Groß, düster und ungeheuerlich ist die Kunst des Linzer Künstlers Klemens Brosch (1894–1926), die darauf wartet, entdeckt zu werden. Pamela Neuwirth hat im Vorfeld der Ausstellungseröffnungen zu Klemens Brosch die Kunsthistorikerin und Brosch-Expertin Elisabeth Nowak-Thaller getroffen und mit ihr über „Klemens Brosch. Kunst und Sucht des Zeichengenies“ gesprochen.
Groß, düster und ungeheuerlich ist der Zeitgeist der 10er und 20er Jahre. In der Kunst: Der Tod der Jugendstilväter Gustav Klimt, Otto Wagner, Egon Schiele und Kolo Moser markierte eine stilistische Wende. Futuristen, Surrealisten, Kubisten und Dadaisten suchten als Antwort auf den Krieg nach einer neuen Kunst, um die gefundenen -Ismen gleich wieder abzuschaffen. In der Gesellschaft: Karl Kraus schrieb die „Letzten Tage der Menschheit“; seine Prognosen treten ein. Neben der Ernüchterung allerorts nur elegischer Abgesang. Da war auch das Leben und Werk des Linzer Künstlers Klemens Brosch schwer und schien von seiner schwarzen Tinte durchtränkt: Dem jungen Chronisten an der Front haftete nach seiner baldigen Rückkehr aus dem Krieg schon der zweifelhafte Ruf des Morphinisten an, wo er den Apotheken stadtbekannt war. Klemens Brosch war zur Zeit seiner frühen künstlerischen Anerkennung (1915–1919) Mitbegründer der Galerie MAERZ gewesen, verließ aber schon 1917 das Kunstkollektiv mit der Begründung: „… Nun widern mich die Ausstellungskritiken wie überhaupt das Öffentliche der Ausstellungsweise derart an, daß ich es möglichst vermeide.“ Ebenso zwiespältig, öffentlich zwischen Anerkennung und Ablehnung, gestaltete sich das private Leben von Klemens Brosch. Er war Ehemann – von Johanna, von der es aus dieser Zeit keine einzige Fotografie gibt, nur seine Portraits zeigen sie still beim Nähen; wobei die frühen Zeichnungen nicht ahnen lassen, dass sie kurze Zeit später Ko-Abhängige seiner Sucht und später freiwillige Dauerpatientin der Landesnervenheilanstalt wird. Zu der Zeit war die Kunst von Klemens Brosch bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden. Namhafte Zeitungen hatten seine Arbeiten besprochen und die Auftragslage war über die Jahre ganz beachtlich gewesen. Mit der Geld-Inflation kam es nach dem Krieg aber zu finanziellen Schwierigkeiten, die durch seinen Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben verschärft wurden. Die Sucht zog das Ehepaar tiefer hinunter, wie das durch eine Beobachtung von Broschs Schwiegervater dokumentiert ist und wo man stark an Burroughs schlimmste Zeiten erinnert ist oder auch an das Berlin von Christiane F. Die materielle Not konnte Brosch insofern durch seine Kunst abwenden, indem er von den umliegenden Gemeinden Puchenau, St. Johann, Weitersfelden und Neufelden um 1920 beauftragt wurde, Entwürfe von „Notgeld“ zu gestalten; so entstanden fein kolorierte Geldscheine für temporäre Alternativ-Währungen, die er interessanterweise klassisch im Jugendstil umsetzte, aber mit surrealen Einschlägen, wie etwa der Gemeinde St. Johann, der er in der 1. Auflage einen Pfeife rauchenden Eulen-Waldschrat (mit Vollmond) zeichnet.
„Hätte das Rad nicht gekreischt, es wäre herrlich gewesen“
Franz Kafka, Strafkolonie
Vor dem Krieg und bevor die Dämonen im Leben von Klemens Brosch seine Kunst bestimmen werden, verläuft sein Leben privilegiert. Kurz vor Kriegsbeginn wurde er durch die Intervention des Vaters in einer Art Sonderverfahren doch noch an der Kunstakademie Wien aufgenommen, wo er wenige Monate Kunst studierte, bevor er an die Front eingezogen wird. Die Arbeitstechnik, die er zeitlebens vorzog, hatte er allerdings schon vor dem Studienbeginn gefunden. Tuschezeichnungen mit Titeln wie „Der wahnsinnige Schuster auf seiner Wanderschaft“ (1911) oder „Drache hält den Mond umklammert“ (1911) zeigen seine ästhetische Ausrichtung schon auf, die surreal und phantastisch war, und geben Einblick in sein Wesen, das melancholisch und düster schien und älteren Zeitgenossen, wie Kubins, ähnelte, der ja wie Brosch zeitlebens an den Schattenseiten interessiert war. Elisabeth Nowak-Thaller sieht Parallelen zwischen den beiden Künstlern. Alfred Kubins Ausspruch „Zeichnen ist Schicksal“ passt auch auf Klemens Broschs künstlerische Neigung. Wenn für Kubin Zeichnen Schicksal bedeutet hat, dann könnte man sagen, dass Zeichnen für Brosch wie Atmen war. Und der zeitlebens lungenschwache Klemens Brosch zeichnet sich durch die Kriegsjahre.
In der Zeit vor seiner Morphiumsucht und bevor seiner Kunst durch die Droge etwas Anästhetisches anhaftet und an Komplexität einbüßt, sind seine Zeichnungen fein und von so großer Akribie, dass die Detailliertheit in Distanziertheit umschlagen kann. Im „Waldfriedhof“ (1912) unter der großen Trauerweide stehen in einer hellen Szene die Kreuze eng beisammen; hintergründig verdichtet wird das Bild erst durch die vielen Schatten, die auf die Gräber fallen, doch trotz der Dichte und Tiefe bleiben Raum und Stimmung seltsam geordnet. In den Kriegszeichnungen wird die erwähnte Distanziertheit im Strich dann zu etwas Dokumentarischem. In der Zeichnung „Treffer einer Granate“ (1914) hat die Tuschezeichnung eine Wirkung wie ein Negativbild eines Fotos. Am anonymen Kriegsschauplatz im hellen Birkenwäldchen ist die Romantik des Tuschestrichs verloren gegangen. Das wenige Schwarz im Bild eröffnet stattdessen ein grausames Schlaglicht auf den von Granaten zerrissenen Körper eines Soldaten. Seine Zeugnisse von der Zeit an der Front und über Kriegsexekutionen tragen Titel wie „Gefallene vor einem Stacheldraht“ (1914) und später „Siesta der Henker“ (1916) und sind großteils mit Monat und Tag datiert. Zeichnen ist wie Atmen. Der Krieg forderte seelischen Tribut, durch das Lungenleiden wurde Broschs ohnehin prekäre körperliche Konstitution noch schwächer. Das Morphium wurde ja nicht nur im Krieg, sondern damals schon bei kleineren Unpässlichkeiten verabreicht, Frauen zum Beispiel bei Menstruationsbeschwerden. Morphium, verklärt vom Lebensstil der Boheme, war wie Kokain in Mode und hatte bei vielen den Alltag erreicht. Beides waren wenig erforschte Substanzen, mit denen neben den sogenannten Morphinisten auch Ärzte im Selbsttest leichtfertig experimentierten, wie in dem Zusammenhang auch der Psychoanalytiker Dr. Freud. Bei Klemens Brosch entwickelte sich das alles zu einem großen, dunklen Malstrom. Seine großen Erfolge zwischen 1915 und 1919, von denen er sich misanthropisch distanzierte, fallen in die schrecklichen Kriegsjahre und mit seiner Sucht zusammen. Im retrospektiven Blick auf sein kurzes Leben kann eine seiner frühen Zeichnungen den Weg vom Träumer zum apokalyptischen Propheten fast schicksalhaft vorweggenommen werden. Klemens ist erst sechzehnjähriger Schüler, als er das Vanitas-Motiv in dem komplexen, wie beklemmenden Werk „Ostern“ (1910) – man muss fast sagen: abhandelt. Auch „Der Blitz“ aus dem gleichen Jahr – hier ist es das Thema Nachdenklichkeit (!) – zeigt, wie der Jugendliche intuitiv und souverän eine Bildkomposition umsetzt.
Die große Ausstellung zu Klemens Brosch wird neben der Landesgalerie auch im Nordico Stadtmuseum zu sehen sein. In der Landesgalerie wird die große Werkschau als Sonderausstellung präsentiert. Der Titel der Ausstellung „Klemens Brosch. Kunst und Sucht des Zeichengenies“ lässt hinsichtlich des Suchtfaktors keinen Zweifel aufkommen. Der Alptraum der Abhängigkeit spiegelt sich in unterschiedlichen Formen in der Kunst wider – aber die Ausstellung zollt auch den bereits erwähnten surrealistisch-phantastischen Einschlägen Tribut. Der Zeichner Brosch hat außerdem in Öl gemalt. Zwei riesige Leinwände, die zudem in Vergessenheit geraten waren und sich in einem ganz bedauernswerten Zustand befunden haben, wurden jetzt restauriert. Die großformatigen Malereien bilden vor einem fantastischen Hintergrund in Grün und Rot Saurier ab, deren Anatomie weniger von Darwin, sondern mehr von H. G. Wells Science Fiction inspiriert war. Das Nordico wird außerdem mehrere Stationen seiner Biografie in verschiedenen Lebensphasen beleuchten. „Hätte das Rad nicht gekreischt, es wäre herrlich gewesen“ – mit diesem Zitat aus Franz Kafkas Strafkolonie soll zuletzt noch auf das Buch von Elisabeth Nowak-Thaller verwiesen werden, wo sie besagtes Kafka-Zitat in Bezug auf Brosch’ Biografie setzt. Elisabeth Novak-Thaller, die sich in den 80er-Jahren in ihrer Dissertation mit Klemens Brosch beschäftigte, hat Fakten zum Werkverzeichnis zu Tage gebracht; und meint, dass das Werkverzeichnis von Klemens Brosch noch nicht vollständig sei. Die Brosch-Expertin hat den Linzer Künstler im Interview als komplexe, dunkle Persönlichkeit beschrieben. Als Ort für seinen Abgang hat Klemens Brosch 1926 den Linzer Pöstlingberg gewählt, wo er an einem Wintertag unter Zuhilfenahme einer Atemschutzmaske sein Leben beendete. Die Gasmaske trat so zum Schluss noch einmal als schreckliches Symbol des Ersten Weltkrieges in Erscheinung und hat sich mit ihm im letzten Ausatmen im Tod verbunden.
Früh vollendet, tragisch und verloren
Klemens Brosch zählt zu den interessantesten Zeichnern Österreichs im 20. Jahrhundert. Schon in der Linzer Schul- und Akademiezeit galt er als Wunderkind, das Themen wie Vergänglichkeit, Leid und Naturphänomene in einer unheimlichen, surrealen Bildsprache mit fotografischem Strich festhalten konnte. In der repräsentativen Monografie werden Kontakte mit Linzer Persönlichkeiten, Erfolge in der Künstlervereinigung MAERZ sowie noch nie gezeigte Linz-Ansichten versammelt. Kunsthistorische Vergleiche runden das Bild eines bereits zu Lebzeiten gefeierten und später vergessenen Zeichners ab. Die gesellschaftlichen Hintergründe werden ebenso beleuchtet wie die Entziehungsaufenthalte und der tragisch inszenierte Freitod auf dem Pöstlingberg. Auch der Einfluss von Drogen in der Kunst des beginnenden 20. Jahrhunderts wird thematisiert.
Gemeinsam würdigen die Landesgalerie und das NORDICO Stadtmuseum Leben und Schaffen dieses in Linz geborenen Grafikers mit der bislang größten Retrospektive. Gemeinsam geben beide Häuser außerdem einen umfassenden Katalog heraus.
Ausstellung in der Landesgalerie und im Nordico: „Klemens Brosch. Kunst und Sucht des Zeichengenies“ von 30. September 2016 bis 8. Jänner 2017
Katalog: Klemens Brosch (1894–1926) – Kunst und Sucht des Zeichengenies. Von Elisabeth Nowak-Thaller. 290 Seiten, durchgehend farbig bebildert, Hardcover, 34 Euro