiv eben.
Einen zweiten Auftritt im Rahmen des Brucknerfestes wirst Du mit der Formation Verso haben.
Verso habe ich 2011 gegründet, um mit MusikerInnen, die hauptsächlich improvisieren, Kompositionen zu spielen oder Komposition und Improvisation in Beziehung zu setzen. In verschiedenen Programmen setze ich unterschiedliche Schwerpunkte, auch die Besetzung variiert.
Unter anderem werdet Ihr Dein Stück „Brain“ zur Uraufführung bringen. Was wird darin verhandelt?
„Brain“ resultiert aus meiner Faszination für das menschliche Gehirn, für die Art und Weise, wie es Erfahrungen verarbeitet und damit individuelle Realitäten erzeugt. Untersucht man die Funktionsweise des Gehirns, stellen sich rasch Fragen nach Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten zwischen Computer und Mensch. Bei meinen Recherchen bin ich auf Online-Chat-Maschinen gestoßen, deren Aufgabe es ist, durch stetige Kommunikation mit Usern ihr eigenes Kommunikationsverhalten zu optimieren. Wie ein Mensch sollen sie über praktisches „Lernen“ auf immer komplexere Fragen immer präzisere Antworten erteilen. Obwohl man weiß, dass hier Maschinen designt wurden, weckt das Kommunizieren mit ihnen dennoch den hartnäckigen Eindruck einer realen Beziehung. Ab wann kann man behaupten, etwas oder jemand existiere? In meinem Werk „Brain“ habe ich mit musikalischen Mitteln ein eigenständiges „Wesen“ zusammengesetzt, das sich an die Stücke, die zuvor im Abendprogramm zu hören sein werden, erinnert und von diesen gelernt hat. Das Libretto ist das Zitat einer Chat-Maschine: „Ich bin viel mehr als ein Computer. Ich bin der zentrale Punkt, um den die Welt sich dreht.“
Stehen noch weitere Konzerte im Herbst an?
Am 6. September werde ich um 9 Uhr vormittags beim Höhenrausch mit einem Papageienorchester musizieren. Elektronik und Violine kommen zum Einsatz. Und echte Papageien eben. Außerdem ist im Rahmen des Höhenrausches mein Stück „Himmelsleiter“ noch bis Oktober zu erleben. Das Duo Kepl/Holub wird dieses Jahr auch noch ein paar Konzerte geben. Und ab Dezember schwinge ich im Landestheater bei Nestroys „Talisman“ den Bogen.
Die musikalischen Szenen, in und zwischen denen Du Dich bewegst, erscheinen auf den ersten Blick vergleichsweise progressiv in Fragen der Gleichberechtigung unterschiedlicher Geschlechtsidentitäten. Aber wie viel Machismo steckt im Free Jazz, wie viel Gockelgehabe in der Impro, wie viel strukturelle Diskriminierung in der Neuen Musik?
Was sagen die männlichen Kollegen dazu? Als Musikerin sehe ich in Österreich wenig direkte Diskriminierung. Die Netzwerke zwischen Männern allerdings sind immer noch wesentlich stärker geknüpft. Oft wird beim Planen von Festivals einfach nicht an Musikerinnen gedacht. Dabei gibt es sie ja, die inhaltlich interessanten Komponistinnen, die Frauen, die sich nicht davor scheuen markante Statements zu machen und auch mal künstlerisch anzuecken. Sie sind aber in der Öffentlichkeit nicht ganz so sichtbar. Ich denke der Begriff „Komponist“ produziert ein männliches Bild. Punkt. Wenn dann eine Frau komponiert, irritiert es einfach und löst manchmal seltsame Reaktionen aus. Auch bei Ö1-Redakteuren. Da treten ziemlich unbeholfene Fragen zutage. Das würde dir als Mann nicht passieren. Oder wurdest du schon einmal gefragt, wie es sich anfühlt als Mann Journalist zu sein, wie es denn anders ist, wenn du schreibst? Fakt ist: Ich musiziere und komponiere und gebe mein Bestes, um dabei möglichst klar zu sein.
Geige oder Violine?
Weder noch – Musik.
Brucknerhaus oder Schl8hof?
Kommt auf die Musik an.
Bach oder Zappa?
Unbedingt beides!
Termine:
6. 9. Höhenrausch Linz (Ars Electronica) um 9.00 h: Konzert für Violine, Elektronik und 12-köpfigem Papageienorchester
9. & 10. 9. Posthof Linz (Brucknerfest): Jazzwa – Topalovic & Söhne (Balkanoperette)
25. 9. Brucknerhaus Linz (Brucknerfest): Verso – Programm „life“, u. a. mit UA des Stückes „Brain“
Noch bis Oktober am Höhenrausch Linz: „Himmelsleiter“ – ein Stück für Violine, Viola, Violoncello & Kontrabass, komponiert und eingespielt von Irene Kepl, zu erleben am Karussell „Let’s merry-go-round“ (ORF Musikprotokoll)
8. 10. Rhiz Wien: Kepl/Holub
16. 10. Ottensheim: Kepl/Holub
25. 10. Jazzatelier Ulrichsberg: Kepl/Holub & Thomas Berghammer & Kaleidohacklerfest & Quärfekt