Terri Frühling betreibt aufwieglerisch intelligent „künstlerische Feldforschung“. Über gemeinsame Lebensstationen und markante Arbeiten schreibt Künstlerkollegin Andrea Lehmann, und stellt zuerst fest: Terri Frühlings Lebenslauf liest sich wie Terri Frühlings Kunst.
Terri Frühling lernte ich 1989 kennen, als sich unser beider Leben zur Kunst hinzuzubewegen begann. Im Korsett gebrauchsgraphischer Regeln, im Schulgefüge der HTBL für Grafikdesign, und den sozialen Verwirrungen der Jugend begann unser gemeinsamer Weg: Im Wirrwarr der Normalität war Humor ein Ausweg, sowie Terri Frühlings vielfältige Interessen, die seit jeher die Realität bereicherten.
Bestechende Eigenart von Terri Frühling ist ihre Ironie, unterlegt von scharfer Beobachtung, pointierter Realitätsfindung, Einfühlsamkeit und Freiheitsdrang. Während des Masterstudiums der plastischen Konzeption/Keramik in Linz war das notwendige kräftige Quäntchen Ungehorsam unverkennbar integraler Bestandteil ihrer Arbeit. Frühling betreibt, in eigenen Worten, „künstlerische Feldforschung“, und das seit mehr als 20 Jahren. Wobei sich die Feldforschung nicht nur auf die eigene Kunst bezieht, sondern auch auf ein Aufspüren der Konventionen, die auch die Sphären der Kunst selbst betreffen, bzw. geht es Frühling immer auch um deren Überschreitung.
Ihre Werke manifestieren sich in verschiedener Stofflichkeit und in vielen Erscheinungsformen. So war das auch auf der Bühne, gemeinsam mit Elke Punkt Fleisch und Ester Hinten Finster als Szene-Schlagerband Ganshaut, die von 2005 bis 2013 ihre kabarettistischen Musikperformances bis zur Schmerzgrenze überhöhte. 2006 etwa, beim Wiener Protestsongcontest, erspielte die -Band- den 6. Platz, und sie knackten das „zache“ Wiener Publikum. Oder die figurale Arbeit DJ Ötzi, ein lebensgroßes Konterfei, das, erschlagen von einer Maß Bier, und 2009 gezeigt im Kulturquartier, an die Grenze der guten Kunst und deren schöner Präsentationräume führte. Auch setzte Frühling mit der TOTALE, dem Festival für parallele Kunst 2011–2017, in Zusammenarbeit mit Wolfgang Fuchs, den Grenzgang fort. Die Orte und situativen Gegebenheiten der Stadt Linz wurden und werden als Event „missbraucht“. Festivalstationen, unter anderem Super Luna oder Never been to Istanbul, wurden im roten, wegweisenden Festivalplan und als Katalog mit diversen Textspenden aufbereitet. Die Totale ist offiziell heuer noch zu bestaunen. – Pure Ironie!
In den neueren Arbeiten ist eine zusätzliche Dimension von Ernsthaftigkeit und Tiefe zu bemerken. Transfrühling, 2011 vom Land Oberösterreich ausgezeichnet, befasst sich auf sehr lyrische Art mit den Talenten der Künstlereltern und der eigenen Identität. Transfrühling tritt als Zeichnung des Vaters und als Keramik der Mutter in Erscheinung.
Das Generationenthema erfährt 2012 eine radikale Weiterentwicklung mit der matriarchalen Performance Mama Mysterien Theater. Mit Intimität sprengt Frühling den patriarchalen Aktionismus, baut eine Brücke zwischen ambivalenten Gefühlen und spiegelt, sozusagen in Dualität, Hermann Nitschs patriarchales Mysterientheater. Mit Symbolen von Lebensbejahung agieren in drei Akten Terri Frühling, ihre Schwester Sophie und deren Mutter, die Künstlerin Monika Miegl. Unter Horngetöse und strengem Geräusch werden Eier, Milch, Spargel, Beeren(saft) und Nudeln in mystisch anmutenden Handlungen auf mütterlichen Bäuchen verteilt. Die matriarchale Performance für Vegetarier (und natürlich auch für andere) ist filmisch dokumentiert.
Die Vielseitigkeit der Künstlerin unterstreicht den gesamtheitlichen Duktus. An unvorhersehbaren Ecken und Ebenen der Kunst erblicken ihre Arbeiten das Licht der Welt. Provokant pointiert in ihrer Ungezähmtheit, trotz der oftmals, oder gerade deshalb verwendeten klassischen Medien wie Zeichnung und Illustration, Gebrauchsgraphik, Skulpturales, Keramik, Fotographie, Film, Performance, Musik, bleibt sie in den Aussagen unverkennbar kräftig. Als BetrachterIn kann man sich auf einiges gefasst machen, um dann am Kern der Aussage anzukommen, bis einem die gerade entstandene Aussage wieder neue Gedankengänge serviert. GUT SO!
In den letzten Jahren ergab sich die Notwendigkeit, das Zeitmanagement und die Lebensumstände von KünstlerInnen mit Kindern zu thematisieren. Noch vor 10 Jahren war dem Kunstbetrieb diese Art der Lebenswelt, zumindest aus meiner Beobachtung heraus, noch verschlossen. In dieses Themenfeld reiht sich der Baby Success Club, der seit 2013 existiert, ein, und wurde 2015 im Salzamt der Stadt Linz als „Impuls“-Projekt mit Elke Punkt Fleisch erarbeitet bzw. präsentiert. Meiner Meinung hat sich seither in der Kunst- und Kulturlandschaft auch kaum etwas verändert, außer dass durch den realen Lebensdruck der KünstlerInnen der Nachwuchs zu den Ausstellungen mitgebracht werden darf – weil der Nachwuchs der KünstlerInnen zu den Ausstellungen mitgebracht werden will.
#MyKelomatResidency, 2016 entstanden, beschreibt den Arbeitsmarathon unter Kreativitätsdruck von 7.00 bis 22.15 h im Kurhotel, und zielt in eine ähnliche Richtung. Als BetrachterIn wird man in der Restinformation der Katalogform begrüßt. Die Beziehung Kunst/Nichtkunst startet Terri Frühling in Der große Beginn mit einer Hashtag-Diskrepanz aus #Vorfreude und #Startblockade. Es springen einem u. a. Fotos entgegen, die aus einer Bed-In-Performance zu sein scheinen. Perfekt ohne Distanz zum Betrachter. Sofort wird frau wieder auf den Boden der Realität geworfen. Die Künstlerin NUR im Tagaufstehbeginnmodus. „Ich schaffe es aus dem Bett“ – Residence als Kunstwerk: Kunstproduktion, Rechtfertigung und Selbstauslieferung, eingekeilt in Zeit- und Realisierungsnot, sind im Katalog mit Arbeiten von Bioart, Naturstudie, Lichtkunst und mehr, in konsumfähige Einheiten gebracht. Die stundenweise dokumentierten Projekte immer im Kontakt mit saurer Ironie sind am Tag des offenen Ateliers, im Oktober 2017, im Künstlerinnenatelier in Urfahr zu sehen. Querbezüge zu aktuell Gesellschaftlichem, Sozialem, Persönlichem und den Kunstformen bilden sich bei Terri Frühling ständig, und werden gekonnt in Selbstironie mit technischer Vielseitigkeit aufgelöst. Frei bildend und auch sezierend.
„Mit 30 anfangen zu studieren??! Da sind sie früher schon gestorben!“
Mehr Infos: www.terrifruehling.at
Terri Frühling gestaltet gemeinsam mit Elke Punkt Fleisch „Die kleine Referentin“
Tage des offenen Ateliers, Sa 21. + So 22. Oktober 2017, 10.00–18.00 h
Atelier Frühling, Tal 3, 4040 Urfahr