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Erika Gangl und der Neue Tanz in Linz

By   /  7. Juni 2024  /  No Comments

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Erika Gangl war Pionierin einer künstlerischen Tanzavantgarde. Sie hat ab den späten 1960er-Jahren den Modernen Tanz in Linz etabliert. Über die im Jahr 2000 verstorbene Tänzerin, Choreografin und Pädagogin erscheint nun das Buch „Erika Gangl und der Neue Tanz“. Ein Herausgeberinnen-Gespräch zwischen Andrea Amort, Gerlinde Roidinger und Tanja Brandmayr.

 

Erika Gangl, geboren 1939, studierte zuerst Tanz in Linz, dann Modernen Tanz bei Rosalia Chladek in Wien. Zurückgekehrt nach Linz lernte sie ihren künstlerisch-kongenialen Partner und Ehemann Alfred Peschek kennen, der Komponist Neuer Musik war. Es wurde übergreifend gearbeitet, der Neue Tanz und die Neue Musik als Einheit betrachtet. Ab dieser Zeit hat sich ein lebendiges Umfeld um die beiden entwickelt, bei Salon-Veranstaltungen im Tanzstudio Erika Gangl hat sich die junge Kunstszene getroffen. Wir sind hier in den späten 1960er-Jahren, bewegen uns in der Hochblüte des Wirkens in die 70er- bis in die 1980er-Jahre. Zahlreiche Stücke wurden entwickelt. Das Tanzstudio Erika Gangl bestand bis wenige Jahre vor Gangls Tod im Jahre 2000.

TB: Erika Gangls Bedeutung für den Tanz ist für Kenner:innen unbestritten, ihr Na­me war allerdings nach ihrem Tod im Jahr 2000 zunehmend vom Verschwinden bedroht. Ein fast klassisches weibliches Künst­ler:innenschicksal. Für mich war es ein zentraler Punkt, gegen dieses Verschwinden etwas unternehmen zu wollen. Vieles war, finde ich, nicht nur im Nachlass fast verschwunden, sondern zum Teil schon zu Lebzeiten prekär im Gedächtnis der Zeit verankert. Ich meine, die Recherche war eine Odyssee. Einige Dinge haben wir im Archiv der Stadt Linz gefunden, das sehr hilfreich war. Durch unsere Recherchearbeit wurde die Stadt Linz auch angeregt, Erika Gangl in die Reihe der Frauen aufzunehmen, die im Walk of Fem vertreten sind. Ich glaube, das hat uns alle sehr gefreut. Frage an euch: Hat sich das Vorhaben, Erika Gangl zu würdigen, insgesamt für euch eingelöst?

AA: Ich bin sehr froh, dass wir uns zu diesem Projekt aufgerafft haben, das mit doch sehr vielen Schwierigkeiten verbunden war, angefangen vom nicht erhaltenem Nachlass, von nicht erhaltenen Schüler:innen-Listen, von zunächst einmal fast keinen Fotos, von sehr, sehr wenig „erhaltenem“ Filmmaterial, von der erstaunlich schwierigen Fördersituation. Aber der im Denken und Tun so klar der Moderne verpflichteten, faszinierenden Persönlichkeit Erika Gangl mit einem künstlerisch-wissenschaftlichen Erinnerungsbuch einen sicht­baren Platz in der Tanzgeschichtsschreibung und in der Linzer und oberösterreichischen Kulturgeschichte zu sichern, war mir, und ich glaube, uns allen, schon sehr wichtig.

GR: Meine eigene intensive Tanzzeit begann erst nach dem Tod Erika Gangls, ihr Wirken war für mich als Schülerin von Gangl-Schülerinnen dennoch präsent und berührt mich auf verschiedenste Weise. Ich denke, dass es wichtig war und ist, diese Linzer Künstlerin vor den Vorhang zu holen und im Heute sichtbar zu machen, nicht nur um eine Lücke in der oberösterreichischen Tanzgeschichte zu schließen, son­dern um insbesondere auch jungen Tan­zen­den die Möglichkeit der Rückschau und tanz­historischen Reflexion vor Ort zu geben.

TB: Andrea, kannst du vielleicht einen kurzen Guide durch Aufbau und Inhalte von „Erika Gangl und der Neue Tanz“ geben – wer sind die Wegbegleiter:innen und Expert:innen, über welche spezifischen Aspekte schreiben sie? Ich denke, ein Wirken als Tanzpionierin des Modernen Tanzes in Linz, in einem Tätigkeitsspektrum von der Tänzerin, Choreografin mit eigenem Tanztheater bzw. Ensemble, bis hin zur Pädagogin mit eigener Schule verdient schon alleine unendlich viel Würdigung.

AA: Es ist letztlich eine sehr breite Themen-Palette geworden, die hier aus Platzgründen nicht komplett aufgeschlüsselt werden kann. Wir beginnen in der Publikation, die übrigens Anna Liska, auch eine ehemalige Gangl-Schülerin, grafisch gestaltet hat, mit einer Sammlung aus Erinnerungen: Texte, die von Erfahrungen ehemaliger Studierender im Tanzstudio handeln. Gut zu wissen ist übrigens, dass wir alle, die wir hier am Werk waren, mit dem Tanz­studio Erika Gangl auf direkte oder indirekte Weise zu tun hatten.

Danach, und das war uns auch ganz klar, dass wir Erika Gangls Tun in verschiedene Richtungen kontextualisieren. Will heißen: Zunächst ein intensiver Blick auf die aktuelle zeitgenössische Linzer Tanzszene und Fragen an wesentliche Künstler:innen und Manager:innen vor Ort, die über den Ist-Zustand, Nöte und Wünsche der Szene berichten. Das Thema funktioniert natürlich nicht, ohne der entsprechenden historischen Verortung in Linz und Wien; Gangl hat bei Rosalia Chladek in Wien studiert, war beeinflusst von deren Moderne-Konzept aus der Zwischenkriegszeit, vom Werkkanon der Künstlerin und deren umfassenden Studienplan in den späten 1950er Jahren an der heutigen Universität für Musik und darstellende Kunst.

Es brauchte weiters Stellungnahmen von künstlerischen Zeitgenossen, die Gangls selbst­bewusstem Komponisten Alfred Peschek nachspüren, die aber auch dem Erscheinungsbild des Avantgarde-Duos in der Stadt nachgehen. Zu den zentralen Texten gehören auch jene der Choreografin Marina Koraiman und der Pädagogin Ulrike Bauer, aber auch jener von Isolde Setka, die nachweist, dass Gangls integrative Pädagogik für junge Menschen quasi mehr als ein Vorläufer der heutigen Anschau­ung am Oö. Landesmusikschulwerk war.

TB: Du hast es schon erwähnt, wir Herausgeberinnen waren als Gangl-Schülerinnen bzw. Assoziierte zu verschiedenen Zeiten direkt oder indirekt mit dieser Stätte verbunden. Lasst uns damit konkretisieren, dass wir selbst auch Texte verfasst haben. Ich beginne mit meinem Text, in dem es um die avantgardistischen Aspekte des Duos Gangl und Peschek geht. Ich habe Produktionen und Zeitströmungen ab den späten 60er-Jahren reflektiert, unter anderem auch über die Rezeption in Medien. Trotz aller zeitgebundenen Merkwürdigkei­ten, die unter anderem medial auch zu bemerken waren: Es war eine unglaubliche Aufbruchsstimmung vorhanden, eine beein­druckende Radikalität der künstlerischen An­sätze. Was mich besonders gefreut hat: Ich durfte durch diesen Fokus des Tanzes in­ner­halb der Linzer Avantgarden eine Lücke schließen. So fand Gangl als Tänzerin und Choreographin des Neuen Tanzes etwa keinen Eingang in die Auseinandersetzung von „Wer war 1968?“, ein an sich recht breit und superinteressant aufgearbeitetes Unterfangen der Linzer Stadtmuseen. Sehr vieles wurde hier zusammengetragen, bis dahin, dass Gangls Ehemann, der Komponist Alfred Peschek vertreten war. Gangl war allenfalls mit ihm mitgemeint. Und das, obwohl bei Gangl und Peschek alles gleichwertig und einander bedingend verbunden war! – der Neue Tanz mit der Neuen Musik, bis dahin, dass sie selbst als Liebespaar verbunden waren. Andrea, du hast hier im Zusammenhang mit Gangl auch von einer Forschungslücke gesprochen, in einem tanz­geschichtlich größer gefassten Sinn. Und, Gerlinde, du hast die heute bestehenden Tanzszenen in Linz skizziert – wie empfindest du aus heutiger Sicht das Wirken Gangls?

AA: Dass sich in Wien eine sehr aktive moderne Tanzszene letztlich bereits um 1900 nachweisen lässt, ist ja mittlerweile bekannt. Dass sich aber auch in Linz bereits vor dem Zweiten Weltkrieg wesentlich mehr getan hat, als angenommen, ist jedoch über­raschend. Aus der Sicht von Erika Gangl, die 1945 am Bruckner-Konservatorium zu studieren begonnen hat, war Wien der nächs­te logische Schritt, um einer Moderne weiter nachzugehen. Sie ist in vielen Punkten immer zeitlich recht früh dran gewesen. Ihr Werdegang ist aber auch einer von der historischen Entwicklung und deren Kenntnis abhängiger gewesen. Dass sie in Linz dann doch früher als die in Wien erst in die Gänge kommenden Tanzschaffenden ein Tanzensemble gegründet hat, nämlich 1978, ist bemerkenswert. Mit Forschungslücke mei­ne ich, dass sie aus Wiener Sicht zu früh war, sie wurde in Wien so gut wie nicht rezipiert, kaum gesehen, und daher letztlich nicht nachhaltig wahrgenommen. Warum: weil in Wien noch wenig vorhanden war. Diese heute so sprühende internationale Tanz­szene ist in Europa in den 1970ern gestartet. Erika Gangl war in Österreich also früh dabei. Was aber hinsichtlich Rezeption auch dazukommt: Erika Gangl war in ihrem Erscheinungsbild immer überlagert von Peschek und daher, wenn gesehen, dann eher von einer musik-orientierten Klientel. Und wir reden hier so gut wie immer von zeitgenössischer Musik, damals im Sinne der Darmstädter Ferienkurse als Neue Musik bezeichnet.

GR: Mich persönlich fasziniert das Performative in Gangls künstlerischer Arbeit und das damals Neue, besonders wegen des Mu­tes des Dranbleibens und des Vertiefens. Erstaunlich ist, dass Gangls Wirken bzw. bestimmte ihrer Ansätze durch eine Vielzahl von Schüler:innen weitergetragen wird, sowohl auf pädagogischer als auch auf künstlerischer Ebene. Immer wieder begegne ich Menschen aus Tanz und Theater, die in Verbindung mit Erika Gangl waren und bemerke, dass die Lebendigkeit der aktuellen Linzer Tanz- und Kulturszene jedenfalls auch Wurzeln in Gangls Werk haben.

TB: Vielleicht kann man hier noch beispielhaft das Zusammenwirken von Erika Gangl und Alfred Peschek ansprechen. Ich nenne exemplarisch zwei Werke, die für die Modernität der beiden stehen. Ich nenne hier den Erdenklang als elektroakustisches Tanztheater, bei der Ars Electronica 1982 vertreten. Und atman, uraufgeführt 1981. Dazu sage ich nur: Atmen als performativer Akt, der performative Akt entwickelt aus einer grafischen Notation. Kurze Beschlagwortung, die die Leser:innenschaft hoffentlich neugierig machen. Vielleicht könnt ihr aber auch Begriffe anskizzieren, die für Entwicklungen und Abgrenzungen stehen – interessant ist ja zum Beispiel der Terminus des Neuen Tanzes im Gegensatz zum Zeitgenössischem Tanz. Oder auch der performative Ansatz, der bei Gangl und Peschek natürlich zentral vorhanden war. Das meint aber natürlich etwas anderes als Performance heute.

AA: Den Begriff Zeitgenössischer Tanz gab es im deutschsprachigen Raum erst in den 1990er Jahren. Davor hat man noch recht lang, und tut das heute noch, von Ausdruckstanz gesprochen, wenn man der Auffassung war, dass es nicht Ballett war, wovon man sprach. Die Besonderheit
des Neuen Tanzes bei Erika Gangl war wohl die, dass sie in einer intensiven Weise mit der Neuen Musik nicht nur durch Peschek, sondern auch mit zahlreichen anderen bis hin zu John Cage, aber auch etwa Olivier Messiaen vertraut war. Sie war darin geschult, auch durch das Studium bei der Chladek, deren zutiefst analytisches Vorgehen nicht nur mit dem Körper, sondern auch mit der Musik die Voraussetzung für ein Bühnenwerk war.

TB: Das Buch versteht sich als „Versuch einer kritischen Würdigung“. Sind Kritik und Würdigung in der Nachbetrachtung des Schaffens gelungen?

AA: Was würde sie wohl sagen, die Erika Gangl, das habe ich mich einige Male gefragt. Ich glaube, dass unsere differenzierten Auseinandersetzungen aus den verschiedensten Blickwinkeln doch immer wieder zu Gemeinsamem geführt haben – und wir der Künstlerin Erika Gangl doch, so gut wir es vermocht haben, nahegekommen sind.

TB: Im Buch wird dem Schaffen der Autor:innen – als ebenfalls in den zeitgenössischen Feldern arbeitende Künstler:innen – relativ viel Platz eingeräumt. Das ist nicht unbedingt selbstverständlich. Aber es steht einerseits für gewisse künstlerische Kontinuitäten und Abgrenzungen, die ja interessant sind, weil sie das Leben und Wirken verstehbar und lebendig halten. Für mich erfüllt es auch einen großzügigen feministischen Aspekt des Platz-Verschaffens und Platz-Gebens: Wir geben Erika den Platz, den sie verdient, sie gibt den Autor:innen Platz. Was meint ihr dazu?

AA: Das finde ich schön, wie Du das sagst, liebe Tanja. Und darin liegt sicher eine Besonderheit. Aber was mich betrifft, war es insofern auch sehr folgerichtig, weil wir alle von ihr geprägt sind, und sehr viele, die in diesem Tanzstudio waren, künstlerisch tätig wurden in sehr vielfältigen Bereichen. Mir war deshalb auch klar, dass dieser Umstand in die Konzeption hineingehört. In meinem Fall würde ich sagen, dass diese unbedingte Verpflichtung unabhängige und selbstbestimmte Zeitgenossin zu sein, soweit das halt möglich ist, viel mit Gangl und Peschek zu tun hat, auch wenn ich heute viel historisch forschend und performativ arbeite, das ist kein Widerspruch.

TB: Finally, nachdem das Buch da ist: Abgesehen davon, dass es im Juli erfreulicherweise bei ImPulsTanz in Wien präsentiert wird und später im Linzer Keplersalon sowie an anderen Orten, wie geht’s euch jetzt damit? Ich sag immer: Es war eine Odyssee durch Fragmente und Widersprüche.

AA: Ich habe unseren mehrjährigen Prozess, der zur Zeit dieses Gesprächs noch nicht abgeschlossen ist, als extrem spannende Gratwanderung zwischen dann doch mehr werdenden Fakten, der eigenen Erinnerung und den Ansichten der anderen Projektmitarbeitenden empfunden. Es war mir sozusagen eine Verpflichtung und eine Herzensangelegenheit.


Andrea Amort, Tanja Brandmayr,
Gerlinde Roidinger (Hg.):
Erika Gangl und der Neue Tanz
Hollitzer Verlag, 2024
Mit Texten von u. a. Andrea Amort, Ulrike Bauer, Karl Baumann, Tanja Brandmayr, Klaus Hollinetz, Marina Koraiman, Gerlinde Roidinger, Isolde Setka, Peter Sommerfeld, Irene Suchy, Bernhard Widder, Wolfgang Winkler

 

Buchpräsentationen
Di., 30. Juli 2024, 19:00 Uhr
Rote Bar, Volkstheater Wien,
im Rahmen des ImPulsTanz-Festivals,
mit performativen Beiträgen.
Weitere Buchpräsentationen sind im Herbst in Wien und Linz geplant, u. a. im Keplersalon.
Mehr Infos folgen.

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About the author

Andrea Amort ist Herausgeberin und Autorin des Buches, Kritikerin, Dramaturgin, Kuratorin. Derzeit arbeitet sie an einem interdisziplinären Projekt zum Thema 2025: 100 Jahre Bildungsstätte Hellerau-Laxenburg. Gerline Roidinger ist Mitherausgeberin und Autorin des Buches, Tänzerin, Kulturarbeiterin mit Schwerpunkt Tanz im ländlichen Raum und Gründerin des Vereins tanzland. Tanja Brandmayr ist Mitherausgeberin und Autorin des Buches und multifunktional in kulturellen und künstlerischen Dingen unterwegs. Sie hat als Mitherausgeberin der Referentin dieses Gespräch angeleitet.

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