„Ein Sommernachtstraum oder Badewannengriffe im Preisvergleich“: Kurt Palm inszeniert ein Stück, das als Probe für ein Obdachlosen-Shakespeare-Festival angelegt ist. Groteske Zeiten und verstaubte Konventionen: Wer hat an der Uhr gedreht? fragt sich Christian Wellmann angesichts des Stücks und definiert einen DEFCON-Modus „65 Minuten nach 5 vor 12“ am Theater Phönix.
„Ist es wirklich schon so spät“, trällerte Pink Panther Paulchen mit dem Cartoon-Clouseau im Vorabend-Fernsehen. Betthupferl, Zeit vorbei, gute Nacht. Traumpanther gleitet, Roadmovie in den Wolken endet abrupt. In „Ein Sommernachtstraum oder Badewannengriffe im Preisvergleich“, einer dem Geiste des Sozialismus verpflichteten Groteske/Palmeske, wird der Slapstick-Inspektor Clouseau mit Aktentasche (und Diaprojektor) zum wiederkehrenden Indikator, als Vorbote zum Tod1. Seine stoischen Auftritte als DDR-Diavortragender (grandios repetitiv gespielt von Tom Pohl), der als Clouseau von der Bühne abgeht, werden zu einer Endlosschleife, in der die Zeit aussetzt. „Es wird ja immer absurder“, dieser Stehsatz beendet dann stets dieses absurde Treiben und alles danach scheint ungetrübt weiterzulaufen, nichts ist passiert.
„Wer hat an der Uhr gedreht?“ Im neuen Theaterstück von Kurt Palm, einer lose angelegten Fortsetzung der 09-Aufführung „Der Zwerg ruft“ in ebenjenem Theater Phönix, liegt dieser Zeit-Loop als Verfremdungseffekt im Epizentrum des Zeitlochs, das sich über das ganze Stück erstreckt. Darin werden jegliche Illusionen des Publikums wie ein Rudel Kätzchen ertränkt. Die Zeit springt von Klippe zu Klippe, von einer möglichen nahen Zukunft (Marslandung), dem Jetzt (Trump-Bezug), einer stehengebliebenen Zeit (Sozialismus/Kommunismus), zur Vergangenheit (der Original-Sommernachtstraum, das Schwelgen der drei Hauptcharaktere, DDR) bis zur direkten Zukunft des Stücks selbst, das (zu) oft angesprochene Ende des Stücks. Alles von postmodernen Sprenkeln durchzogen, die ebenfalls in der Zeit eingefroren sind. Gitterstäbe der Postmoderne, am Bestehenden fummelnd. Nichts wird unversucht gelassen, die Zeit ungreifbar, glitschig zu machen. Darum herum schlängelt sich eine vordergründig seichte Story mit Kalauern, üppig aufgetischt, wie’s sich fürs ländliche OÖ gehört. Fettig, triefend, die (zu) oft erwähnte Abneigung Palms gegen das konservativ eingeschnürte Land ob der Enns schmachtet sich am Abgrund des gerade noch Verträglichen vorbei. Der DEFCON-Modus der zentral im Theaterraum hängenden Uhr ist auf 1 Uhr festgenagelt, natürlich bleibt die Zeit hier stehen, auf 65-Minuten-nach-5-vor-12. Wobei DEFCON 1 = Uhrzeit 1 Uhr die maximale Einsatzbereitschaft bedeutet, alle Truppen werden eingesetzt = Trump-Zeit? Fake Time?
Der Begriff der Zeit verschmilzt mit dem Ursprungsmaterial Shakespeares. Eine Gratwanderung entlang eines verstaubten Kommunismus-Begriffs, den Palm jetzt festhalten und in die Gegenwart/Zukunft retten will. „Der Sommernachtstraum“ ist Trash-Theater, ein Messie-Versatzstück, eine postmoderne Zeitkapsel – sie nimmt alles, das direkt greifbar ist (Requisiten) oder überhöht werden kann (politisches Geschäft/Gesellschaft), lädt es ironisch auf, und wickelt es um das Original-Stück herum. Metafiktion, selbstreflektierend, ja teilweise selbstverliebt, eitel. Der Überraschungseffekt bleibt (zu) oft auf der Strecke, aber auch das ist wohl Absicht, um Reaktionen im Publikum zu generieren. Die Gehirnwäsche in Palms Sommernachts-Interpretation funktioniert, weil einem Brocken apportiert werden, die einen beschämen, vordergründig (absichtlich) platt rüberkommen, provozieren. Landestheater-Polemik, OÖN, Stadtwache, rechte Hirnstillständler, der gsöchte Pforra – mit Genuss bohrt Palm in die Fontanelle des Jetzt-Zustands, hier, im Oberstübchen von Österreich. Den Skandal suchend, obwohl einem dabei manchmal auch eine, äh, Face-Palm auskommt ob der Pop-Politik mit seichten Schmähs abzulenken, unterhalten um zu vergessen. Da wären wir wieder beim Zeitbegriff.
Episches Theater nach Brecht ist hier genauso drinnen wie Beckett, Flann O’Brien, klar, ist ja eh immer bei Palm dabei, aber: Handelt es sich hier eigentlich um ein Theaterstück? Oder einen Laienschelmenschwank? Eine zufällige Probe, von zufällig vorbeischauenden Probenden? Den Versuch einer Probe? Ist die DDR der hier auftretende Tod? Auf alle Fälle schimmert ein durchgängiger, jedoch disziplinierter Dilettantismus durch, alle drei Hauptdarsteller (solidarisch: gefühlt gleichlange Texte) erblühen in dieser von ihnen abverlangten Gratwanderung glaubhaft.
„Der Sommernachtstraum“ hat als Klassiker der Laientheater-Inszenierung (im englischen Sprachraum) immer noch eine große Tradition. Reflexionen auf zeitgenössische Irrungen lassen sich treffender – zeitlos – bestreiten, wenn sie in klassische, erprobte Universalstücke getränkt sind. Das gibt es schon, seit das Gilgamesch-Epos, das Ursprungswerk der Literatur, von griechischen Dichtern geplündert wurde – eines der meist kopierten Stücke überhaupt, auch William Shakespeare bediente sich bei dieser Mutter aller Schriften.
Mit Konservativem ebensolches in den Arm kneifen. Im Original sind es Handwerker, die ein Theaterstück proben, hier sind es drei gefallene Engel, die eine Probe zu einem Obdachlosen-Shakespeare-Festival im Vereinsheim der KP Linz abhalten – und mit Tod, Geistern und dem DDR-Clouseau in ebenjenes Zeitloch kippen. Dieses Stück im Stück wird dort geprobt (eigentlich nur der Versuch), und steht im Mittelpunkt von Palms Inszenierung. Demaskierung eines Klassikers mit Lokalkolorit, das einen vermeintlich verstaubten Inhalt (Shakespeare) mit dem verstaubten Linz (Athen) und Kommunismus (Gespenst) staubbewedelt. Im besten Wer-hat-uns-verraten-Sozialdemokraten-Chic, in Linz täglich Brot, rollt dieser surreale Traum über alles und jeden. Der Tod tanzt vor dem Bildnis Stalins, Mekka ist dort, wo die Toiletten sind.
Probe der Probe: die Vorzüge, die Hauptprobe des Stücks besucht zu haben und in der letzten Reihe zu sitzen – hinter einem nur Regie und Assistenz – „viel zu leise“, „leere Plätze“ (Anm.: 22 leere Plätze bei der Hauptprobe im frostigen Jänner, glatteisbedingt!), Block gefüllt, Knacken von Bleistiftspitzen, murmelmurmel … So gesehen war die öffentliche Hauptprobe eigentlich die wahre Premiere, das eigentliche Stück, bzw. eines Stückes, das sich selbst als Probe definiert, mehr Probe geht nicht, nach dem ersten Mal, dieser Hauptprobe, ist’s keine Probe mehr …
Alle Dinge ändern sich. Auch dieser Text ist ein Probegalopp eines Beschreibungsversuchs, der nur einen Zweck verfolgt: eure dafür verwendete Zeit unabänderlich an dieser Stelle abzulegen. Zum Wiederauffinden und immer wieder Zurückkehren, als Mahnmal für ein nie mehr wiederkehrendes Zeitgefühl.
1 Aktentaschen-Indikator, humoristischer Versuch, aus dem Füllungszustand der Aktentasche von Alan Greenspan schon bei dessen Erscheinen zur jeweiligen US-Notenbank-Sitzung auf die späteren Entscheidungen zu schließen.
Kurt Palm liest außerdem im März im StifterHaus aus seinem Roman „Strandbadrevolution“.
Wir zitieren aus dem Verlagstext: „Im Sommer 1972, in dem die Amerikaner Nordvietnam bombardieren, bereitet Ernst, der sich nach seinem Idol von den Rolling Stones Mick nennt, mit seinen Freunden im Strandbad die Revolution vor. Während sein Vater meistens in der Garage beschäftigt ist und seine Mutter die Tiefkühltruhe zum Bersten anfüllt, sollte Mick eigentlich für die Französisch-Nachprüfung lernen, lässt sich jedoch von zwei bislang im Bad noch nie gesichteten Mädchen ablenken. Doch schließlich endet dieser Sommer nicht nur für Candy, den jüngsten der Freunde, mit einer Katastrophe. Kurt Palm erzählt, wie lange ein Sommer in der Provinz in Österreich sein kann und wie kurz und unerbittlich das Leben.“
Lesung StifterHaus
16. 03. 2017 19.30–21.00 h
KURT PALM: „Strandbadrevolution. Roman“
„Ein Sommernachtstraum oder Badewannengriffe im Preisvergleich“
Noch bis 9. April im Theater Phönix
Claus Harringer hat auf Radio FRO einen Beitrag übers Stück verfasst – unter anderem ist darin über Kurt Palms Abneigungen gegen die Theaterkonventionen und das Theater an sich zu hören.