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Leben die Dinge noch?

By   /  7. Juni 2024  /  No Comments

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Debatten um geraubte Güter und Restitution sind im Diskurs präsent. Die Umsetzung sieht jedoch anders aus. Gero führt die Auseinandersetzung mit dem Thema international sowie lokal: Er springt von der Lentos-Aus­stellung Das Leben der Dinge von Lauffen ins Evolutionsmuseum Schmiding, dorthin, wo sich auch in der Kleingemeinde der Kolonialismus festgesetzt zu haben scheint.


Den Anlass zu diesem Text liefert die aktuelle Lentos-Ausstellung Das Leben der Dinge. Geraubt – verschleppt – gerettet in Lauffen bei Bad Ischl, im Zuge der Kulturhauptstadtregion 2024. In der Ausstellung werden künstlerische Auseinandersetzungen mit dem Thema geraubter Kunst gezeigt. Ausgewählt wurden verschiedene Arbeiten von zeitgenössischen Künstler:innen, die ihren Fokus auf den immateriellen Wert der Dinge richten, um die „Würde der Gegenstände“ aufzuzeigen.

Thematisiert werden dabei unter anderem einzelne Objekte, wie etwa Sleeping Figure von Oliver Laric. Diese zeitgenössische Arbeit aus dem Jahr 2023 verweist auf eine antike Skulptur, welche im 18. Jahrhundert von einem Hermaphroditen hin zu einer Venusfigur verändert wurde. Veranlasst hatte diese „Abänderung“ ein britischer Kunstsammler, um das antike Kunstwerk der damals neu konstruierten Geschlechternorm anzupassen. Begleitet von akribischer Archivarbeit versuchte Laric eine Neuinterpretation, um die Gestalt des Hermaphroditen wieder zu zeigen. Eine weitere Position des Kollektivs CATPC (Cercle d’Art des Travailleurs de Plantation Congolaise oder auch: Congolese Plantation Workers Art League) trägt den Titel Collection of 306 Balot NFTs, eine Arbeit aus dem Jahr 2022. Diese Position handelt von der Geschichte der Balot-Figur, welche, entstanden 1931 im Kongo, eine Reise bis in die Gegenwart nach Richmond in ein Museum zeigt. Diese Kraftfigur sollte ursprünglich den Geist des Kolonialbeamten Maximilian Balot enthalten, er wurde im Zuge eines Aufstandes versklavter Menschen getötet. Auf dem Weg ihres Verschwindens und Wiederauftauchens in einem Museum in den USA durchläuft dieses Objekt einen Bedeutungswandel, verliert die ursprüngliche Funktion als Widerstandssymbol und wird zum musealen Gegenstand.

Nicht nur einzelne Objekte, sondern auch ganze Sammlungen werden thematisiert, wie etwa durch das Video You Hide me von Nii Kwate Owoo. Der ghanaische Filmemacher hatte es 1970 geschafft, Dreharbeiten im Depot des British Museum in London durchzuführen und konnte somit die enorme Sammlung an Raubkunst, die dort lagert, ans Licht bringen. Ebenso im kritischen Kontext steht die Arbeit The Invisible Enemy Should Not Exist von Michael Rakowitz aus dem Jahr 2018, welche sich mit den über 7000 gestohlenen Arte­fakten aus dem irakischen Nationalmuseum in Bagdad befasst, die in Folge der US-amerikanischen Invasion im April 2003 geraubt wurden. Der Künstler hat Nachbildungen geschaffen, allerdings aus alten Verpackungen und Zeitungen. Diese werden als zeitgenössische Skulpturen nun wieder in Museen gezeigt.
Nicht nur in der letzten Position, sondern durch die ganze Ausstellung hindurch wird klar, dass Kriege und Konflikte eine ständige Bedrohung für das kulturelle Erbe der jeweiligen Region darstellen.

Die Ausstellungsobjekte vermitteln einen guten Überblick über die Themenbereiche, was alles „Geraubt – verschleppt – gerettet“ wird und wurde. Die inhaltliche Tiefe der Werke und die Komplexität der Hintergründe erschließen sich jedoch erst durch eine Auseinandersetzung mit den Texten, die begleitend zur Verfügung gestellt werden. Die verschiedenen nationalen und internationalen Positionen zeichnen einen spannenden Bogen und zeigen auf, dass der Raub von Kulturgütern ein tragischer Teil unserer Geschichte ist. Die Inhalte bleiben aber dennoch in gewisser Weise fern und abstrakt; insofern, als dass aus einer (ober-)österreichischen Sicht die Frage bleibt: Was hat der Raub und Erwerb von Kulturgütern bzw. ethnographischer Objekte auch mit uns hier zu tun?

Damit stelle ich eine Verbindung zu einem anderen Ort in Oberösterreich her und werfe meinen Blick nach Krenglbach in der Nähe von Wels. Hier befindet sich der Krenglbacher Ortsteil Schmiding, ange­schlos­sen an den Zoo Schmiding, das sogenannte Evolutionsmuseum. Ich kenne diesen Ort noch gut aus meiner Kindheit und er hat mir bereits zu dieser Zeit Unbehagen bereitet. Nicht, weil ich als Kind bereits ein so kritischer Geist gewesen wäre, sondern weil ich schlicht Angst vor den dort ausgestellten Masken hatte. Über fünfundzwanzig Jahre danach hat sich an dem Gefühl von Unbehagen nichts geändert, auch wenn die Gründe dafür nun andere sein mögen.

Doch bevor ich diesem Gefühl auf den Grund gehe, zuerst die Frage: Wie kommt eigentlich diese große Sammlung von Masken, Waffen, Schmuck und menschlichen Überresten in die österreichische Provinz, nach Wels-Land? Und wie kommt es zu dieser doch erstaunlichen Verbindung von zoologischem Garten und ethnologischer Sammlung? Was hat ein Zoo mit der Erforschung von Kulturen zu tun? Dafür müssen wir einen Blick in die Entstehungsgeschichte des modernen Tierparks werfen.

Im neunzehnten Jahrhundert versuchten die Europäer, durch die Kategorisierung und Katalogisierung die Natur zu verstehen und sich diese im gleichen Atemzug anzueignen. Besonders deutlich wird dies in der Betrachtung von Forschungsexpeditionen, die neben biologischen und geografischen Ergebnissen auch der kolonialen Sache dienten.1 Auf dieser Suche nach dem Unentdeckten und ‚Wilden‘ wurde auch explizit nach neuen ,Völkern‘ gesucht. Nicht selten wurden den erforschten Menschen Gegenstände geraubt und enteignet. Ein Höhepunkt an Grausamkeit des europäischen ,Interesses‘ an diesen Kulturen waren die Menschenzoos von Carl Hagenbeck. Ganze Menschengruppen wurden nach Europa gebracht und mussten möglichst ‚authentisch‘ ihr Leben als ,Stammesmenschen‘ nachspielen. Dabei wurden sie vom europäischen Adel und Bürgertum begafft. Die Versuche, die sogenannten ,Wilden Menschen‘ zu zähmen und in Käfige zu sperren, sind den Wenigsten bewusst, wenn sie die Zoos und Tierparks dieser Welt heute besuchen. Im Zoo Schmiding wird dieser Verbindung unbewusst durch die Koexistenz mit dem Evolutionsmuseum erinnert.

Was lässt sich nun über die dortige Sammlung herausfinden? Informationen diesbezüglich sind sehr schwer bis gar nicht zugänglich. Beim Besuch im Museum ist weder eine Begleitbroschüre zu finden, noch geben Wandtexte oder Beschreibungen Informationen über die genaue Herkunft und Erwerbsgeschichte der ausgestellten Objekte wieder. Auch die Homepage des Museums stellt kein weiterführendes Material zur Verfügung, aber es wird zumindest über den Umfang der Ausstellungen informiert: „Das Evolutionsmuseum Schmiding – direkt am Gelände des Zoos Schmiding – eröffnete am 12. Mai 2017 mit mehr als 1.000 internationalen Exponaten auf 4.000 m² Ausstellungsfläche seine Pforten.“ Beziehungsweise heißt es auf der Webseite etwas vage an anderer Stelle: „Eigene Expeditionen und die zur Verfügungstellung einiger Exponate durch anderen Museen sind die Quellen für unsere umfangreichen Sammlungsbestände.“ Auf der Website eines Bezirksblattes erfahren wir etwas über die private Sammlung vom Mediziner Dr. med. Wolfgang Adolf Artmann und dem Ethnologen Dr. Fritz Trupp: „Bei seinen Aufenthalten in Asien, Afrika und Südamerika mit seinem Freund Dr. Trupp, sammelte Artmann zahlreiche außergewöhnliche Exponate, die bis dahin öffentlich noch nie gezeigt wurden.“2 Welchen Zweck mit der Anhäufung dieser Exponate verfolgt wurde und wie der Erwerb vonstattenging, ließ sich bisher nicht ausfindig machen. Ein Museumskatalog gibt dazu keine Informationen und die Nachfrage per E-Mail wurde mit dem Argument von Personalmangel abgewehrt.3 Allerdings wird die Begeisterung des Zeitgenossen Artmann als Sammler und Reisender auf der Webseite des Evolutionsmuseum angeführt.

So müssen wir uns selbst ein Bild vor Ort machen und uns die Fragen stellen, was zeigt das Museum und wie ist es aufgebaut? Grundsätzlich handelt es sich beim Evolutionsmuseum, laut Webseite, um ein österreichweit einzigartiges Konzept: „Unser Ziel ist es, das Thema Evolution vielen Menschen unkompliziert näher zu bringen und natürliches Interesse und Neugierde zu wecken.“ Man wirbt mit Zugänglichkeit und Begreifbarkeit für „Groß und Klein“. Quasi auf dem Weg durch „Grassavannen, Gebirgszüge, Steppen, Tierwelt, Kunst, Riten und Religionen“ findet man „die physische und geistige Evolution vereint“, gepaart mit dem Ausblick, wohin die Reise, sprich Evolution zukünftig geht, nämlich zur „künstlichen Intelligenz.“ Konkret ist das Gebäude und somit die Ausstellung in drei Stockwerke untergliedert. Den Beginn macht die Frühgeschichte der Menschheit im Parterre. In mehreren Dioramen, welche uns zeitlich bis an die Steinzeit heranführen, werden die Tierwelt, Werkzeuge und Kunstgegenstände dargestellt. Highlight ist hier der Nachbau der Höhle von Chauvet mit ihren berühmten Höhlenmalereien. So schön, so fake.
Das erste Stockwerk widmet sich den verschiedenen Kulturen der Menschheit. Hier wird versucht, den chronologischen Anfang fortzuführen. Deshalb beginnt dieser Teil mit dem antiken Ägypten. Mit den weiteren Exponaten ließ sich diese Chronologie nicht aufrechterhalten, denn es folgt eine Aneinanderreihung verschiedener Objekte nach Herkunft und Kultur. Die weiteren Gegenstände, wie etwa Federschmuck, Masken, Bronzen, „Schrumpfköpfe“ etc. sind meist mit einem Herkunftsort und manchmal mit einem Datum versehen, doch weitere Beschreibungen dazu fehlen. Ebenso wie ein Hinweis darauf, dass es sich dabei um Originale handelt. Das kann einen schon verwirren, wenn man im Stockwerk darunter noch die Venus von Willendorf betrachten durfte. Das Ende dieses umfangreichen Stockwerkes bildet als Thema die Religion inklusive eines buddhistischen Tempels der Java. Die letzte Etage bildet den Abschluss der Ausstellung, sie thematisiert die Evolutionstheorie – und durch einen Roboter wird eben auf die Zukunft verwiesen (hier wieder die chronologische Klammer). Ebenso werden wichtige Forscher und Entdecker auf Wandtafeln vorgestellt, das Gendern kann ich mir hier sparen.
Die Einbindung dieser ethnologischen Sammlung in eine Erzählung der Entwicklung der Menschheitsgeschichte mit Robotern und alten weißen Männern am Ende lässt
mich mit einem gewissen Schaudern zurück. Neben einer westlichen Fortschrittsgeschichte wird hier sowohl kulturevolutionistisches Framing betrieben als auch ,fremde‘ Kulturen anhand einer scheinbaren Entwicklungsleiter dargestellt. Eine kritische Auseinandersetzung fehlt.

Wie also funktioniert das Ausstellen von ethnologischen Sammlungen in anderen Museen in Europa? Susanne Wernsing schreibt im Buch Das Museum im kolonialen Kontext: „Multiperspektivität, Prozessorientierung und Vielstimmigkeit sind seither fest im museumswissenschaftlichen Diskurs verankert und, zumindest programmatisch, auch in jedem Ausstellungskonzept nachzulesen.“4 Weder die diesbezügliche Prozesshaftigkeit noch die Vielstimmigkeit sind bisher in Schmiding angekommen. Wernsing schreibt ebenso: „Museen und vor allem Ausstellungen müssen eine Position zum Umgang mit Artefakten und Bildern aus den Archiven rassistischer Wissenschaften und kolonialer Gewalt entwickeln. Das ist den Institutionen durch den Band ‚Sensible Sammlungen‘ zunehmend bewusst und wurde inzwischen zum Beispiel in den Empfehlungen des Deutschen Museumsbund aufgegriffen.“5 Diese Empfehlungen scheinen die Provinz von Oberösterreich noch nicht erreicht zu haben. Auf der Website „Museen in Österreich“ wird das Evolutionsmuseum in der Kategorie naturhistorisches und naturwissenschaftliches Museum gelistet und nicht als ethnologisches und kulturanthropologisches Museum, wie etwas das Weltmuseum in Wien. An diesem Selbstverständnis könnte es liegen, dass es bisher zu keiner Aufarbeitung gekommen ist. Ebenso dürften Fragen der Provenienz und Restitution in Schmiding bisher abgeprallt sein. Dies ist sehr erstaunlich, denn immerhin werden im Evolutionsmuseum Benin-Bronzen gezeigt, welche eine zentrale Rolle im Thema Restitution einnehmen. Dass dieses Museum das Museumsgütesiegel erhalten hat, lässt mich nur noch mehr rätseln.

Auch wenn es sich bei diesen im Text besprochenen Ausstellungen um zwei sehr verschiedene Formate handeln mag – in Lauffen geht es um eine zeitgenössisch-künstlerische Positionierung, die sich in bewusster Thematisierung zu Raubkunst in Beziehung setzt, auf der anderen Seite steht das Evolutionsmuseum Schmiding, mit Erlebnischarakter für „Groß und Klein“: Es bleibt, vielleicht gerade aus dieser Unterschiedlichkeit des Ansatzes heraus, die Hoffnung, dass Ausstellungen wie Das Leben der Dinge den Blick auf ethnologische Sammlungen wie jene in Schmiding ändern und solch anachronistisch wirkende Ausstellungspraxen ein baldiges Ende finden werden.


1 vgl. Walter Sauer, Hrsg., K.u.k. kolonial – Habsburgermonarchie und europäische Herrschaft in Afrika, 2., unveränd. Aufl. (Wien: Böhlau, 2007), S. 9.
2 Nina Leitner, Evolutionsmuseum in Krenglbach: „Zwei Drittel sind fertig“, MeinBezirk.at, 6. März 2017, www.meinbezirk.at/wels-wels-land/c-freizeit/evolutionsmuseum-in-krenglbach-zwei-drittel-sind-fertig_ a2045175
3 Museum der Begegnung: Museumskatalog, VerfasserIn: Museum der Begegnung, 1988.
4 Pia Schölnberger, Hrsg., Das Museum im kolonialen Kontext: Annäherungen aus Österreich (Wien: Czernin Verlag, 2021), S. 359.
5 Schölnberger, S. 364.

 

Land Oberösterreich. Land Oberösterreich – LR Achleitner: Erweiterung des Evolutions­museums Schmiding – Klimawandel, künstliche Intelligenz & der Mensch.
Zugegriffen 23. Dezember 2023. www.land-oberoesterreich.gv.at

Leitner, Nina. Evolutionsmuseum in Krenglbach: „Zwei Drittel sind fertig“. MeinBezirk.at, 6. März 2017.
www.meinbezirk.at/wels-wels-land/c-freizeit/evolutionsmuseum-in-krenglbach-zwei-drittel-sind-fertig_ a2045175

Museum der Begegnung: Museumskatalog, VerfasserIn: Museum der Begegnung, 1988.

Sauer, Walter, Hrsg. K.u.k. kolonial – Habsburgermonarchie und europäische Herrschaft in
Afrika. 2., Unveränd. Aufl. Wien: Böhlau, 2007.

Schölnberger, Pia, Hrsg. Das Museum im kolo­nialen Kontext: Annäherungen aus Österreich. Wien: Czernin Verlag, 2021.


Das Leben der Dinge.
Geraubt – verschleppt – gerettet.
Lauffen, noch bis 1. Sept 2024
www.lentos.at/ausstellungen/das-leben-der-dinge

Evolutionsmuseum Schmiding
www.evolutionsmuseum.at/de/museum

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  • Published: 7 Monaten ago on 7. Juni 2024
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  • Last Modified: Juni 7, 2024 @ 10:47 am
  • Filed Under: Kunst und Kultur

About the author

Gerald Wöss alias Gero lebt und arbeitet in Linz, außerdem studiert er Medienkultur und Kunsttheorien an der Kunstuniversität.

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