Echoes of the Dancefloor
Die Referentin #40
Die Gruppenausstellung Spill & Bleed im Salzamt Linz zeigt Arbeiten zwischen zeitgenössischer Kunst und Clubkultur. Moritz Pisk über einige der künstlerischen Positionen und über Techno, Dancefloor und Club.
Soft Bomber, Mia Trotz, Ausstellungsansicht. Foto Simon Oberhofer
Im Jahr 2000 veröffentlichte der US-amerikanische Automobilkonzern Ford einen 30-sekündigen Werbespot für das Modell Focus. In einem sterilen, weißen Labor-Setting sehen wir einen Roboterarm, der die Karosserie des Autos mit einer Motoreinheit und Felgen bestückt und im Innenraum ein Radiodeck sowie Lautsprecher installiert. Neben dieser industriellen Fertigungsarbeit steuert der präzise Greifarm jedoch auch ein DJ-Setup auf einem neben dem Wagen stehenden Pult. Noch vor dem ersten Handgriff der Produktion wird ein Plattenspieler gestartet, die Nadel senkt sich sanft auf die Platte, und Juan Atkins’ Track No UFOs aus dem Jahr 1985 bestimmt fortan den Rhythmus der Bewegungen des Fertigungsroboters. Nach rund 25 Sekunden ist der letzte Lautsprecher verbaut und die Nadel hebt sich wieder. „Detroit Techno. Ford Focus“ lautet der abschließende Slogan des Werbespots.
Dieser skurrile Versuch, die kriselnde Automobilindustrie Detroits mit der afroamerikanischen Techno-Kultur der Stadt zu verknüpfen und damit via MTV für die Anschaffung eines Ford Focus zu werben, markiert den überschrittenen Höhepunkt der ersten großen Techno-Welle der 1990er-Jahre. 1999 tanzten 1,5 Millionen Menschen in Berlin auf der größten Love Parade der Geschichte, gesponsert von der Deutschen Telekom, Camel Zigaretten und in wohlwollender Anwesenheit der konservativen CDU-Jugendorganisation Junge Union. Die afroamerikanischen, aktivistisch-politischen Ursprünge der elektronischen Musik waren für viele längst in Vergessenheit geraten. Die sogenannte Detroit-Berlin-Achse, die seit 1990 die Basis für innovative Clubkonzepte in Deutschlands Hauptstadt bildete, trat in den Hintergrund – weißgewaschene Mainstream-Dancefloors dominierten das Bild der Szene. Doch trotz fortschreitender Kommodifizierung überlebten Techno und die zugehörigen Dancefloors auf subkultureller Ebene bis heute.
Im Jahr 2025 stehen wir womöglich erneut an einem Scheitelpunkt der kulturellen Aufmerksamkeit für Dancefloor- und Techno-Kultur. Mit dem Ausklang der COVID-19-Pandemie kulminierte das Verlangen nach vollen Clubs, schwitzenden Körpern und dröhnenden Bässen in einem von Social Media getragenen Hype um diverse Techno- und Dancefloor-Szenen. Diesmal ist es nicht die Aneignung durch einen fossilen Industriegiganten, sondern ein subtileres Ubiquitär-Werden: Fast-Fashion-Ketten nahmen kinky Rave-Outfits in ihre Sortimente auf, Tutorials auf TikTok erklären das „richtige“ Tanzen am Dancefloor und selbst Städte ohne nennenswerte Clubszene gründeten Clubkommissionen. 2024 trat Österreich beim Eurovision Song Contest in Schweden mit dem Titel „We Will Rave“ an: „When the darkness hits, and we can’t be saved. We ram-di-dam-dam-dam. We will rave“. Techno, Dancefloor und Rave prägen die gegenwärtige Popkultur – gleichzeitig sind Clubs vielerorts von Schließung bedroht oder mussten bereits aufgeben.
Die Ausstellung Spill & Bleed. Echoes of the Dancefloor im Atelierhaus Salzamt eröffnete Ende Mai das von der Stadt Linz ausgerichtet STREAM Festival. Mit Spill und Bleed führt die Gruppenausstellung zwei Begriffe aus der Tontechnik im Titel, die das Auftauchen von Sound an dafür nicht bestimmten Orten beschreiben. Ein vergleichbarer Prozess lässt sich nun wie beschrieben in der Rave- und Dancefloor-Kultur beobachten: Sie tritt in neuen Kontexten in Erscheinung, spricht ein vielfältiges Publikum an und beeinflusst unterschiedliche Disziplinen und Genres. Diesen Prozess untersucht die Ausstellung anhand von sechs künstlerischen Positionen.
In der zentralen Videoarbeit DEEP DOWN INSIDE des niederländischen Künstlers Thomas van Linge unterhalten sich zwei Dinosaurier über die Physikalität von Sound. „Every time we hear something, we hear the past. We hear what happened“, stellen die beiden Raptoren fest. Schnell wird klar, dass es hier nicht nur um Bewegung und Geschwindigkeit von Schallwellen geht, sondern um die longue durée der Dancefloor- und Technogeschichte, die stets anwesend ist, aber oft überhört wird. Van Linge verwebt den Dialog mit schemenhaften Aufnahmen tanzender Körper, bevor der Dinosaurier resümiert: Schallwellen verlieren mit der Zeit an Kohärenz, werden irrelevant und willkürlich. Droht dieses Schicksal auch der Club- und Dancefloor-Kultur? Eine Antwort bleibt aus – Van Linge lässt zuvor einen Kometen auf die beiden prähistorischen Reptilien zurasen.
Vorschläge für ein nicht unmittelbar bevorstehendes Ende der Clubnächte macht eine kollektive Arbeit der Abteilung für Gestaltungslehre und Entwerfen am Institut für Architektur der TU Wien. Unter Anleitung der Architektin Aleksandra Budaeva untersuchten Studierende ein Semester lang die Wiener Clublandschaft mit besonderem Fokus auf architektonische Aspekte. Neben Soundwellen ist es vor allem die räumliche Gestaltung, die das soziale Gefüge auf dem Dancefloor prägt. ATLAS Vienna After Hours steht auf dem glitzernden, überdimensionalen Buch, in dem auf rund 190 Seiten Grundrisse, Funktionen, Bewegungsmuster und soziale Konstellationen von 30 Wiener Clubs analysiert werden. Diese Orte werden aufgesucht – von Dinosauriern ebenso wie von jungen Raver*innen und anderen Akteur*innen der Nacht. Sie sind das Publikum, die Szene – und somit das essenzielle Element eines funktionierenden Dancefloors. Ohne Publikum nützt weder Sound noch Architektur. Oder wie Rainald Goetz in Rave festhält: „Die beste Deko, alte Veranstalterweisheit, ist ein voller Laden.“
Der Zusammensetzung des Publikums nähert sich die Modedesignerin Mia Trotz über eine kritische Auseinandersetzung mit der ikonischen MA-1 Bomberjacke. Kaum ein anderes Kleidungsstück wurde so vielfältig (re)kontextualisiert wie dieses ursprünglich für die US Air Force entwickelte Modell. Nach zahlreichen militärischen Verwendungen durchlief es diverse Subkulturen – von Punk über Skinheads bis zu Ultra-Bewegungen und fand letztlich auch Eingang in den Fashion-Mainstream. In der Club- und Techno-Kultur ist die MA-1 seit Jahrzehnten fester Bestandteil, nicht nur an der Tür, sondern auch auf und hinter dem Dancefloor. Mia Trotz’ Arbeit Soft Bomber stellt dominante Männlichkeitskonzepte sowie damit verknüpfte Vorstellungen von Härte und Überlegenheit infrage. In Kooperation mit dem Textilen Zentrum Haslach entwickelte sie ein zweiseitiges Jacquard-Gewebe und entwarf eine Version der MA-1, in der sich die historische Härte der Jacke mit der zwischenmenschlichen Achtsamkeit eines solidarischen Dancefloors verbindet: Soft Bomber.
DEEP DOWN INSIDE, Thomas van Linge, Ausstellungsansicht. Foto Simon Oberhofer
Spill & Bleed. Echoes of the Dancefloor ist eine Ausstellung über das Fortwirken von Club- und Rave-Kulturen in der Kunst. Die Schau erzeugt eine Atmosphäre, die das gesamte Gewölbe des Salzamts durchdringt, ohne selbst zum Dancefloor zu werden. Es sind Echos, unerwartete Begegnungen und übergebliebene Fragmente endloser Nächte, die behutsam den Ton setzen. „Hey, I miss you“, sagt einer der Dinosaurier – und meint wohl den Dancefloor.
Ausstellung
Spill & Bleed – Echoes of the Dancefloor
Noch bis zum 13. Juni im Atelierhaus Salzamt.
blog.salzamt-linz.at
Die Ausstellung war auch Teil des STREAM
Festivals, das am letzten Mai-Wochenende in Linz gelaufen ist. Ausstellung in Kooperation mit der Kunstuniversität Linz.
Redaktionell geführte Veranstaltungstipps der Referentin