Mit „Transformation und Wiederkehr“ zeigt das Lentos Kunstmuseum ab März verschiedene künstlerische Positionen zur Kontinuität und Repräsentation radikaler Nationalismen. Marina Wetzlmaier über Ausstellung und Hintergründe.
Schicht für Schicht legen die abgerissenen Papierfetzen neue Motive frei. Schicht für Schicht hat der Künstler Markus Proschek Verbindungen zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart hervorgeholt. Von einem Gemälde aus der Zeit des Nationalsozialismus zu den Symbolen der neuen Rechten. „Laminat“ lautet der Titel dieser Arbeit, eines der Kunstwerke der Ausstellung „Transformation und Wiederkehr – Radikale Nationalismen im Spiegel der zeitgenössischen Kunst“, die von 24. März bis 6. Juni 2021 im Kunstmuseum Lentos zu sehen ist. Gerade für Linz mit seiner Geschichte sei die Auseinandersetzung mit rechten Ideologien ein spannendes Thema, sagt die Lentos-Direktorin Hemma Schmutz. Gemeinsam mit Markus Proschek kuratiert sie die Ausstellung.
In einer Kombination aus Malerei und Installation beschäftigt sich Proschek in „Laminat“ mit der ideologischen Verwendung von Bildern und Kontexten. Zu sehen ist eine Plakatwand, die Wilhelm Dachauers Gemälde „Aus dem Opfer des Krieges entsteht das neue Europa“ reproduziert. Der oberösterreichische Künstler Dachauer machte zur Zeit des Nationalsozialismus Karriere – bis hin zur Professur an der heutigen Akademie der bildenden Künste in Wien. Auf Proscheks Plakatwand sind immer wieder Teile des Bildes abgerissen, und darunterliegende Motive kommen zum Vorschein, eine ständige Decollage und Decoupage. Schließlich tauchen auf einem Posterteil die Insignien der Identitären auf. „Die Identitären sind sehr bemüht sich von der Kontinuität eines Neonazitums abzugrenzen, aber wenn man genauer hinschaut und hinhört, ist die Camouflage sehr schlecht“, kommentiert Proschek. „Diese Arbeit ist ein Beispiel für die direkte Verklammerung von Vergangenheit und Gegenwart“, sagt Hemma Schmutz.
In der Psyche der Gesellschaft
Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Stadt Linz und Oberösterreichs ist ein Jahresschwerpunkt, den das Lentos gemeinsam mit dem Stadtmuseum Nordico gesetzt hat. „Es war uns wichtig, dass wir direkt an die spezifische Region hier anschließen“, sagt Schmutz. Mit der Ausstellung „Der junge Hitler. Prägende Jahre eines Diktators 1889–1914“ fragt das Nordico nach den Anfängen von Militarismus, Rassenhass und Antisemitismus in der Gesellschaft und zeichnet die Biografie Adolf Hitlers nach. Währenddessen zeigt „Transformation und Wiederkehr“ im Lentos, inwieweit rechtsextreme Ideen von zeitgenössischen Künstler*innen bearbeitet werden. In den vergangenen Jahren tat sich eine Reihe von österreichischen und internationalen Künstler*innen hervor, die in der Ausstellung vertreten sind: Monica Bonvicini, Keren Cytter, Martin Dammann, Ines Doujak, Riccardo Giacconi, Franz Kapfer, Erez Israeli, Laibach, Annika Larsson, Henrike Naumann, Markus Proschek, Roee Rosen, Dennis Rudolph und Christina Werner.
Aktuelle, gesellschaftliche Tendenzen zu verhandeln und zur Diskussion zu stellen gehöre laut Schmutz zu den Aufgaben öffentlicher Museen wie dem Lentos. Es ginge dabei nicht nur darum, diese Tendenzen bei anderen aufzudecken, sondern nachzudenken, inwieweit unsere Gesellschaft selbst darin verstrickt ist. Mit psychoanalytischen Methoden wird gefragt, welche Ansätze in uns selbst liegen. Wie treten rechte Positionen auf und erzeugen Faszination und Abstoßung zugleich?
Bedeutungen und Symbole im Wandel
Psychoanalytisch beginnt die Ausstellung gleich mit einer Vitrine, in der die Publikation „Massenpsychologie des Faschismus“ von Wilhelm Reich zu sehen ist. In einem Zitat daraus wurde die These herausgegriffen, dass die Attraktivität des Hakenkreuzes von einer verborgenen sexuellen Symbolik ausgehe. Reich interpretierte den Nationalsozialismus als Ersatzventil einer kollektiven, pathologisch unterdrückten Sexualität. Anhand dieser These ließe sich fragen, ob es sich um eine neutrale Beobachtung handle oder ob hier schon Fiktion über den Faschismus anfängt, erklärt Proschek. Das Verhältnis zwischen realen Phänomenen und der Fiktion darüber stellt einen Kernpunkt der Ausstellung dar. Die Aneignung traumatischer und bedrohlicher Sachverhalte in fiktiver Form schaffe Raum Themen neu zu verhandeln, heißt es im Konzept der Ausstellung. Auch kann sie ein Versuch sein, Kontrolle darüber zu erlangen und den Kontext selbst zu bestimmen. Geschichte wird damit zum formbaren Material.
So schreibt sich der israelische Künstler Erez Israeli selbst in Fotografien von Hans Surén ein. Nackt und eingeölt posierend ließ sich Surén, der „Fitnesspapst“ der NS-Zeit ablichten und verherrlichte den „arischen“, mittels Sport und Gymnastik fit gemachten Körper, u. a. in dem Buch „Mensch und Sonne“. Israeli ließ sich in denselben Posen fotografieren und gab seiner Arbeit den Titel „Showing my Jewish Body to the World“. Dieser Idealisierung gegenüber stehen Fotografien, die der Berliner Martin Dammann aus Archiven zusammengetragen hat. Es handelt sich um Privataufnahmen deutscher Wehrmachtsoldaten bei unterschiedlichen Anlässen, etwa beim Karneval, wo die Soldaten in Frauenkleidern zu sehen sind.
Zentrales Thema der Ausstellung ist auch das komplexe Verhältnis zwischen Symbolen und ihrer Verwendung. „Uns ist wichtig, dass man den Bedeutungswandel der Symbole zu begreifen versteht“, sagt Hemma Schmutz. Am deutlichsten wird dieser Wandel am Beispiel des Hakenkreuzes. So können wir ein Hakenkreuz nicht mehr betrachten und sagen, es sei eigentlich nur ein Sonnensymbol. Wie etwa jene Swastika, die auf einer Inkaschale dargestellt ist. Vor dem Hintergrund der europäischen Geschichte ist eine neutrale Betrachtung dieses Symbols unmöglich geworden. „Wir wollen damit auch eine Reflexion über dieses Zeichen anregen, über das Aufladen von Zeichen und den Wandel und Verlust von Bedeutung“, so Schmutz.
Bedrohliches Europa
Augenmerk liegt aber nicht nur auf historischen Materialien, sondern die Künstler*innen bearbeiten genauso aktuelle Symbole und Tendenzen. Ebenso bleibt der Blick nicht auf Linz oder Österreich beschränkt. Christina Werner geht in ihrer Arbeit auf das „Neue Europa“ ein und begann bereits im Jahr 2010 Material darüber zu sammeln. Das Ergebnis ist ein Heft, das Fotografien von Tatorten rechtsextremistisch motivierter Gewalt in Deutschland enthält. Die dazugehörigen Texte sind aufs Notwendigste reduziert: Datum, Ort, Name des Opfers und Todesursache. Die Fotos sind in nüchternem Schwarz-Weiß gehalten. Dazwischen die Bilder von Fernsehauftritten rechtspopulistischer Politiker*innen. Mimik und Gestik treten in den Vordergrund: der ehemalige Front National-Chef Jean-Marie Le Pen mit ausgebreiteten, nach oben gestreckten Armen, seine Tochter Marine Le Pen mit geballter Faust. H. C. Strache mit schwenkender Österreich-Flagge umgeben von seinen Anhänger*innen, Geert Wilders aus den Niederlanden im Konfetti-Regen. Ein bedrohliches „neues Europa“. Für „Transformation und Wiederkehr“ wurde Werners Heft neu aufgelegt und kann von den Besucher*innen mitgenommen werden.
Auch in anderen Arbeiten wie in der Videoinstallation „The Boys Are Back“ hat sich Werner mit der medialen Präsenz und Repräsentation rechtsextremer Netzwerke in Europa auseinandergesetzt. Eine mutige Arbeit, wie Schmutz sagt, denn es sei nicht selbstverständlich, sich mit diesem Thema so zu exponieren.
Als mutig kann auch die Arbeit von Franz Kapfer bezeichnet werden, der im Jahr 2018 mit viel Literatur im Gepäck nach Istanbul reiste. Zurück kam er mit einem Koffer voller Sturmhauben, Zierwaffen und Schmuckstücke, die alle die Symbole der „Grauen Wölfe“ tragen. Am Flughafen in Istanbul ließen ihn die Sicherheitsbeamten bei der Ausreisekontrolle mit einem Lachen durch, berichtet Kapfer. Selbst Macheten mit scharfen Klingen konnte er mühelos nach Österreich bringen.
Im Lentos lässt Kapfer diese Ausstellungsstücke an Fäden von der Decke hängen. Wie böse Geister schweben sie in einer eigens errichteten Holzhütte. Diese stellt ein sogenanntes „Idealistenheim“ dar, wie die Grauen Wölfe ihre Ausbildungsstätten nennen. Im türkischen Hinterland dienen sie als Rückzugsorte für ihr paramilitärisches Training, für den Drill an der Waffe. In Österreich findet in den „Idealistenheimen“ der Grauen Wölfe das Vereinsleben statt. In Linz ist „Avrasya“ einer von etwa zwanzig Vereinen in Österreich. Darüber hinaus gibt es einen weiteren Bezug zu Linz: Über eine hier ansässige Firma läuft der europaweite Vertrieb von Filmen, die in großen Kinos die Propaganda der türkischen Rechtsextremen verbreiten.
Teil der Alltagskultur
In der Türkei sind die Grauen Wölfe in der „Partei der Nationalistischen Bewegung“ (MHP) organisiert und derzeit in einem Regierungsbündnis mit dem Erdogan-Regime. Während seiner Istanbul-Reise war Kapfer die Präsenz der Grauen Wölfe allgegenwärtig: Er sah Polizisten, die auf dem einen Ärmel das Stadtwappen trugen und auf dem anderen das Symbol der Grauen Wölfe. Männer mit dem typischen Graue-Wölfe-Bart in der U-Bahn und deutschsprachige Türken, die auf dem Markt Uniformen in Kindergröße kauften. Auf demselben Markt, wo Kapfer seine Sturmhauben und Waffen erwarb. Von da an sei ihm das Logo der Grauen Wölfe überall begegnet: nicht nur in Istanbul, auch in Wien, Leipzig oder Berlin. „Wenn man die Symbole kennt, sind sie sehr präsent“, sagt Kapfer.
Nationalistische Symbole sind laut Hemma Schmutz Teil unserer Alltagskultur: „Wir sehen sie und können sie vielleicht nicht immer richtig deuten. Je mehr Informationen wir dazu haben, desto besser können wir damit umgehen.“ Die Ausstellung „Transformation und Wiederkehr“ soll dem Publikum auch eine Art Hilfestellung bieten, Symbole zu erkennen und zuzuordnen. In einem Ausstellungsführer wird jede Arbeit der Künstler*innen detailliert beschrieben. Für Begleittexte zog man auch externe Expert*innen hinzu, wie den Autor Thomas Rammerstorfer, der die Hintergrundinfos zu den Grauen Wölfe verfasste. Durch Hintergrund- und Kontextwissen werden schließlich neue Schichten sichtbar.
Transformation und Wiederkehr – Radikale Nationalismen im Spiegel der zeitgenössischen Kunst,
24. 03. – 06. 06. 2021,
Kunstmuseum Lentos
lentos.at