„Viele Österreicher sehen inzwischen keinen Sinn mehr im Gendern“. Nicht oft hat ein Satz die Gelegenheit, sich selbst so unwidersprochen und gültig im Spiegel zu betrachten und bestätigend zuzunicken: Ja, sag ich doch! Geboren wurde er in der oberösterreichischen Redaktion von orf.at in einer Zusammenfassung einer Umfrage zur Akzeptanz des Genderns in der österreichischen Bevölkerung. Die Schlagzeile dazu ließ wenig Spielraum: Akzeptanz für „Gendern“ sinkt. Da läuft einer schon beim Lesen der kalte Schauer über den Rücken – wuuuaah, dieses „Gendern“ schon wieder. Das haben diese „Feministinnen“ erfunden. Die wollen meinen „Arbeitsplatz“ und gleich danach die „Weltherrschaft“. (Das mit der Weltherrschaft stimmt übrigens.)
Während hierorts Umfragen in Auftrag gegeben werden, um ganz nah an Volkes Stimme zu sein, lassen andernorts Menschen Studien erstellen, die keine Befindlichkeiten, sondern Zahlen abfragen. So eine machte die Medienwissenschaftlerin Elizabeth Prommer im Auftrag der deutschen MaLisa Stiftung zum Thema audiovisuelle Diversität in Deutschland, sie wurde viel besprochen und noch einmal mehr besprochen, nachdem der ZDF-Moderator Klaus Kleber ein Interview mit der Ärztin, Schauspielerin und Stifterin Maria Furtwängler (ja, manche machen kluge und richtige Dinge mit ihrem Geld) dazu führte, das ihn eher unglücklich aussehen ließ. Er bediente ganz wunderbar das Weltherrschaft-Klischee, und fragte, ob Furtwängler die Menschen vor den Bildschirmen umerziehen möchte. Quasi nach dem Motto – wenn die Zahlen aussagen, dass bedeutend weniger Frauen als Männer in bestimmten Rollen und Funktionen am Bildschirm zu sehen sind, müssen jene, die die Zahlen erheben, eindeutig ein politisches Motiv haben, oder, wie die Studienautorin es in einem Interview mit Doris Prieschnig in der Tageszeitung Der Standard ausdrückte: „Wir haben uns auch gewundert, warum uns schon das Zählen als politisches Instrument unterstellt wird.“ In Oberösterreich übrigens scheint es eine völlig andere gesellschaftliche Entwicklung zu geben – denn da heißt es in einer gemeinsamen Aussendung des oö. Presseclubs und der GPA djp anlässlich einer Einladung zur Podiumsdiskussion mit dem Titel Frauen im Journalismus in Oberösterreich: Weiblich, billig, arbeitswillig?: „Journalismus und Medien sind heutzutage weiblich. Vor allem im Fernsehen, bei Radios, Magazinen und OnlineMedien findet man einen hohen Frauenanteil.“ Zahlen oder Hinweise, wo diese zu finden wären, liefert die Einladung keine, dafür war wahrscheinlich zwischen all den Klischees kein Platz mehr. Jedenfalls diskutieren hier „der oö. Presseclub und die Journalistengewerkschaft (sic!) in der GPA djp über die aktuelle Situation der Frau im Journalismus und fragen nach, was Frauen tun können, um sich im Beruf gut zu positionieren.“ In erster Linie, die alten weißen Männer loswerden, die solche Einladungstexte verfassen, würde ich polemisch als Vertreterin der offenbar nach Sicht von Presseclub und Gewerkschaft homogenen Gruppe „die Frau“ mal sagen und blicke zurück auf die sogenannten Golden Handshakes, mit denen im ORF vor einigen Jahren Frühpensionierungen euphemistisch umschrieben wurden. Oder auf Kolleginnen in Printmedien, denen Altersteilzeit in einem Alter angeboten wurde, in dem dies schlicht und ergreifend eine Verhöhnung darstellt. Gibt es hier Zahlen, wie vielen Männern und wie vielen Frauen diese Angebote gemacht wurden? Wenn nein, warum nicht? Meine Erinnerung mag mich trügen, aber ich kenne überwiegend exzellente Journalistinnen (die im Übrigen jahrzehntelang bewundernswert unbeeindruckt von der latenten Frauenfeindlichkeit dort ihrer Arbeit nachgingen), die im ORF Landesstudio OÖ diesen Golden Handshake annahmen, nachdem er ihnen eher nachdrücklich angeboten wurde, auch ein Mann fällt mir ein, und ganz bestimmt gab es einen zweiten. Zahlen wären hier wie immer hilfreich.
Die Zahlen der deutschen Studie sind jedenfalls erschreckend und es steht zu befürchten, dass Oberösterreich dazu im Vergleich keine Oase der Gleichberechtigung ist. Nur eine herausgegriffen – im Bereich TV Information, nach Funktionen gereiht, stehen in der Gruppe ExpertInnen 79 % Männer 21 % Frauen gegenüber. Auf die Frage, ob Frauen womöglich deshalb seltener als Expertinnen vorkommen, weil sie im Ruf stünden öfter abzusagen, antwortet Prommer (noch einmal im ITV mit Doris Prieschnig): „Ich glaube dieses Argument nicht. Wenn jemand zählen würde, wie oft ein Mann absagt, dann würden wir vielleicht draufkommen, dass Männer viel öfter absagen. Nur, da hast du dann den nächsten Mann auf der Liste.“ Wohingegen die Liste mit den oft ohnehin nur zwei weiblichen Experten rasch durchgefragt sei.
„Wir haben eh Frauen gefragt, aber die konnten/wollten nicht“ ist tatsächlich eine Antwort, die immer wieder auftaucht, übt frau Kritik an rein männlich besetzten Podien. „Wie viele habt ihr gefragt?“ wäre demnach die einzig richtige erneute Frage auf diese Antwort.
Ich habe kürzlich eine Hamburger Uniprofessorin zu einer Tagung eingeladen und ihr einige der bereits fixierten Referent_innen genannt – allesamt Frauen, unbeabsichtigt, ich wollte ihr nur Zugänge zum Thema weiterleiten und habe drei Frauen (insgesamt sprechen vier Referentinnen und drei Referenten) herausgegriffen. Sie musste terminlich bedingt absagen und erkundigte sich freundlich, ob sie auch einen Mann als ihre Vertretung empfehlen dürfe, oder ob nur Frauen eingeladen würden. … Nein, es ist keine Frauenkonferenz, wenn drei Frauen teilnehmen – es bleibt eine Konferenz. Dass es sogar eine Frau irritiert, wenn Podien – die keine „Frauenthemen“ behandeln – überwiegend mit Expertinnen besetzt sind, hat mich überrascht und gleichzeitig ernüchtert. Weil ich – wenn ich ehrlich bin – nur zu oft genauso reagiere wie die Hamburger Uniprofessorin.
Ein sehr bestimmtes Schema davon, wer als Experte wichtig und glaubwürdig wahrgenommen wird, muss sich in uns als Wertesystem eingebrannt haben: Männer sprechen auf Podien, im TV und im Radio – Frauen moderieren oder sitzen im Publikum. Das ist das Bild, das uns vermittelt wurde und wird. Das ist das Bild, das wir als „normal“ wahrnehmen. Und ja, selbstverständlich hat dies mit der Sichtbarkeit oder eben Unsichtbarkeit von Frauen in Medien, in Sprache und in bestimmten Positionen und Funktionen zu tun.
Auch darum bin ich überzeugt, dass der Ruf nach „Gendern“ weniger mit Gouvernantenpolitik und Sprachpolizei zu tun hat, auch und gerade wenn sich stets irgendwo ein Mann bedroht fühlt, wenn eine Frau spricht. Oder wie die Journalistin Julia Pühringer es ausdrückt: Diese perfide Kombi, Frauen zwar ständig zu ignorieren und/oder niederzumachen, nicht für voll zu nehmen, ihnen ihre Erfahrungen einfach abzusprechen und ihnen nicht zuzuhören (außer man will was von ihnen) und dann lässig zu sagen: „Ja machts halt öfter den Mund auf, tuts was, wehrts euch!“ regt mich ja am allermeisten auf.
Quellen:
www.uni-rostock.de, Broschüre über audiovisuelle Diversität
Der Standard, Printausgabe 12./13. August 2017, S. 28
Sg. Fr. Hackl!
Warum Sie gegen eine grundvernünftige Diskussionsveranstaltung derart haltlos austeilen, erschließt sich dem Leser, der Leserin Ihres Textes ebensowenig wie das „(sic)“ hinter der Journalistengewerkschaft. Hätten Sie recherchiert, wäre Ihnen mitgeteilt worden, dass der Einladungstext nicht von einem „alten weißen Mann“ erstellt wurde, sondern von Frauen. Auch eine Polemik kann sich nicht um eine Recherche drücken. Das sollten Sie als Journalistin wissen.
Im Übrigen hätten wir Sie gerne bei der Veranstaltung begrüßt.
MfG Klaus Buttinger, Journalistengewerkschaft OÖ
Sehr geehrter Herr Buttinger,
vielen herzlichen Dank für Ihren Kommentar zu diesem Text, der sich mit Sichtbarkeiten von Frauen in Medien auseinandersetzt. Diese Sichtbarkeit beginnt aus meiner Perspektive bereits in der Sprache – und so schwer es uns die deutsche Sprache dabei auch macht – so bemerke ich doch, dass immer mehr Organisationen, die Frauen und Männer vertreten, dies auch sprachlich darstellen. Aus der Journalistengewerkschaft könnte so z.B. eine Journalist_innengewerkschaft, eine Gewerkschaft für Journalisten und Journalistinnen oder aber eine für JournalistInnen oder Journalist*innen (Sternchen allerdings nur, wenn darauf verwiesen werden soll, dass es mehr als 2 Geschlechter gibt, hab ich mir erklären lassen) werden. Sehr progressive Menschen verwenden sogar ausschließlich die weibliche Schreibweise, wodurch die Absurdität und Exklusivität der bislang verwendeten rein männlichen Schreibweise gut sichtbar wird, finde ich. Jedenfalls gibt jede Organisation, die auf eine gegenderte Darstellung der von ihr vertretenen Mitglieder verzichtet, damit auch ein gesellschaftspolitisches Statement ab, weshalb ich mir auch künftig erlauben werde, als gesellschaftspolitisch denkender und handelnder Mensch dies in meinen Texten hervorzuheben, deshalb das (sic!) hinter dem Wort Journalistengewerkschaft. Es ist übrigens völlig richtig, dass Sie in ihrem Kommentar den „alten weißen Mann“ unter Anführungsstriche stellen – das fehlt tatsächlich in meinem Text. Denn diese – wie erwähnt polemische – Bezeichnung ist weniger wortwörtlich zu nehmen, als eher als ein Denk- und Bewertungskonzept, dem auch jüngere Männer und auch Frauen (nicht zuletzt ich selbst, wie weiter unten im Text ausgeführt) immer wieder und immer noch verhaftet sind. Ich führe das gerne aus: wir formulieren und definieren m.E. zu ungenau, wenn wir „alle“ schreiben, laden viel zu wenig divers zu Diskussionsveranstaltungen ein, und machen uns zu wenige Gedanken darüber, ob es homogene Gruppen wie „alte weiße Männer“ oder „die Frau im Journalismus“ überhaupt gibt, bevor wir diese Begriffe in Texten oder Einladungen verwenden. Danke deshalb für diesen wichtigen Hinweis! Auch Frau Daniela Hainberger vom Presseclub hat sich übrigens bereits bei mir gemeldet und mir freundlicherweise den Report geschickt, aus dem die in der Einladung ohne Quellenangabe angeführten Zeilen stammen. Sie hat allerdings die Mühen der Recherche auf sich genommen und mir per mail geschrieben, in dem sie auch bedauert, dass ich nicht bei der Veranstaltung war. Tatsächlich wäre ich sehr gerne gekommen, allerdings musste ich von 14. – 16.9.2017 bei einem bereits seit Monaten fix vereinbarten Seminar außerhalb von Linz anwesend sein. Es war tatsächlich schade, denn mich hätte – nicht zuletzt als Gewerkschaftsmitglied – doch sehr interessiert, welches Bewusstsein darüber vorherrscht und welche Anstrengungen nicht zuletzt seitens der Gewerkschaft unternommen werden, im Jahr 2017 auch in oberösterreichischen Medienhäusern eine Form von gesellschaftlicher Normalität herzustellen, die auch weibliche Chefredakteure, Abteilungsleiter oder Ressortchefs ermöglicht und sichtbar macht. Sodass es künftig weder all male noch all female Podien braucht um Themen wie Politik oder Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu diskutieren.
Mit freundlichen Grüßen
Wiltrud Hackl