Die Unsäglichkeit beim Wort nehmen
Die Referentin #40
Land der Zäune, so lautet der Titel des neuen Romans von Markus Köhle, seines Zeichens Slammer der ersten Stunde und Sprachinstallateur. Andreas Pavlic spricht mit ihm über sein Buch, Gräben und Brücken, über Poetry-Slam und Literatur sowie über seine Herkunft.
Andreas Pavlic: Du hast im Frühjahr deinen neuen Roman „Land der Zäune“ herausgebracht. Worum geht es?
Markus Köhle: „Land der Zäune“ ist ein Österreich-Roman. Es geht um Hans Sagmeister, einen äußerst mittelmäßigen Niederösterreicher, der sich in Unterbrombachkirchen, am Europaweg, seine persönliche Festung einrichtet. Er schottet sich ab von der Umgebung, ist verliebt in seine Zäune und sein bester Freund ist sein Rasenmähroboter. Weil er so von sich überzeugt ist, glaubt er, sein Lebensmodell muss Verbreitung finden und spielt mit dem Gedanken, vom Siedlungssheriff zum Zaunkanzler zu werden.
AP: Das klingt sehr österreichisch. Wie bist du zu diesem Thema gekommen oder wie kam es zu dir?
MK: Ausschlaggebend war ein Interview mit Ex-Bundeskanzler Karl Nehammer im Dezember 2022, das es dann auch als Blurb auf den Buchrücken geschafft hat. Da hat er – frei memoriert – gesagt: Es darf kein Tabu mehr sein, über Mauern und Zäune zu sprechen. Dann hab ich mir gedacht, ja, das ist es: Zäune. Zäune sind ein starkes Bild. Die Rechtspopulisten reden von der Festung Europa, Festung Österreich etc. Ich erfinde eine Figur, die sich ihre Festung im Kleinen aufbaut.
AP: In einem Fernsehbeitrag des ORF hast du neulich ebenfalls über die Hauptfigur gesprochen. Da hast du gesagt, Hans Sagmeister möchte, wie viele andere auch, die gesellschaftlichen Gräben nicht überwinden, sondern durch Zäune befestigen. Die Kurzformel, die es für dich auf die Spitze bringt, ist: Zäune statt Brücken. Warum ist es gegenwärtig so schwierig oder unpopulär, für Brücken einzustehen?
MK: Mir ist es ehrlich gesagt ein Rätsel, warum jetzt viele ihre persönlichen Rollbalken runterlassen und nichts mehr Neues an sich ranlassen. Alle richten sich in ihren Bubbles ein und scheinen damit glücklich zu sein. Alles, was von außen kommt, wird automatisch als Bedrohung angesehen, nicht als Bereicherung. Das ist tragisch und leider sehr kurzsichtig – und um das darzustellen, habe ich eben eine Figur erfunden, mit der ich absolut nichts zu tun habe, die aber vorführt, wie diese Gräbenmentalität funktioniert. Wie so ein Mensch tickt. Beim Schreiben hat mir geholfen, der Figur immer genau das Gegenteil von dem, was ich mir denke, in den Mund zu legen.
AP: Zum Thema Bubbles bzw. soziale Medien. Im Buch tritt auch eine Online-Ratgeberin auf, an die sich Sagmeister mit seinen Fragen und Sorgen wendet. Mit der Ratgeberin, die sich auch „Entsorgerin“ nennt und kurioserweise gar nicht so weit weg von Sagmeister lebt, nimmst du auch das Leben in den digitalen Welten aufs Korn. Was hat dich dazu bewogen, dieses Thema im Roman mit einzubauen?
MK: Es gibt im Buch keine wirklich antagonistische Figur zum traurigen Helden. Alle haben ihre Makel. Die Entsorgerin im Netz ist eine Mischung aus Bot und skrupelloser Geschäftsfrau. Sie war mir sehr wichtig. Einerseits um das Thema KI einzubauen, andererseits um zu demonstrieren, wie die Radikalisierung im Netz funktioniert. Hans kriegt laufend Bestätigung von dieser vermeintlichen Ratgeberin, ja mehr noch, sie stachelt ihn richtiggehend an und das nimmt er dankbar auf. Und das ist ja das Arge, dass du im Netz eben für jeden noch so großen Schwachsinn jemanden findest, der dich dafür lobt – und bist du der Schwachsinnsgenerator, ist dir das schon Bestätigung und Motivation genug und du wirst noch extremer.
AP: Ich komme zu einem anderen Thema. Du bist in Nasserreith in Tirol aufgewachsen und hast dann in Innsbruck studiert. Die Herkunft spielt sowohl in deinem Buch „Zurück in die Herkunft“ eine Rolle, als auch in deinem Projekt „Ein Arbeiterkind sieht Rot.“ Wie war dein Weg in die Literatur?
MK: Ein alles andere als vorgezeichneter oder direkter. Ein Umweg und Umwege erhöhen bekanntlich die Ortskenntnis. Literatur oder das Schreiben an sich als Lebensmodell, das hat es in meiner Familie nicht gegeben. Es gab nicht mal jemanden mit Matura. Dementsprechend war das eine fremde Welt. Ich bin ohne Kinderbücher aufgewachsen. Wir haben gespielt. Wir waren ja auch vier Kinder. Als ich dann das Mira-Lobe-Stipendium erhalten hab, habe ich mal nachgelesen, was mir alles entgangen ist. Seither schreibe ich besonders gerne für Kinder. Ein Kindheitstrauma ist der verwehrte Gang ins Gymnasium. Ich ging – nachdem mich der Volksschuldirektor ein Jahr lang sekkiert hatte – in die Hauptschule. Befriedigend in Deutsch in der 4. Klasse Volksschule. Sehr gut in der Diplomarbeit Germanistik. In der Hauptschule hat es dann mit dem Aufsatzschreiben begonnen. Ich schrieb so lange Aufsätze, dass sie nicht mehr vom Lehrer gelesen wurden, machte aber auch so viele Rechtschreibfehler, dass es eher negativ als herausragend wurde. Tja. Das hat dazu geführt, dass ich in der Handelsakademie landete (einer der Familie musste ja das mit dem Geld checken), die zwei älteren Brüder waren im Gymnasium. Dann rettete ich mich in eine Musikphase, trommelte mir die Betriebswirtschaft aus dem Hirn und sah noch immer keinen Weg, der irgendwas mit Literatur zu tun hätte.
AP: Sie wurde es aber dann doch.
MK: Ja, ich inskribierte Germanistik und Romanistik (Italienisch) in Innsbruck und war dann, so naiv war ich, ehrlich überrascht, dass das Niveau in Italienisch so hoch war – in Innsbruck!!! Es ist Professorin Pöder zu verdanken, dass ich mich dann irgendwann im Laufe des Studiums getraut habe, selbst so etwas wie Literatur zu produzieren. Die ermutigte uns, anstatt einer Seminararbeit eine Art Tagebuch zu führen. Das machte ich und das machte mir Spaß und so begann ich, auch abseits der Uni Texte zu schreiben (z. B. ein Interrail-Reisetagebuch, mehr erfundene Geschichten als wirklicher Tatsachenbericht) und die trug ich dann auch gleich in der WG vor. Alles noch immer ohne Anspruch, denn Literatur war ja was Hehres. Erst nachdem ich das Studium abgeschlossen hatte und nach Tunis ging, um dort Deutsch zu unterrichten, machte es sozusagen Klick. Ich ging nicht sprichwörtlich, sondern wirklich in die Wüste und traf eine Entscheidung: Nein, ich werde nicht Lehrer. Ich werde Schreiber. Schriftsteller wollte ich das nicht nennen. Ich wollte alles anders und neu machen. Später hab ich dann das Wort Sprachinstallateur dafür gefunden. Das hat die handwerkliche Komponente ebenso im Wort wie die der bildenden Kunst. Und dann galt es nur noch, eine Bühne zu finden und weil es die nicht gab, habe ich sie kurzerhand erfunden: Die Slam-Bühne im Bierstindl in Innsbruck.
AP: Du zählst zu den Gründer:innen der österreichischen Poetry-Slam-Szene. Veranstaltest gegenwärtig noch den Bäckerei Poetry Slam (PS) in Innsbruck. Was fasziniert dich am Slammen?
MK: Das Wichtigste ist mir nach wie vor die Niederschwelligkeit. An einem PS können alle teilnehmen. Es genügt, sich vor Ort anzumelden und man ist mit dabei, ist Teil der Slamily. So nennen wir unsere Szene. Das ist mittlerweile schon eine recht große Familie geworden, das heißt natürlich auch, dass ich nicht alleine veranstalte, sondern wir Teams sind. In Innsbruck beispielsweise ist es der Verein SPOT, Slam Poetry Tirol, und in Wien machen wir in der Brunnenpassage nach wie vor monatlich einen PS mit Mehrsprachigkeitsfokus – da sind wir das Team textstrom, bestehend aus Mieze Medusa, Yasmin Hafedh und Clara Felis. Was mir formal wichtig ist, ist, dass Slam Poetry eine neue literarische Gattung hervorgebracht hat: Spoken Word Poetry. Das ist Literatur, die nah an der Gegenwart und Mündlichkeit dran ist und eben vom Vortrag lebt. Verschriftlichen lässt sich das nicht immer bzw. nur mit Regieanweisungen oder Fußnotenapparat. Außerdem finde ich es immer sehr befreiend, einen Slam-Text zu schreiben, denn es ist dann doch das Gegenteil eines Romans. Schnell geschrieben, oft auch schnell wieder vergessen, der aber eben auf etwas Tagesaktuelles reagiert. Wichtig war uns auch immer, dass eine Slam Bühne eine politische Bühne ist. Als MC kann man da die Richtung vorgeben. Wir haben schon gegendert, bevor es Thema und dann Angstthema wurde.
AP: Ich habe mich beim Lesen von „Land der Zäune“ an einen Slam Text erinnert gefühlt. Denn der Text ist sehr rhythmisch, er zischt, rattert und hat feine sprachliche Wendungen und Wortspiele. War es von dir auch als Poetry-Slam-Roman gedacht?
MK: Das freut mich, das Rhythmische ist mir natürlich sehr wichtig. Dass der Text gut reinzischt, ist grad bei dieser schwierigen Figur auch wesentlich, denn Hans Sagmeister ist ja durch und durch toxisch und in seinem Kopf rattert so manches gänzlich falsch. Die sprachlichen Wendungen sind im Grunde ja das Hauptthema. Denn was ich gemacht habe, sind Unsäglichkeiten wörtlich genommen und zugespitzt. Wenn der Zaun das Um und Auf ist, dann muss es eine Ehre sein, ein Pfosten sein zu dürfen. Wenn du auf Zäune stehst, dann hast du offenbar gerne ein Brett vor dem Kopf.
Dass ich Poetry Slammer bin, darf man gerne auch meinen Langtexten anmerken. Aber an sich unterscheide ich schon strikt zwischen beispielsweise Roman und Slam-Text. Ich erlaube mir aber auch, die unterschiedlichsten Formen in einen Langtext einfließen zu lassen. Dass ich dann die Bundeshymne umdichte oder ein Zaunglaubensbekenntnis schreibe, ist so ein Beispiel. Das würde als Slam-Text aber eher nicht funktionieren, weil er ja der Figur auf den Leib geschrieben ist. In fünf Minuten kann man eher selten in gänzlich andere Figuren schlüpfen, das sind dann doch meist ans persönliche Ich angelehnte Texte, wobei mit der Authentizität natürlich auch gespielt wird. Aber das wäre eine andere Geschichte.
Markus Köhle
Land der Zäune
Verlag Sonderzahl, März 2025
ISBN 978-3-85449-673-1
Redaktionell geführte Veranstaltungstipps der Referentin