Zum Beispiel kaputte Klänge, akustische Unfälle und hörbare Fehler, die dann keine mehr sind: Maja Osojnik greift in die Schatzkisten aller Arten von Musik – und wildert darüber hinaus im Bereich von Literatur und bildender Kunst. Lisa Spalt mit einem Porträt über eine Generalistin, die mit allen Mitteln kommuniziert.
Nach einem Lauf durch die Wohnungen, weil bei uns beiden das Netz so schlecht ist, treffen wir zweidimensional aufeinander. Maja Osojnik, freischaffende Komponistin, Klangkünstlerin, Sängerin und frei improvisierende Musikerin, hat Kopfhörer auf. Ihre Audioausgabe funktioniert nicht, und ich habe aufgrund des Bildes auf dem Schirm den Eindruck, sie höre mich nicht. Tatsächlich bildet die Situation ab, was Osojnik über ihre Erfahrungen in den letzten Monaten erzählt. Plötzlich ging man im Pyjama näher ans Leben heran und entdeckte, wie die Venen der Arbeit das ganze Dasein komplett durchwachsen hatten. Die daraus entstandene Lähmung, das Gefühl, dass es immer schwieriger wird, neue Musik aus dem Ärmel zu schütteln, verschwand im ersten Lockdown. Euphorie. Endlich konnte frau die gewonnene Zeit wieder spielerischer mit Musik gestalten. Die Kreativität kam zurück. Dann die ersehnte Öffnung, die ersten Konzerte. Aber obwohl das Publikum da ist, sich auch begeistert, entsteht bei der Musikerin das Gefühl, dass sie für niemanden spielt. Die Zuschauendenzahlen sind quasi elitär begrenzt. Und es gibt keine Outro nach dem Konzert, keine Feiern – nur die schwer zu lesenden Mienen hinter dem Mund- und Nasenschutz.
Dabei ist Osojnik eine Person, die gewöhnlich mit allen Mitteln kommuniziert. Sie ist Generalistin, wie sie selbst sagt, wildert im Bereich von Literatur und bildender Kunst, greift in die Schatzkisten aller Arten von Musik. Lange hatte sie deswegen Angst, niemals was auch immer auf den Punkt zu bringen. Dann kam sie endlich drauf, dass alles zu tun sie einfach ausmacht. Es mussten daher neue Bezeichnungen her für das, was sie produziert. Osojnik macht zum Beispiel „Cinema vor Ears“. Aber fangen wir am Anfang an.
Die Allrounderin erlernt im slowenischen Dorf Kranj das Spiel der Blockflöte, musiziert im Barockensemble. Als Jugendliche merkt sie zwar, dass sie, wenn ihr die Holzflöte aus dem Mund hängt, nicht gerade schick rüberkommt. Aber was solls? Als Mitglied einer Band ist sie andererseits die Coolste, und so betrachtet sie die Blockflöte, die zumindest zu Beginn des Lernens ein billiges Instrument ist, mit den Augen des Punk und Punkt. Als Osojnik neunzehn ist, kommt sie, die vor allem Grunge und Hardcore hört, auf die extravagante Idee, in Wien Blockflöte zu studieren. Mit dem Instrument in der Hand reist sie kurzerhand ins Ausland, geht, ohne je mit dem Professor Kontakt aufgenommen zu haben, zur Aufnahmeprüfung, wundert sich, dass sie am Montag drauf in die erste Unterrichtsstunde kommen soll. Ja, und irgendwie verschafft sie sich eine Übergangswohnung für einen Monat, etwas Kleidung, und dann ist sie Studentin und lebt im Ausland, hat von der Landessprache keine Ahnung. Da muss ihre Entwicklung etwas schneller gehen.
Osojnik definiert ihren Erfolg heute so: Sie macht, was sie will. Schon mit neun Jahren wollte sie „irgendwas mit Musik“, wenn auch nicht klar war, was für eine das sein sollte. Sicher war damals nur: Es macht ihr Freude, kreativ zu sein, kooperativ zu arbeiten, mit anderen gemeinsam Klang zu produzieren. Alles andere hat sich dann später durch den ihr eingebauten Zufallsgenerator gefügt, der ihr gewisse Menschen und Situationen bescherte. So legte sie die Blockflöte deswegen nicht früher weg, weil ihre erste Lehrerin begeisterte Barockmusikerin war. Ja, Osojnik kam irgendwann drauf, dass das nicht ihr Instrument ist. Sie sieht sich als eher laute Person, vielleicht als Tuba. Aber immerhin hat das leise Instrument sie gelehrt, sich zurückzunehmen.
Osojniks heutige Musik ist eklektizistisch. Cut and Paste, das ist wichtig. Sie verwendet aber auch viele selbst aufgenommene Samples. Was sie sammelt? Vor allem kaputte Klänge, akustische Unfälle wie Distortions oder ungewollte Phasenverschiebungen, alle Arten hörbarer Fehler, die dann keine mehr sind. 2009 ist ihr Computer kaputt. Bandkollege Matija Schellander versucht, ein paar Aufnahmen zu retten. Dass die sich als digital zerstört herausstellen, kommt Osojnik gerade recht. Glitches sind kostbar, und immer steht hinter der Arbeit die Frage, was das eigentlich ist, das Schöne. Geraten die Hörenden da nicht manchmal an ihre Grenzen?
Es sei schade, dass so oft gedacht werde, man müsse alles sofort verstehen, findet Osojnik. Die Geschwindigkeit sei das Problem. Es gehe beim Hören aber doch darum, sich Zeit zu lassen, sich einzulassen. Musik kann, meint sie, außerdem unterschiedliche Funktionen haben, bei jeder Art von Kunst sei das doch so. Romane sind vielleicht zum Mitgerissenwerden da, experimentelle Literatur spricht einen anderen Teil der Person an, der sich auch körperlich hingeben muss, der nicht sofort alles einordnen kann. Sich einzulassen ist eine physische Erfahrung, meint sie, eine sinnliche. Und die bietet Osojnik auf der Basis von drei Herangehensweisen: Erstens collagiert sie, bildet die Collage ab, die die Welt in ihrem Kopf hinterlässt. Das erzeugt Ironie, Humor, Sarkasmus. Zweitens spielt sie mit Distanzen, stretcht Noises, die aus der Entfernung wie Blöcke wirken, sodass man sie als komprimierte Melodien erkennen kann. Drittens wird der Sound „durchleuchtet“. Was kann alles weggelassen werden, damit nur noch eine Art Skelett der Musik übrigbleibt? Was ist die Essenz?
Bei allem Experiment arbeitet Osojnik aber dann auch wieder ganz traditionell. Sie notiert. Mit Bleistift auf Papier. Schreibt allerdings – vor allem grafische – Partituren. Da kann sie die Verantwortung über die Musik mit den Musizierenden teilen. Manche Parameter führt sie genau aus, bei anderen überlässt sie die Ausgestaltung den Leuten mit den Instrumenten.
Die visuelle Erscheinung ihrer Partituren hat schließlich auch zum Grenzübertritt ins Reich des Visuellen geführt, zur Zeichnung, zu Objekten. Als Osojnik von Claudia Märzendorfer eingeladen wird, ein Vogelhaus zu entwerfen, erinnert sie sich an einen Brief, den sie seit Jahren bei jedem Umzug wieder einpackt. Er stammt von einer Freundin, die ihn an einen Mann geschrieben hat, aber nicht abschicken wollte. Osojnik sollte ihn aufbewahren. Dann starb die Freundin. Was tun? Osojnik lädt schließlich Menschen ein, ihr ebenfalls einen geheimen Brief zu überlassen. Sie mischt den ersten unter die, die sie zugeschickt bekommt, schneidet alle in Streifen und flicht daraus ein Vogelhaus. Das Schriftstück hat nun die Chance, in Gesellschaft – und irgendwie an die Öffentlichkeit adressiert – von Wind und Wetter beerdigt zu werden.
Die bei diesem Projekt erstmals eingesetzte Technik des Flechtens setzt sie heute auch beim neuesten Produkt ein, der Single „Superandome – Super Random Me“. Zwei Jahre lang hat sie in einem Copy Shop Papierstreifen gesammelt. Nun erhält jedes Exemplar ein individuelles, geflochtenes Cover. Auf dem Tonträger festgehalten ist eine gemeinsam mit Matija Schellander erzeugte Collage aus dem in Zusammenarbeit mit Natascha Gangl entwickelten Klangcomic zu deren Buch „Wendy fährt nach Mexico“. Ja, meint Osojnik, das Projekt hat wohl zur Gründung des langsamsten Labels der Welt geführt. Immerhin musste Natascha Gangl erst einmal ein Buch schreiben, die Band mit ihr dann drei Performance-Programme ausarbeiten, daraus entstand dann eben kein Hörstück, sondern das Produkt „WENDY PFERD TOD MEXICO“ fürs Kunstradio, das 2018 den ersten Preis beim 9. Berliner Hörspielfestival gewann. Schließlich kam die Idee auf, den Klangcomic, in dem Laute zu Ausdrücken wurden und umgekehrt, in ein handfestes Objekt zu verwandeln. Das Label „MAMKA Records“ (Mamka = slowenisch für Oma) wurde gegründet.
Mit Matija Schellander arbeitet Osojnik übrigens bereits seit 2002. Zunächst im „Low Frequency Orchestra“, bei dem auch noch Angélica Castelló, Thomas Grill, kurz Herwig Neugebauer und Mathias Koch mitwirkten. Dann wurde die Rote Rakete – Rdeca Raketa – gegründet. Die Formation – ein elektroakustisches Duo, das sich ständig weiterentwickelt, – besteht jetzt seit 2008. Mit Schellander zu spielen, sagt Osojnik, ist inzwischen, als hätte man einen gemeinsamen Körper. Und dieser Körper ist ein politischer. Aber politisch ist Osojnik auch von allein. Da gibt es die Blaskapelle, die, anstatt öffentlich zu protzen, erst einmal unsichtbar auftritt und dann erratisch choreografiert wird. Das Stück „Die Wende“ wiederum nimmt Bezug auf die Ratschen, die im I. Weltkrieg verwendet wurden, um vor Gasangriffen zu warnen. Die Holzteile der Instrumente werden bei Osojnik durch Gummi ersetzt. Die Dystopie ist wahr geworden, wenn kein Warnen mehr möglich ist. In ihrem ersten Solo-Album „LET THEM GROW“ von 2016 geht es daher folgerichtig einfach um alles: um die seltsamen Verirrungen des Zwischenmenschlichen in unserer Zeit, die Entfremdung zwischen Individuum und Welt, um die Frage nach einer zeitgemäßen Definition von Emanzipation … Es geht um die Scherben innen und außen. Können sie im ultimativen Song zu einem klingenden Mosaik verbunden werden? Der Pressetext beschreibt das Album als „dreckig, sanft, lustvoll, verstört, komplex, kalt, sphärisch, schneidend und feminin“. Da ist alles drin. Hören!
Maja Osojnik
maja.klingt.org
Neue Single SUPERANDOME – SUPER RANDOM ME
maja.klingt.org/news
mamka.klingt.org
mamka.bandcamp.com