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Katrin Mayer: Rose Intelligence

By   /  5. Dezember 2024  /  No Comments

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Bücher als Materialkorpus, der Hörtext Rose Intelligence: Den umfang­reichen Vorlass VALIE EXPORTs liest Mayer wie einen beispielhaften, feministischen Werkkörper, der zu neuen Verlinkungen anregt – eine Herstory of Media Art.

Katrin Mayer, Rose Intelligence, Ausstellungsansicht, Cache, Feministische Ästhetiken und Archivprozesse, Lentos Kunstmusem Linz, 2024. Foto Violetta Wakolbinger

Das VALIE EXPORT Center beherbergt die mehrere tausend Bücher umfassende Bibliothek VALIE EXPORTs. Katrin Mayer dokumentierte für sich, welche Bücher sie, während ihrer Aufenthalte im Center, aus dem Regal zog und kaufte einen Teil davon in Antiquariaten nach. Sie folgte dabei ganz unterschiedlichen Impulsen, aber auch Themen wie Feminismus, Computerentwicklung, Künstlicher Intelligenz und Hirnforschung. Diese Buch-Doubletten bildeten für Mayer einen Materialkorpus, den sie wiederum nach Sätzen durchkämmte, deren Aussagen und Plastizitäten ihr vielfach anschlussfähig erschienen. Derart freigestellt trugen sie weiterhin Einschreibungen ihrer Quellen, ließen sich jedoch durch Mayers Montage in neue Bezugsgewebe einbinden. Strukturell ähnelt dieser Arbeitsprozess der Funktionsweise einer KI, reist jedoch zurück in ein früheres, analoges Stadium, um von dort unseren technologisch geprägten Alltag sowie gesellschaftliche Verfasst­heiten zu befragen.

Diese für die Ausstellung entstandene Arbeit mit dem Titel Rose Intelligence besteht aus 34 Büchern und einem Hörtext, 13 min. Den Text hat sie für die Referentin zur Verfügung gestellt.

Rose Intelligence

Damit kannst Du aber nicht berühmt werden

herausgelöst aus tausend alten Büchern,
die lesen zu wollen überhaupt keinen Sinn mehr hat,

stellen diese Seiten mit ihren Bildern,
getrennt von jenen Seiten mit ihrem sterblichen Text,
auf den sie einmal bezogen waren,
eine Anzahl so irreführender Mutmaßungen dar, daß sie kostbar werden

wie die minutiöse Rekonstruktion eines Verbrechens,
dessen Zeuge wir im Traum waren,
ohne uns im geringsten für den Namen des Täters oder für seine Motive zu interessieren

wie eine Rekonstruktion nicht von Heroinen, sondern von Situationen, Sinnstrukturen und Diskurspraktiken

Ein Abenteuer das aufs Neue beginnen konnte

Denn an Bord herrschte jetzt eine andere Stimmung

wenigstens auf dem Papier fanden sehr unterschiedliche Frauen
zueinander,
was die persönliche Vergangenheit wie die soziale Herkunft betrifft

Ich hoffe, dass diese Unterschiede keineswegs durch falsche
„Verschwisterung“ verwischt werden

Die Wasserträgerinnen und Fischerinnen, die Flamenco-Tänzerinnen und Perlentaucherinnen, alle kamen sie herbei

Sie übten sich im Fechten und Entern, schossen mit Revolvern
oder versuchten, mit zwei Messern zu kämpfen

damit die Erfahrungen ein gemeinsamer Besitz werden, ein Erbe, das wir einander weiterreichen

als Erinnerungen daran, was es einst hieß, weiblich zu sein,
eine Frau in einer Welt der Männer

wir können rufen „Freiheit für unsere Schwestern!“, bis wir umfallen

Sie werden nicht umfallen

Hier bekommt man eine Ahnung davon, auf was man sich eingelassen hat

Beim Weiterblättern fällt mehr auf

das alle überziehende Gewebe von einräumenden Zugeständnissen
von Teilerlaubnissen und Teilfreiheiten und Teilanerkennungen

das was fehlt: symptomatische Lücken

Denn mit dem mehr oder weniger großzügig gewährten Freiraum
wurden zugleich seine Grenzen umso deutlicher festgeschrieben

Was blieb stumm

Im Salon, im Wochen-Bett, auf der Straße, in der Schule, in der Fabrik, in der Kunst, in der Politik?

Welches Objekt aber bekamen die Reden in den Griff?

Sie wird zu etwas gemacht: zum Mythos, zum Rätsel, zum Nichts, zum Alles, zur Verrückten, zum weißen Fleck, zum dunklen Kontinent

Lulu, Megäre, Sphinx, Maria, Mutter, Venus, Eva

Seufzer des Artikels

sie hat die „Ismen“ längst aufgegeben

Frauen, die schreiben, sind von vornherein Dissidenten

die anarchisch herausfallen

Wie sprechen, um nicht mit der alten Sprache das neue Denken gleich wieder im Keim zu ersticken?

Ich erkannte durch Emma Goldman, dass ich keine Politikerin war und keine Autobiografie schreiben konnte

sie zögerte nie, nicht einmal im Knast

ich zögere ständig, stelle alles infrage

Nun, ich kann es beispielsweise blitzen oder regnen lassen …

Alles natürlich nur in meiner Vorstellung, so jedoch, daß die Strahlen,
wie es mir scheint,
davon den Eindruck haben, als ob die betreffenden Gegenstände und Erscheinungen wirklich vorhanden wären

jene randständigen Schirmbilder, die nur scheinbar keinen Einfluss auf das Geschehen haben

Wie die Meisten beobachte ich den Mond sehr unsystematisch

um das Gefühl dafür zu schärfen, dass es ein Nichtdarstellbares gibt

einen Eigenbereich, einen Bereich des Nicht-Determiniertseins

Ich schwärmte damals für Software, für theoretische, gewichtlose
Substanzen,
eine zweite immaterielle Dingwelt

Weiche Ware

Wie lose Notizen, systematisierte Zettelkästen, Buchtitel ohne Bücher und Bücher ohne Titel

Was gesagt wird und was gemeint ist

Seufzer des Artikels

auch wenn sie auf den Bildtafeln fehlen

die über weithergeholten, gesperrten Sätzen aufleuchten.

Und Sie – erinnerst Du dich noch an die erstaunlichen Bemerkungen,
die sie an den Rand kritzelte?

Wir ergänzten einander gut

einen solchen Computer müsste man bauen können – mit Methoden, die wir uns allerdings heute noch nicht vorstellen können

Das Hirn als Maschine, die Maschine als Hirn

ein Computer des Endzustandes könnte davon überzeugt sein, dass er den Menschen programmiert hat

der Output ist das Resultat des Inputs

Alle diese Metakategorien sind damals aus unserem Gedankengut
herausexplodiert

Ich meine, ich habe keine Zauberglaskugel. Ich kann die Zukunft nicht sehen

es hat keinen Sinn zu fragen, ob wir die Computer wollen oder nicht

aber meiner Meinung nach gibt es eine Möglichkeit, künstliche
Intelligenz herzustellen

mit ganz anderen Techniken, die zum Teil aus der Biologie abgeschaut werden müssen

Warum nicht die Neuronen nutzen, die zu Lebzeiten die visuellen
Eingaben verarbeiten

also müsste eine Maschine ein Gehirn werden können

Klingt extrem materialistisch

Aristoteles soll angenommen haben, das Gehirn sei ein Organ, das der Kühlung des Blutes diene

Angenommen, wir hätten die Leber im Schädel und unser Gehirn wäre in unseren Brustkorb eingebettet

Ist die Vorstellung, wir könnten mit unserem Gehirn – diesem weichen, gräulichen blumenkohlförmigen Ding denken, nicht tatsächlich genauso Sinne verwirrend wie die Vorstellung, wir könnten mit unserer Leber denken – diesem weichen, rötlich-braunen Ding?

Jenes wunderbar-besessene Gehirn, dem es auf eine kleine Beunruhigung mehr oder weniger nicht ankommt

Eine Denk Schleife nach dem Möbius-Muster

Das endlos geflochtene Band

Ur-alt und immer zukünftig

Wir interpunktieren also den Fluss der Ereignisse in ganz bestimmter Weise

So werden sie mit den echten Hirngespinsten sehr schnell fertig

Wir hatten uns vorgestellt, daß ich eines Tages in einem Museum
herumschlenderte und daß ich plötzlich an der Wand neben dem
Porträt von Madame X etwas sähe, das ich sofort, aus zwanzig Meter Entfernung, als etwas von dir erkennen würde …

Ich sag Dir, damals war die Welt kugelrund und Du konntest rund
herumgehen
immer rund herum

… Dass die Bewegung eine Illusion ist … Dass die Bewegung eine
Illusion ist

So nahm sie also ihr Taschenmesser

sie würde einfach auf ihrem Stuhl stehen und rundherum immer
rundherum
aber nicht krumm
Rose ist eine Rose ist eine Rose ist eine Rose ist eine Rose
in die Rinde ritzen bis es ganz rundherum reichte

Endlich, endlich!

Worte, verpackt wie in Seidenpapier,
mit Farbstoff versetzt,
wir wissen, man kann uns nicht mehr auseinanderdividieren

Wir öffnen eine weitere Sechserpackung, um uns über die Nichtigkeit unserer jüngeren Ichs hinweg zu trösten

wie eine Spinne, die nicht nur im Hinblick auf ihren Körper eine Spinne ist – zu ihr gehört auch ihr Netz

sie ist eine Organisationsform

Die angeblich mittels der Einführung von Heterogenität, Diskontinuität und Glossolalie das Subjekt der Repräsentation in eine Krise stürzte

Das ist das Wichtigste

Es stellt sich nämlich heraus, dass das Bild sich selbst nie vollständig abbilden kann

denn erst die Zahlenoperationen – das Addieren, Subtrahieren, das
Dividieren und Multiplizieren – schaffen Verhältnisse und Beziehungen – und damit Analogien

und die Menschen, sie legen ihre analogen Uhren in die Schublade und kaufen sich Digitaluhren, die im Jahr weniger als eine Minute falsch
gehen

Denn mit der Digitalisierung ist eine Überbietung denkbarer
Gedächtnisleistung eingeleitet

Warum?
Weil die Digitalisierung – 0/1/0/1 – zur Überführung der
unterschiedlichen gedächtnisbildenden Aufzeichnungssysteme wie Rede, Bild und Schrift
in einen Universal Code tendiert

Genau das, was die Bewegung hasst

Seufzer des Artikels

Wo gewährt man ihr Freiräume, wo reglementiert man sie?

Das kann die Frau nicht. Nie wird es ihr gelingen

Ein Subjekt, das außer sich gerät, sich vervielfältigt
und in seiner pathetischen Selbstüberschreitung aus der Gleich­förmigkeit der Gesellschaft punktuell herausfällt

Die Frauen nehmen jetzt geradezu überhand, besonders in der
Informatik, vor allem in Amerika

Haben sie eine Seele oder haben sie keine?

Und kommt es durch die Wand?

zu ihrer und unserer Erwunderung fällt die schwarze
Spitzenmaske

und unablässig späht ihr Blick mit unruhiger Wachsamkeit

Wird es nicht zu sehr auffallen?

Diese Masken waren mein Verderben

Diese Nachtgespenster, die mich verhöhnen und hinter denen ich herlaufe

Eine wahre Überschwemmung

Auf der anderen Seite sickert das Wasser natürlich auch

Ach was, sie wird das hinkriegen, sie wird das ausbessern,
niemand wird etwas davon sehen, niemand wird, vor allem wenn der Vorhang nicht zugezogen ist, die Stelle bemerken

Bring diesmal die Kamera mit, nimm es auf Band auf.
Wiederhole es sogar.

Aber Feministische Kunst ist keine Stilrichtung

Und wenn wir den ganzen Vorhang neu färbten?

Die Frau ist von Bildern bedeckt

Und die Tapete ist ganz grau geworden

Glaubt sie, die Farbe hat sich nicht geändert?

Hm, muss die Rhetorik des Genres sozusagen Überstunden
machen, um das verlorene zu kompensieren?

Mit großem Fleiß habe ich gelernt, einige einfache Knoten
verlässlich zu visualisieren

Schillernd, immer lichter werdend bis zur Blässe

Aber es ist eine leere Leidenschaft, sie erschöpft sich in
Repräsentation

Die Wirklichkeit wird nicht gefunden, sondern sie wird erfunden

Texturen, die ich im Mond nie gesehen habe

synaptische Bläschen bilden kleine Gruben in der Membran

Stell die Stücke anders zusammen. Fang wieder von vorne an

Denn mit der Vorstellung von Mord verbindet sich oft der
Gedanke an Meer und Matrosen

Bevor die Hüllen fallen, zeigen sich auf den Gesichtern alle
möglichen Spannungen

Ein formloser Haufen auf dem Fußboden, in seinen letzten
erschöpften Zuckungen

es entsteht ein Gedränge, schiefe Perspektiven

Ein Leuchter beginnt, gefährlich zu schwingen

in diese Farben tauchen wir, ob wir wollen oder nicht, unser
Entzücken und unser Entsetzen

Weil sie keine Materie für ein erneutes Projekt der Beherrschung abgeben

halte durch, kauf ein Tuch und etwas Stoff

Denn eine Periode, die, nachträglich an einer einzigen Stelle im Rhythmus gestört wird, macht den schönsten Prosasatz, der sich denken lässt

Jacke wie Hose mein Name ist Rose

Link zum Hörtext auf www.c0da.org

Cache
Femi­nis­ti­sche Ästhe­ti­ken und Archivprozesse

08. 11. 2024 bis 05. 01. 2025
Lentos Kunstmuseum, Leseraum
www.lentos.at/ausstellungen/cache

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About the author

(*1974, Oberstdorf, DE) arbeitet einzeln und in verschiedenen Gruppen-Konstellationen mit einem Fokus auf Ortsspezifik, Genderfragen, Vielstimmigkeit, textile und textuelle Strukturen sowie topologische Vorstellungen von Denken und Raum. Sie hat u. a. an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg studiert. katrinmayer.net

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