Die Referentin #40 - Aktuelle Beiträge

Zeigen können, was alles möglich ist

Otto Tremetzberger | Kunst und Kultur, 4. Juni 2025
Die Referentin #40

Pia Mayrwöger ist im März 2025 viel zu früh von uns gegangen. Ein Nachruf von Otto Tremetzberger.


Pia Mayrwöger vor ihrem Baugerüst beim Festival der Regionen 2023. Foto Jürgen Grünwald

Es war irgendwann im Sommer 2022, als Pia Mayrwöger ihre Arbeit Baugerüst für das Festival der Regionen 2023 Höchste Eisenbahn vorschlug. Kurz darauf, im Oktober 2022 war jenes Baugerüst als Modell im Rahmen ihrer Ausstellung in der Arbeiterkammer Linz zu sehen. Pia Mayrwöger hatte für ihre Arbeiten an der Schnittstelle „Arbeit-Mensch-Maschine“ den Kunstpreis der OÖ Arbeiterkammer 2021 bekommen. 

Ich kannte ihre künstlerischen Arbeiten bis dahin nicht. Aber als ich sie dann in der Arbeiterkammer sah, schien es mir irgendwie selbstverständlich, dass diese genau dort und ebenso Baugerüst im Jahr darauf am Festival der Regionen zu sehen und zu erleben waren.

Das etwa 65 Meter lange, sechs Meter hohe und – „je nach Sichtweise“ – sich aufrichtende oder umfallende Baugerüst auf einer Wiese in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs Kefermarkt (dem Geburtsort von Pia Mayrwöger) war eine der künstlerischen Arbeiten am Festival, die man schon vom Zug aus sehen konnte und die einem sofort und schon aus der Ferne auffielen.

Baugerüst war eine Arbeit, die bei aller Intensität, Rohheit und (aus der Nähe betrachtet) auch Verbrauchtheit des Materials, die ein handelsübliches Gerüst aus Stahlrohren und Brettern naturgemäß vermittelt, zugleich auch eine Fragilität und – wie es Herbert Schorn in den OÖ-Nachrichten auf den Punkt brachte – einen „leisen Charme“ besaß.

Ein Charme und eine seltsame Schönheit, aber auch Zweideutigkeit und Widersprüchlichkeit, die im Sommer 2023 an der Summerauerbahn nicht nur dem Redakteur auffallen musste. 

Baugerüst hat den, wie es heißt, „kunstfernen“ Neugierigen vor Ort, den Spaziergänger*innen, den vorbeikommenden Zug-, Auto- und Radfahrenden subtil und bestimmt ein Stück weit brachial vor Augen geführt, dass es sich bei zeitgenössischer bil­dender Kunst um mehr handelt als um farbenfroh gemalte Aquarelle im Foyer einer Regionalbank und auch nicht nur um die bloße Idee, ein Gerüst, wie man es täglich an irgendeiner Fassade angeschraubt stehen sieht, mitten und scheinbar ohne Funktion in eine Landschaft hineinzustellen. 

Baugerüst hat auf besondere, man möchte fast sagen, hypnotische, auf jeden Fall aber erstaunlich leichtfüßige Art und Weise für ein besseres Verständnis für zeitgenössische Kunst in den Regionen geworben, wie es wohl selten gelingt und wie es für jedenfalls einen sehr wichtigen Anspruch des Festivals der Regionen auch charakteristisch ist. 

Der Anspruch nämlich, dass man scheinbar Alltägliches und alltägliche Erfahrungen auch anders denken, anders sehen, dekonstruieren und neu zusammensetzen kann, also auch auf den Kopf stellen, dass in künstlerischen Arbeiten Bewegungen, Energien und Dynamiken stecken, Kräfte, die etwas mit dem Material und auch etwas mit einem selbst machen, und eine Welt vermitteln, die man noch nicht kennt und die neu ist und die neugierig macht. 

Und aus dieser Wahrnehmung heraus- und zurückkommend und aus der Beschäftigung damit, hat man seine Sichtweise auf die Din­ge, auf das gesellschaftlich Alltägliche und vielleicht auf das Leben insgesamt bereits unwiderruflich verändert. Diese Macht haben die Arbeiten von Pia Mayrwöger.

Als ich ihre Arbeiten in der Arbeiterkammer sah und später das Baugerüst in Kefermarkt, habe ich mich gefragt, wie viele, die von Kunst tatsächlich keine Ahnung, oder besser gesagt, keine Vorstellung hatten, auf einmal jetzt doch verstehen, oder wenigstens besser verstehen, was das ist, was das sein kann und auch verstehen, oder wenig­stens erahnen können, was neben dem Leben, das man kennt und den Maschinen, die man als Maschinen kennt, noch (und mit denselben Maschinen) alles möglich ist.

Man saß im Zug und verstand plötzlich, dass dieses 50 Meter entfernte, riesenhaft und zugleich fragil wirkende Objekt ein künstlerisches Werk war, das eine ganz eigene, eine andere Geschichte erzählt (über Arbeit, über Gesellschaft und auch und vor allem über das Material, aus dem es besteht), und genau so wie die um die eigene Achse rotierenden acht Akku-Schlagbohrschrauber und das an sich selbst angeschlossene Heugebläse in ihrer Ausstellung in der Arbeiterkammer genau die richtigen Gewerke und die richtigen Maschinen am genau richtigen Ort waren. Werkzeuge und Maschinen werden bei Pia Mayrwöger durch Manipulation zum Kunstwerk. Und jeder und jede versteht auch, warum.

Dazu passt übrigens, dass ich in Kefermarkt auch niemals jemanden reden hörte, der Pia Mayrwögers Installation tatsächlich für absurd oder widersinnig gehalten hätte, das übliche stammtischige „Wozu braucht man denn so etwas“-Geraune also.

Pia Mayrwögers neu arrangierte Maschinen sind Arbeiten, die „sprechend für sich selbst stehen“ (Tanja Brandmayr im Katalog zum Festival der Regionen 2023) und die, wie die Künstlerin auch im persönlichen Umgang, eine Sprache sprechen, die ihr Gegenüber auf Augenhöhe, in der Sache, „in ihrem Kern“ erreicht.


Foto Jürgen Grünwald

Den Aufbau von Baugerüst 2023 muss man sich als besondere (nicht zuletzt statische) Herausforderung vorstellen, aber auch als einen spielerischen, geradezu fröhlichen gemeinsamen Prozess, wie das Zeitraffervideo von DORFTV zeigt. 

Pia Mayrwöger war eine offene und solidarische Persönlichkeit, die auch jene Kleinigkeiten im Auge behielt, die im oft hektischen Produktionsprozess erfahrungsgemäß auch übersehen werden. Darauf zum Beispiel, dass sich das Festival um eine anständige Jause für die am Aufbau beteiligten Arbeiter*innen kümmern würde, legte sie nachdrücklich Wert. Es war eine Bedingung! Aber nicht wegen der Kosten. Es war eine Frage der Wertschätzung. Von Arbeit und von Arbeitenden.

Auf Augenhöhe gegenüber stand Pia Mayrwöger auch dem Material, mit dem sie arbeitete. Man nahm ihr die enge Beziehung dazu ab, eine besondere und auch notwendige Kenntnis der Maschinen und Werkzeuge, ihrer Möglichkeiten und ihrer Handhabe. Bedingt nicht die Transformation, die Neubewertung eines Gegenstandes auch ein besonderes Verständnis desselben? Muss man nicht die Sprache derer kennen, deren Geschichte man erzählen und umso mehr man sie verändern möchte? Und wie sonst sollte es gelingen, dass aus einem vier Meter langen (und als solches ohne Zweifel bereits beeindruckenden) Modell aus Sperrholz und Messingdraht dieses riesige und tonnenschwere 65 Meter lange Baugerüst werden konnte.

Pia Mayrwöger ist es gelungen zu zeigen, was möglich ist.

Das erwähnte Zeitraffervideo auf DORFTV: www.dorftv.at/video/42466 

Otto Tremetzberger
Geschäftsführer Festival der Regionen & Freies Radio Freistadt.
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