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Bruckner schon wieder …

By   /  7. Juni 2024  /  No Comments

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In all dem Overkill zu den 200-Jahre-Bruckner-Feierlichkeiten ist zuletzt mit Dickschädels Reisen ein facetten­reiches Porträt eines Getriebenen entstanden, das heraussticht. Christian Wellmann sprach mit Autor Florian Sedmak über das von ihm verfasste Porträt – und einen Bruckner zum Selberschnitzen, entlang all seiner Widersprüche, Exzesse und Genialität.

Goldhaube Florian Sedmak hat über Dickschädel Anton Bruckner geschrieben. Foto Robert Maybach


Taubenkot von der Büste kratzen
Wer sich dem Werk des Komponisten Anton Bruckner nähern will, sollte es zuerst einmal tunlichst vom Sakralen entstauben und trennen, sofern möglich. Dickschädels Reisen nähert sich dem Menschen und versucht ihn ebenso zu filtern – mit seinen Widersprüchlichkeiten und Fehlern, ohne ihn zu überhöhen oder zu beschönigen. Es porträtiert ihn in seiner reise- und erlebnisfreudigen Lebenswirklichkeit – als jemanden, der gerne auf den Putz gehaut hat, aber anderseits sehr prüde war. Es gelingt dem Buch zudem, sich der nicht ganz so smoothen OÖ-Geschichte anzunähern und das 19. Jahrhundert kurzweilig und griffig erlebbar zu machen.
Florian Sedmak fokussierte seine Buchstruktur auf 37 von Bruckner besuchte oberösterreichische Orte: „Die Idee war, dass man das als eine Art Reiseführer konzipiert, der Lust machen soll, den Bruckner für sich zu entdecken. Es ist auch ein Buch für Leute, die nicht viel über ihn wissen und sich dem Thema Bruckner einmal annähern wollen.“
Durch akribische Forschungsarbeit gibt es eine ausufernde Datenbank, in der alles zum Meister alphabetisch abrufbar ist – eine wichtige Ressource für Dickschädels Reisen, das sich aber mit anderem beschäftigt: Dickschädeligkeit und Gesellschaftskritik, heute und damals. Oft von Anekdoten genährt, weil vieles nicht durch die Forschung belegt ist – daher kommt auch der Humor nicht zu kurz, der dem Liebling der konservativen Kräfte im Lande farbenfroh zu Gesichte steht. Ein „Heiliger“ war er dann wohl eher nicht …

Das deckt sich alles stimmig mit der (Rest-) Punk-Attitüde des Schreibers Florian Sedmak, der sich per Selbstdefinition als Punker im Vorruhestand sieht. Der Bad Ischler Texter (Felerlos), Qi-Gong-Student und -Lehrer, war u. a. Gitarrist der legendären Mundart-Hardcore-Band Kurort (1987– 97). Augenzwinkernd findet er: „Es gibt irgendwo eine Resonanz zwischen mir und Bruckner, da ich auch die Neigung habe, Dinge sehr exzessiv zu tun, mich sehr hineinzusteigern. Sachen nehmen oft Ausmaße an, die meine Mitwelt erschrecken. Sucht und Exzess sind mir nicht fremd.“ Bei einem Bruckner-Konzert kam er zum Schluss, dass seine Musik auf ihn wirkt wie ein Kind, das mit riesigen Soundblöcken spielt, sie umschichtet und neu aufeinander packt.
Dass Dickschädels Reisen erschienen ist, hat er dem künstlerischen Leiter des diesjährigen Brucknerjahres, Norbert Trawöger zu verdanken, der sich zusammen mit dem Salzburger Pustet Verlag für ihn entschieden hat. Trawöger hat auch die Konzeption begleitet. „Sozusagen ein Erbstück. Ich hab mir das nicht freiwillig ausgesucht, wäre nie auf das gekommen und bin bei weitem kein Bruckner-Experte“, so Sedmak. Es war dann auch Trawögers Idee, man könnte zu jedem Ort schreiben, was er damals dort gemacht habe und was sich vielleicht heute als Anknüpfungspunkt anbieten würde.

Mostschädeln wie wir
Warum Bruckner eigentlich ein Dickschädel ist, beantwortet Sedmak wie folgt: „Er hat sich selber als oberösterreichischer Dick- bzw. Mostschädel bezeichnet. Starrköpfigkeit, aber auch Beharrlichkeit, Konsequenz und Ausdauer zeichnen ihn aus. In Wien ist er von der Kritik vernichtet worden, in späteren Jahren galt er als Avantgarde – gerade die Dickschädeligkeit hat ihn gerettet. Wenn er die Sturheit nicht gehabt hätte, dann hätte es, wie ich glaube, das Spätwerk nicht mehr gegeben.“ Von Peter Androsch gibt es da eine interessante These, wie der Verfasser betont: „Bruckner hat so quasi punkartig gesagt: ich kann sowieso nicht dazugehören, also bin ich demonstrativ anders. Spekulation, aber die Idee ist spannend.“ Den Bruckner, den man haben will, kann man sich ganz einfach selber basteln: Als Punk oder auch Gruftie, wie ihn erst kürzlich der Austro­fred bezeichnet hat.1

Gesellschaftskritik schwingt stark mit, wie im „kritischen Heimatroman“, im Sinne von Franz Kain. „Es gibt auch den Anti-Heimatroman, also das hat sich als Klischee verfestigt. Ich verschließe nicht die Augen, es gibt natürlich sehr unschöne Dinge. Aber, dass ich halt grundsätzlich von da bin, ich bin auch gern Oberösterreicher – das ist keine Abwertung, da bin ich sozialisiert worden. Und trotzdem versuche ich, Dinge zu sehen, wie sie sind“, erklärt Sedmak. Mittels der Armut von Bruckners Familie wird beispielsweise in die Gegenwart übergeleitet. So war es ihm wichtig, Bruckners Mutter in ihren prekären Verhältnissen darzustellen und sich auch mit heutiger Altersarmut zu beschäftigen.

Maßgeblich für das Gelingen des Projekts ist auch das Cover, eine Fusion zweier OÖ-Klassiker: „Meine Intention war, dass ich irgendwie einen poppigeren Beitrag dazu abliefere. Die Hoffnung hat sich ein bisschen erfüllt, das Cover ist die halbe Miete.“ Die Vorgeschichte dazu: Es gab ein Projekt in Ebensee, um (mehr oder weniger) den Volkszorn anzufachen: Wie wäre es, wenn es eine rein männliche Goldhauben-Gruppe gibt? Entstanden ist daraus auch ein Foto von Sedmak mit der Goldhaube. „Das Cover hab ich mir so gewünscht. Erstens ist es sehr oberösterreichisch, dann hat es etwas Leichtlebiges, Frivoles, was der Bruckner auch gehabt hat.“ Sedmak war darauf eingestellt, dass es Entrüstung deswegen gibt, doch ganz im Gegenteil, viele kauften das Buch rein wegen des Covers.

Exzesse pflasterten seinen Weg
Dickschädels Reisen charakterisiert das Genie Bruckners mit seinen Eigenheiten, als zutiefst unsicheren, eitlen Menschen und all seinen Süchten. „Es ist nicht leicht, ihn wirklich zu mögen, gerade weil er so widersprüchlich ist – was ihn aber auch interessant und lohnend macht. Er hat sich zeitlebens als freier Mann gesehen, war aber auch ein Opportunist, der seine Fahnderl nach dem Wind gehängt hat. Ich wollte ihn nicht als Musikanten Gottes, aber auch nicht als tollpatschigen, defizitären Trottel darstellen. Halb Trottel, halb Genie – in Summe finde ich, wenn man gemein ist, ist da schon einiges dran. Irgendwie war er sehr unbeholfen, nicht gesellschaftsfähig, aber ein geselliger Mensch. Wenn man sagt, Bruckner ist so und so, dann findet man immer auch das Gegenteil“, beschreibt er den durchaus streitbaren Menschen. Seine rustikalen Manieren, das plumpe Auftreten, die grindigen Tischmanieren oder auch die komplizierte Sexualität – einfach war er wahrlich nicht.

Zudem war er auch passionierter Kegler, Gstanzl-Spieler oder hat in Schweiß gebadet, sich völlig verausgabend Orgeln wie im Rausch „gerockt“. „Aber wenn er komponiert hat, war er ein ganz langsamer Arbeiter, der immer wieder von vorne angefangen hat, die Sachen endlos revidiert hat“, führt Sedmak weiter aus. Schon als Kind hat er mit seinem Vater in Wirtshäusern mitgespielt und wurde so auch musikalisch sozialisiert – zwischen Landlern, Volksmusik und Kirche. Er wird als „nächtelang aufspielender, mostberauschter Tanzgeiger“ beschrieben, der außerdem dem Kaffee und Schnupftabak verfallen war. Laut Sedmak war Bruckner außerdem ein „klassischer Seidltrinker“ und „Orgel- und Real-Life-Improvisateur“, dem maßlosen Essen, Trinken und Arbeiten verfallen. Später nehmen Wiederholungszwänge, wie seine manische Zahlenbesessenheit überhand.
Weiters schätzte er das vierhändige Klavierspielen als amouröse Anbahnung und kultivierte eine obsessive Mexiko-Schwärmerei. Mexiko war in seiner naiven Vorstellung wie Österreich, nur weiter weg – zudem wollte er sich dort als Hoforganist bei Maximilian I. bewerben. Und er schien auf einer Interessentenliste für eine zweite Nordpolexpedition auf und ist der Nationalgarde beigetreten.
Vor Vierzig war Bruckner kein originärer Komponist, er hat sich mehr oder weniger im traditionellen Rahmen bewegt und erst danach seine eigenen Regeln aufgestellt. „Damals war das Neue Musik, er hat zur musikalischen Avantgarde gehört. Einerseits als Künstler sehr befreit, als Mensch ist ihm das nicht gelungen“, wie Sedmak präzisiert.

Und Sedmak: Auf der Suche nach Gelassenheit
Kommen wir zum Bruckner-Autor Florian Sedmak. Gerade in der Hardcore-Szene war Mangel etwas sehr Wesentliches, man musste die Geschichte selbst schreiben und erarbeiten. Das lässt sich auch in Sedmaks Credo ablesen, das er noch heute pflegt: „Wenn mich was interessiert, gehe ich dem nach.“ In den 1990ern waren Kurort Hardcore-Local-Heros, die in seinem Leben einen großen Stellenwert haben: „Kurort ist aus Kompromissen entstanden und in Summe eine Kollektivarbeit. Ich bin froh, dass ich das Miterleben und -gestalten dürfen hab. Es war dann die Luft draußen, wir haben zu viel gemacht, den Bogen überspannt. Ein paar Mal später sind wir noch zu speziellen Anlässen eingeladen worden. Das hat kurz funktioniert, aber dann merkt man schnell, dass es seine Richtigkeit gehabt hat, dass man damals gesagt hat, das war‘s jetzt. Ich bin mit dem Ganzen voll im Reinen. Eigentlich ein Wahnsinn, dass wir unbedarften Kleinstadt-Jugendlichen so weit herumgekommen sind. Alles ist gegen jede Wahrscheinlichkeit passiert.“
Seitdem mit Ex-Mit-Kurortler Rudi Vogtenhuber in der Countryband Trailerpark Playboys tätig, dessen einzige CD in diesem Herbst wieder als LP rauskommen wird. Man bastelt auch gerade daran, irgendeine Besetzung zusammenzubringen, die das wieder spielen kann. Weiters ist er musikalisch umtriebig mit einem Soundtrack zu einem seiner Filme (mit Anatol Bogendorfer), als Konsortium Fernstraße ein Projekt mit Springsteen-Loops.

Außerdem stehen einige Buchprojekte, in unterschiedlichen Stadien, an: „Ich versuche gerade, als leidenschaftlicher Koch meine Skills im Messerschleifen zu perfektionieren – nach dem japanischen ‚Ideal der Wahren Schärfe‘“. Als Messer-Freak würde er dazu gerne eine Schrift verfassen. Bereits weiter gediehen sind die Arbeiten zu einem Buch zum Bruckner-Orchester: „Ich darf jetzt ein Jahr lang relativ close beim Orchester dabei sein und so eine Kulturmaschine von innen kennen lernen. Weil das ist eine Band mit 130 Leuten, die nach ganz strengen Regeln funktioniert, mich interessiert das Innenleben von so einem ‚Öltanker‘“.
Als ausgewiesenem Bach-Connaisseur schwebt ihm außerdem eine Art „Pilgerbuch“ vor, angelehnt an einen 400 km zu Fuß zurückgelegten Marsch des Maestros. Auch der junge Sedmak hat ähnliches unternommen und ist von Linz nach Venedig per pedes gereist. „Ich würde diese Reise ebenfalls gerne zu Fuß unternehmen, was ich schon dreimal gemacht habe, man wird jedes Mal ein anderer Mensch. Diese Erfahrung möchte ich noch gerne mindestens einmal machen. Man nimmt sich alles Mögliche vor, und wenn man nur einen Bruchteil davon wirklich umsetzten kann, kann man glücklich und zufrieden sein“, streut Sedmak als abschließende Weisheit ein.


1 „Antonologie“, Vorwort, Hg. Salzamt, Linz, 2024

Florian Sedmak:
Dickschädels Reisen
Durch Oberösterreich mit Anton Bruckner
Verlag Anton Pustet, März 2024

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About the author

schreibt, Sachen wie diese. Ist DJ und beschäftigt sich eingehend mit Comics.

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