Elektronen voller Wut
Die Referentin #41
Ich versteh nicht, wie andere das machen – für mich ist es zermürbend, mit dieser allgegenwärtigen Negativität klarzukommen: in den sozialen Netzen, in den Medien, am Arbeitsplatz … und selbst beim Feiern mit Freund*innen. Ich erwarte ja nicht, dass die Welt zuckerwattig, regenbogenbunt und voller Einhörner ist, aber wenn wir unsere emotionale und mentale Gesundheit ernst nehmen, brauchen wir dringend mehr Empathie, Freundlichkeit, Geduld und Toleranz.
Immer mehr Menschen merken nicht mehr, wie Unhöflichsein längst zur Norm geworden ist. An manchen Orten – etwa bei unseren Nachbar*innen in Wien – wird diese Unhöflichkeit auch noch mit Stolz vorgeführt, als wäre sie eine bewundernswerte Eigenschaft oder ein schickes Accessoire. Auch das Lernen durch Angst ist zur Normalität geworden, schon seit unserer Kindheit. Wie sollen wir da nicht zu unsicheren Erwachsenen werden, die von ihren Gefühlen abgeschnitten sind und keine Fähigkeit haben, Grenzen zu setzen, wenn wir schon als Kinder darauf trainiert werden, Gewalt zu tolerieren und normalisieren?
Und ja: Jemanden respektlos behandeln, so tun, als wären seine Emotionen irrelevant – das ist Gewalt. Genauso typisch der Bürofall: Die neue Person kommt, und anstatt sie willkommen zu heißen, wird sie bei der Einschulung von den „alten“ Kolleg*innen eingeschüchtert. Wieso kann man nicht fähig sein, sich daran zu erinnern, dass wir alle mal neu waren und jeder Mensch seine eigene Zeit zum Lernen braucht?
Mir kocht das Blut, wenn ich sehe, wie jemand erniedrigt oder schlecht behandelt wird und niemand etwas sagt. Anfangs habe auch ich geschwiegen, aber bald – auch wenn meine Stimme zitterte – begann ich zu sprechen. Oft habe ich daraufhin noch mehr Gewalt erlebt, aber manchmal habe ich auch festgestellt, dass diese Person – genau wie ich – die Gewalt einfach normalisiert hatte und nicht wusste, wie man Grenzen setzt. Manchmal zittert meine Stimme noch immer, aber mit der Zeit ist sie fester geworden.
Ich sehe mich nicht als Heldin, die durch die Welt zieht und Menschen rettet, aber ich kann sagen, dass es sich jedes Mal gelohnt hat, wenn ich eingeschritten bin, um jemanden aus meinem Umfeld zu verteidigen. Zu schweigen angesichts von Gewalt und die Augen vor Ungerechtigkeit zu verschließen, macht uns nur zu Täter*innen-Kompliz*innen.
Wie viele andere wurde auch ich dazu erzogen, Gewalt zu ertragen und darauf trainiert, zu schweigen. Aber Letzteres haben sie nicht geschafft. Ich war 13 Jahre alt, als ich zum ersten Mal meine Stimme erhob: Eine Lehrerin wollte mir die Schuld dafür geben, dass ein Schulkollege mich mit seinen Büchern auf den Po schlug, als hätte ich es provoziert. Ich stellte mich vor die ganze Klasse und sagte ihr, dass er allein schuld sei und ich nicht zulassen würde, dass sie mir die Verantwortung für etwas zuschob, das ich nicht getan hatte. Ich wurde als „frech“ und „schwierig“ abgestempelt – aber lieber das, als anderen zu erlauben, über mich hinwegzugehen.
Ich hoffe nur, dass sich die Dinge an den Schulen geändert haben. Dass Mädchen sich nicht mehr für Übergriffe entschuldigen müssen, die sie nicht verursacht haben. Dass Erwachsene sich der vielen Formen von Gewalt bewusstgeworden sind, die sie tolerieren und unbewusst weitergeben.
Es gibt Tage, an denen ich von so viel Negativität überwältigt bin. Manchmal bekomme ich Angst, das Haus zu verlassen, nur wegen der Möglichkeit, auf schlechte Stimmung zu treffen – auf Menschen, die sich mit Feindseligkeit umgeben, wie Elektronen voller negativer Energie. Oft hat man mir gesagt, es komme darauf an, wie ich damit umgehe, aber manchmal ist es sehr schwer, so viel Negativität zu ignorieren – vor allem, wenn auch die Zeug:innen schweigen … obwohl sie sich später beschweren.
Manchmal wünsche ich mir, die Welt würde kurz stehenbleiben, damit wir nachdenken könnten, wie wir andere behandeln. Und dass wir uns ein wenig schämen, ein wenig schuldig fühlen, wenn wir erkennen, dass wir oft grausam waren … ohne jeden Grund.
Redaktionell geführte Veranstaltungstipps der Referentin
(28. August 2025)