Die Referentin #40 - Aktuelle Beiträge

Mit Abstand mittendrin

Georg Wilbertz | Kunst und Kultur, 4. Juni 2025
Die Referentin #40

Die Abteilung da – die architektur an der Kunstuniversität Linz ist seit 1990 Österreichs jüngste und kleinste Architekturschule. Die Publikation Stahlstadtschule versammelt eine Auswahl von Texten, Interviews, Projekten und Artefakten, die die Architekturschule verorten und zur Stadt Linz in Beziehung setzen. Georg Wilbertz hat die Publikation gelesen und mit Co-Herausgeber Sigi Atteneder gesprochen. 


Eröffnung der Fußgängerzone in der Linzer Landstraße, 1977. Foto Publikation Stahlstadtschule

[kursiv und grau: Zitate aus einem Gespräch mit Sigi Atteneder vom 6.5.2025]

Kommt man von Norden, eröffnet die 1940 fertiggestellte Nibelungenbrücke die urbane Magistrale (Hauptplatz und Landstraße) durch die Linzer Innenstadt. Auf der Linzer Seite bilden die beiden breitgelagerten Brückenkopfgebäude (ab 1938 bis 1947 nach Plänen von Anton Estermann und Roderich Fick) ihren baulichen Auftakt. Heute befindet sich in beiden Bauten die Kunstuniversität, die sich damit zu den beiden Hauptidentifikationspunkten der Stadt ausrichtet: Donau und Hauptplatz. Mehr „mittendrin“ geht kaum. Auch die Architekturabteilung hat hier (Gebäude Ost, 4. OG) ihren Sitz. Während die Kunstuniversität 2023 ihr 50-jähriges Bestehen feiern konnte, existiert die Architektur heuer immerhin 35 Jahre. Sie ist nicht nur die jüngste österreichische Architekturschule, sondern auch die kleinste. Welche Vor- und Nachteile daraus erwachsen, wird später Thema sein. 

Introspektion

Zum Jubiläum gönnte sich die architektur – da (so das inzwischen eingebürgerte Brand) eine großformatige, knallorangefarbene Festschrift, herausgegeben vom Berliner Kollektiv c/o now und dem Leiter der Architekturabteilung Sigi Atteneder. Auf dem Cover prangt in großen, metallglänzenden Lettern der im Jahr 2025 etwas irreführende Titel Stahlstadtschule. Begrifflich greift er mitten hinein in die Industriegeschichte der Stadt, mit der einige „Grundbegriffe“ assoziiert wurden: Gestank, Dreck, Abgaswolken, Industrieatmosphäre und erkleckliche Reste von working-class-heroes. 2012 kam ich nach Linz. Da war die Luft schon sauber und der Weg in die gutbürgerliche Reinlichkeit seit längerem geebnet. Stahlstadtschule klingt nach ehrlicher Erdung, nach rauer Wirklichkeit, der Hitze der Werkhallen und ölverschmierten Arbeiterhänden, vielleicht nach Verbrüderung mit dem (Rest-)Proletariat. Oder wallen nostalgische Gefühle? Jedenfalls wecken Titel und Design die Neugier. 

„Das Buchprojekt hat uns bewegt, uns selbst anzuschauen und nach innen zu blicken.“

Worauf die Publikation verzichtet, ist eine „klassische“ (vielleicht langweilige?) Darstellung der Abteilungsgeschichte (sie wäre an anderer Stelle sicher lohnenswert). Stattdessen kommen frühere und aktuelle Protagonist:innen der Linzer Architekturschule und -szene in bemerkenswert heterogenen, lesenswerten Beiträgen ausführlich zu Wort. Vieles ist autobiographisch unterlegt, vieles handelt von Lehrzielen und –inhalten. Die Intentionen, warum man das macht, was man macht, werden offengelegt. Der Fokus liegt dabei mit wenigen Ausnahmen auf der historisch fundierten Gegenwart.

Stadtgeschichte und -gesellschaft als Rahmen

Trotzdem verzichtet das Buch nicht auf eine historische Einbettung. Im Gegenteil: die gestalterisch eher spröden Textseiten wechseln sich ab mit bemerkenswerten Bildstrecken, die visuell, versehen mit ausführlichen Bilderläuterungen, das Linzer Stadtgeschehen der letzten 35 Jahre Revue passieren lassen. Gekoppelt wird die „Stadtgeschichte in Bildern“ mit repräsentativen Verweisen auf die Linzer Architektur der Zeit, auf städtebauliche Fragen und Konflikte. Impressionen aus der Architekturschule, sowie Entwürfe und Lösungsvorschläge von Studierenden werden ebenfalls gezeigt. Das Resultat ist ein lebendiges Kompendium Linzer Zeitgeschichte und in gewisser Weise widersprüchlich. Die durch das Buch suggerierte enge Verbindung und Wechselbeziehung von Architekturschule und Stadtgesellschaft (sei sie nun progressiv, alternativ, bürgerlich oder wie auch immer orientiert), war im Laufe des dargestellten Zeitraums eher selten gegeben. Bis heute arbeiten Kunstuniversität und Architekturabteilung sehr bewusst – und wann immer sich die Möglichkeit bietet – im sozialen, gesellschaftlichen und kulturellen Gefüge der Stadtwirklichkeit (viele Entwurfs- und Projektaufgaben befassen sich mit Linzer Themen). Womit wir wieder beim Brückenkopfgebäude und seiner symbolischen Dimension wären. Dass es sich um die beiden einzigen, ironischerweise erst 1947 fertiggestellten, öffentlichen Großbauten der Nazis in des Führers Lieblingsstadt handelt, bleibt hier außen vor. Es geht eher um, wie Immobilienmakler:innen sagen würden, Lage, Lage, Lage. Und die markiert ein augenfälliges Dilemma. Mir ist klar, dass es einseitig verkürzend ist, wenn zur Illustration desselben an dieser Stelle eine Bemerkung von Gabriele Kaiser (2010–16 Leiterin des afo-architekturforums oö und seit 2009 Lehrbeauftragte an der Kunstuniversität Linz) aus Stahlstadtschule herausgegriffen wird. Man mö­ge das entschuldigen. Aber das Zitat führt direkt ins Thema: „Die Kunstuni muss eine kritische Stimme sein. Ihr Standort in Linz ist dermaßen zentral, ihre Wirkung nach außen tendenziell marginal. Das passt nicht zusammen!“1


Herzballon vor dem Brucknerhaus, Donaulände 1979. Foto Publikation Stahlstadtschule

In einem langen Gespräch mit Sigi Atteneder wollte ich diesem kritischen Urteil Kaisers auf die Spur kommen. Dies umso mehr, als Linz eine mit architektonischen und städtebaulichen Fragen und Problemen, mit irritierenden Planungsinitiativen und -entscheidungen und einer durchaus nicht immer das Wohl der Stadt und ihrer Bewohner:innen im Auge behaltenden Planungspolitik reich gesegnete Kommune ist. Natürlich gibt es neuerdings (Stichwort neuer Bürgermeister) Signale, die Besserung versprechen. Dies nimmt auch Sigi Atteneder so wahr. Betrachtet man die Geschichte des Verhältnisses von Architekturabteilung und Stadtpolitik, pflegte man bisher eher eine Beziehung routiniert eingeübter Distanz.

„Schwierig war das Verhältnis zur Stadtpolitik. Im Unterschied zu NGOs, Initiativen und anderen Interessengruppen gab es nur wenige Kooperationen zwischen Stadt, Magistrat und uns, die wir eine Expertise in Sachen Raum haben. Versuche hat es gegeben, sie sind aber oft misslungen. Über die Jahre verliert man dann die Lust, etwas anzustoßen oder zu machen. Es gäbe aber viel zu tun in Linz, und man könnte uns ja ‚anzapfen‘. Wir würden gerne herausgehen und mit der Gesellschaft arbeiten“.

Dies wirkt sich natürlich auf die öffentliche Wahrnehmung aus. Dass man in Linz Architektur studieren kann, ist vielen in Linz und Oberösterreich nicht bewusst. 

„Wie man Leute erreichen oder unsere Arbeit in der Öffentlichkeit verankern kann, ist in der heutigen Medienlandschaft schwierig. Wir probieren in dieser Hinsicht viel aus, mit unterschiedlichem Erfolg. Vorarlberg beispielsweise hat da, durch viele Protagonisten vorangetrieben und verstärkt, eine etwas andere Kultur.“

Eine Frage der Größe?

Obwohl die Linzer Architekturabteilung stetig wächst, sich fachlich-inhaltlich (auch durch neue Stellen) weiter ausdifferenziert (Stichwort Stiftungsprofessur Baukultur), handelt es sich nicht um einen der großen „Tanker“, die basierend auf Tradition, lang erprobtem Lehr- und Wissenschaftsbetrieb, Grundlagenforschung etc. sowie ihre schiere Größe das akademische Feld dominieren. 

Aber natürlich erwachsen daraus auch Vorteile. Die – quantitative – Kleinheit der Linzer Architekturschule führt nicht nur zu einem familiären Umfeld, für das sich viele Studierende bewusst entscheiden, sie befördert auch Debatte und Diskurs. Nicht nur Aspekte der Studienorganisation und der inhaltlichen Setzungen werden intensiv diskutiert. Viele Diskussionen drehen sich um die am Ort zu pflegende Kultur des Miteinanders und des Bewusstseins, aus dem heraus Architektur und Raum entstehen sollen. 

„Es gibt immer viel Diskussionsbedarf bei uns. Aber es ist leichter, wenn man auf Augenhöhe diskutiert und sich alle an Bord fühlen. Das Arbeiten wird einfacher. Außerdem ist hier nichts abstrakt und man läuft sich permanent über den Weg. Das erfordert eine andere, offene Gesprächskultur.“

Seit der Ära Roland Gnaiger (immerhin von 1996–2018) gibt es in Linz eine stark an sozialen und ökologischen Fragen orientierte Lehre und künstlerisch-kreative Forschung im Bereich der Architektur. Die Tradition der Orientierung an pragmatischen Fragestellungen und Nutzungsperspektiven bei gleichzeitig weit gestecktem Horizont ist offensichtlich. Eine besondere Bedeutung hat in dieser Hinsicht das an der Linzer Architekturschule entwickelte BASEhabitat-Programm. Ökologisch und nachhaltig ausgerichtete Verfahren und Materialien werden als Teil des Curriculums in der Praxis auf internationalen Baustellen erprobt und realisiert. 

Der Aspekt Ökologie und die soziale Komponente des Bauens erlangen inzwischen eine immer größere Relevanz an den Architekturfakultäten. Allerdings trägt die Kompaktheit der Linzer Architektur und das hier kultivierte familiäre Umfeld dazu bei, dass diese Themenfelder mit ungewöhnlicher Intensität und Konzentration bearbeitet wurden und werden. Dies wird auch international so wahrgenommen. Längst haben die kritischen Diskurse und Krisenthemen der Gegenwart die universitäre Ausrichtung der Linzer Architekturabteilung eingeholt. Deren Arbeit ist hochaktuell und passt bestens in eine Zeit, die dringend Alternativen zum heute herrschenden (herrschend gerne wörtlich verstehen) ökonomischen und politisch-gesellschaftlichen Wahnwitz entwickeln muss. 

„Das Klima und das Soziale sind Kernthemen, mit denen wir uns im Rahmen unserer Möglichkeiten beschäftigen. Das ist der Leitfaden, an dem wir uns orientieren. Und wir wollen entwerfen und gestalten. Diese Kultur – auch im Analogen bezogen auf Zeichnung, Material, Handwerk usw. - möchten wir hochhalten. Denn wir leben in einer physischen Welt.“

 

1    Stahlstadtschule, S. 18.


c/o now und Sigi Atteneder (Hg.): Stahlstadtschule da – die architektur linz. Berlin 2025.

Georg Wilbertz
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