Lust zum Widerstand und beständig im Aufbruch
Die Referentin #40
Die legendäre Linzer Künstlerin und Radiomacherin Helga Schager feiert ihren 70. Geburtstag – ein Gespräch über ein Lebenswerk in the making, das in vielen Formen lustvoll Regeln bricht und dabei immer Komplizinnen findet. Von Julia Pühringer.
„Ich bin das Kind einer Totengräberin und Mesnerin“
Die sündige Vulva auf Händen tragen, Mixed Media auf X-Ray, 2020. © Helga Schager
Der Vater hat Gräber ausgehoben, die Mutter auch. In der Schule hat sich Helga Schager dafür geschämt. Dabei hat sie noch ganz andere Dinge gelernt, vom römisch-katholischen Hintergrund: Ein Gespür für Bildsprache und Choreographie. Am Anfang stand eine unbändige Freiheit: Als drittes von vier Kindern in Aschach geboren, gab es viel Freiraum, das Mädchen lief mehr mit, konnte machen, was sie wollte – der Grund für „meinen beständigen Widerstand“, lacht Schager. Sie bestaunte die Welt und hatte Fragen: Wieso hat die Blume „Hänsel und Gretel“ zwei Farben? Wieso musste sie in der Villa, wenn sie das Kirchenblatt ausgetragen hat, in der Küche warten? In den Salon wollte sie! Ein Gefühl für Klassenunterschiede war geboren. Eine Gruppe wilder Mädchen gab es, „Indianerspiele“ mit Fransen aus Wollkatalogen. Dann wurde Helga Schager eine junge Frau und „dann hat man nicht mehr dürfen“ sagt sie, und man hört den Schmerz.
Immer wieder hat es Punkte in ihrem Leben gegeben, an denen sie „ein Stückchen weiter gegangen“ ist, als es vorgesehen war. Eine gescheite Freundin, Tochter einer ehrgeizigen Mutter, kam in die Mittelschule, Helga wollte das für sich, was der Krieg ihren eigenen Eltern versagt hatte: einen Bildungsweg. „Ich bin heimgekommen und habe gesagt, ich gehe jetzt in Mittelschule“. Punkt. Aus.
Ein Jahr vor der letzten Klasse hat sie aufgehört. Ein Bruch – aber vom Vater, einem „echten Küchenpatriarchen“ seiner Zeit, hatte sie auch den Freigeist mitbekommen. „Man geht in so viele Wege“, erklärt Helga Schager. „Ich habe mir immer die ausgesucht, die lebendig sind und etwas Neues zu sagen haben“. Derweil einmal hieß das ein Jahr Akkordarbeit in einer Fabrik in Eferding, Kappnähte für Arbeitskleidung. Dann lernte sie Schreibmaschine schreiben, arbeitete im Büro. Im Alter von 23 Jahren ermöglichte ein Selbsterhaltungsstipendium das Studium an der Kunsthochschule. Schagers Augen leuchten, wenn sie von der Kunstuniversität spricht, sie war richtungsgebend und Ermöglicherin. „Hier bin ich im Paradies“. Im Sommer wird es dort eine Ausstellung zu Helga Schagers 70. Geburtstag geben: „Einen bessern Platz in Linz gäbe es nicht für mich, ich habe meiner feministischen Community viel zu verdanken“, freut sie sich.
Klar war die Kunstuniversität damals von Männern dominiert, aber „es gab viele Frauen in meinem Leben“, so Schager, die sie inspiriert haben, von Janis Joplin, die schreiend auf der Bühne stand, bis zur Künstlerin Therese Eisenmann, die unbeirrt ihren Weg ging. Schager studierte in der Meisterklasse von Fritz Riedl künstlerische Textilgestaltung. Rein abstrakt wurde damals gearbeitet, das Figurale war verpönt. Dann gab es eine kleine Revolution, und plötzlich webten Frauen ihr Leben in ihre Teppiche, es gab eine große Lust daran, „alles, was uns beschäftigt hat, unverschämt naiv, spontan und witzig umzusetzen, zu weben, die impulsive Sexualität genauso wie Geburten“. Reingewoben hat sie Helga Schager in ihre Teppiche, die schönen und die heftigen Sachen, die passiert sind, die Kinder, die sie geboren hat und auch Verluste. Nicht, weil Kunst therapeutisch ist, sondern weil das Leben und seine Erfahrungen die Kunst informieren. Immer wieder hat Helga Schager solche Aufbruchsphasen erlebt. Man sah sich um im südamerikanischen und afrikanischen Raum, was dort gewebt wurde. „Heute würde man dazu kulturelle Aneignung sagen“, ist sich Schager sicher. Damals hat es geholfen, „mit einer fremden Linse auf das eigene zu schauen“. 1984 folgte das Diplom.
Take Care, Mixed Media auf X-Ray, 2020. © Helga Schager
Bildschirm und de Beauvoir
Genug Teppiche für eine Ausstellung zu weben war für die junge Mutter ein zeitraubender Prozess. In den 90er-Jahren entdeckte Schager mit großer Begeisterung das Feld der Computergrafik für sich (ganz eng verbunden sind sie in der Technikgeschichte, der Webstuhl mit seinen Lochkarten und der Computer). Ein weiterer Antrieb? Simone de Beauvoirs legendäres Zitat: „Frauen, die nichts fordern, werden beim Wort genommen. Sie bekommen nichts.“ Schager war immer rebellisch, „ich war immer in der aktiven Position, nicht in der passiven, das wäre für mich tödlich gewesen“. Immer hat sie erkundet, wie sie zum Ziel kommen kann, und dementsprechende Schritte gesetzt, sich weiterbewegt, gelernt, hinterfragt, Antworten gesucht und gefunden.
Genauso bahnbrechend wie die Kunsthochschule war für Helga Schager die Linzer Stadtwerkstatt, gegründet 1979 als Verein in Linz mit dem „Ziel der kritischen Auseinandersetzung mit den Bedingungen des Lebens in der Stadt und der Förderung kultureller Initiativen auf volksnaher Ebene“. Hier hatten in der Subkultur auch Außenseiterinnen und Außenseiter ihren Platz, ganz im Gegensatz zum traditionellen Umfeld, auch wenn hier Frauen und ihre Anliegen für Gleichberechtigung durch eine harte Schule gingen. Aber: Sie konnten einander finden. Dort wohnen wollte Schager nicht, „weil ich dann trotzdem die gewesen wäre zu guter Letzt, die den Kaffee kocht“. „Ich wollte so gerne mitspielen, den Ball weiterspielen“ – es waren die anderen Frauen, die wirklich zugehört haben, den Ball aufgefangen, die feministische Subkultur hat sie stark geprägt und tut das noch. Hier hat Schager gelernt, eine Bühne einnehmen zu können, „ohne, dass ich mich selbst verliere“, gestärkt vom Blick, den Frauen aufeinander werfen, die einander lesen können. Sie hat Spaß dabei gehabt, den Spieß in ihrer Kunst umzudrehen: „Ich habe es geliebt, die Männer nackig zu zeigen und die Frauen angezogen, wie sie im Rampenlicht stehen, im Scheinwerferlicht“, sie hat den voyeuristischen Blick der Männer zurückgeworfen.
Der Computergrafik Anfang der 1990er-Jahre folgten gewebte Comics, „Beziehungsschnappschüsse“. Helga Schager entdeckte das projektbezogene Arbeiten, es passte gut zu ihrem beständigen Hunger auf Neues. Schager experimentierte mit verschiedensten Bild- und Mischtechniken, modellierte Grafiken.
2000 begann ein ganz neues Kapitel für Helga Schager: Ihre Arbeits- und Liebesgeschichte mit dem Radio. Begonnen hat alles mit einem Radioworkshop für Frauen. Die Arbeit als Radiojournalistin für Radio FRO (Freier Rundfunk Oberösterreich) wurde zu einer Möglichkeit, ihre vielen „Nebenwege“, zu vereinen. In einem Lieblingsprojekt hat sie damals dokumentiert, dass in der Radiopiraterie-Szene immerhin 40% Frauen dabei waren. Über 200 Beiträge hat sie inzwischen erarbeitet, darunter Features, Hörspiele und Soundcollagen. Mit ihrer genialen Reihe „Listen To The Female Artists“ präsentiert von „X_XY (Un)gelöst“ und „(Un)erhört! – Das feministische Magazin mit queerem Biss“ schreibt sie die Künstlerinnengeschichte Österreichs neu: 46 Porträts sind in der Reihe bis dato entstanden, in der endlich einmal Frauen* danach befragt werden, welche Positionen und Haltungen ihre Arbeit informieren. Für die freie Radioszene im deutschsprachigen Raum hat sie mit ihrer Tochter Oona Valarie Serbest die Reihe „Soy la mujer de mi vida“ – Ich bin die Frau meines Lebens“ auf den Spuren der Frauenbewegung von Nicaragua gestaltet. Schager schätzt die Kollektivarbeit mit ihren Radio-Companeras seit 25 Jahren sehr: Viele Frauen*meinungen sind aufeinandergeprallt und diskutiert worden, „wir sind immer in Respekt geblieben“.
Im neuen Jahrtausend führte sie eine Familienausstellung 2007 nach Berlin ins Kunsthaus Tacheles, zwei Reisen führten nach New York mit Ausstellungsbeteiligungen in der gallery 128 bei Kazuko Miyamoto, sie kuratierte 2005 „Stifter der Ordnung halber“ mit acht beteiligten Künstlerinnen und entwarf einen essbaren Stifter aus Schokolade (mit Esserlaubnis!) und hatte 2009 im Kulturhauptstadtjahr wieder Gelegenheit, Hierarchien im Kunstbetrieb zu beobachten.
Das Gewaltschutzzentrum und das Frauenbüro waren wichtige Wegbegleiterinnen. 2010 fand Schager die Stencil Art für sich: Politische Botschaften in Schablonen, eine ganz neue und uralte Idee (Schablonen gibt es, seit es Schrift gibt) mit „dieser Lust zum Widerstand“ – Street Art ins Atelier holen, das ist auch ein bisschen verpönt, und gleichzeitig: Das Atelier auf die Straße verlagern. In Workshops vernetzte sich Schager mit einer anderen Generation von Frauen. Sie übte sich, wie immer, in der Kunst des Aufbegehrens, einer zentralen Notwendigkeit, die hinter ihrem Schaffen steht.
Es folgte die Animation. „Als meine Bilder laufen lernten“ heißt da ein Film, in dem Schager kurzerhand gleich den Mount Rushmore mit Frauen neu besetzte. So sind auch andere auf sie gestoßen: In Ludwigshafen hat sie 2024 ausgestellt, man hat sie durch die „Fotzengalerie“ von „FIFTITU% – Vernetzungsstelle für Frauen* in Kunst und Kultur“ in der Kunsthalle in Linz entdeckt. So kamen ihre Werke bei „Un_erhört. Wie sich die Vulva heute Gehör verschafft!“ neben denen von Sophia Süssmilch zu hängen. Schager selbst hat darüber wieder einen Beitrag für DorfTV gestaltet. Immer geht es Schager auch darum, Zeuginnenschaft abzulegen vom Schaffen anderer Frauen.
Greetings from Mount Rushmore, Videostill aus der Animation, 2022. © Helga Schager Videostill Animation
Radikale Zärtlichkeit
Es sind Gedanken über Ethik und Moral, die Schager immer umtreiben, und ihre große Liebe zur Zärtlichkeit, „sie setzt Berührung voraus, auch eine seelische Begegnung. Der Begriff der Zärtlichkeit ist schön, aber es ist ein sehr vorsichtiger Begriff. Er braucht ein Zuhause, auf den muss man aufpassen“, formuliert es Schager. Die wieder zunehmende Gefahr, dass Frauen in die Armut schlittern können, beschäftigt sie. Umso wichtiger ist es, dass man mit sich selbst sorgsam umgeht. „Darum bin ich beim Feminismus gelandet. Ich verschenke mich dorthin, wo ich selbst Kraft bekomme, wohlgenährt werde. Das ist das Ziel“, so Schager.
Ausstellung Helga Schager
splace, Hauptplatz Linz, Juli – tba!
Anlässlich ihres 70. Geburtstags richtet die Kunstuniversität Linz eine Ausstellung zu Ehren von Helga Schlager in den Räumlichkeiten des splace am Hauptplatz aus: Die Eröffnung findet Mitte Juli statt, nähere Informationen dazu folgen in den nächste Tagen auf der Website der Künstlerin: helgaschager.servus.at/wpn
Redaktionell geführte Veranstaltungstipps der Referentin