Die beiden Künstlerinnen Sabrina Kern und Mariel Rodriquez gewannen einen Wettbewerb des Landes OÖ und der Kunstuniversität Linz: So steht die Audioskulptur 5 vor 12. Unerhörter Widerstand seit kurzem am Linzer OK-Platz. Das Denkmal möchte an jene erinnern, die sich während des NS-Regimes gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit stellten und dabei oft übersehen wurden: die Frauen.
1302 Fälle von Rassismus und 1147 antisemitische Vorkommnisse wurden im vergangenen Jahr in Österreich angezeigt. Die tatsächlichen Zahlen liegen vermutlich weit über den genannten. Und rechtsextreme Straftaten sind im Vergleich zum Vorjahr um 44 Prozent gestiegen. Warum ich mit dieser aktuellen Bestandsaufnahme beginne? Schließlich will ich hier über ein Projekt berichten, das an mutige Taten von Frauen während des Nationalsozialismus in Oberösterreich erinnert – ein Denkmal mit dem Titel 5 vor 12. Unerhörter Widerstand, das sich nicht irgendwo versteckt gelegen befindet, sondern zentral am Linzer OK-Platz. Ich beginne mit unserer Gegenwart, weil ich mich wundere, warum wir, denen es viel leichter fiele, uns nicht mehr wehren, uns nicht viel mehr mobilisieren, auf die Straße gehen – und die politisch Verantwortlichen immer wieder auch vehement an ihre Pflichten erinnern. Alle zweiundfünfzig Frauen, die in diesem Projekt gewürdigt werden, lebten nicht in Demokratie wie wir, sondern in einer der schrecklichsten Diktaturen überhaupt. Sie gingen mit ihren Handlungen ein hohes Risiko ein. Bereits geringe „Zuwiderhandlungen“ wurden, wie wir alle wissen, hart, manchmal sogar mit dem Tod bestraft.
Was kann man sich unter diesem Mahnmal vorstellen? Die Skulptur aus drei hintereinanderstehenden Bögen stellt visualisierte Schallwellen dar. Die formale Gestaltung greift die sich im realen Raum ausbreitenden Schallwellen visuell auf. Es ist eine Gemeinschaftsarbeit von Sabrina Kern und Mariel Rodriguez. Sabrina Kern ist Medienkulturwissenschaftlerin und bildende Künstlerin. Die Mexikanerin Mariel Rodriguez ist ebenfalls bildende Künstlerin und Kulturwissenschaftlerin. Teamarbeit an einem Projekt gestaltet sich nicht immer einfach. In diesem Fall, so erzählt Sabrina Kern, entwickelte sie sich zu einem Glücksfall, die beiden Künstlerinnen kannten sich davor noch nicht lange, doch sie arbeiteten gut zusammen, einigten sich sofort.
Wir kennen es: Jeden Samstag Punkt zwölf Uhr mittags hören wir die Zivilschutzsirenen, eine beklemmende Assoziation zu Furcht und Krieg für einige Menschen, die auch in Österreich leben. Die Arbeit der beiden Künstlerinnen verweist auf die Warnung „Es ist fünf vor zwölf“ und spielt auf die Brisanz des Widerstands an. Und jeden Samstag um 5 vor 12 Uhr gedenkt die monumentale Installation aus Edelstahl mit einem lauten Schrei einer der zweiundfünfzig Frauen – mit ihrem Namen, mit dem Ort und mit der entsprechenden Widerstandshandlung. Die Sprecherinnen der Lebensgeschichten sind Frauen aus Oberösterreich, die sich als gesellschaftskritisch verstehen. Doch auch während der Woche können Passantinnen und Passanten dem Schicksal der Widerstandskämpferinnen folgen, indem sie die mächtige Skulptur durchwandern. Dann allerdings hören sie vom Schicksal der Frauen in viel geringerer Lautstärke, flüsternd.
Es ist nicht nötig, sich weit vom OK-Platz zu entfernen, um die Geschichte einer Widerstandskämpferin wiederzufinden. In unmittelbarer Nähe des Denkmals wurde die Klosterschwester Margarethe Smolan beobachtet, wie sie aus einem Fenster des damaligen Ursulinenklosters ein Paket mit selbstgestrickten Socken für einen französischen Kriegsgefangenen hinunterwarf. Sie hatte den Eindruck, dem Mann sei sehr kalt gewesen, und so habe sie sich aus Mitleid dazu entschlossen, die Socken dem Zwangsarbeiter zuzuwerfen – so verteidigte sich Margarethe Smolan bei ihrer Verhaftung. Das Gericht verurteilte sie zu vier Monaten Gefängnis.
Über die Frage, warum die Frauen im Widerstand bis heute so wenig beachtet wurden, lässt sich vielfach diskutieren. Als ein Grund dafür erscheint mir, dass Widerstand bis heute als männliche Eigenschaft und Aktion angesehen wird, so wurden zu einem großen Teil nur die Widerstandskämpfer ins Lichts gerückt, teils geehrt und für sie Denkmäler errichtet. Frauen blieben dabei oft im Schatten und haben vielleicht auch nicht auf ihre Taten hingewiesen.
Das Mahnmal ruft auch das Schicksal von Maria Ehmer in Erinnerung. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme vervielfältigte und verteilte sie gemeinsam mit ihrem Mann Flugblätter. Sie weigerte sich außerdem, der NS-Frauenschaft beizutreten oder für das „Winterhilfswerk“ zu sammeln. Nach der Einberufung ihres Mannes in die Wehrmacht wurde sie für die „Rote Hilfe“, einem illegalen kommunistischen Hilfsnetzwerk, aktiv.
Anfang Oktober 1944 wurde Maria Ehmer verhaftet und vom Gefangenenhaus in Gmunden weiter in das Frauengefängnis Kaplanhof in Linz gebracht. Wenige Tage nach ihrer Verhaftung wurde Maria Ehmer von Gestapobeamten im KZ Mauthausen verhört und dabei schwer misshandelt.
Das Frauengefängnis Kaplanhof wurde am 31. März 1945 bei einem Bombenangriff zum überwiegenden Teil zerstört. Maria Ehmer entging dabei nur knapp dem Tod. Sie erhielt von der Gestapo die Genehmigung zur medizinischen Versorgung im Linzer Allgemeinen Krankenhaus. Eine angemessene Behandlung erhielt sie allerdings erst nach dem Einmarsch der amerikanischen Truppen Anfang Mai. Ihr Sohn, den sie bei ihrer Verhaftung noch minderjährig zurücklassen musste, konnte sie nach langer Ungewissheit schließlich finden. Maria Ehmer engagierte sich auch nach dem Krieg im KZ-Verband und pflegte weiter engen Kontakt zu anderen Aktivistinnen im kommunistischen Widerstand.
An einem Wochentag gehe ich zum OK-Platz. Es ist nicht schwierig, Vorübergehende zu fragen, in welcher Situation sie Widerstand leisten oder, gelinder formuliert, in welcher Situation sie protestieren würden? „Wenn eine Person einer Minderheit in meiner Nähe unterdrückt wird,“ antwortet mir ein circa 40-jähriger Mann. „Nur, wenn eine Ungerechtigkeit gegen meinen Mann oder meine Kinder geschieht“, sagt eine ältere Frau.
Es sind verschiedene Formen des weiblichen Widerstands, die die in diesem Projekt versammelten zweiundfünfzig Frauen geleistet haben: Alltagswiderstand, religiöser Widerstand und auch organisierter Widerstand, so wie der durch Resi Pesendorfer. Auf raffinierte Weise spielte sie die naive, unpolitische Frau. Sie war bereits eine Widerstandkämpferin gegen den Austrofaschismus und dann, nach dem Anschluss, gegen den Nationalsozialismus. Sie organisierte ein illegales Frauennetzwerk in Bad Ischl, unterstützte die kommunistische Jugendorganisation und übernahm für die Partei Kurierdienste nach Bad Goisern, Bad Aussee und Ebensee. Sie kam zwar kurzfristig ins Gefängnis, aber aufgrund ihrer schlauen naiven Maske sprach ihr die Gestapo jegliche Fähigkeit zum Widerstand ab und ließ sie wieder frei. Resi Pesendorfer ist übrigens eine der wenigen, die Würdigung erfuhr. Das „Ehrenzeichen um Verdienste um die Befreiung Österreichs“ erlebte sie noch, den kürzlich nach ihr benannten kleinen Platz im Kurpark von Bad Ischl nicht mehr. Bis es so weit war, ging der Bewilligung für diesen Platz ein jahrelanger Prozess voraus. Und hier lässt sich eine Parallele zum Denkmal auf dem OK-Platz finden. So wie es jetzt zu sehen ist, durchlief das Projekt einen zehn Jahre währenden Prozess, in dem es die verschiedenen politischen Gremien durchlaufen hat.
Ein zentraler Bestandteil während dieses Prozesses war die wissenschaftliche Forschungsarbeit von Elisa Frei, Martina Guggenberger und Alexandra Wachter, diese ist in Buchform schon vor einigen Jahren erschienen. Unter dem Titel Widerstand und Zivilcourage. Frauen in Oberösterreich gegen das NS-Regime 1938–1945 portraitieren die Autorinnen die Widerstandskämpferinnen, klären Begrifflichkeiten und widmen sich auch dem Reden und Schweigen nach 1945 – und einigen Themen mehr.
Kehren wir zum Denkmal 5 vor 12. Unerhörter Widerstand zurück. Das Mahnmal solle ein Eigenleben führen und einen Bogen zur Gegenwart spannen, wünschen sich die beiden Künstlerinnen. Und auch ich möchte zur Gegenwart – und zwar zur unmittelbaren innenpolitischen Gegenwart, die nichts Gutes verheißt – zurückkehren:
Rassistische Handlungen, Antisemitismus, Gewalt gegen Andersdenkende oder, ganz alltäglich, Schreie in der Nachbarschaft: Ich bin mir sicher, die mutigen Frauen, die jetzt im Zentrum der Stadt Linz eine Stimme bekommen haben, hätten Mittel und Wege gefunden, um dagegen aufzubegehren – und heute ohne zu großes Risiko.