Neue Studien ergeben, dass rund 20 Prozent der Menschen, die vor den Lockdowns Kulturveranstaltungen besucht haben, für zumindest einige Zeit auch für die Museen und Galerien verloren sein werden. Dieses Publikum hat offenbar die Angebote im Netz zu schätzen gelernt und will auch künftig Ausstellungen bequem von zu Hause besichtigen. Silvana Steinbacher hat bei den Verantwortlichen der Linzer Museen und Kunsthäuser allerdings zupackenden Optimismus bemerkt.
„Ich denke das Live-Erlebnis wird wieder an Bedeutung gewinnen.“ „Es funktioniert nicht, wenn Formate lediglich ins Internet verschoben werden.“ „Die Menschen warten bereits sehnsüchtig darauf endlich wieder ins Museum gehen zu können.“
Zukunftsängste sehen anders aus. Von einigen Linzer Museums- und Kunsthausleiterinnen und -leitern, (Lentos Kunstmuseum, Kunst- und Projektraum Memphis, Nordico Stadtmuseum und Atelierhaus Salzamt) mit denen ich zu diesem Thema Kontakt aufgenommen habe, ist jedenfalls niemand besorgt, dass das Publikum nur noch das Online-Angebot besucht. Die verordneten Schließungen strapazierten auch das Leben der Kunstanbieterinnen und Kunstanbieter und es ist noch kein Ende absehbar. Von Lockdown zu Lockdown mussten die Verantwortlichen mit geplanten Ausstellungskonzepten jonglieren und ihre Galerien oder großen Häuser in Geister-Stätten verwandeln, während zuletzt Schifahrende dicht an dicht auf ihre Gondeln warteten.
Als es noch möglich war, habe ich mir ganz und gar unbesorgt an einem Dienstagnachmittag eine Ausstellung in einem Linzer Museum angesehen. Ich begegnete zwei Besuchern in mehr als ausreichender Entfernung und konnte die Schau rundum entspannt auf mich wirken lassen.
Österreichs Bundesmuseen verzeichneten im vergangenen Jahr einen Publikumsrückgang von 71 Prozent. Einen Kollateralschaden für die Kulturanbieterinnen und Kulturanbieter erwartet Klaus Albrecht Schröder und sieht dunkle Wolken am Kunsthimmel aufziehen. Der Vorsitzende der Bundesmuseen-Konferenz und Direktor der Albertina in Wien befürchtet, dass die besagten Kollateralschäden in ihrem Ausmaß derzeit in keiner Weise absehbar seien und sich die Menschen den Besuch von Kultureinrichtungen ganz einfach abgewöhnen würden (Ö1-Mittagsjournal am 11. 1. 2021). Schröder erwähnt in diesem Zusammenhang die Online-Angebote, um die es uns hier geht, allerdings nicht.
Doch es gibt auch eindeutige Gewinnerinnen und Gewinner des Lockdowns auf diesem Gebiet. Die Geschäfte im Netz florieren, Kunstverkäufe haben sich bisher im Gegensatz zu „Normalzeiten“ verdreifacht.
Während der Lockdowns dürften die Besucherinnen und Besucher von Museen die intensivierten Präsentationen im Netz entdeckt, einzelne Werke von zu Hause aus und ohne Eintrittsticket genossen haben. Die Vermutung liegt also nahe, dass ein Gewöhnungseffekt eingetreten sein könnte und das betrifft nicht nur Museen, sondern den Kunst- und Kulturbereich insgesamt. So ist diese Perspektive seit den Lockdowns auch für die rund 15 Museen der Stadt Linz sowie die Galerien noch realistischer geworden als davor. Clemens Mairhofer, Mitarbeiter im Atelierhaus Salzamt, bringt es auf den Punkt:
„Ich denke, dass der Lockdown für sehr viele Menschen und auch Institutionen so etwas wie ein Online-Crashkurs war. Das Online-Angebot von Museen und Ausstellungsräumen hat sich erweitert und verbessert, netzbasierte Formate wurden entwickelt und das Streamen von Veranstaltungen wurde zum Standard. Die allgemeinen Computerkenntnisse haben sich verbessert.“
Dass die Vermittlung vor Ort durch diese Entwicklung möglicherweise obsolet sein könnte und somit auch ein Publikumsschwund einsetzen könnte, glaubt die Leiterin des Nordico Stadtmuseums Andrea Bina allerdings nicht.
„Die Vermittlung wird auf keinen Fall obsolet sein, aber das Angebot wird sich verändern, da die Anzahl der teilnehmenden Personen geringer sein wird. Wir haben bereits auch andere Angebote entwickelt wie etwa das Take-away Atelier.“ (Ein Take-away Atelier ist eine Box zum Mitnehmen, die Bezug auf die Ausstellung des jeweiligen Hauses nimmt, auch bietet sie die Möglichkeit selbst kreativ zu sein.)
Um ihr Stammpublikum fürchtet die künstlerische Direktorin des Linzer Kunstmuseums Lentos Hemma Schmutz auch nach den Schließungen nicht. Sie glaubt vielmehr, dass sich physisches Erleben von Kunst und Museen und digitale Vermittlung eher gegenseitig verstärken, wie sie konstatiert, doch gibt sie zu bedenken:
„Nicht zu vergessen ist natürlich auch der ökonomische Aspekt dieses Themas. Bis dato sind ja die meisten digitalen Angebote kostenfrei und die Museen finanzieren sich natürlich auch über Eintritte.“
Der Linzer Kunst- und Projektraum Memphis als Ort der offenen Kommunikation und Diskussion will als Kunstverein eine Schnittstelle zwischen Kunst- und Filmschaffenden, Theoretikerinnen und Theoretikern und Publikum sein und einen Raum zur kritischen Betrachtung bieten. Jakob Dietrich rechnet nach wie vor mit seinem Publikum. Das Memphis-Team an der Unteren Donaulände nutzte die Zeit ohne Publikum und Ausstellungen, um Konzepte zu überdenken, den Kontakt zu jungen Künstlerinnen und Künstlern aufrechtzuerhalten und im Rahmen des Möglichen nach Ausdrucksformen zu suchen, unter anderem durch einen Leuchtkasten an der Außenfassade des Kunstraums, der sich auf der stark befahrenen Straße mit einer künstlerischen Wortmeldung zur Pandemie äußert.
Bereits vor mehr als 20 Jahren prophezeite der Kunstkritiker und Philosoph Boris Groys, ein relevanter Theoretiker der Geistes- und Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts, dass die Kunst innerlich bereit sei, den Verlockungen des Medienzeitalters zu folgen, aus dem Museum auszuziehen und sich durch die neuen medialen Kanäle verbreiten zu lassen. (Boris Groys, Logik der Sammlung. Am Ende des musealen Zeitalters, 1997)
Diese Prophezeiung hat sich im Laufe der vergangenen Jahre zwar angebahnt, ist aber noch nicht ausschließlich realisiert worden. Es existieren unterschiedliche Thesen zu der Frage, ob das herkömmliche Museum jemals obsolet und zur Gänze durch „mediale Kanäle“ oder virtuelle Präsentationen ersetzt würde. Vor allem in den Vereinigten Staaten spricht einiges dafür, dass das Netz zumindest den ersten Kontakt zum Museum darstellt: Erst dem „virtuellen“ Besuch durch die Userinnen und User folgt der lokale durch die Besucherinnen und Besucher. Als Befund lässt sich feststellen, dass virtuelle Präsentationen vor allem die jüngere Generation anziehen.
Kehren wir nach Linz zurück: Das Atelierhaus Salzamt an der Oberen Donaulände zielt auch auf Begegnung und Vermittlung. Es bietet fünf Ateliers für internationale Kunstschaffende und vier für regionale, setzt auf Kunstvermittlung durch Gespräche und Atelierbesuche. Dieses Konzept ist durch Auftritte im Netz nur unzureichend zu ersetzen und somit wurde das Salzamt durch die Lockdowns besonders beschnitten, sagt Clemens Mairhofer.
„Einige internationale Künstlerinnen und Künstler konnten ihre Residencies auf Grund von Reisewarnungen nicht antreten. Grundsätzlich muss man aber festhalten, dass eine Residency zur Ausübung des Kunstberufs gehört, das heißt auch momentan ist eine Einreise aus beruflichen Zwecken möglich. Voraussetzung ist natürlich ein negativer PCR-Test und 10-tägige Quarantäne.“
Die künstlerische Direktorin des Lentos Hemma Schmutz stellt fest, dass digitale Angebote heute oft klassischere Vermittlungsstrategien ersetzen würden, so wie es früher Kataloge oder Texte in Ausstellungen geboten hätten. Perfekt, so Schmutz, seien sie für die Vor- bzw. die Nachbereitung eines realen Besuchs in einem Museum. Die Leiterin des Nordico Andrea Bina stimmt diesem Mix zu.
„Die Kombination von Ausstellungsbesuch und ‚Nacharbeiten‘ daheim zum Thema finde ich ideal. Gerade bei unseren kulturgeschichtlichen Präsentationen im Nordico Stadtmuseum Linz ist das relevant, da wir komplexe Stadterzählungen anbieten. Alle unsere Filmbeiträge und Interviews, die wir zu unseren Ausstellungen produzieren, sind auf unserer Homepage abzurufen. Gerade diese Form der Auseinandersetzung schätze ich sehr. (Man sollte grundsätzlich neugierig bleiben, das Museum ist nach wie vor die ideale Plattform für „lebenslanges Lernen“ und mehr.) Ich hatte gerade in den letzten Wochen sehr schöne Rückmeldungen von ‚Stamm‘-BesucherInnen, die schon gespannt auf unsere kommenden Ausstellungen, auf weitere vertiefende Auseinandersetzung mit unserer Stadt warten.“
Lassen wir hier beiseite, wie stiefmütterlich die Regierung die Kunst an sich behandelt hat, so als sei sie ihr herzlich egal. Versuchen wir vielmehr uns auch erfreuliche Perspektiven aus der Situation heraus vorzustellen, was zugegebenermaßen vermessen klingt. Könnte das Engagement, die Kompetenz und die Originalität, mit denen einige Verantwortliche der Museen und Galerien ihr Angebot vermehrt online präsentiert haben, möglicherweise dazu beitragen, dass das Publikum sich im Netz anregen lässt, um dann die Ausstellungen in den Hallen oder auch kleinen Galerien real zu erleben, die Hängung der Werke, die Architektur der Häuser auf sich wirken und dann im Café, sofern es eines gibt, den Nachmittag ausklingen zu lassen?
Wie geht es weiter? Die Vermutungen sind natürlich unterschiedlich. Ob für manche Häuser tatsächlich der besagte Kollateralschaden eintritt oder das Publikum seine Häuser vermisst hat, werden erst die nächsten Monate zeigen, und dies ist ebenso wenig abzuschätzen wie dieses Virus, das so gänzlich unvorhersehbar ist und hoffentlich bald gewesen sein wird.