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Professionelle Körperbeziehungen

By   /  7. Juni 2024  /  No Comments

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Die Kinodokumentation Corpus Homini von Anatol Bogendorfer ist ein Porträt von vier Professionen, die dem Körper verpflichtet sind. Ein Abszess wird geöffnet, ein Sexualakt vollzogen, eine Geburt begleitet, eine Leiche gewaschen. Claus Harringer hat den Film gesehen, der unter anderem bei der Diagonale in Graz oder bei Crossing Europe gelaufen ist. Und er hat dem Regisseur einige Fragen gestellt.


Allein über den Titel von Anatol Bogendorfes neuem Film Corpus Homini (seiner zweiten Dokumentation in Spielfilmlänge nach Innere Blutungen von 2013), ließe sich ausgiebig sinnieren. Die (abendländische) Geistes- und vor allem Philosophiegeschichte zeichnet sich zwar nicht gerade durch übermäßiges Interesse am Körper oder der Beziehung zu ihm aus – dennoch wurde und wird die theoretische Auseinandersetzung mit dem Körper bzw. dem Leib gesucht. Die Vieldeutigkeit von corpus spannt seine Koordinaten zwischen Tod (Leichnam, Fleisch) und Leben (Organismus, Person), innerhalb derer Fragen nach dem Verhältnis von physischen und psychischen Zuständen gestellt werden, sowie danach, inwieweit individuelle physische Körper immer auch solche der Gesellschaft sind, die von dieser überformt, oder gar bedingt werden.

Solche Reflexionen nehmen ihren Ausgangspunkt an der Beobachtung konkreter Körper und den Verhältnissen, in denen sie existieren – als lebenslange Arbeitsaufgabe für sich und für andere. Diese Betrachtungen stellt Corpus Homini mit Themen an, die jeden Menschen betreffen (Geburt, Sex­ualität, Krankheit und Tod), deren professionelle Handhabung aber dem kollektiven Blick entzogen ist.

Der Film begleitet eine Hebamme, eine Ärztin, eine Sexualbegleiterin und einen Bestatter – allerdings ohne Episodenfilm mit abgeschlossenen Geschichten zu sein: Er erzählt von vier Professionen, die auf den menschlichen Körper bezogen sind, aber letztlich eine Geschichte, die vom Verhältnis von Intimität und Distanz handelt. Die vier Stränge sind verwoben und einer gemeinsamen Dramaturgie verpflichtet: Schritt für Schritt erfolgt eine Annäherung an den Körper und eine Enthüllung der spezifischen Arbeitsbeziehungen zu ihm. Die Kamera ist gleichsam respektvolle, aber kommentarlose Beobachterin archäologischer Vorgänge, bei denen in der Konzentration auf das Leibliche dessen zivilisatorische und kulturelle Umhüllungen in den Hintergrund treten.

Nach dem Vorspann, der mit seinem Musikeinsatz einen ersten beeindruckenden Moment beschert und durch das Zeigen menschenleerer Schauplätze die Bühne bereitet, besteht die erste Schicht in vorbereitenden, bzw. begleitenden Handlungen: Dem Entzünden der Kerzen in der Aufbahrungshalle, dem Auspolstern eines Sarges mit Schaumstoff-Füllmaterial, Fragen nach der Kassenzugehörigkeit bei der Anmeldung in der Ordination, der Anreise zum Hausbesuch, dem Geburtsvorbereitungskurs mit Erläuterungen anhand von Stoffrequisiten, dem Erfahrungsaustausch unter Kolleginnen im Café, etc.

Früh zeigt sich, wie geschickt im Film Informationen vermittelt werden – keine gekünstelten Situationen, in denen dem Publikum Hintergrund-Happen vorgekaut werden und keine Talking Heads in eingefügten Interviewsequenzen – die „vierte Wand“ bleibt vollständig intakt. Die Erklärungen sind Teil einer Gesprächssituation und die Kamera ist lediglich unsichtbare Zeugin, die – im Wortsinn – über die Schulter blickt, aber auch geschickt die Perspektive wechselt.

Die nächste Schicht bringt den Körper ins Spiel, bzw. ins Gespräch: Die anamnetischen Fragen der Hausärztin, die sie einer Gesichter-Parade stellt, aus der ihr wiederum individuelle Beschwerden entgegenmarschieren, die Ratschläge der Hebamme, das Duschen, Zähne-Putzen, Beine-Rasieren und Schminken vor dem ersten „Date“ mit dem Kunden und die telefonische Klärung von Todesumständen, Leichenfreigabe und Transportmodalitäten.

Schließlich beginnt die Arbeit an und mit Körpern – und zwar durch Körper. Denn auch die, die diese Arbeit verrichten, haben und sind Körper mit Eigenschaften und Eigenheiten (sowohl die Ärztin, als auch die Hebamme entschuldigen sich für ihre kalten Hände bei der Untersuchung): Ein Abszess wird geöffnet, ein Sexualakt vollzogen, eine Geburt begleitet, eine Leiche gewaschen.

Körper (bzw. die, die sie bearbeiten) sind im Fokus des Films, aber nicht notwendigerweise immer in dem der Kamera: meist heben sie sich alleine aufgrund der unaufdringlichen Farbgestaltung der Räume (Pastellfarben in Behandlungszimmern) als etwas Lebendiges von der Umgebung ab. Bedeutsam ist das Entstehen von Beziehungen, die nicht zwingend des verbalen Austauschs bedürfen, der von sparsam, aber effizient komponierter Musik (Veronika J. König) gelegentlich bewusst übertönt wird, die Stimmung konturiert und von einer Szene zur nächsten trägt.

Dadurch, dass der Leib ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt, gelingt es, ihn bis zu einem gewissen Grad aus seinen Kontexten zu befreien und durch konzentrierte Betrachtung neu einzuklammern. Er wird damit nicht zum unbeschriebenen Blatt, seine soziale Aufladung tritt aber hinter seine vorgesellschaftliche Funktionen zurück – und in dieser Hinsicht werden auch die porträtierten Professionen vergleichbar. Am Ende stehen wieder die Räume, allerdings verändert durch die Körper, die durch sie hindurchgegangen sind: Der leere Leichentisch, das zerwühle Bett, das verlassene Wartezimmer und auch die Menschen im Publikum werden wieder auf die eigenen Körper (und die um sie herum) zurückgeworfen.

Die Referentin: Was gab den Anstoß, diesen Film zu beginnen; welche Überlegungen, welche Fragen bildeten den Hintergrund?
Anatol Bogendorfer: Zum Thema Körperarbeit hatte ich eigentlich weder persönlichen Bezug, noch herausragendes Interesse. Manchmal nähert sich ein Filmstoff aber auch schrittweise, über mehrere Etappen an. Ich hab 2016 in einem zum Hotel umfunktionierten, ehemaligen Baderhaus übernachtet. Bader waren im Mittelalter so etwas wie Heiler; vielleicht eine Vor-Vorstufe zum Arztberuf; Pfuscher durch und durch. Zur Geschichte des Hauses befragt, erzählte mir der Hotelbetreiber, dass früher alle Menschen, die beruflich mit fremden Körpern zu tun hatten, außerhalb der Stadtmauern leben mussten: etwa der Bader, die Hebamme, die Prostituierte, der Totengräber, aber auch der Henker. Ihre Berufe galten als unehrenhaft. Das fand ich schon mal interessant. Die Professionen gibt’s ja – mit Ausnahme des Henkers in Österreich – alle noch. Die einzelnen Berufsgeschichten verliefen zum Teil ganz unterschiedlich. Vorbehalte ge­genüber manchen dieser Berufe, Unwissen oder auch Berührungsängste haben sich teilweise bis heute gehalten. Dann bin ich einige Jahre später über eine Studie gestolpert, die die These aufwarf, dass viele aktuelle Berufe bald nicht mehr existieren würden, weil sie der Automation zum Opfer fielen. Im Appendix der Studie gab’s dann auch ein Ranking hinsichtlich der Professionen, die sich sicherlich halten wür­den. Und guess what? Weit oben standen Berufe, bei denen Menschen mit anderen Menschen und/oder deren fremden Körpern zu tun hatten, Berufe, bei denen soziale Intelligenz, Empathie und zwischenmenschliche Qualitäten eine große Rolle spielten. Vor diesem Hintergrund tauchten dann nicht nur Fragen, sondern auch langsam eine Filmidee auf. Was macht diese Berufe aus? Wie sieht der berufliche Alltag aus? Welchen Zugang haben wir zu diesen Berufen heute? Gibt es Gemeinsamkeiten in den Berufswelten? Etc.

R: Corpus Homini ist eine Dokumentation im Wortsinn, die sich eines Kommentars enthält und stattdessen den Körper schrittweise immer stärker fokussiert. Wie bist du die Herausforderung angegangen, ihn in den Mittelpunkt zu rücken, ohne ihn zum bloßen Objekt zu degradieren – zugleich aber den sozialen Kontext weitgehend auszublenden?
AB: Indem von Anfang an klar war, dass ich mich nicht im Biografischen und nicht in etwas Reportagehaftem verzetteln möchte. Den Fragen, warum wer unter welchen sozialen Umständen diese Berufe ausübt, müssen andere Filme nachgehen. Für den Film, den ich machen wollte, war von Anfang an klar, dass wir bei diesen vier Berufen von dem ausgehen, was sie unabhängig von sozialen oder moralischen Diskurseinbettungen auch (oder in erster Linie) sind: Professionen, mit denen Menschen ihr Geld verdienen. Und so haben wir uns vorgenommen, mit allen filmischen und erzählerischen Mitteln zu versuchen, die vier Protagonist:innen gleichwertig als (Körper-)Spezialist:innen zu etablieren. Dass dies – etwa in Bezug auf Sexarbeit – per se eine politische Note in sich trägt und meine Haltung wiedergibt, ist klar, aber für den Film auch ausreichend.

Ich muss vielleicht auch noch dazu sagen, dass ich von Beginn an eigentlich nicht auf den Körper, sondern auf die Beziehung (der Protagonist:innen) zum Körper fokussieren wollte. Der Körper als Titelträger ist da wohl zunächst irreführend. Er erklärt sich so, dass der (fremde) Körper das ist, was diese Berufe objektiv miteinander verbindet. Dass es darüber hinaus auch noch weitere Analogien bei ihnen gibt, lässt sich bei ihrer „Beziehungsarbeit“ im Laufe des Films sehr gut beobachten: eine Arbeit, die sich stark zwischen den Polen Nähe und Distanz bewegt. Körper sind in diesem Spannungsfeld für mich nicht nur Objekte. Ich verstehe sie als Kommunikationsgefäße, die mittels Vertrauen, Empathie und Wohlwollen in Beziehung zueinander treten – sprechend und körperlich. Genau da haben wir mit der Regie- und Kameraarbeit angesetzt. Wir haben versucht, beim Dokumentieren dieser Begegnungen genau diese Sphäre abzubilden und atmosphärisch einzufangen.

R: Premiere hatte Corpus Homini im April auf der Diagonale in Graz – was waren die Reaktionen der Porträtierten, bzw. Darstellerinnen, des Publikums?
AB: Ein Teil kannte den Film schon, weil ich – bezogen auf die Bereiche Bestattung, Geburt und Sexarbeit – im Vorfeld der Premiere sicherstellen wollte, dass sich die Beteiligten wohlfühlen mit ihrer Darstellung. Das war der Fall. Und sie waren, glaube ich, alle superstolz auf sich und den Outcome. Niemand außer mir wusste ja während der Dreharbeiten, was da am Schluss rauskommen würde. Alle wussten von den anderen Berufen, vom Thema, aber niemand hatte wohl eine genauere Vorstellung davon, was damit gemeint war, wenn ich ihnen gegenüber von einem Film fürs Kino, nicht fürs Fernsehen gesprochen habe. Also von etwas, das einem als Zuseher:in Raum und Zeit fürs Beobachten und eine gewisse Autonomie für die Interpretation der Erzählung gibt. Ohne vorgegebene Einordnungen. Ohne Sprecherin. Ohne Interviews.

Wenn ich das selbst überhaupt einschätzen darf, war die Premiere bei der Diagonale – ähnlich wie bei der OÖ-Premiere bei Crossing Europe – geprägt von einer emotionalen „Grundrührung“ über das Gesehene seitens des Publikums. Viel Bewunderung galt schlichtweg auch den tollen Protagonist:innen selbst. Dabei drehte sich bei den Gesprächen viel um die Intimität, die wir filmisch festhalten durften. Eine Intimität, in der sich zunächst etwas zutiefst Menschliches ausbreiten kann – nämlich das Verwundbare, das Tröstliche, das Begehrliche, das Traurige, um dann vom Gegenüber in Form einer Dienstleistung wohlwollend und letztlich auch befriedigend wieder eingefangen zu werden.

R: Hat sich deine Sicht auf die dargestellten Professionen verändert – und wenn ja, wie?
AB: Kaum. Ich weiß zwar jetzt viel mehr als vorher über die Handhabung von Leichen, über die Vorbereitung von Geburten, das Abtasten diverser Krankheiten und das Abfragen möglicher sexueller Wünsche. Allerdings hat sich durch den Film weder mein sinnlicher noch politischer Blick auf die Berufe geändert. Wie erwartet sind das vier körperlich wie psychisch fordernde Dienstleistungsberufe, bei denen sich der eine nicht vorstellen kann, den Job des anderen zu machen. Allerdings war nach der Premiere bei den Gesprächen unter den Professionist:innen eine ganz bestimmte, gegenseitige Wertschätzung spürbar. Das fand ich schön.

 

Corpus Homini
Regie: Anatol Bogendorfer,
AT 2024, 97min, Deutsch, OmeU
Kinostart: Anfang November
Termine auf corpushomini.info

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ist Redakteur der Versorgerin.

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