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Tanz doch noch ein bisschen, Katharina!

By   /  5. Dezember 2024  /  No Comments

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Zur Premiere von „Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder: Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann“ hat sich Ralf Petersen ins Theater Phönix begeben. Er berichtet in der Referentin über: Böll, Boulevard, Blätter, Bilder, Zeitungen, Tanz und Angst.

Fräulein Blum (Großartig: Gina Christof), agitiert von ihrer Umwelt. Foto Andreas Kurz

Damit die Rahmenhandlung bekannt ist: Die verlorene Ehre der Katharina Blum erzählt, wie eine bisher unbescholtene Frau wegen ihrer Bekanntschaft zu einem Straftäter der Sensationsgier der Boulevardpresse zum Opfer fällt. Aufgeführt wird die Stückfassung (John von Düffel) der gleichnamigen Erzählung (Heinrich Böll, 1974) im Theater Phönix. Wie ich in der Wiener Straße vor der Num­mer 25, einem vormaligen Kino, stehe, verfolge ich die Strahlen der Neonreklametafel, die sich spiegeln im gegenüberliegenden Fitnessstudio. Dort, hellerleuchtet, hochpotentes, hochtouriges Training: Ausdauer & Muskelkraft. Menschen, die sich formen, deren Körper zu Einheiten werden: Kraft zur Begehung der Gegenwart. Katharina Blum – das Räuberliebchen – hingegen, die ist schwach und ohne Schutz: Wird verleumdet und gehetzt. Sie erinnert an eine andere Figur, die von Kurt Schwitters, in seinem Gedicht aus dem Jahr 1919, als „zerstückelte Person“ apostrophierte Anna Blume. Schwitters schreibt an sie, fragt: „Wer bist du, ungezähltes Frauenzimmer? Du bist, bist du? Die Leute sagen, du wärest, laß sie sagen, sie wissen nicht, wie der Kirchturm steht.“ Denn auch Anna Blume wird gejagt, und Schlimmeres soll mit ihr geschehen: „Anna Blume schlachten heißt Dich ausschlachten / Du lässt Dich gern ausschlachten?“ Und Katharina Blum, Protagonistin des hier zu besprechenden Theaterabends, wird es leider nicht anders ergehen: Sie soll doch bitte eine Aufziehpuppe sein. Ja: „Tanz doch noch ein bisschen, Katharina!“ – als wär das auf die Bühne Stellen dieser Figur selbst schon eine Gewalttat: Katharina Blum, unschuldig verlegene Person! „Bewegen Sie sich, Katharina!“: An­weisungen, gefolgt von ekelhaftem Lachen. Aber war das doch ein echter Mensch: Hat­te Katharina nicht gelebt, gearbeitet, war Auto gefahren, bis hinter die Grenze? Trank dort einen Kaffee und auch mal ein Bier, kein kleines: Eine ausgewachsene, selbstver­antwortliche Frau: die sich die Welt selbst auslegen darf? Sagen darf: Ich habe dies getan und dies nicht.

Denn: Jemand musste Katharina Blum (Gina Christof) verleumdet haben: Nach einer wil­den Karnevalsnacht wird sie dem Hauptkommisar Beizmenne (Lukas Weiss) vorgeführt. Anklage: Sie haben einem Mörder zur Flucht verholfen! Da sagt Katharina: Das stimmt! – Nein, so funktioniert’s nicht, so kommt man nicht durch: Weder im Jour­nalismus noch im Theaterstück! Fräulein Blum: Sie kämpft gegen das Gewicht all des Regens, der auf sie herabprasselt: Verleumderische Artikel, Gehässigkeiten, Mut­maßungen. Ohne Schutz. Man bewirft sie mit Eigenschaften: Scham, Vertrauen, Prüd­heit. Hat sie es getan: Einem flüchtigen Ver­brecher – einem Terrorist! – zur Flucht verholfen? Verdient sie es: Dass man ihr das Leben ruiniert?

Die Aufführung (Regie: Bernd Liepold Mos­ser): Will viel zeigen, bieten. Die Zuschauer*innen sollen die Nerven benutzen, gereizt sein. Tanz doch noch ein bisschen, aber helfen können wir ihr nicht, der Katharina. Um Allianzen bemüht sind vor allem die gönnerischen Eheleute, die sich Katharina als Zieheltern aufdrängen: Dr. Hubert und Dr. Trude Blorna (Martin Brunnemann & Karina Pele). Die Blornas – er: Anwalt, sie: Architektin – haben gut lachen: Haha, die Realität sieht so komisch aus, so schön zerrissen. Sogar beim Schifahrn will die Presse ein Zitat! Journalismus: Tagebuch des gewissenlosen öffentlichen Interesses! Zitat, Zitat! Wie frei darf die Presse sein dabei? Sie muss ja komprimieren, pres­sen, die Papiertonne quilt ohnehin über, steig drauf, drück runter, press, press, erpressen! Was ist das denn: Öffentliche Mei­nung? Ein Stück (wovon)? Die Blornas neh­men Katharina ernst. Vermitteln ihr, dem Frauenzimmer, einen Herrenbesuch (Lukas Weiss als Alois Sträubleder). Nicht nur das: Auch Schul- und Studienfreund Peter Hach (ebenfalls Brunnemann) wird ins Vertrauen gerufen, soll helfen: Er ist Staatsanwalt – ein anständiger Mensch, wenn es einen solchen denn noch geben kann! Hach, wie schön! Oder weiß sonst vielleicht wer Hilfe? Sie, hier, im Theater? Klar: Mit der Frei­heit ist’s auch heut nicht weit: Soziale Medien, Plattformen zu freiem Austausch, wer­den in Militärdiktaturen schnell mal ver­bo­ten, der Marktplatz der Meinungen geschlos­sen. Und Hausaufgabe: Listen Sie auf: Welche Boulvardmedien werden in Ös­ter­reich gern gelesen? Haben auch sie „Opfer“?

Dieser Theaterabend, er ist übervoll, manch­mal ist er lauwarm und lasch, dann nämlich, wenn man sich nicht entscheidet, ob jetzt alle Figuren banal bis böse oder lediglich gern erheitert sind, weil alles eh egal ist. An diesen Stellen ist die Aufführung in gewisser Weise ein Spiegelbild der täglichen Arbeit der Journalist*innen! Das Blatt muss gefüllt werden bzw. die Webseite oder was trimedial so geht: Permanenter Strom. Eine Frau ist angeklagt und ob sie’s getan hat ist nicht, worum es geht. Es geht darum, wie mit ihr umgegangen wird. Das stellt sich in dieser Inszenierung auf dieser Bühne (Ausstattung: Karla Fehlenberg) so dar: Ein Konvolut von ROCK n ROLL, weil: Tanzen, tanzen, buntes Licht! Wer will da – hinsichtlich dieser trist-blinkenden Realität – nicht einen Terroristen abschleppen – einfach, damit mal was passiert? Scuse me while I kiss the sky: Jimi Hendrx im lila Nebel: Lässt sich der Schall und Rauch um die Erzählung rum errichten? Was hat das mit uns zu tun – mit dem Theater Phönix in der Wiener Straße 25, mit meinem Sessel, mit mir? Ja, so das Gefühl (für den Abend, für das Leben): Es wird böse und unangenehm. Was bleibt, wieder vor der Tür vorm Theater: die Realität. Das Neonschild, das Fitnessstudio, die Körperstählung, der Heimweg.

Was bleibt noch: „Katharina hatte Angst“, ja, ich auch: dass sie nie mehr auftaucht: Wo bist du Katharina? Und, als ich ihr dann doch noch begegne – wo? Hinter der Grenze, beim auf einmal doch kleinen Bier?: „Wo warst du, Katharina?“ Sie weiß es selbst nicht. Man hat sie wohl verbannt, aus dem doch nach ihr betitelten Stück: Denn das Fräulein Blum aus der 1974er-Böll-Erzählung: So endlos fremdbestimmt war’s nicht gewesen. Sie hatte einen Schneid, einen eigenen Drang, bäumte sich glaubhauft auf gegen die menschenverachtende Berichterstattung, das Eindringen eines Reporters ins Krankenhauszimmer der schwerkranken Mutter, diese bedrängend, destablisierend, tötend. Reagieren tut sie auch auf der Bühne. Aber auf was? Die Verunglimpfung als Terroristenbraut? Auf Bloßstellung, obszöne, hasserfüllte und beleidigende anonyme Anrufe? Der Anrufer, auf der Bühne ist dies meist Sebastian Pass: Doppelrolle: Journalist Werner Tötges & der auf Blum spitze Kriminalassistent Moe­ding, der später auch ihr Geständnis bekommt. Geständnis, weil: Tötges, der Jour­nalist mit den schlimmen, aber auch unvermeidlichen Praktiken – will er leben, muss er das Spektakel aufrechterhalten – wird selbst zum Opfer.

„Als wäre der Mord an einem Journalisten etwas Besonderes!“, sagen Sie jetzt vielleicht. Denn derlei auf Verzweiflung zurückführender, blinder Aktivismus mag tra­gisch sein, außergewöhnlich ist er nicht. Wo­bei: In Deutschland, wo Text und Stück spielen, oder in Österreich, wo das Stück gespielt wurde und dieser Text entsteht, ge­hört die Tötung von Journalistinnen nicht zum Alltag. Heinrich Böll, den die rechte Presse wegen eines 1972 veröffentlichten Es­says zum Symphatisanten der Bader-Mein­hof-Bande brandmarkte, appellierte an ei­ne Entspannung der öffentlichen Debatte. In seinem Essay kritisierte Böll die Berichterstattung einer Zeitung, die „als Tatsache hinstellte, was seinerzeit noch nicht gesicherte Erkenntnis war“, als „nackte[n] Faschismus“, „Verhetzung, Lücke, Dreck“: Ob­wohl die RAF mordete, war es hier die journalistische Treibjagd, die anzuklagen war. Und so ist es vielleicht egal, ob Katharina Blum eine gleich wie schwere Schuld trifft: Auch Werner Tötges sollte unser Mit­leid wohl gelten. Für ihn gab es keinen Aus­weg. Und wir, die Zuschauerinnen, zeigen „uns entsetzt über die Aktivitäten“ der Presse, „aber nicht sonderlich überrascht“.

Das Theater Phönix ist eine der wichtigsten freien Bühnen Österreichs.
theater-phoenix.at

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ist Autor und Künstler und lebt in Österreich. ralfpetersen.info

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