Die Referentin #40 - Aktuelle Beiträge

Sagenhaftes Festival der Realitäten

Ralf Petersen | Kunst und Kultur, 4. Juni 2025
Die Referentin #40

Festival der Regionen 2025, „Realistische Träume“ ab 13. Juni in Braunau am Inn: Im Vorfeld des zeit­genössischen Kunstfestivals war Ralf Petersen auf Lokalaugenschein in der Region und bei der Presse­konferenz in Braunau.


Der Festivaltrailer ist auch auf fdr.at zu sehen. Filmstill Festivaltrailer, Amanda Burzic

„Wie kein anderes Kulturereignis verbindet das Festival der Regionen zeitgenössische Kunst mit regionalen Gegebenheiten und Traditionen, um abseits der wenigen städtischen Zentren Oberösterreichs einem breiten Publikum unterrepräsentierte Kunst­formen vorzustellen“, heißts – vage oder präzis – im Vorwort zum FdR-Dokumentationsband aus dem Jahre 2003, den ich während der Vorrecherche zum FdR einsehe: „Kunst der Feindschaft“, war das Motto damals, bei sechster Ausgabe und zehnjährigem Jubiläum; lese ich auf der Zugfahrt nach Braunau, auf dem Weg zur Pressekonferenz. Theaterprojekte, Performances, künstlerische Installationen untersuchten damals das Thema. Zweifelsohne gibt es Konstanten in der formatbedingten Programmatik. Im Zeichen des diesjährigen Titels „Realistische Träume“ sollen jedenfalls jetzt „Visionen Wurzeln schlagen.“

Freundlich begrüßt mich Felix Vierlinger, technischer Leiter, mir zufällig am Weg vom Bahnhof begegnend, schiebt eine Weile sein Lastenrad neben mir her. Ob ich es vor der Pressekonferenz im Festivalbüro BüroREAL noch nach Deutschland schaff? „Vorher“, sagt Vierlinger, „wirds knapp“; nach Programmvorstellung, anschließend Brunch und Plausch, könne ich meine Rückreise in die Landeshauptstadt Linz aber von Simbach in Bayern aus antreten, denn das BüroREAL liege „ziemlich genau in der Mitte“ der beiden für die Rückfahrt in Frage kommenden Bahnhöfe. Vierlinger muss noch etwas erledigen, weist mir den Weg. So stratze ich durch Postkartenmotive, altbekannt und neu verziert. Ich beeil mich, damit vielleicht die Sicht verschwimmt.

„Schnelle Abfolgen von zerstückelten Stadt- und Landschaftsansichten, Stickern, Glitzer und Soundfragmenten fügen sich [zum] schillernden Abbild einer Stadt zusammen: Braunau“, heißt es in der Beschreibung zu Amanda Burzićs Festivaltrailer, der einlädt, „genauer hinzusehen“, „Braunau als Collage aus Geschichte, Gegenwart und möglicher Zukunft zu betrachten“: In Burzićs Herangehensweise werden statt einheitlich großflächiger Koloration oder einverleibender Überstreichung die Standbilder durch Hinzufügung von Fragmenten, Splittern, popkulturellen Verweisen überlagert, eine neue Lesart des Bestehenden heraufzubeschwören. 

Da bin ich schon am Zielort: Es ist Markt, sehr belebt die Braunauer Innenstadt, am sich der Länge nach ausdehnenden Stadtplatz, an dem auch das BüroREAL seine Adresse findet. Drinnen treffe ich FdR-Geschäftsführer Otto Tremetzberger, der gleich die Pressekonferenz eröffnen wird.
 
„Die Frage, ob hier“, sagt Tremetzberger, meint Braunau und das Innviertel, „ein Festival für zeitgenössische Kunst Impulse und Anreize geben, Möglichkeiten aufzeigen kann – so ist unsere feste Überzeugung – beantworten wir klar mit ja.“ Vorne, auf dem Podium: Andrea Eckerstorfer, Geschäftsführerin der Initiative Lebensraum Innviertel; Tremetzberger; Mieze Medusa und Katharina Spanlang, Mitglieder des Programmboards für die diesjährige Festivalausgabe; Ulla Steyrleuthner, Kunstvermittlung & Community Management. Im Anschluss wird das Programm vorgestellt: ungefähr 165 Künstler*innen, mehr als 50 Workshops und „Vermittlung gehört zur DNA des Festivals und findet schon die ganze Zeit statt.“ Die Gruppe berichtet von mehr als hundert Veranstaltungen in zehn Tagen – und schon vorab: So freut man sich etwa auf die erste Innviertel Pride. Diese findet bereits eine Woche vor dem Festivalstart, am 7. Juni, statt.

Am Eingang steht jetzt Bürgermeister Johannes Waidbacher, Jackett und Jeans: ob er etwas hinzufügen, stellvertretend ausrichten mag? Dass das FdR*25 in die Region komme, sei „ungeheuer wichtig“, meint Waidbacher: eine „Riesenchance“ für den Schwerpunktort Braunau, das „pulsierende Herz“ (Tremetzberger) des Innviertels. Braunau hat eine sehr lebendige kulturelle Szene: Auch andere lokale Stimmen machen sich hörbar. So freut sich der künstlerische Leiter des Bauhof-Theaters, Robert Ortner, auf dem Kirchenplatz einen „Vorgarten für Utopien“ zu errichten, eine „lebendige Installation“, im Rahmen welcher an diesem „Platz für Kultur“ ein reger Austausch von Vereinen und Kulturschaffenden, Performances und Vorträge stattfinden können. „Ein Probiergarten für Kulturpflanzen“, sagt Ortner, den von seinem gemeinnützigen Verein errichteten „Meltingpoint & Meetingpoint“ bebildernd.


Festivalzentrum Die Treffik. © Fiona Buttazzoni und Klasse Bildhauerei und transmedialer Raum Linz

Braunau liegt im Innviertel, liegt am Inn: dem Fluss: auf ihn schreite ich hinzu. Bislang zeigte der Pfad, heißes Innviertler Pflaster, sich mir freundlich: Geröll, Teer, Beton: alles verfestigt, einen reibungslosen Bewegungsablauf zu ermöglichen für mich, den Fußgänger, der da doch mit ihr konfrontiert sein wird: der Grenze, die laut Programmboardmitglied Mieze Medusa, die, beim Plausch nach der Pressekonferenz, mir den Weg hatte gewiesen, eine weiche ist: Trotzdem, sagt sie, „merkt man auf der anderen Seite des Flusses gleich, dass man in einem anderen Land ist: die Häuser, die Menschen: die Atmosphäre.“ So war ich losgestratzt, mit signalgelbem Beutel des diesjährigen FdR ausgestattet, erst Braunau, dann seine Nachbarstadt zu erkunden. Doch aber war ich in die falsche Richtung gelaufen, stehe vor einem denkmalgeschützten, biedermeierlichen Bürgerhaus. Salzburger Vorstadt 15: Geburtsstätte eines Tyrannen. Es ist diese Adresse, die gemeint wird, wenn von Braunaus schwerwiegendem historischen Erbe gesprochen wird. Wie man hört, wird hier bald das Testament jenes Mannes mit dem bleichen Hysterikergesicht verkündet: zwei Mal wird hier, „bei seinem Scheißgeburtshaus“, von Marlene Hauser und Lydia Haider mit Vito Baumüller, Martin Grandits, Anna Spanlang und Obsolet Studio eine Performance im öffentlichen Raum mit Skulptur und Videoinstallationen dargeboten; zwei Mal versucht, mit einem künstlerischen Projekt eine utopische Realität – „[d]ie Neonazis begeben sich nicht mehr auf Pilger*innenschaft zum Geburtshaus“ – zu forcieren: Traum der Selbstentzauberung: dass die dem Führer folgende Bande sich selbst erschlagen möge. 

Besser kehr ich wohl um, stell mir, zurück am Stadtplatz, einige Vorhaben der „Realistischen Träume“ in der Gegenwart meines Besuches vor: vor dem Fischerbrunnen wird entstehen: ein „Orts-Gewebe“ aus gespendeten Stoffen. Der Braunauer Stadtplatz also wird zum öffentlichen Arbeitsplatz von Näherin Lydia Waldhör, die „mitgebrachte Textilien zu einem Patchwork“ verarbeiten wird. Nun gehts weiter, endlich zur Grenze. Hier, auf der alten Innbrücke, werden – während des FdR – gegenüber der Bronze „Gockel namens Walter“ fünfzig betonierte Hühner platziert sein als bratfertig kontrastierende Erweiterung der bestehenden, grenzüberschreitenden Sehenswürdigkeit. 

So überquert man die Grenze, neben andern Fußgänger*innen, Radfahrer*innen usw. usf. Kurze Unruhe ob des Polizeibusses neben der Wache am andern Ende der Brücke: „Es gibt wieder vermehrt Kontrollen“, warnte man mich im BüroREAL. Doch ich riskiers! So gehts, dass ich – sog. Auslandsdeutscher – die nördlich positionierte Bundesrepublik bald kann betreten. Auch da: in Simbach: alles nett, alles freundlich. Nur die Werbetafel für die Holzbaufirma „FÜHRER“ bringt mich für einen Augenblick aus dem Lot. Ansonsten schöner Tag, schleich ich mich vorbei an Dönerladen und Espressowagen. Da: Schulschluss: Massen an Schüler*innen (ah: in Bayern muss es ja heißen: Schülern) strömen durch Gassen und Straßen hin zu Bus und Bahn. Geh ich, ihnen hinterher, die Simbacher Straße entlang zum Bahnhof. 

Schon im Zug, denk ich noch nach über die Grenze, die ich gerade fußläufig hatte überquert, denke an Katharina Spanlang, die hatte gesagt: „Die Grenze ist eine Brücke“, und dass das – und der Umstand, dass Kunst verbinde – die Nachricht sei, die das FdR teilen wolle. Dann holpert das Gefährt los, ich fahr mit, stoppt der Zug nochmal, über dem Fluss. Schöne Bretter schweben neben den Gleisen, da in der Luft, zwischen den Staaten. Der kurze Halt: eine performative Pause, wie um mir zu zeigen, wo es denn hier den „allerschönsten Sonnenuntergang an der alten Innbrücke“, wie Spanlang erzählte, zu sehen gäbe. Auch diesen wolle man ins Programm einbauen: Dann muss ich wohl nochmal wiederkommen. Oder: „Da will ich hin, nach Braunau am Inn“.

 

Festival der Regionen 2025 – „Realistische Träume“  
13.–22. Juni 2025 im Innviertel, 
Hauptaustragungsort Braunau a. I.
Festivalauftakt & Eröffnung am 13. Juni 2025 — Kunst, Begegnung und Gemeinschaft
fdr.at 

Die Inn/4 Pride im Vorfeld des FdR
Der Kulturverein KiK – Kunst im Keller veranstaltet gemeinsam mit „Kunst und Kultur Innviertel“ im Rahmen vom Festival der Regionen eine Pride Parade in Ried im Innkreis. Es geht um einen sicheren Raum, in dem LGBTQIA+-Personen sichtbar werden können und um eine Basis für Vernetzung, damit sich auch im Innviertel eine queere Community etablieren kann. Die Parade führt durch die Rieder Innenstadt. Im Anschluss findet eine Kundgebung statt. Musik, Poetry-Slam, Kinderprogramm, barrierefreie Zugänge, Afterparty und mehr: Ein Zeichen für gelebte Vielfalt im Innviertel. 
Samstag, 07. 06. 2025, ab 13:30 Uhr, Rieder Innenstadt
innviertlerpride.at

Ralf Petersen
schreibt für die Referentin über Kunst, Kultur, Mythen und Träume.
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Juni/Juli/August 2025
Die nächste Ausgabe erscheint am 29. August 2025.
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14. Juni 2025 14:00
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