Fußball: Tor zur Emanzipation?
Die Referentin #40
Der Frauenpreis der Stadt Linz ging dieses Jahr an den Dokumentarfilm Stand Your Ground – Steh deine Frau. Sportreporter Ralf R. Petersen sprach mit Daniela Huber und Dominik Thaller über ihren Film, der den erfolgreichsten Fußballverein Oberösterreichs, Union Kleinmünchen, porträtiert.
Dominik Thaller und Daniela Huber. Foto Zack Prack Productions
Wie ich noch mein Radl an die Laterne schließ, seh ich Daniela und Dominik schon plaudern: mit den beiden bin ich zum Interview im Tante Käthe, dem Restaurant gleich unterm Blau-Weiß Stadion an der Donau, verabredet. Dominik Thaller ist Regisseur, Daniela Huber hat den Film, über den wir uns unterhalten wollen, produziert. Jetzt gabs für das Duo und seine Doku den Frauenpreis der Stadt Linz: Schulterklopfer von ganz oben. Im Film gehts um „die Wiege des oberösterreichischen Frauenfußballs“: Union Kleinmünchen. Ein 75-minütiger Blick hinter die Kulissen des Klubs aus dem Linzer Süden, dessen erste Mannschaft im Sommer 2021 eine Spielgemeinschaft mit Bundesligist Blau-Weiß Linz einging. Blau-Weiß hat als Partner einiges anzubieten: Kommunikation auf Augenhöhe, Nutzung der Stadioninfrastruktur, Zugehörigkeitsgefühl. Der Anschluss: eine Chance auf sportliche Gleichstellung? Auf Anerkennung in der männlich geführten Fußballwelt? Gezeigt wird dieser Prozess der Teilwerdung in Stand Your Ground: Der Film zeigt den Vorgang der Sichtbarkeitserhöhung, hält fest, wie Spielerinnen, Vereinsobfrau und andere Akteur*innen sich in der Zeit des Umbruchs fühlten, was sie umtrieb und motivierte; was Hoffnungen waren, was Zweifel. Denn: Jetzt stand die Mannschaft im Rampenlicht wie nie zuvor, war nicht mehr „eingepfercht zwischen Wohnhäusern“, wie Kapitänin Katharina Meßthaler das Dasein an der vorherigen Spielstätte beschreibt. Ja: Mit der Eröffnung des Hofmann Personal Stadions im Juli 2023 siedelte man von Kleinmünchen an die Donau. Offen stands den Spielerinnen: das Tor zur Welt, wie auch der Titel eines Buches – einer Fußballkonfession eigentlich – des deutschen Kulturtheoretikers Klaus Theweleit lautet. „Spielen heißt: Weltanschluss“, schreibt dieser darin, „Die Schnittstelle zwischen Ich und Welt: der Ball.“
22. März 2025: 18. Runde im Grunddurchgang der ÖFB Frauen-Bundesliga: Die Spielgemeinschaft Union Kleinmünchen/Blau-Weiß Linz empfängt die First Vienna: Heimspiel vor 150 Zuschauer*innen im Linzer Donaustadion. Auf dem Rasen – den Wiesen, die die Welt bedeuten – die blau-weißen Damen: das Trikot in Vereinsfarben, als Zeichen, dazuzugehören. Unter ihnen Kapitänin Katharina Meßthaler mit der Rückennummer 19, eine der drei Protagonistinnen der Doku. Die 26-jährige Abwehrspielerin gibt nicht nur auf dem Platz den Ton an, sondern wurde im Januar 2025 auch in den Vorstand ihres Vereins gewählt. Ein Generationenwechsel: Die langjährige Obfrau Christine Holzmüller – auch sie ein wichtiger Teil des Films, der in Wahrheit ein Feelgood-Movie ist, dank seiner sympathisch-pragmatischen Protagonistinnen – verabschiedet sich in den Vereinsruhestand. Übernehmen wird ihre Rolle fortan die aus Neulengbach zum Klub zurückkehrende Spielerin Sandra Mayrhofer, in deren neuem Team Kapitänin Kathi Meßthaler zur Obfrau-Stellvertreterin und Schriftführerin bestimmt wurde. Apropos Führung: in Minute 41 heißts: eins zu null! Offensiv-Allrounderin Almedina Šišić befördert das Runde ins Eckige. Auch Šišić wurde im Rahmen der Filmarbeiten begleitet: jung und ambitioniert, hat sie Spielerfahrungen in den Junioren-Nationalmannschaften sammeln können, will nach den Sternen greifen, ihr Brot verdienen im professionellen Berufssport.
SG Union Kleinmünchen/Blau-Weiß Linz. Still aus Stand Your Ground – Steh deine Frau
Fahnenschwenker Dino derweil bittet die sich warmhaltenden Spielerinnen der gastierenden Vienna, im Spiel gegen die LASK Damen doch bitte alles zu geben. „Ja“, sagt Dominik Thaller, „ein Fußballverein zieht interessante Charaktere an.“ So wars auch, dass Thaller im Rahmen seiner Radiosendung BlauCrowd FM – der geilsten Radioshow dieser Galaxis, bei der er mit illustren Menschen aus dem Umfeld von Verein und Anhänger*innenschaft plaudert – auf die Idee zu der nun bepriesenen Doku kam, Union Kleinmünchen gewidmet. Film als Sichtbarmachung: zahlreiche Screenings bei Festivals, darunter die Weltpremiere beim vergangenen Crossing Europe, dem Linzer Festival für europäischen Film. Was Thaller und seine Produzentin Daniela Huber als nächstes vorhaben mit ihrem Machwerk? Ob gar eine Fortsetzung denkbar wär, mach ich gleich Druck: wären doch spätere Einblicke – „wie es weiter ging“ – möglich: Aufstieg, Stadion, neue Obfrau. Lieber würde er, sagt Dominik, in Sachen Blau-Weiß auf die Tribüne zurückkehren, Fan zu sein, hätte erstmal Lust, eigene Dinge zu gestalten, wie seine Radiosendungen oder sein neues Filmprojekt, statt über die Handlungen anderer zu berichten. Ein neues Filmprojekt? Das käme schon langsam ins Rollen: eine Geschichtsdoku: „der coole Opa“: Pater Andreas, der gegen den Nationalsozialismus widerständig funkende „Radiopfarrer aus der Steiermark“.
Mit Blick auf die zahlreichen Screenings in verschiedensten Kontexten – vom internationalen Festival bis zum Sommerkino in der Marktgemeinde – frage ich nach, was denn aus dem Publikum für Fragen kamen, auch gerichtet an die anwesenden Protagonistinnen Christine Holzmüller und Katharina Meßthaler. Zum Beispiel beim Crossing, erzählen Huber und Thaller mir im Tante Käthe, kam eine Frage, die zeigte, dass es Unwissenheit über die Einkommensunterschiede zwischen männlichen und weiblichen Fußballer*innen gäbe. Der Kampf um Gleichstellung, gegen die mitunter miserablen strukturellen Gegebenheiten, unter denen Frauenfußball gespielt wird, ist nicht allen bewusst. Ein Aspekt: Arbeitszeitvergütung. Denn von Finanzdebatte lässt sich ja erst sprechen, wenn Kapital aufgebracht wird: „Null“ heißt allerdings oft die Summe, die die Spielerinnen für ihre Mühen erhalten. „Zehn Euro pro Auswärtspartie“, erklärt Katharina Meßthaler in Stand Your Ground: mehr als a little walking around money ist wohl nicht drin. Das wird sich, in Linz und anderswo, ändern müssen und tuts wohl auch, zu langsam bloß. Man sei „nicht geil aufs Geld“, so Meßthaler, aber verrichte eben „die gleiche Arbeit“: Forderung: finanzielle Kompensation für Zeit und Einsatz als Zeichen der Anerkennung, dass man „seine Freizeit opfert, Geld investiert“: Für die Spielerinnen sammeln sich die Kosten: Fahrten zum Training, verschleißende Ausrüstung, und so weiter, und so fort. Was verdienen denn die Männer, wenn sie die Kugeln umherschieben? Denn diese, weiß die ambitionierte Mittelfeldspielerin Almedina Šišić, „werden immer bevorzugt.“ Und so sind etwa fünftklassige Herrenspiele vergütet – Einsatzprämie, Torprämie, Siegesprämie, Auswärtszuschlag, Bier für lau – während für viele Bundesligaspielerinnen die Teilnahme am Spielbetrieb so etwas wie ein luxuriöses Hobby ist. (Ausbleibender) Erfolg, (geringe) Fanmassen, (nichtvorhandener) Umsatz mit Merchandise, (unbedeutende) Sponsor*innen sind oft gehörte Begründungen für niedriges Budget im Frauenfußball, ob bei den männlichen Amateuren auch argumentiert würde, dies wären Gründe für kleine Gehälter, wissen wir nicht. Aber: im Leistungssport, wie andernorts: wie viel und wie hart gearbeitet wird, lässt sich oft nicht am Ergebnis ablesen. Geld ist längst nicht alles, geht es um das Schaffen von Möglichkeiten: Bei der Pressekonferenz anlässlich des Aufstiegs der Union-Kickerinnen ist es gegen Ende des Films Landesrat Markus Achleitner, der die Gründung der Frauenfußball-Akademie Oberösterreich verkündet: ein Modell, unter Inanspruchnahme auch von Landesfördermitteln, Talente zu schmieden, junge Fußballspielerinnen zu fördern: zukünftig und nachhaltig. „Es ist immer Luft nach oben“, erklärt, auch am Podium, stets abgeklärt, Kapitänin Katharina Meßthaler: Jetzt aber, sagt sie, sei es „erstmal wichtig, dass es – durch die Akademie – für jedes Mädel die Möglichkeit gibt, eine professionelle Fußballausbildung zu genießen.“ Denn: wen kümmerts, dass die Bezirksliga-Herrenmannschaften über das Budget des Frauenfußballteams lachen, wie Achleitner erzählt: „Frauen sollen die gleichen Chancen der Professionalisierung erhalten“, darauf komme es an.
SG Union Kleinmünchen/Blau-Weiß Linz. Still aus Stand Your Ground – Steh deine Frau
Schwenk ins Restaurant: Ob Stand Your Ground-Produzentin Daniela Huber die Selbstständigkeit mit eigener Produktionsfirma als Akt der Selbstermächtigung begreift? Fünf Jahre Vollzeit seien vor allem eins: „Hardcore!“, sagt Huber, fügt hinzu: „Respekt für jeden, der sich durchkämpft.“ Die Filmbranche, erzählt Huber, sei knallhart, „von Unsicherheiten geprägt“: Statt sich diesen Umständen auszuliefern, entschied die Sozialarbeiterin sich, zurück in ihren Beruf zu gehen, um fortan Film weiterhin als Leidenschaft, nicht als Druck zu begreifen. Außerdem widme sie sich ihrem Herzensthema Migräne, für welches sich schwer begeistern ließe: Um die neurologische Erkrankung gäbe es viele Missverstände, sie „wird nicht ernstgenommen“. Dabei sei die unsichtbare – oft als Hysterie verschriene – Krankheit mittlerweile gut behandelbar.
In der 70. Spielminute kommt bei Blau-Weiß die frischgebackene Obfrau Sandra Mayrhofer von der Bank und zum Einsatz, neun Minuten später folgt die Einwechslung von Mittelfeldspielerin Luisa Schubert, Rückennummer 23. Kann die knappe Führung verteidigt werden bis zum Abpfiff? „Fußball spielen könn ma – und Fußball spielen müssen ma“, heißts im Film in einer Kabinenpredigt. Damals mag man hinten gelegen haben, heute ists komfortabler: trotzdem: bloß nicht nachlassen. Da: 87. Minute: das blau-weiße Trikot mit der 23: die acht Minuten vorher ins Spiel gebrachte Luisa Schubert macht den Deckel drauf: Trainer, du hast den richtigen Riecher bewiesen! 2:0! Schiri, pfeif! Noch ein Foul, ein später Wechsel: dann tut ers. Für die Spielerinnen der Spielgemeinschaft Union Kleinmünchen/Blau-Weiß Linz gehts ins untere Playoff, endet die Saison im Klassenerhalt. Wir freuen uns auf die Fortsetzung!
Den Dokumentarfilm Stand Your Ground – Steh deine Frau könnt ihr gegen eine Leihgebühr auf der Streaming-Plattform Kino VOD Club schauen:
www.vodclub.online/film/stand-your-ground
Dominik Thaller lebt und arbeitet in Linz als Filmemacher, Medienkünstler, Radioproduzent und Sozialarbeiter.
Auf Radio Fro könnt ihr folgende Sendungen von ihm verfolgen:
www.fro.at/sendungen/blaucrowd-fm
www.fro.at/sendungen/die-sendung-mit-besonderen-beduerfnissen
Daniela Huber ist Sozialarbeiterin, Filmemacherin und Ansprechpartnerin in Migränefragen.
danielahuber.at
www.instagram.com/migraene.guide
Redaktionell geführte Veranstaltungstipps der Referentin