Die Geschichte einer Obsession: Ein Mann entwirft Pläne zur Umgestaltung seiner städtischen Umgebung. Aus dem zunächst harmlosen gesellschaftlichen Engagement erwächst die Wunschvorstellung der Übernahme politischer Macht und schließlich der autoritäre Traum von einer nach Plan funktionierenden, konfliktbefreiten Gesellschaft. So lautet der Klappentext zu Robert Stährs neuem Buch. Hier eine Leseprobe.
Ich erwache später als an anderen Tagen. Ein Blick auf die Armbanduhr zeigt mir, dass es schon Vormittag ist. Nur noch wenige Stunden bis zum Versammlungstermin, den ich um 14 Uhr angesetzt habe. „Siedend heiß“ fällt mir ein: Ich habe das Rednerpult samt Mikrophon und Lautsprecher zu besorgen vergessen. Ich besitze eine volltönende Sprechstimme, Verve und Engagement werden mich zur Hochform auflaufen lassen. Ein Pult wäre letztlich nur hinderlich im direkten Kontakt mit den Anwesenden.
Aus diesen Gedanken reißt mich das Läuten des Telephons. Also gut ich komme sagt Karla tonlos. Wann startet das Ganze? – Am Nachmittag um zwei stammle ich vor Überraschung. Als ich sie fragen will, ob sie zuvor in die Wohnung kommt, um gemeinsam mit mir zum Versammlungsort zu gehen, hat sie aufgelegt.
Duschen und Anziehen sowie Mundhygiene müssen an diesem entscheidenden Tag, besonders sorgfältig durchgeführt werden. Schließlich repräsentiere ich eine zukünftige Reformbewegung, deren Initialzündung heute, an diesem Nachmittag, erfolgen wird.
Voller Nervosität gehe ich zuerst im Arbeitszimmer, dann in der ganzen Wohnung auf und ab. Immer wieder schau ich aus dem Fenster: Im Park ist alles ruhig; Karla ist weder dort noch auf dem Gehsteig zu sehen.
Zum wiederholten Mal blicke ich auf die Armbanduhr. Als es ein Uhr Mittag geworden ist, beschließe ich, zum Versammlungsort zu gehen, um letzte Vorbereitungen zu treffen.
Auf dem Weg zur Versammlungsfläche im Park fallen mir weitere beschädigte und abgerissene Plakate auf. Auf den Bänken und Wiesen rund um die Fläche sitzen Menschen unterschiedlichen Alters und Geschlechts und reden angeregt miteinander. Es ist gut, wenn der Reformkonvent von vielen verschiedenen Menschen besucht wird. Leute aus allen Gesellschaftsschichten sollen sich meiner Bewegung anschließen.
In weniger als einer Stunde starten wir. Von mehreren Seiten nähern sich Passanten dem Veranstaltungsgelände. Erst jetzt fällt mir auf, dass die Klarsichthüllen mit den Hinweisen nicht mehr an Bäumen und Pfosten kleben. Wahrscheinlich haben interessierte Personen sie mitgenommen.
Eine halbe Stunde vor Beginn des Konvents sitzen etliche Leute, die meisten jüngeren Alters, auf der Wiese in der Sonne. Klima und Atmosphäre stimmen. Jemand ruft nach mir. Ich drehe mich um und erblicke einen der Nachbarn, die ich lange nicht gesehen habe.
Freut mich dass Sie sich Zeit nehmen sage ich und schüttle dem Nachbarn die Hand. Zeit wofür fragt der Mann und schaut mich verständnislos an. Für die Bürgerversammlung erwidere ich. Okay. Der Nachbar hebt die Hand zum Gruß und schlendert über die Wiese davon.
Kurz darauf läutet das Telephon in meiner Hosentasche: Karla. Wann kommst du frage ich gereizt; ich schaff das jetzt nicht treffen wir uns später im Cafe meint Karla unbekümmert. Ich unterbreche augenblicklich die Verbindung und bin versucht, das Telephon ins Gras zu werfen.
Knapp vor dem definitiven Start des Konvents vermeine ich erwartungsvolle Blicke auf mich gerichtet zu sehen. Mein ohnehin schon hoher Adrenalinpegel steigt weiter, ich spüre die Motivation, es gelingt mir, den Ärger über Karla zu vergessen.
Ein paar Männer, deren Alter schwer schätzbar ist, steuern auf mich zu. Sie wirken unsicher, nervös, als sie vor mir stehenbleiben und fragen, ob hier die angekündigte Versammlung stattfinde. Ich nehme Haltung an und bestätige den Männern, dass sie hier genau richtig seien; ich freue mich über ihr Erscheinen. Die Gruppe bleibt direkt vor mir stehen, umringt mich förmlich.
Ich entschuldige mich bei der Gruppe, es ist zwei Uhr und die Versammlung beginnt. Wir starten jetzt rufe ich in die verschiedenen Richtungen, wo die Teilnehmer auf Bänken und der Wiese sitzend warten. Zunächst reagiert niemand auf meinen Zuruf; ich muss lauter rufen, um mich gegen den im Park herrschenden Lärmpegel durchzusetzen. Die Männer der Gruppe schauen mich erwartungsvoll an.
Nach dem dritten Aufruf, bei dem mich der größte der Männer akustisch unterstützt, antwortet eine Frau, die mit einer Freundin auf der uns am nächsten stehenden Bank sitzt: Warum schreien Sie denn so? – Weil ich jetzt beginnen und die Leute nicht länger warten lassen möchte. – Beginnen … womit? – Wenn Sie nicht zu unserem Reformkonvent gekommen sind ersuche ich Sie woanders hinzugehen sage ich ungeduldig. Gehen Sie doch woanders hin wir wissen nichts von einer … Konvention keifen die beiden Frauen unisono. Von der Wiese ruft ein Mann herüber: Wir wollen unsere Ruhe haben!
Wenn auch, mit Ausnahme der Gruppe, bis jetzt niemand auf meinen Eröffnungsruf reagiert hat, räuspere ich mich – ein weiteres akustisches Zeichen setzend – entsprechend laut und beginne zu sprechen. Einige wenige drehen sich nach mir um und mustern mich von oben bis unten. Ich steigere die Lautstärke und lege größeren Nachdruck in die Stimme.
Langsam müssten diejenigen, welche auf der Wiese und den diese säumenden Bänken sitzen, aus ihrer Lethargie erwachen und sich um den Redner, mich, scharen. Der Konvent hat begonnen, ich halte die Eröffnungsrede. Unmittelbar vor und seitlich von mir steht die Männergruppe, der „harte Kern“ sozusagen. Ihre Mitglieder applaudieren nach jedem zweiten Satz, den ich sage. Sie fungieren als Anheizer; weiter weg stehenden und sitzenden Versammlungsteilnehmern verstellen sie allerdings die Sicht auf den Redner.
Erste Wortmeldungen, Zwischenrufe kommen noch während meiner Rede. Ich unterbreche und ersuche die Betreffenden, ein paar Minuten mit ihren Diskussionsbeiträgen zu warten. Eine kleine Gruppe junger Frauen und Männer kommt näher. Was soll das Geschwafel lassen Sie uns in Ruhe die Leute hier – eine sich aggressiv gebärdende Frau, Wortführerin der Gruppe, beschreibt mit der Hand einen großen Bogen – wollen das nicht hören.
Meine Gruppe öffnet den Halbkreis, den sie um mich gebildet hat, und dreht sich nach der aggressiven Frau und ihrem Gefolge um; wollt ihr Streit sagt einer meiner Anhänger halblaut. Ich suche abzuwiegeln und ein Gespräch zu beginnen mit diesen Leuten, die einige Meter entfernt auf der Wiese stehengeblieben sind. Wenn auch nicht alle wegen des Konvents hier sind so glaube ich doch dass ich bei vielen Menschen Interesse wecken kann bemühe ich mich, ruhig zu bleiben. Für diesen Schwachsinn wollen Sie Unterstützer finden? Einer der Begleiter der Frau greift sich an die Stirn. Darauf brechen diese Leute in Lachen aus, drehen sich abrupt um und gehen davon. Einer aus meiner Gruppe macht Anstalten, ihnen nachzulaufen; ich halte ihn am Arm zurück.
Bevor ich weiterspreche, überblicke ich das Veranstaltungsgelände: Die Anzahl der Anwesenden ist … kleiner geworden. Haben sie schon genug gehört? Keine Lust oder Bereitschaft, sich einzubringen? Auf die können wir verzichten sagt einer aus der Gruppe stoisch. Ich schau ihn an, zucke die Achseln.
Die Kerngruppe meiner Anhänger hat sich um mich geschart. Von den Nachbarn ist keiner gekommen, auch niemand von den für die Stadtplanung Verantwortlichen hat sich blicken lassen. Nicht einmal die beiden Popmusiker, die im Mailverkehr ein gewisses Interesse an meinem Anliegen geäußert, es für cool befunden haben, sind gekommen.
Unter den gegebenen Umständen verzichte ich darauf, die Eröffnungsrede zu beenden. Aus Enttäuschung über die Ignoranz und Gleichgültigkeit der Menschen in dieser Stadt werde ich vorläufig keinen zweiten Termin für eine Versammlung ansetzen.
Eine Reformkeimzelle hat sich gebildet. Die Männer meiner Gruppe haben sich nicht verabschiedet, sie stehen – im wahrsten Sinn des Wortes – zu mir. Ich danke euch fürs Kommen sage ich und schüttle jedem der Gruppenmitglieder die Hand. Wir wollen mehr über deine Initiative erfahren sagt einer von ihnen. Unbedingt stimmen die übrigen Männer zu und nicken freundlich.
Ich betone meine Freude über die Unterstützung. Gleich morgen, schlage ich vor, könnten wir uns wieder treffen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Wenn jeder aus der Gruppe bestimmte Aufgaben zur Umsetzung meiner … unserer Reformbestrebungen übernehme, sei ein Erfolg letzterer möglich, seien dringend notwendige Maßnahmen auch ohne breite Unterstützung realisierbar.
Erzähl uns morgen mehr dann schauen wir weiter sagt jener aus der Gruppe, der sich bis jetzt im Hintergrund gehalten hat. Wir vereinbaren ein Treffen für den nächsten Tag, ich schlage das Gasthaus in der Nähe meiner Wohnung vor und beschreibe den Männern den Weg. Als die Gruppe außer Sichtweite ist, laufe ich auf schnellstem Weg nach Hause.
Es ist höchste Zeit für die tägliche Ruhephase. Obwohl mein Atem vor Aufregung und Ärger unregelmäßig geht, schlafe ich auf dem Sofa nach wenigen Augenblicken ein. Als ich erwache, ist die Nacht hereingebrochen. Es ist Schlafenszeit, Kopfschmerzen und Übelkeit plagen mich. Ich gehe zum straßenseitigen Fenster, öffne es und atme tief durch.
Ich sitze zwei Stunden lang auf dem breiten Fauteuil im Dunkeln. Dann gehe ich zu Bett und versuche wieder zu schlafen. Erst im Morgengrauen verfalle ich in einen kurzen Schlummer.
Plan Robert Stähr
Passagen Verlag, Oktober 2020 Paperback, 140 Seiten, ISBN 978-3-7092-0435-1
www.passagen.at/gesamtverzeichnis/literatur/plan
Radio FRO-Beitrag über das Buch bzw. mit dem Autor Robert Stähr: www.fro.at/total
„Plan“ von Robert Stähr
Die Geschichte einer Obsession: Ein Mann entwirft Pläne zur Umgestaltung seiner städtischen Umgebung. Aus dem zunächst harmlosen gesellschaftlichen Engagement erwächst die Wunschvorstellung der Übernahme politischer Macht und schließlich der autoritäre Traum von einer nach Plan funktionierenden, konfliktbefreiten Gesellschaft. Im Takt seiner täglichen Routine, der nur durch die Variationen des immer gleichen Traumes unterbrochen wird, beobachtet, kommentiert und kritisiert der Ich-Erzähler seine Umgebung: Auf Spaziergängen durch den nahe gelegenen Park und die Straßen der Stadt, bei Treffen und Erledigungen wird der Mann mit Unregelmäßigkeiten konfrontiert, die er als Mängel der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung erlebt. Nach und nach entwickelt der Erzähler Pläne, um diese Ordnung zu reformieren. Je länger aber seine Bemühungen, Mitstreiter für sein Vorhaben zu finden, erfolglos bleiben, desto mehr wächst sich sein Engagement zur Obsession aus. Der Erzähler träumt von einer konfliktbefreiten Gesellschaft, einem perfekten sozialen Räderwerk, das von ihm und seinen imaginierten Helfern beherrscht wird.