Im Juni tritt Tony Renaissance im Rahmen der Reihe Night Creature’s Daemons in der Stadtwerkstatt und auf dem KLANGfestival Gallneukirchen auf und sagt: Uns ist es wichtig, Individualitätskonzepte in Frage zu stellen. Ins Gespräch mit Musik/Performanceartist Tony Renaissance begab sich Ralf Petersen.
Ralf Petersen: Renaissance bedeutet Wiedergeburt. Welche Assoziationen weckt das für dich?
Tony Renaissance: Renaissance verbinde ich im Kontext dieses Projekts mit Fluidität, Transformation und immer wiederkehrendem Neubeginn.
RP: Statt Pop oder Noise gibt es auf deiner EP Xxxerberus eine Verflechtung beider Richtungen. Wie würdest du deinen Ansatz beschreiben, Songs zu kreieren und zusammenzustellen?
TR: Ich spiele gerne mit harten und soften Sounds, die in meiner Musik gleichzeitig existieren dürfen. Mir ist es wichtig, unterschiedliche Hörerfahrungen möglich zu machen und Moods zu erzeugen, die ein Spektrum von Emotionen auslösen können. Dadurch werden Grenzen aufgelöst, Intensitäten erzeugt und durchaus auch Erwartungen dekonstruiert.
RP: Überraschst du dich manchmal selbst? So wie: „Oh, das ist ein Popsong!“ mit Ice Blue? Hast du im Vornhinein genaue Erwartungen an dein musikalisches Schaffen oder ist der Prozess sehr ergebnisoffen?
TR: Ich arbeite schon seit vielen Jahren an der Entwicklung meines Sounds und meiner Live-Performances, was mich mit ganz unterschiedlichen Klangräumen in Berührung gebracht hat. Mein Arbeitsprozess ist sehr experimentell und spielerisch. Ich fange oft mit einer bestimmten Stimmung im Kopf an, Musik zu machen, aber die Entwicklung ist sehr offen und kann in verschiedene Richtungen gehen. Auch Ice Blue ist so entstanden. Auf der Basis eines Texts hat sich ein Rhythmus und eine Basslinie entwickelt und in Folge dessen der Song. Ich liebe Popmusik, weil sie auf sehr direkte Art Emotionen auslösen kann und hab keine Angst vor der Simplizität oder Banalität, die Pop oft nachgesagt wird. Im Gegenteil, ich finde es schön, nicht zu verkopft zu arbeiten und Hooks und Melodien Raum zu geben, die mich happy machen. Und genau so hat auch der düstere und brutale Sound Platz.
RP: Ist für dich musizieren ein einsamer Prozess oder eher ein sozialer Moment?
TR: Grundsätzlich bin ich eher eine Person, die alleine arbeitet und viele Jahre habe ich auch kaum kollaboriert, weil ich mir dadurch den Raum, in dem ich mich wohl gefühlt hab, gewahrt habe. Mittlerweile arbeite ich sehr gerne in kleinen Gruppen zusammen und habe auch das Kollektiv Transformative Narratives gemeinsam mit Lena Kuzmich gegründet, unter dessen Namen wir audiovisuelle Performances entwickeln. Xxxerberus featured in dem Sinne auch drei Tracks, die online in Zusammenarbeit mit befreundeten Musiker*innen Subletvis, Rosa Nebel und Karo Preuschl entstanden sind.
RP: Sind deine Einflüsse so 80’s und shoegazy, wie man es sich vorstellt?
TR: Mein größter 80s-Einfluss ist wahrscheinlich Kate Bush, aber sonst hab ich momentan vor allem Pop-, Rythmic Noise- und Ambient-Einflüsse, wenn man es auf Genres runterbrechen will. Und viel kommt auch aus der klassischen Musik, weil ich damit aufgewachsen bin. Aber meine main inspirations sind queere Artists und die Musiker*innen in meinem nahen Umfeld, mit denen ich mich austauschen kann und auch kollaboriere. Wie meine chosen sister Karo Preuschl, mit der ich gemeinsam in SNAKE BOOTS spiele, unserem Noise Duo.
RP: Stichwort SNAKE BOOTS – auf eurem ersten Tape 01 begegnen der Hörer*in vielschichtige Geräuschkulissen. Wie kann man sich eure Zusammenarbeit vorstellen?
TR: Karo Preuschl und ich sind Kindheitsfriends und chosen siblings und haben schon als Teens zusammen Musik gemacht. Karo hat ein Modul an ihrem Modularsynthesizer, an das man ein Kontaktmikro schließen und damit beim Synth Sounds triggern kann und ich wollte das mit meiner Geige probieren. Entstanden ist anfangs ein sehr flächiger und noisy Sound mit Geige, Vocals und Effekten. Wir haben dann einen Sommer lang improvisierte Sessions aufgenommen und die als Tape released. Für jeden unserer Auftritte wurde eigens ein neues Programm entwickelt und wir sind live mit der Zeit immer performativer geworden. Wir lassen viel Raum für Improvisation, was ich vorher so noch nicht kannte. Unser nächstes Release kommt noch dieses Jahr.
RP: In Baby, take the trash out von deiner 2020er EP Dreamreality sagst du: „I don’t wanna be part of your world.“ Wie entziehen wir uns dem Zugriff der hegemonialen Realitätskonstruktion?
TR: Ich finde es wichtig, Utopien Raum zu geben und Ideale zu vertreten, die vielleicht in der Gegenwart nicht unbedingt realistisch oder greifbar wirken, weil sich durch die Arbeit damit tatsächlich neue Realitäten entwickeln lassen. Als queere Menschen hinterfragen wir den Status Quo und bekämpfen wir die Konstrukte der Gesellschaft, in der wir leben, täglich, weil sie grundlegend unsere Existenz bedrohen.
RP: 2018 hast du dem PW-Magazin gesagt, dass du dich für Transhumanismus interessierst. Wie hat sich deine künstlerische Forschung, was das betrifft, in den fünf Jahren seit dem Interview entwickelt? Wie genau kann man sich deine Beschäftigung mit dem Thema vorstellen?
TR: Momentan arbeite ich mit Lena Kuzmich an einem Projekt, das nicht-menschliche Spezies in den Vordergrund stellt und in ein Bühnengefüge einbindet. Unsere Arbeit stützt sich auf queer ecology und radikale Fürsorge. Uns ist es wichtig, Individualitätskonzepte in Frage zu stellen und von kollektiven Lebensformen im Umgang mit der Umwelt zu lernen. Dabei interessieren wir uns für unterschiedliche Konzepte aus der Ökologie, Biologie, Musiktheorie und Technologie.
RP: Im Juni und Juli freuen wir uns, dich zweimal in Oberösterreich, in der Stadtwerkstatt und auf dem Klangfestival Gallneukirchen, zu hören und zu sehen. Was ist dein Eindruck von der österreichischen Musikszene und siehst du dich als Teil davon? Wen sprichst du mit deiner Musik an?
TR: Natürlich bin ich Teil der österreichischen Musikszene, weil ich momentan hier lebe, aber ich bin auch Teil der queeren Community, der experimentellen elektronischen Musikszene, der DIY-Szene und vieler anderen Szenen, da rückt für mich das Nationale an ganz letzte Stelle. Ich bin nicht nur für die Auflösung von Nationalismen, sondern für die Auflösung von Grenzen generell, also versuche ich, die Nationalität von Musiker*innen nicht als Kategorie hervorzuheben. Ich spreche mit meiner Musik alle an, die sich angesprochen fühlen, aber in erster Linie immer Trans und Queere Leute.
RP: Gemeinsam mit Melissa Antunes de Menezes betreibst du das Label Tender Matter. Wie kam es dazu, ein eigenes Label zu gründen? Kannst du von der Kunst leben oder musst du zusätzlich Lohnarbeit ausüben?
TR: Tender Matter wurde einerseits für den Release meiner ersten EP Dreamreality gegründet und andererseits als Weiterführung unserer Veranstaltungsreihe The Future während Covid, um die Zusammenarbeit mit Musiker*innen weiterführen zu können. Seit 2021 veranstalten wir auch wieder Events – Tender Matter Presents und unsere Label Nights – und laden lokale Acts und auch internationale Gäste ein. Wie bei jeder selbständigen Arbeit gibt es natürlich challenging times, aber ich bin sehr dankbar, dass ich momentan von meinen Projekten leben kann.
RP: Auf Tender Matter ist gerade eure erste Compilation Spoken by the stillness of the stars erschienen. Was steht – neben der Tour – als nächstes bei dir an, welche Projekte stehen in den Startlöchern und von welchen kannst du hier ganz exklusiv berichten?
TR: Auf Tender Matter sind 2023 nach Hyeji Nam’s Album miracles und unserer ersten Instrumental-Compilation sechs weitere Releases und drei Events geplant. Mit Tony Renaissance und SNAKE BOOTS stehen auch einige Live-Dates an und mit Lena und unserem Kollektiv Transformative Narratives wurden wir im Rahmen von EMAP auf eine Residency in Bourges am Institut Antre Peaux eingeladen, auf die wir im Herbst fahren werden.
Tony Renaissance
Mit Dreamreality und Xxxerberus hat Tony Renaissance bisher zwei EPs vorgelegt, die zwischen Pop und Noise oszillieren, Geborgenheit und Chaos gleichzeitig vermitteln. Gemeinsam mit Melissa Antunes de Menezes betreibt Tony das Label Tender Matter, welches mit Veröffentlichungen und Veranstaltungen die Arbeit queerer Künstler*innen im Bereich elektronischer Musik beleuchtet. Zu Katharina Mücksteins Dokumentation Feminism WTF hat Tony den Soundtrack beigesteuert.
Musik von Tony Renaissance auf Bandcamp: tonyrenaissance.bandcamp.com
Alle Infos zu Terminen:
instagram.com/tendermatter
instagram.com/tonyrenaissancex
instagram.com/snakebootsxoxo
Night Creature’s Deamons in der STWST
Clubkultur im Kontext ihrer politischen Schlagkraft. Performativ – Verkopft – Exzessiv. Die Kreaturen der Nacht schreien: Reclaim the clubnight! Wenn du nur einen Schuss hast, dann verpasse nicht die Chance zu explodieren. Die Veranstaltungsreihe in der Stadtwerkstatt verbindet elektronische Musik, Clubkultur, Rave, Technokultur und diverse Kontexte. Beginnend mit Performances und Live-Acts gehen die Nächte in sich selbst ermächtigende Clubnächte über, die neuen Konzepten des Feierns folgen. Bis zum Morgen sind die Dämonen der Nacht gefressen. FLINTA und Queers empowern, die Norm exkludieren. Yes, baby, you got canceled, stop crying!
Night Creature’s Daemons am 10. Juni ist der fünfte und vorerst letzte Teil der Reihe. nightcreaturesdaemons.stwst.at
KLANGfestival Gallneukirchen im Alten Hallenbad
Das KLANGfestival Gallneukirchen findet am 30. Juni und 1. Juli 2023 im Alten Hallenbad in Gallneukirchen statt – mit einzigartigen Sounds, Performances, Installationen und Surprises. Einen Vorgeschmack auf die besondere Location gab es bereits 2022, heuer entsteht ein originelles Festivalzentrum mit zwei Bühnen im ehemaligen Schwimmbereich. Befreit von Genregrenzen bewegt sich das musikalische Programm 2023 zwischen Popkultur und Sound-Experiment. Nationale und internationale Performance-Künstler:innen, interaktive Soundinstallationen und exklusiv für das Hallenbad produzierte Visuals machen die 15. Ausgabe das KLANGfestivals zu einem Highlight in neuem Gewand.
Alle Infos: klangfestival.at
Tony Renaissance tritt am 10. Juni im Rahmen von Night Creature’s Daemons in der Stadtwerkstatt und am 1. Juli beim KLANGfestival Gallneukirchen auf.