Report: Kulturreferent Bernhard Baier kündigt ein neues, biennales Kunstfestival für Linz an, das anstelle des Linzfests installiert werden soll; mit Schwerpunkt Kunst im öffentlichen Raum und Partizipation. Elisabeth Lacher interviewte querfeldein einige Linzer Kunst- und Kulturschaffende sowie den Kulturreferenten zu den Themen: Kunst im öffentlichen Raum, Partizipation, Kunst und Öffentlichkeit, Kunstfestivals und Stadtteilkulturarbeit. Erste Aufwärmrunde, Fortsetzung folgt.
Alle Interviews zum Text sind weiter unten in voller Länge zu finden.
„Partizipation und Kunst halte ich in Kombination für schwierig, da die Bedürfnisse der KünstlerInnen ganz andere sind als die der StadtbewohnerInnen.“
Peter Arlt, Stadtsoziologe und Experte in Stadtteilkulturarbeit
„Die vielfältigen Projekte des KunstRaum Goethestrasse xtd. im Linzer Stadtraum sind getragen von der Frage, was die Stadt braucht, und was ihre BewohnerInnen brauchen. Unsere Vision einer city of respect bedingt ein Hinausgehen aus dem Ausstellungsraum, ein Arbeiten inmitten der Dinge und inmitten der Stadt.“
Beate Rathmayr und Susanne Blaimschein, KunstRaum Goethestrasse xtd.
„Ein Kunstfestival an einem spezifischen Ort zu veranstalten heißt, die Kunst aus der Mitte heraus wachsen zu lassen.“
Gottfried Hattinger, Künstlerische Leitung des Festivals der Regionen
„Für das neue Festivalformat wünschen wir uns ein inhaltlich scharfsinniges Konzept und keine Eier legende Wollmilchsau.“
Andre Zogholy und Thomas Philipp von qujOchÖ
„Ein neues Festivalformat für Linz könnte Anlass für einen „gemeinsamen Tisch“ der in Linz ansässigen Kunstinstitutionen, Vereine und Akteurinnen sein. Um programmatisch auch etwas beizutragen, und: um voneinander zu lernen“
Stella Rollig, Direktorin Lentos Kunstmuseum
„Kunst im öffentlichen Raum ist mir als Kulturreferent ein großes Anliegen, da Kunst im Stadtraum Menschen erreichen kann, die über die Institutionen größtenteils nicht erreicht werden. Ich selbst erinnere mich gerne an Linz09, meine eindrücklichsten kulturellen Erlebnisse waren jene, die den Stadtraum bespielt haben.“
Bernhard Baier, Kulturreferent der Stadt Linz
Das seit 1990 jährlich veranstaltete Linzfest wird es ab nächstem Jahr nicht mehr geben. Kulturreferent Bernhard Baier wünscht sich für die Stadt Linz einen neuen kulturpolitischen Schwerpunkt bei Kunst im öffentlichen Raum und partizipativen Kunstformaten. Kunst und Kultur soll die Bevölkerung stärker einbinden und verstärkt ein Instrument der Stadtentwicklung werden. Derzeit wird an einem Konzept für ein neues Festivalformat für Linz gearbeitet. Alle zwei Jahre soll dieses Festival an immer unterschiedlichen Orten in der Stadt veranstaltet werden. Nicht als Stadtteilfestival, sondern als Kunstfestival in der Stadt will Bernhard Baier das neue Format verstanden wissen. Es sollen in diesem Festival unterschiedliche Themen von einer künstlerischen Leitung bearbeitet werden, durch Einbeziehung unterschiedlicher Menschen soll das Festival besondere Wirkung entfalten.
Große Wünsche und große Erwartungen an die Kunst: Partizipation, öffentliche Wirksamkeit, Instrument der Stadtentwicklung, überregionales Beachtet-Werden. Leise meldet sich hier vielleicht eine Stimme und fragt: Kann die Kunst das alles leisten? Oder gibt es hier einen Moment der Überfrachtung von Kunst? „Nein, als Überfrachtung würde ich das nicht sehen“, meint Stella Rollig als Direktorin des Lentos Kunstmuseums dazu. „Die Kunst kann grundsätzlich viel und man kann ihr einiges zutrauen. Es kommt natürlich immer auf die einzelnen Arbeiten der Künstlerinnen und Künstler an. Und ob sie das, was sie sich vorgenommen haben, inhaltlich auch einlösen.“ Aber von einer Überladung des Kunstbegriffs würde Rollig in diesem Zusammenhang nicht sprechen.
Auch sie betont das große Potential von Kunst im öffentlichen Raum und partizipativen Kunstformaten. Das Museum selbst sieht sie diesbezüglich nicht ausgeschlossen; denn auch das Museum gilt als öffentlicher Ort. Der sich natürlich anders definiert als der Außenraum und der Stadtraum. Dennoch sieht sie das Lentos und auch andere Museen in Linz nicht abgegrenzt von der Diskussion um Kunst im öffentlichen Raum und beschreibt die gegenseitige Bereicherung unterschiedlicher künstlerischer Formate. So arbeitet und wirkt Kunst im Außenraum oft viel spontaner und unmittelbarer als die Kunst innerhalb der schützenden Hülle des Museums. Im Museum wiederum sieht sie das Potential einer tieferen Ebene der Auseinandersetzung und Reflexion von Kunst. Auch lässt sich Kunst im öffentlichen Raum gut in die Museumsarbeit einbinden, erzählt Stella Rollig weiter. So hat zum Beispiel das Lentos die Reihe „Raum Lentos“ und „Lentos Park“ als zwei Formate im Programm installiert, die den Außenraum des Museums bespielen. Weiters verwaltet das Lentos auch die vom Forum Metall übernommenen Skulpturen im Donaupark.
Was die Stadt ist und was sie braucht, darüber denkt der KunstRaum Goethestrasse xtd seit vielen Jahren in der Auseinandersetzung mit einer city of respect nach. Der KunstRaum überrascht regelmäßig mit großer Wirkungskraft und vielseitigen Formaten und Aktionen im öffentlichen Raum der Stadt. Schaut man sich die Arbeit der beiden Macherinnen Susanne Blaimschein und Beate Rathmayr in der Spanne der letzten Jahre an, so findet sich eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit der Stadt Linz, ihren unterschiedlichen Räumen und BewohnerInnen. Besonders beim Linz09-Projekt des KunstRaums Der kranke Hase fanden viele Projekte im öffentlichen Raum statt. Blaimschein und Rathmayr eignen sich für die Projekte des KunstRaums vielfältig und themenspezifisch öffentliche Räume an und bespielen diese mit unterschiedlichen Projekten: Plakataktionen, Performances oder temporären Installationen. „Wir überlegen uns für jedes Projekt, welchen spezifischen Raum es für die Umsetzung braucht. In unserer Auseinandersetzung mit einer city of respect und den BewohnerInnen von Linz wäre es kaum vorstellbar, uns dabei nicht auch aus den eigenen Ausstellungsräumlichkeiten hinaus zu bewegen, nicht in den öffentlichen Raum der Stadt zu gehen.“
Thomas Philipp und Andre Zogholy vom Kollektiv qujOchÖ äußern während des Gesprächs über das neue Festivalformat die Befürchtung, dass derzeit eine „Eier legende Wollmilchsau“ geplant wird. Die zwei plädieren für eine inhaltliche Schärfung des Konzepts und verweisen auf unterschiedliche Diskurse rund um Kunst im öffentlichen Raum, die im Konzept bearbeitet werden sollten. qujOchÖ beschäftigen sich seit 15 Jahren mit experimenteller Kunst, rund ein Drittel ihrer Projekte finden im öffentlichen Raum statt. Im Gespräch mit Philipp und Zogholy wird auch ein Widerwille und ein großes Unverständnis für die Abschaffung des Linzfests Thema. Die beiden empfinden das „Durchboxen“ eines neuen Festivalformats als kulturpolitische Ellbogenmentalität mit Scheuklappen. Ein bewährtes Format wie das Linzfest hätte ausgebaut werden können und von innen her weiterentwickelt, auch mit einem Schwerpunkt bei Kunst im öffentlichen Raum. Thomas Philipp und Andre Zogholy empfinden das kulturpolitische Vorgehen bezüglich Linzfest als Affront. Auch andere InterviewpartnerInnen äußern sich eher verhalten bei der Frage, ob sie sich für das neue Festivalformat Anknüpfungspunkte für die eigene Arbeit wünschen würden: weil die „by the way“ Abschaffung des Linzfests für viele schon ein Thema ist, das auch stutzig werden lässt.
Wenn man sich den Wunsch nach einem neuen kulturpolitischen Schwerpunkt für Linz bei Kunst im öffentlichen Raum noch einmal genauer ansieht, wird man sich auch die Frage stellen müssen, ob dieses neue Format eines biennalen Kunstfestivals dem Schwerpunkt per se gerecht werden kann. Und ob diesbezüglich nicht erweitert gedacht werden müsste. Denn konsequenterweise sollte dieser neue Schwerpunkt für die Linz Kultur auch bedeuten, dass Einrichtungen, Vereine, Kollektive und AkteurInnen – die ganzjährig, langfristig und kontinuierlich Linz mit Kunst im öffentlichen Raum bespielen, entsprechend gefördert werden müssen. Nur so können in der Stadt hochqualitative Kunstprojekte im öffentlichen Raum mit weniger Eventcharakter umgesetzt werden. Kurz fällt hierzu vielleicht die Wiener Fördertraditionen von Kunst im öffentlichen Raum ein: KÖR Wien; als GmbH organisiert und in den Förderungen vielseitig, ganzjährig und niederschwellig. Es wäre sicher sinnvoll, dieses Förderformat auch für Linz anzudenken, zumal es derzeit noch nicht einmal eine dezidierte Förderschiene für Kunst im öffentlichen Raum gibt.
Zum großen Thema der Partizipation in Kunst und Kultur äußerte sich der Stadtsoziologe Peter Arlt. Bekannt ist er für seine langjährige Tätigkeit und sein Engagement im Bereich Stadtteilkulturarbeit im Linzer Franckviertel. Er hat auch schon vielfältige Erfahrungen mit Kunst im öffentlichen Raum und partizipativen Kunstformaten in Berlin sammeln können und teilt im Interview mit, dass er die Kombination von Partizipation und Kunst mittlerweile für schwierig hält. Die Bedürfnisse und Themen von KünstlerInnen unterscheiden sich meist zu stark von den Bedürfnissen und Themen der BewohnerInnen selbst. Dennoch spricht für ihn nichts dagegen, an wechselnden Orten der Stadt ein Kunstfestival zu verorten und die BewohnerInnen miteinzubeziehen, solange sich die Kunst nicht als Stadtteilkulturarbeit begreift. Für das künftige Festivalformat in Linz wünscht er sich eine genaue Auseinandersetzung mit dem Ort oder Stadtteil, in dem das Festival jeweils stattfinden soll, ohne das eigene Thema „einfach nur über die BewohnerInnen drüber zu stülpen“.
Zum Wechsel des „Slogans“ der Linz Kultur: Von Kultur für alle hin zu Kultur mit allen rät Peter Arlt, sich von diesem Begriff und Anspruch an alle besser zu verabschieden. „Alle“ ist eine nicht wirklich definierbare Gruppe, alle gibt es nicht.
Die Denkansätze von Peter Arlt decken sich mit dem, was der künstlerische Leiter des Festivals der Regionen, Gottfried Hattinger im Interview über seine Arbeit an verschiedenen Orten Oberösterreichs erzählt. Bevor die zeitgenössische Kunst an einen Ort kommt, ist es für ihn eine Voraussetzung, den Ort gut kennenzulernen. Engagierte Personen und Vereine im Ort zu treffen, das Festival näher zu bringen, Bezüge zu den Menschen und Strukturen vor Ort herzustellen und somit das Festival und die Kunst schon im Vorfeld zu vermitteln.
Zum angekündigten Festivalformat für Linz wirft Gottfried Hattinger eine wichtige Frage auf; nämlich ob die Kulturabteilung einer Kommune oder vom Land überhaupt als Veranstalter von Kunstfestivals auftreten soll. Beim Festival der Regionen werden die Fördergelder autonom in einem Verein verwaltet. Der Kulturreferent Baier kann sich eine Auslagerung des Linzer Formats in einen Verein oder eine GmbH aber nicht vorstellen und erwähnt als Gründe die Ressourcen der Linz Kultur, wie Personal und Öffentlichkeitsarbeit, die von der Stadtverwaltung in die Organisation des Festivals einfließen können. Gleichzeitig erwähnt Baier aber auch, wie wichtig ihm die inhaltliche und thematische Unabhängigkeit der künstlerischen Leitung und der künstlerischen Projekte ist. Auch bei subversiven politischen Projekten garantiert er keine inhaltlichen Einschränkungen von Seiten der Stadt und bekennt sich zum inhaltlichen Freiraum der Kunst.
Als Conclusio zu allen geführten Interviews könnte Folgendes festgehalten werden: der Wunsch nach qualitativ hochwertigen Inhalten. Die Möglichkeit einer Einbindung und Vernetzung unter den Linzer Institutionen und Kulturschaffenden im Zuge des Festivals. Und es soll nicht alles, was an Diskurs über Kunst im öffentlichen Raum derzeit im Gespräch ist, in dieses neue Format gepackt werden: denn um dies inhaltlich genau umsetzen zu können, bräuchte es ein Vielfaches des anvisierten Budgets.
Jaja, es ist die alte Leier, das mit dem Geld und der Kunst. Kunst ist schön, aber macht viel Arbeit, meinte Karl Valentin. Und Arbeit sollte entsprechend bezahlt werden, egal welcher kulturpolitische Schwerpunkt gerade gesetzt wird.
Dies wäre nun schon fast schon ein schöner Schlusssatz. Aber nur fast. Denn wie könnte man diesen Report beenden ohne ein Zitat über das Potential von Kunst im öffentlichen Raum anzufügen? Here we go:
„Künstlerische Arbeiten verfügen über die Potenz, Verborgenes oder Übersehenes sichtbar und diskutierbar zu machen. Sind sie im Stadtraum verortet, positionieren sie sich immer auch zu diesem und verbinden verschiedenen Ebenen der ‚Wege in die Stadt‘: die materiellen räumlichen und städtebaulichen Zugänge, wie auch die vielfältigen methodischen Annäherungen – sozial, psychologisch, ästhetisch, räumlich fantasierend, forschend, diskutierend, sehend, ergänzend. In den (künstlerischen) Werken spiegelt sich immer auch das jeweilige Verständnis von Öffentlichkeit und städtischem Raum.“ (Frauke Ellßel, 2008 in Urbanografien – Stadtforschung in Kunst, Architektur und Theorie, S.125)
Factbox
• Derzeit ist das neue Festival in der abschließenden konzeptionellen Phase
• Anfang September wird das Konzept dem Kulturausschuss vorgestellt
• Bernhard Baier will bis Herbst einen Grundsatzbeschluss für das vorliegende Konzept erreichen
• Das erste Festival soll 2018 stattfinden
• Die Linz Kultur soll die Veranstalterin sein: eine künstlerische Leitung wird extern besetzt, begleitet von einem Board oder einer Jury
• Budgetzahlen und das vorläufige Konzept gingen noch nicht an die Öffentlichkeit
• Ob das gesamte Budget des Linzfestes in dieses neue Festivalformat fließt, ist derzeit noch nicht geklärt
Weitere Reports zum neuen Format folgen in den kommenden Ausgaben.
Alle Interviews zum Text sind hier in voller Länge zu finden.
• Peter Arlt, Freischaffender Soziologe im öffentlichen Raum
• Bernhard Baier, Kulturreferent der Stadt Linz
• Susanne Blaimschein und Beate Rathmayr, KunstRaum Goethestrasse xtd.
• Gottfried Hattinger, Künstlerischer Leiter des Festivals der Regionen
• Thomas Philipp und Andre Zogholy von qujOchÖ
• Stella Rollig, Direktorin des Lentos Kunstmuseum
Interview mit Peter Arlt
Der Stadtsoziologe und Stadtteilkulturarbeit-Experte Peter Arlt erzählt im Interview am 11. August 2016 über seine Erfahrungen mit dem Begriff der Partizipation in Kunst und Kultur und warum er sich vom Anspruch an Partizipation in Kombination mit Kunst lieber verabschieden würde. Weiters gibt er Einblicke in seine Arbeit im Linzer Franckviertel und beschreibt die Schwerpunkte, die wichtig sind, wenn man mit BewohnerInnen oder an einem spezifischen Ort in einer Stadt arbeitet.
EL: Sie sind Soziologe und arbeiten in Linz schon viele Jahre im Franckviertel zu Themen der Stadtentwicklung und Stadtteilkulturarbeit. Sie haben sich in Ihrer Biografie auch viel mit Kunst im öffentlichen Raum und partizipativen Formaten beschäftigt. Können Sie Ihre Arbeit und Ihre Arbeitsschwerpunkte kurz umreißen?
PA: Am Beginn meiner Tätigkeit in Städten und in Stadtteilen arbeitete ich mit den Instrumenten der klassischen Stadtsoziologie wie zum Beispiel BewohnerInnenbefragungen. Später kamen viele Projekte mit ArchitektInnen und KünstlerInnen im öffentlichen Raum dazu. Performances, Installationen oder temporäre Bauten, bei denen es mir weniger um einen wissenschaftlichen Ansatz als um den Aspekt einer Aktivierung der Bevölkerung ging. Im Laufe der letzten zehn Jahre habe ich mich von diesen eher kurzfristigen Projekten wegbewegt, hin zu langfristigen Stadtteilprojekten. Nun arbeite ich schon einige Jahre im Linzer Franckviertel und mein Schwerpunkt liegt bei Stadtteilentwicklung und Gemeinwesensarbeit im weitesten Sinne. Im Franckviertel arbeiten wir als kleine Gruppe, die relativ frei agiert. Seit zwei Jahren gibt es auch den Verein Friends of Franckviertel. Wir arbeiten in enger Kooperation mit der dortigen Volksschule und organisieren zum Beispiel partizipative Umbauprojekte. Zuletzt wurde die ehemalige Stadtteilbibliothek von uns gemeinsam mit der Schule zu einem Stadtteilcafé umgebaut.
Für mich ist im Laufe der Jahre das Prinzip einer gewissen Permanenz und langfristigen Präsenz immer wichtiger geworden, wenn ich an und mit einem bestimmten Ort arbeite. Gleichzeitig ging ich immer mehr weg von den eigenen Ansprüchen und dem, was ich selbst gut finden würde, das an einem gewissen Ort passiert. Viel wichtiger wurde mir die Konzentration darauf, was an einem bestimmten Ort vorhanden ist, welche Themen bei den BewohnerInnen vorhanden sind, um daraus gemeinsam etwas zu erarbeiten. Diese Herangehensweise bedeutet, anders als bei künstlerischen Arbeiten, weniger von den eigenen Ideen umsetzen zu können.
EL: Was hat Sie dazu bewogen, in diese Richtung zu gehen?
PA: Ich war 1995 bis 2001 in Berlin. Dort habe ich einiges an Erfahrung mit Kunst im öffentlichen Raum gesammelt. In dieser Zeit hat sich in Berlin sehr viel getan, was Kunst im öffentlichen Raum und Stadtteilprojekte betrifft. Als ich 2001 nach Linz zurück kam, begann für mich eine Zeit des Reflektierens. Ich habe darüber nachgedacht, was meine Aktionen und Projekte tatsächlich für einen Sinn hatten, und welche langfristigen Auswirkungen sie auch hatten, zum Beispiel bezüglich Gentrifizierung. In Berlin selbst stand eher das Tun, das Tätig-Sein im Vordergrund. So habe ich die Zeit danach genutzt, um über Kunst im öffentlichen Raum, BürgerInnenaktivierung und Partizipation nachzudenken.
EL: Derzeit kündigt der Kulturreferent Baier für Linz ein neues Festivalformat an, das anstelle des Linzfests biennal an unterschiedlichen Orten der Stadt stattfinden soll und einen Schwerpunkt bei Kunst im öffentlichen Raum und Partizipation haben soll. Wenn Sie das hören, wie ist Ihre erste Reaktion darauf?
PA: Dass ich Partizipation in Zusammenhang mit Kunst mittlerweile für schwierig halte, da die Bedürfnisse der KünstlerInnen meist ganz andere sind als die der StadtbewohnerInnen. Eigentlich mag ich den Begriff der Partizipation überhaupt nicht mehr, denn für mich hat es den Beigeschmack, dass man an etwas teilhaben „darf“, das sich jedoch ein anderer ausgedacht hat. Es hat etwas herablassendes, es ist nicht auf gleicher Augenhöhe.
EL: Was aber, wenn man sich den Begriff und die Definition von Partizipation genau ansieht, eigentlich eine Grundvoraussetzung wäre. Auf Augenhöhe zu sein. Das wäre ja eigentlich, rein vom Gedanken her, das Potential der Partizipation.
PA: Ja, natürlich, aber dennoch beginnt die Partizipation meist damit, dass man an einer bestimmten Sache teilhaben „darf“. Es wird selten so angedacht, dass sich BewohnerInnen oder eine bestimmte Gruppe selbst etwas ausdenken und dann zusammen darüber verhandeln. Meist sind es andere Personen, zum Beispiel die KünstlerInnen, die sich ein partizipatives Projekt ausdenken. Und in Folge „brauchen“ sie eine gewisse Anzahl an Personen die mitwirken, damit das Projekt funktionieren kann. Aber was bringt das den BewohnerInnen? Meist ist es lediglich der Aspekt des Dabeiseins. Und das ist meiner Meinung nach zu passiv. Mein Ideal ist ein anderes. Für mich ist es wichtig, dass die inhaltlichen Themen und Fragestellungen von den BewohnerInnen selbst kommen, und ich diese Themen lediglich aufgreife und beim Umsetzen von Ideen unterstütze. Das ist ein völlig anderer Anspruch als der Anspruch der Kunst oder eines Kunstfestivals in einem Stadtteil.
EL: Könnte man nicht die Kunst, oder die KünstlerInnen, die an einen Ort kommen und gemeinsam mit BewohnerInnen Projekte realisieren, als Anregung für die BewohnerInnen sehen? Dass durch die Kunst neue Impulse „vor die Haustüre“ kommen?
PA: Ja, das ist auch sicher so. Und das war, besonders bei meinen früheren Projekten auch die Argumentation, dass wir einen bestimmten Stadtteil „aufmischen“. Kurzfristig etwas Neues machen. Um dadurch etwas zu bewirken. Ein Beispiel dazu war der temporäre Bau eines Schwimmbads in einem Berliner Stadtteil. Es kamen viele BewohnerInnen zum Baden, dennoch hat es nicht dazu geführt, dass die BewohnerInnen das in den nächsten Jahren selbstständig weiter organisiert hätten.
Die Idee, dass man künstlerisch etwas setzt, und diese Setzung dann mittelfristig etwas bewirkt und die Menschen aktiviert, ist eine schöne Idee. Aber aus meiner Erfahrung heraus funktioniert es nicht und fördert eine eher konsumistische Haltung. Es kommt letztendlich nicht zu einem Punkt an dem die Leute sich denken: Aha, so etwas könnte ich auch selbst machen.
EL: Wie könnte dann ein Kunstprojekt, das die Bevölkerung mit einbindet, gut funktionieren?
PA: Auf jeden Fall ohne den Anspruch auf Partizipation oder Stadtteilkulturarbeit. Weil der Künstler oder die Künstlerin im Normalfall schon eine ganz bestimmte Idee für einen Ort im Kopf hat. Mir fallen aber schon auch Projekte ein, wo eine Einbindung der Bevölkerung gut gelungen ist und spannend war. Zum Beispiel beim Festival der Regionen in Ebensee, wo mit der Bevölkerung ein Marsch durch den Ort erarbeitet wurde. Man konnte sehen, dass die Leute gerne und begeistert mitgemacht haben. Aber ob ein solches Projekt dann gut funktionieren kann, das hängt sehr stark von der Persönlichkeit der Künstlerinnen und Künstler ab. Wie sie mit Menschen umgehen können, ob sie Menschen auch tatsächlich zum Mitmachen begeistern können. Nämlich ohne die BewohnerInnen als reine Staffage für die eigenen Ideen einzusetzen.
EL: Angenommen das Linzer Festivalformat wird so umgesetzt, wie es angekündigt wird. Biennal, an wechselnden Orten in Linz mit starker Einbindung der Bevölkerung. Haben Sie eine Empfehlung an die zukünftige künstlerische Leitung des Festivals bezüglich Schwerpunkte und Vorgehensweise?
PA: Auf jeden Fall fände ich es wichtig, dass man den Ort oder den Stadtteil, an den man kommt, wirklich gut kennen lernt. Sinnvoll ist es sicher, am Anfang alle sozialen Treffpunkte anzulaufen wie Kindergruppen, Schulen, Vereine, Pensionistenzentren, Pfarre, usw. Das gibt es ja eigentlich in jedem Stadtteil. Dann die Leute kennen zu lernen, die in irgendeiner Form dort aktiv sind. Um zu erfahren, welche Themen an dem Ort präsent sind. Auch Asylheime zu besuchen. Oder mit Hausmeistern zu reden. Das ist immer sehr interessant. Gerade wenn man an den Stadtrand von Linz geht, ist das Thema Wohnen, Wohnsiedlungen und Genossenschaften ein interessantes Thema. Das funktioniert dort ganz anders als in der Innenstadt.
Abschließend könnte ich das so formulieren, dass aus meiner Sicht die Aufgabe einer künstlerischen Leitung ist, aus dem, was an einem bestimmten Ort schon vorhanden ist, etwas zu formen. Das fände ich sinnvoll.
EL: Worin sehen Sie die Gefahren eines solchen Festivalformats?
PA: Der worstcase wäre wahrscheinlich der Anspruch, dass man in ein Stadtviertel geht und glaubt, den BewohnerInnen nun die moderne Kunst „beibringen“ zu wollen. Man verpflanzt quasi das eigene Wissen, das eigene Know-How und die eigene Sicht der Dinge an einen bestimmten Ort in der Meinung, man weiß mehr als die Leute vor Ort. Ich bin mittlerweile der Überzeugung, dass, wenn man an einen Ort geht an dem die Leute völlig anders sozialisiert sind als man selbst, genau darin auch das Potential liegt. Nämlich etwas völlig Neues zu erfahren, völlig neue Sichtweisen kennen zu lernen. Dies hätte, um neben der möglichen Gefahr noch ein großes Potential zu erwähnen, die große Chance, mit ganz anderen Welten in Verbindung zu kommen. Sowohl sozial, wie auch politisch und kulturell. Das kann natürlich auch herausfordernd sein, mit dem „Anderen“ in Kontakt zu kommen. Ich denke da zum Beispiel an die Wahlergebnisse der letzten Zeit, wo sich gezeigt hat, dass es im Linzer Franckviertel eine sehr große FPÖ-Wählerschaft gibt. Das fällt mir in meiner Arbeit dann schon sehr schwer, damit umzugehen. Dennoch, diese anderen Welten kennen zu lernen, auch andere Kulturen aufgrund des hohen MigrantInnenanteils im Franckviertel, das ist eine Bereicherung.
EL: Zum Abschluss möchte ich Sie um ein kurzes Statement bitten. Der Kulturreferent Baier will für Linz von Kultur für alle zu Kultur mit allen kommen. Was fällt Ihnen dazu ein?
PA: Mit alle hab ich sowieso ein Problem. Vom Anspruch an alle würde ich mich eher verabschieden. Weil alle gibt es nicht. Das ist eine nicht wirklich definierbare Gruppe.
EL: Ich bedanke mich sehr herzlich für das Interview und wünsche Ihnen und Ihren KollegInnen weiterhin eine spannende und bereichernde Arbeit im und für das Linzer Franckviertel.
Peter Arlt ist 1960 in Linz geboren. Lebte einige Jahre in Berlin und seit 2001 wieder in Linz. Praktiziert angewandte Soziologie im öffentlichen Raum, in Linz und anderswo. Aktuell arbeitet er in der Stadtteilentwicklung im Linzer Franckviertel.
Interview mit Bernhard Baier
Elisabeth Lacher traf am 5. August 2016 den Kulturreferenten der Stadt Linz, Bernhard Baier, zum Gespräch über das von ihm angekündigte „Neue Format“ eines biennalen Kunstfestivals, das in Linz anstatt des Linzfests installiert werden soll.
EL: Sie haben als neues Format für Linz ein biennales Kunstfestival angekündigt, das anstelle des Linzfests alle zwei Jahre im öffentlichen Raum der Stadt stattfinden soll. Was können Sie mir dazu erzählen?
BB: Ausgangspunkt meiner Überlegungen war, dass es einen neuen kulturpolitischen Impuls geben soll in der politischen Periode bis 2021, und nach Möglichkeit darüber hinaus. Und der Grundgedanke ist, dass wir vom Ansatz Kultur für alle hin zu Kultur mit allen kommen wollen. Also einen stark partizipativen Ansatz verfolgen, der die Bevölkerung und die Menschen stärker mit einbindet und die Kunst und die Kultur wieder stärker zu einem Instrument der Stadtentwicklung werden lässt.
Dies ist die Grundüberlegung, die hinter diesem neuen Konzept steht. Und die im Raum stehende Idee ist, ein biennales Kunst- und Kulturfestival zu veranstalten, an immer wechselnden Orten der Stadt. Das kann in unterschiedlichen Stadtteilen sein, kann aber auch im Zentrum sein. Ich will es auch nicht als „Stadtteilfestival“, sondern als Kunstfestival „in der Stadt“ verstanden wissen. Es sollen immer wechselnde Themen und Fragestellungen aufgeworfen werden, und es soll einen sehr starken Ansatz hin zur Bevölkerung geben, unterschiedliche Menschen mit einbeziehen und damit eine besondere Wirkung entfalten.
EL: Dann darf ich bezüglich der Umsetzung fragen: Wie sicher ist es, dass dieses neue Format des biennalen Kunstfestivals statt dem Linzfest installiert wird?
BB: Derzeit sind wir in der abschließenden konzeptionellen Phase. Anfang September werden dann die inhaltlich konzeptionellen Überlegungen im Kulturausschuss vorgestellt und zur Diskussion gestellt. Danach braucht es eine Einigung auf politischer Ebene. Mein Ziel ist, im Herbst dieses Jahres den Grundsatzbeschluss für dieses neue Festival zu erreichen. Danach könnte gleich die Umsetzungsarbeit beginnen. Im „Konjunktiv“ spreche ich deshalb, weil die notwendigen Beschlüsse noch nicht vorliegen und ich diese Überlegungen gerade erst eingebracht habe. Und meine Intention ist diese, dass ich glaube, dass Kunst und Kultur wieder stärker in die Stadtentwicklung und in den öffentlichen Raum eingreifen sollen. Dafür muss aber ein bestimmter Rahmen geboten werden.
EL: Bezüglich des neuen Festivals und dessen inhaltlicher Gestaltung: Was erwarten Sie sich als Gewinn für Linz, als Gewinn für die Kultur?
BB: Meine Erwartung ist, dass wir über die regionalen Grenzen hinaus wieder stärker als Kunst- und Kulturstadt, die einen Impuls setzt, in Erscheinung treten. Zum Zweiten erwarte ich mir eine niederschwellige Möglichkeit für die Menschen in Linz, mit Kunst- und Kulturprojekten in Kontakt zu treten, weil es eben im öffentlichen Raum stattfinden soll. Und Drittens ist mir die Bearbeitung aktueller Fragestellungen gesellschaftspolitischer Natur und der Stadtentwicklung wichtig. Und dadurch auch Antworten für die Politik zu erhalten.
EL: Dazu möchte ich fragen, wie die Organisation des Festivals geplant ist.Wie autonom wird es organisiert werden, um auch diese inhaltliche Schärfe in den gesellschaftspolitischen Fragestellungen und der Stadtentwicklung zu sichern? Wird das neue Festival eine Veranstaltung der Stadt Linz werden, oder streben Sie eine von der öffentlichen Verwaltung und politischen VertreterInnen unabhängige Organisation des Festivals an?
BB: Meiner Meinung nach sollte es eine Veranstaltung der Linz Kultur sein, aber ausgestattet mit einer eigenen künstlerischen Leitung, die dann die Themen definiert und die Orte auswählt. Begleitet von einer Jury oder von einem Board. Es soll also die Anbindung an die Stadt geben wie auch die künstlerische Autonomie gegeben sein, um die natürlich notwendige Freiheit auch zu bieten.
EL: Das kennt man ja auch aus anderen Städten, wie zum Beispiel der Leonart in Leonding, die bis 2013 eine Veranstaltung der Stadt Leonding war. Dort wurde die künstlerische Leitung dann alle zwei Jahre ausgeschrieben. Würden Sie das für Linz auch gerne so haben?
BB: Für mich sind unterschiedliche Varianten denkbar. Die Variante, dass sich für jedes Festival eine künstlerische Leitung bewirbt genauso wie eine längerfristige künstlerische Leitung. Ich sehe leichte Vorteile für die Variante der wechselnden künstlerischen Leitung.
EL: Die wären?
BB: Ich bin der Meinung, dass der Wechsel immer wieder eine neue Perspektive, neue Sichtweisen einbringen kann. Dadurch besteht weniger die Gefahr, festzufahren und man kann immer wieder neuer und spannender unterwegs sein.
EL: Und die Befürchtung, dass es flüchtiger wird dadurch? Sie haben ja schon öfters dieses Argument des Flexibel-Seins, des Wechsels, dadurch„etwas Neues ermöglichen“geäußert. Ich erinnere mich an die Diskussion um die frei verfügbaren Mittel und der Förderpolitik für freie Kunst- und Kulturschaffende. Hier berufen Sie sich auch immer wieder auf die Förderung von wechselnden und kurzfristigen Projekten und Initiativen, mit dem Argument, nicht festzufahren. Dass dies zu einer Flüchtigkeit und einem Mangel an langfristiger, inhaltlicher Schärfe in Kunst und Kultur führt, diese Sorge haben Sie nicht?
BB: Nein, diese Sorge habe ich nicht. Und in Bezug auf das neue Festivalformat ist es auch so angedacht, dass jedes Festival für sich stehen kann.
EL: Zum Thema der Linz Kultur als Veranstalterin des Festivals. Heißt das für Sie, dass die Verwaltung und Organisation des Festivals in der Stadtverwaltung sein wird?
BB: Die Linz Kultur wird sicher mit einbezogen.
EL: Was heißt miteinbezogen? Wer trifft die Letztentscheidungen? Wie wird das organisiert sein?
BB: Es soll ja eine künstlerische Leitung geben, die natürlich inhaltlich frei arbeitet. Daneben sollen gewisse Entscheidungen dann von einem Gremium beschlossen werden, wo der Rahmen und gewisse Grenzen auch festlegt werden. Ich halte es für wichtig, dass es diese Rückkoppelung an die Linz Kultur gibt. Es soll eine Art „gemeinsame Abwicklung“ des Festivals geben, wo es natürlich noch zusätzlicher Kräfte bedarf, aber wo gewisse Ressourcen der Linz Kultur auch genutzt werden.
EL: Zum Beispiel personelle Ressourcen?
BB: Ja, aber natürlich kann und soll die Linz Kultur das nicht alleine machen, da braucht es schon dieses „mehr“ auch von außen.
EL: Da taucht bei mir die Frage auf, warum Sie das neue Festival nicht autonom andenken und gestalten? In Form eines Vereines oder einer GmbH? Um diese inhaltliche Freiheit der Kunst- und Kulturarbeit auch wirklich zu verankern? Wird oder wurde dies als Möglichkeit auch angedacht? Also zum Beispiel das jeweilige Budget für ein Festival einer Gruppe oder einem Verein für die Gesamtabwicklung des Festivals zur Verfügung zu stellen und dadurch die Autonomie der Kunst und Kultur zu stärken.
BB: Nun, es ist deswegen an die Linz Kultur angebunden, weil es sich um einen kulturpolitischen Ansatz,eine kulturpolitische Initiative der Linz Kultur und des Kulturreferenten handelt.
Das heißt, der Impuls geht von der Stadt aus und soll auch ganz bewusst so kommuniziert und positioniert werden. Und deswegen wird an eine „Auslagerung“ nicht gedacht. Das soll aber der inhaltlichen und künstlerischen Freiheit aus meiner Sicht überhaupt keinen Abbruch tun.
EL: In meiner Recherche bin ich auf einige kritische Stimmen gestoßen, die davor warnen, ein Kunstfestival von einem städtischem Amt oder einem städtischen Gremium veranstalten zu lassen. Als Argument wird angeführt, dass Kunst und Kultur inhaltlich fundierter und zeitgenössischer agiert, je autonomer die Organisationsstrukturen dahinter sind.
Davon abgesehen wäre es ja per se eine große politische Leistung und ein Erfolg, wenn Sie und die Linz Kultur den Rahmen des Festivals entwerfen, dieses Format in Linz quasi „initiieren“. Wenn die jetzige kulturpolitische Periode und ihre MitarbeiterInnen als InitiatorInnen und „RahmenbauerInnen“ für dieses Festival gesehen werden, das dann aber autonom von Stadtverwaltung und politischen Ansprüchen gestaltet wird. Ich würde das als großen Erfolg für einen Kulturreferenten und die Linz Kultur werten. Wäre Ihnen das zu wenig?
BB: Ich sehe hierin einfach keinen Widerspruch. Denn letztlich wäre es von mir so angedacht, dass die Anbindung an die Linz Kultur gegeben ist, und so auch organisatorisch die Mitbeteiligung und Unterstützung da ist. Gleichzeitig aber die notwendige Freiheit durch die künstlerische Leitung gegeben ist, die das Thema definiert, die auch den Vorschlag für einen Ort macht, und wo dann darauf aufbauend ein Call gemacht wird, wo dann Projekte eingereicht werden können. Es wird und soll auch eine Jury geben, die diese Projekte auswählt: einerseits nach einer finanziellen Maßgabe und auch im Einklang mit der Programmatik. Und dadurch ist die Autonomie letztendlich ja gegeben. Ich sehe diesen Widerspruch nicht ganz und ich glaube, dass deshalb dieser angedachte Weg ein schlüssiger ist und ich möchte den so gehen.
EL: Für mich ist schon ein Widerspruch sichtbar. Besonders dann, wenn Kunst- und Kulturprojekte durch zu viele „öffentliche“ Filter laufen müssen vor der Realisierung.
Aber kommen wir noch einmal zurück zum großen Thema Kunst im öffentlichen Raum. Was interessiert Sie daran? Was finden Sie daran faszinierend?
BB: Kunst im öffentlichen Raum ist mir als Kulturreferent ein großes Anliegen, da Kunst im Stadtraum Menschen erreichen kann, die über die Institutionen größtenteils nicht erreicht werden. Ich selbst erinnere mich gerne an Linz09, meine eindrücklichsten kulturellen Erlebnisse waren jene Projekte, die den Stadtraum bespielt haben. Weiters finde ich faszinierend, dass eben Menschen erreicht werden können und auch tatsächlich erreicht werden, die möglicherweise über die Institutionen und über die üblichen Angebote nicht erreicht werden. Das heißt, dieser Vermittlungsaspekt und der Aspekt der Partizipation in Kunst und Kultur ist der eigentlich wichtigste Punkt, der mich im Zusammenhang mit Kunst im öffentlichen Raum fasziniert.
Außerdem glaube ich, dass Linz bezüglich Kunst im öffentlichen Raum einen Nachholbedarf hat. Als ich die Funktion des Kulturreferenten übernommen habe, da habe ich festgestellt, dass es mit Ausnahme von Linz09 keine wirklich großen Initiativen für Kunst im öffentlichen Raum in Linz gibt. Und mit dieser Tradition würde ich gerne brechen, weil ich glaube, dass die Berührung und der Kontakt untereinander: für Künstler und Künstlerinnen und unterschiedlichsten Menschen wichtig und bereichernd ist.
EL: Also auch um eine gewisse Vielfalt an Kunst und Kultur zu fördern abseits dem Programm der Institutionen?
BB: Ja, definitiv. Wenn ich bei Veranstaltungen wie Vernissagen oder im Theater bin, treffe ich regelmäßig die selben Personen an. Was keinesfalls negativ verstanden werden soll, ich will das überhaupt nicht kritisieren. In den Institutionen trifft man eben auf das „von Haus aus“ kulturinteressierte Publikum. Und das ist auch eine Freude. Gleichzeitig denke ich, dass es schade ist, dass viele andere Personen, die an den Kulturangeboten aus unterschiedlichen Gründen nicht teilnehmen, weniger in den Genuss zeitgenössischer Kunst und Kultur kommen. Deshalb ist mir dieser Kontakt untereinander, oder dieser Vermittlungsaspekt bei Kunst im öffentlichen Raum sehr wichtig und im Vordergrund meines Interesses. Gleichzeitig bin ich auch davon überzeugt, dass es durch einen neuen Schwerpunkt bei Kunst im öffentlichen Raum zu einer größeren Vielfalt kommen wird.
EL: Zum Thema der Partizipation in Kunst und Kultur. Wie würden Sie Partizipation für sich definieren?
BB: Kultur für alle hat für mich einen sehr starken Spektakelcharakter bekommen. Es ist wichtiger ein „Feuerwerk abzuschießen“ als einen gesellschaftspolitischen Tiefgang zu forcieren. Kultur mit allen bedeutet für mich, dass es zu einer stärkeren gedanklichen Einbeziehung des Publikums und der Menschen kommen soll, und das sehe ich durch ein Festival im öffentlichen Raum eher wahrscheinlich.
EL: Die Wiener Kulturtheoretikerin Nora Sternfeld hat vor einigen Jahren Partizipation so beschrieben, dass sie, in Abgrenzung zur reinen Interaktion, mit einem Kartenspiel vergleichbar ist. Bei der Interaktion in Kunstprojekten werden quasi die Karten verteilt und die Leute dürfen mitspielen. Bei der Partizipation ist aber das Besondere, dass erst über die Verteilung der Karten wie auch über die Spielregeln gemeinsam verhandelt wird, bevor man spielt. Sie plädiert in Bezug auf Partizipation für einen ergebnisoffenen Rahmen mit Handlungskonsequenz, sonst wäre es keine Partizipation. Nora Sternfeld warnt regelmäßig davor, Partizipation in einen Topf mit Interaktion, mit „Mitmach-Aktionen“ oder mit reinen Vermittlungsgedanken zu vermischen. Denn Partizipation muss im Endeffekt real auch etwas verändern können. Auf welcher Ebene auch immer, kommt natürlich auf das Ziel und den Inhalt des Kunstprojekts an.
Meine Frage ist, wie würden Sie mit widersprüchlichen politischen Inhalten oder Outputs umgehen, die dann in einem Festival oder einem Projekt auftauchen, wo Sie von Ihrem politischen Background sagen würden, dass dieses Ergebnis für Sie so gar nicht passt?
BB: Also den Satz „Das ist mir nicht recht“, den wird es sicher nicht von mir geben. Das ist eben genau diese Freiheit, dass es auch zu Widersprüchlichkeiten und Spannungen kommen darf. Und dass dadurch Fragestellungen zutage treten, die man sonst nicht sehen würde, die auf den ersten Blick verschüttet liegen. Das heißt, die Aufgabe der künstlerischen Leitung wird dann sein, das Thema, den Ort und die Projekte so auszuwählen, dass nicht nur eine „Teilnahme“ oder eine „Interaktion“ stattfindet, wie Sie zuvor ausgeführt haben, sondern dass eben eine Teilhabe und eine Einmischung der Leute möglich ist, eben eine Partizipation. Und das wird dann auch in der Einreichphase eine wichtige Rolle spielen, weil eben KünstlerInnen, Kollektive, Vereine usw etwas einreichen können und daran denken sollen, wie es zu eben dieser Partizipation kommen kann.
EL: Um zum Abschluss noch einmal zur Frage der inhaltlichen Autonomie zu kommen. Es gibt ja durchaus sehr kritische, widerständige und politisch agitative Aspekte an Kunst im öffentlichen Raum. Mir fällt Christoph Schlingensiefs Containeraktion aus dem Jahr 2000 ein, die damals für großes Medienfurore gesorgt hat und viele kontroverse Stimmen erzeugte. Das Kunstprojekt stellte sich öffentlich gegen die Regierungskoalition der ÖVP mit der FPÖ. Angenommen, es würde etwas ähnlich ÖVP-kritisches, aufrührerisches, agitatives als Festivalprojekt eingereicht werden, hätten Sie damit ein Problem? Würden Sie einschreiten, wenn zum Beispiel die ÖVP in einem Kunstprojekt öffentlich und laut kritisiert wird?
BB: Nein, natürlich nicht. Ich kenne selbstverständlich die Containeraktion von Schlingensief. Aber als Kulturreferent muss es ja noch lange nicht heißen, dass ich selbst der Meinung eines Künstlers oder einer Künstlerin bin, die ich fördere. Aber es zuzulassen, das steht für mich völlig außer Frage. Und dann können sich der Betrachter oder die Betrachterin, der Teilnehmer oder die Teilnehmerin selbst eine Meinung bilden, eine eigene Position dazu finden. Und genau dann wäre meines Erachtens das erreicht, was ich mir vorstelle: Dass Kunst und Kultur zu Themen der gesellschaftspolitischen Entwicklungen wachrüttelt. Und damit Kunst zu einer Positionierung und zu einer Auseinandersetzung führt. Das wäre eigentlich das „Wunschszenario“, das ich mir vorstelle.
EL: Wird eigentlich angedacht, für die kulturellen Institutionen und die freie Szene in Linz Anknüpfungspunkte an das Festival zu schaffen?
BB: Ich sehe das neue Festival als große Chance, natürlich und in erster Linie für die freie Szene in Linz. Was aber nicht bedeutet, dass „nur“ die freie Szene einreichen soll.
EL: Sie sehen die Einbindung also auf der Ebene der Einreichungen?
BB: Ja, weil es zusätzliche Mittel sind, die zur Verfügung stehen und die sonst nicht zur Verfügung stünden. Und damit die Chance gegeben ist, hier Projekte umsetzen und realisieren zu können.
EL: Und anzudenken, dass Linzer Institutionen und die freie Szene von vornherein in die Programmatik des Festivals mit einbezogen werden? Vielleicht in einer extra Programmschiene, und dass dafür auch Mittel zur Verfügung gestellt werden?
BB: So weit ins Detail bin ich noch nicht vorgedrungen. Aber es ist durchaus denkbar, so etwas auch zu installieren. Es gibt ja viele, auch kleinere Einrichtungen in Linz, die schon viel und kontinuierlich im öffentlichen Raum arbeiten. Und natürlich soll es auch eine Abstimmung und Miteinbeziehung der größeren Institutionen geben, die, wenn man so will, das ganze auch begleitend gestalten könnten. Das hielte ich für einen richtigen und guten Ansatz: Sowohl die Einrichtungen der Stadt Linz als auch eine Einladung an die Einrichtungen des Landes oder Einrichtungen darüber hinaus, die von Vereinen und sonstigen Personen getragen werden.
EL: Dann danke ich Ihnen nun für das interessante Gespräch und die Informationen zum neu angekündigten Festivalformat. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg und spannende Momente in der weiteren Arbeit am neuen Format für Linz.
Bernhard Baier, geboren 1975 ist Politiker der ÖVP. Seit 2013 ist er Vizebürgermeister und Kulturreferent der Stadt Linz.
www.linz.at/kultur
www.bernhardbaier.at
Interview mit Gottfried Hattinger
Am 16. August 2016 traf Elisabeth Lacher den künstlerischen Leiter des Festivals der Regionen, Gottfried Hattinger zum Interview. Er erzählte über die Arbeitsweise des Festivals der Regionen, über das Potential dieses Kunstfestivals als Wanderformat im ländlichen Raum von Oberösterreich und über die Herausforderungen, die diese Arbeit mit sich bringt. Es stellte sich auch die Frage, inwiefern es Sinn macht, wenn ein Kulturamt als Veranstalterin eines Kunstfestivals auftritt, so wie es für das neue Format für Linz derzeit geplant ist.
EL: Das Festival der Regionen gibt es jetzt seit 1993. Es findet alle zwei Jahre an wechselnden Orten in Oberösterreich statt. Sie haben als künstlerischer Leiter bereits drei Festivals geleitet und sind derzeit inmitten der Planung des vierten Festivals, das nächstes Jahr in Marchtrenk stattfinden wird.
Wie würden Sie das Potential und die Schwerpunkte des Festivals der Regionen beschreiben? Welchen Herausforderungen begegnet ein Kunstfestival, das biennal an unterschiedlichen Orten veranstaltet wird?
GH: Die Frage nach der Herausforderung und dem Potential ist bei jedem Festival von neuem eine spannende Frage. Alleine die Arbeitsweise und Herangehensweise einer künstlerischen Leitung fürs Festival der Regionen muss sich stark von anderen Kunstfestivals oder sonst üblichen kuratorischen Prozessen unterscheiden. Wenn man, wie in unserem Fall, in eine kleinere, ländliche Stadt kommt, muss man grundsätzlich davon ausgehen, dass sich dort vorerst niemand oder kaum jemand für zeitgenössisches Kunstschaffen interessiert. Am Beginn eines neuen Festivals besteht unsere Arbeit hauptsächlich darin, die Stadt kennen zu lernen, die Menschen dort kennen zu lernen. Ich beschäftige mich zu Beginn ausführlich mit der Geschichte der Stadt. Das heißt, bevor ich überhaupt an die Kunst denken kann, lese ich Stadtchroniken und lerne verschiedene Vereine und engagierte Personen an diesem Ort kennen und versuche, ein Gefühl für den Ort zu bekommen. Es gilt herauszufinden, wie dieser spezielle Ort gesellschaftlich aussieht, wo es hakt und wo die guten Kräfte sind. Daraus ergibt sich dann ein Thema, und erst dann, zu einem viel späteren Zeitpunkt als eigentlich üblich, kommt die Kunst ins Spiel.
EL: Können Sie Ihre Vorgehensweise anhand eines Beispiels verdeutlichen? Vielleicht vom ersten Festival der Regionen, das Sie kuratiert haben?
GH: Das war im Jahr 2011 in Attnang Puchheim. Im Vorfeld waren für meine Entscheidung für einen Ort die Ergebnisse der Landtagswahlen von 2009 entscheidend. Ich habe mir als Möglichkeiten Orte in Oberösterreich gesucht, in denen es die größte FPÖ-Wählerschaft gab. An oberster Stelle war Aurolzmünster bei Ried. Als ich den Ort dann besuchte stellte sich heraus, dass ein Festival dort nicht passend ist, weil es sich um eine richtige „Schlafstadt“ handelte. Man sah den ganzen Tag über keinen Menschen, die BewohnerInnen arbeiten außerhalb und kommen eigentlich nur zum Schlafen nach Aurolzmünster. Deshalb habe ich mich dann für Attnang Puchheim entschieden und dort fand im Jahr 2011 das Festival Umsteigen statt.
EL: Nachdem Sie recherchiert und einen Ort ausgewählt haben, wie gehen Sie dann vor?
GH: Ich wende mich immer zuerst an den Bürgermeister oder die Bürgermeisterin der Stadt. Früher wurde es beim Festival der Regionen teilweise auch so gemacht, dass zuerst die Kulturvereine im Ort kontaktiert wurden. Für mich stand aber immer im Vordergrund, zuerst bei den offiziellen Stellen der Stadt willkommen zu sein, weil es im Zuge des Festivals dann eine enge Zusammenarbeit mit der Gemeinde gibt.
EL: Sind beim Festival der Regionen infolge auch Gemeindebedienstete im Festivalteam, also unter den EntscheidungsträgerInnen? Oder Angestellte des Landes OÖ? Wie sind Sie als Festival der Regionen organisiert?
GH: Das Festival der Regionen ist autonom als unabhängiger Verein organisiert. Wir kommen mit einem bereits vorhandenen Budget an den ausgewählten Ort. In unserem Team und Vorstand sind weder Gemeindebedienstete noch Angestellte der Kulturabteilung des Landes OÖ eingebunden. Natürlich werden wir vom Land OÖ gefördert, und auch mit den jeweiligen Gemeinden gibt es immer eine enge Zusammenarbeit. Uns werden auch immer Leistungen der Gemeinde, wie Bauhofleistungen, zur Verfügung gestellt. Grundsätzlich arbeiten wir als Verein jedoch unabhängig.
EL: Sie haben in Ihrer Biografie schon sehr vielfältige Erfahrungen in der Arbeit mit Festivals gesammelt. Sei es die Ars Electronica, das Festival steirischer herbst oder das Theaterfestival Spielart in München. Wenn Sie sich das Festival der Regionen ansehen, worin würden Sie, im Vergleich zu anderen Festivals, die Stärken dieses wandernden Konzepts sehen? Worin liegt das Potential eines solchen Formats?
GH: Die Arbeit für das Festival der Regionen gleicht einer Frischzellenkur (lacht).
EL: Inwiefern?
GH: Im Vergleich zu anderen kuratorischen Prozessen muss man, wie anfangs schon erwähnt, beim Festival der Regionen völlig anders arbeiten. Man arbeitet größtenteils mit Personen, die mit Kunst, besonders mit zeitgenössischer Kunst, nichts „am Hut“ haben. Ein großer Aspekt des Festivals der Regionen besteht darin, sehr starke Vermittlungsarbeit zu leisten. Und das sehe ich als großes Potential. Für mich persönlich eine „Frischzellenkur“. Ich bin als künstlerischer Leiter des Festival der Regionen also dazu gezwungen, mit einem Mitarbeiter eines Kebab-Stands genauso über Kunst zu reden wie mit einem Blasmusikverein und generell Personen und Gruppen, von denen ich den Eindruck gewonnen habe, dass man sie in einen künstlerischen Prozess mit einbeziehen kann, und zwar ohne sie zu instrumentalisieren.
In Attnang-Puchheim war das zum Beispiel die Eisenbahnerstadtmusikkapelle, für die im Zuge des Festivals ein eigenes, zeitgenössisches Werk geschrieben wurde. Dieses Projekt war uns ein großes Anliegen. Schon deshalb, weil besonders bei Blasmusikvereinen das Repertoire beim Radetzkymarsch meist endet, und es kaum bis gar keine zeitgenössischen Musikformen im Programm gibt. Und es war dann so, dass ein zeitgenössischer Komponist auf die Musikkapelle zuging, der extra für sie ein Werk geschrieben hat und dann nur mit Tafeln in die Luft zeigte und unübliche Bewegungen machte. Das war am Anfang ziemlich herausfordernd für die MusikerInnen wie auch für den Komponisten. Der für dieses Projekt zwei Monate lang jeden Dienstag von Wien nach Attnang Puchheim fuhr. Aber es hat letztendlich sehr gut funktioniert und die Aufführung war ein schönes Erlebnis für alle Seiten.
Ein wichtiges Potential des Festival der Regionen ist sicher, dass wir unterschiedlichste Personen mit Kunst erreichen, die ohne das Festival der Regionen wahrscheinlich niemals mit Kunst in Berührung gekommen wären.
EL: Würden Sie grundsätzlich behaupten, dass dieses Konzept, nämlich mit zeitgenössischer Kunst an einen bestimmten Ort zu gehen und unterschiedlichste Menschen mit Kunst in Kontakt zu bringen, dass das funktioniert?
GH: Ja, zumindest was das Festival der Regionen betrifft, funktioniert das tatsächlich.
EL: Dann möchte ich auf das große Thema der Kunst im öffentlichen Raum zu sprechen kommen. Ein Großteil der Projekte des Festivals der Regionen sind im öffentlichen Raum verortet. Was ist für Sie ausschlaggebend bei Kunst im öffentlichen Raum?
GH: Kunst im öffentlichen Raum nimmt einen spezifischen Bezug zu einem bestimmten öffentlichen Ort und dessen Begebenheiten. Diese Ortsspezifik und die Leute, die mit diesem Ort etwas zu tun haben, sind für mich ausschlaggebend. Wenn es ein Kunstprojekt schafft, diese Faktoren miteinzubeziehen, sind die Ergebnisse immer sehr spannend und neu.
Das kann zum Beispiel eine urbane Seltsamkeit sein, die selbstverständlich im öffentlichen Raum vorhanden ist, und erst durch eine Künstlerin oder einen Künstler bemerkt und thematisiert wird. Ich erinnere mich an das letzte Festival der Regionen in Ebensee. Bei der Ortseinfahrt gibt es eine Verkehrsinsel, und darunter führt eine Unterführung vom Ort zum See. Und hier gibt es die witzige Begebenheit, dass von der Unterführung eine Treppe auf diese Verkehrsinsel hinauf führt. Und niemand wusste, wozu diese Treppe eigentlich vorhanden war. Man geht hinauf und steht inmitten der Straße, mitten auf einer Verkehrsinsel. Das ist einem Künstler aus dem Ruhrgebiet aufgefallen, der für das Festival dort ein Stiegenmuseum errichtet hat. Dieses Projekt wurde von den Ebenseerinnen und Ebenseern recht gut angenommen und es gab dann sogar Initiativen, dass das Gebäude auch nach dem Festival bleiben soll. In der Umsetzung gab es hier auch sehr schöne Momente. Ein Trafikant hat den Künstler bei der Errichtung des Museums beobachtet, wie sich dieser Tag und Nacht abmühte, um es bis zum Festival fertig zu stellen. Kurzentschlossen hat der Trafikant dann mit „angepackt“ und hat von sich aus eine Woche Arbeit investiert, um dem Künstler zu helfen, das Stiegenmuseum zu errichten.
EL: Das ist ein sehr schönes Beispiel dafür, was mit der Bevölkerung entstehen kann, wenn ein Kunstfestival im öffentlichen Raum installiert ist. Solche Situationen würden wohl im Kontext von Kunstinstitutionen und reinen Ausstellungsformaten eher nicht entstehen …
GH: Ja genau, und das ist etwas sehr spezielles an Kunst im öffentlichen Raum, der Kontakt zu Personen, die eigentlich weder eine Ahnung noch ein Interesse an Kunst haben. Die wachsen dann in manchen Situationen einfach in die Kunst hinein. Das ist zwar manchmal fordernd, aber die Ergebnisse sind immer sehr schön.Und mit fordernd meine ich diese anfangs erwähnte Frischzellenkur. Wenn man als Kurator für Kunstinstitutionen, Museen und Ausstellungen arbeitet, hat man größtenteils mit einem ExpertInnenpublikum zu tun. Alleine die Sprache, der Jargon, der dabei entsteht oder vorhanden ist, ist spezifisch und eigen. Darauf muss man in der Arbeit fürs Festival der Regionen völlig verzichten. Und so lernt man, dass Kunst eigentlich auch mit ganz einfachen Worten, in einer alltagstauglichen Sprache beschrieben werden kann. Obwohl das auf keinen Fall bedeutet, dass wir dadurch die Qualität der Kunst nivellieren. Darauf achten wir sehr bewusst. Aber dieser Aspekt, wie spricht man über Kunst mit vielen unterschiedlichen Personen, um sie auch verständlich zu machen, ist unumgänglich im Arbeitskontext des Festivals der Regionen.
EL: Der Begriff des Publikums und die Erweiterung der Reichweite ist bei Kunst im öffentlichen Raum eine sehr spannende Angelegenheit, die durchaus auch Ambivalenzen in sich trägt. Wenn man die Entstehungszeit von Kunst im öffentlichen Raum für Mitteleuropa in den 1960er Jahren verortet und sich die Entwicklung bis in die Gegenwart ansieht, so hat Kunst im öffentlichen Raum einen enormen Bedeutungsgewinn erfahren, auch von kulturpolitischer Seite. Es werden immer wieder Gründe wie Niederschwelligkeit, eine umfangreichere Wirkungskraft, Partizipation und Stadtentwicklung hervor gehoben.
Wird Ihrer Meinung nach die Kunst damit überfrachtet? Sind diese Ansprüche eine Überforderung, eine Instrumentalisierung des Kunstbegriffs? Waren solche Überlegungen in Ihrer Tätigkeit beim Festival der Regionen jemals Thema?
GH: Nein, kein bisschen. Was meine Arbeit am Festival der Regionen betrifft, hatte ich nie solche Überlegungen.
EL: Also unterstreichen auch Sie dieses hohe Potential an Kunst im öffentlichen Raum?
GH: Ja, durchaus. Wenn man sich auf diese doch recht andere Arbeitsweise einlassen kann und man sich traut, sich der Öffentlichkeit zu einem gewissen Grad auch auszuliefern, sehe ich großes Potential. Aber man sollte sich eben darüber bewusst sein, dass man, auch als Kurator oder Kuratorin, bei Kunst im öffentlichen Raum die geschützten Räume der Kunst verlässt und ganz anders arbeiten muss. Eine „gemähte Wiese“ gibt es in den Rahmenbedingungen nicht. Man muss sich wirklich darum bemühen, eine gewisse Akzeptanz für zeitgenössische Kunst zu erreichen. Oder zumindest eine positive Provokanz.
EL: Vermissen Sie die schützenden Räume eines Museums oder einer Institution?
GH: (lacht) Da ich als kultureller Saisonarbeiter arbeite, also immer parallel an mehreren Projekten, arbeite ich nach wie vor auch in Institutionen und geschützteren Bereichen.
EL: Das Festival der Regionen hat sich seit dem ersten Festival 1993 einen renommierten Namen gemacht. Ihr habt es geschafft, national wie auch international einen hohen Bekanntheitsgrad zu erlangen. Was war hierfür ausschlaggebend?
GH: Ich glaube das liegt daran, dass sich das Festival der Regionen als erstes großes Kunstfestival in Österreich mit einem anspruchsvollen Kunstprogramm außerhalb des städtischen Raums, also in eher ländlichen Gegenden, verortet hat. Ich denke, das ist bis dato eine große Besonderheit. Auch die Kontinuität der Zweijährigkeit und das wandernde Format sehe ich als besondere Eigenschaften. Außerdem werden fürs Festival der Regionen tatsächlich neue künstlerische Arbeiten für den jeweiligen Ort produziert. Ich denke, dass dies in Kombination ausschlaggebend für die nationale und internationale Beachtung ist.
EL: Wenn man nun die Ankündigungen des Kulturreferenten Bernhard Baier zum neuen Format für Linz hört, sind sehr große Ähnlichkeiten zum Festival der Regionen zu erkennen. Man könnte meinen, es wird versucht, eine Art kleine Schwester des Festivals der Regionen in Linz zu installieren. Wie stehen Sie da dazu?
GH: Ich sehe das Ganze relativ entspannt. Ich war selbst bei einem der Klausurtage dabei. Und es gibt ja auch ein Konzeptpapier, das die Linz Kultur gemeinsam mit Martin Fritz gemacht hat, der ja vor mir der künstlerische Leiter des Festivals der Regionen war. Es gibt hier sicher Berührungspunkte und Überschneidungen. Wie es dann in Linz wirklich funktionieren wird, ist schwer zu sagen. Linz ist eben Linz. Grundsätzlich finde ich es nicht schlecht, dass man in Linz einen Impuls weniger in Richtung Eventkultur setzen möchte. Vor allem wenn Honorare an Präponenten aus der Unterhaltungsindustrie bezahlt werden. Solche Praxen sind in der derzeitigen Fördersituation nicht wirklich tragbar. Obwohl ich das nicht so verstanden wissen möchte, dass ich persönlich etwas gegen das Linzfest einzuwenden hätte, im Gegenteil. Es gibt ja auch im Musikbereich viele junge Bands und kreative Leute, die interessant und gut sind und die auf jeden Fall gefördert werden müssen, auch durch Auftrittsmöglichkeiten.
EL: Wie ist Ihre persönliche Meinung zur Abschaffung des Linzfests?
GH: Ich sehe eigentlich auch das sehr entspannt. Muss aber hinzufügen, dass ich selbst nie Berührungspunkte mit dem Linzfest hatte und somit habe ich zu wenig Wissen darüber, um eine persönliche Meinung zu vertreten. Mir geht es hauptsächlich darum, dass es bei großen Events nicht akzeptabel ist, wenn öffentliche Kulturbudgets in die Unterhaltungsindustrie fließen. Wobei dies sicherlich nicht bei allen Gruppen der Fall ist; ich möchte da nicht unbedingt eine zu enge Kunstscheuklappe aufsetzen.
EL: Wenn wir nun davon ausgehen, dass es inhaltlich bestimmte Überschneidungspunkte zwischen dem Festival der Regionen und dem geplanten neuen Format für Linz gibt, würde mich Ihre Sicht auf die aktuelle Fördersituation des Festival der Regionen interessieren. Soweit ich weiß, gab es von der Stadt Linz eine Streichung der Förderung für das Festival der Regionen.
GH: Das ist tatsächlich der einzige Aspekt, der auch wirklich schmerzhaft ist. Dass die Stadt Linz ihrer Förderung für das Festival der Regionen auf Null reduziert hat. Es waren ursprünglich 36.000 Euro, welche die Kulturabteilung der Landeshauptstadt dem Festival der Regionen zur Verfügung gestellt hat. Und das war schon deshalb wichtig und gerechtfertigt, weil es immer eine gewisse Anbindung an Linz gab. Und viele Kunst- und Kulturschaffende aus Linz in das Festival der Regionen miteinbezogen werden. Vierzig Prozent unserer Projekte kommen aus der Linzer Kulturszene. Dennoch hat die Kulturabteilung diese Förderung relativ unbeeindruckt gestrichen – entgegen der ursprünglichen Absprache zwischen Land, Bund und Stadt.
Und bei Projektbudgets, die kontinuierlich weniger werden und massiven Kürzungen unterliegen, tut das natürlich weh. Auch das Land OÖ hat seit dem Jahr 1993 ihre Förderung nicht erhöht. Rechnet man die Inflation mit, haben wir auch hier nur mehr die Hälfte der Förderung seit dem Beginn unserer Arbeit.
Ich musste als künstlerischer Leiter auf diese Budgeteinschränkungen reagieren und das Festival räumlich und zeitlich verdichten. Irgendwann kommt dann aber der Punkt, an dem man sich nicht mehr weiter einschränken kann. Und man kommt dann sehr schnell an unterschiedliche Grenzen. Dem Festival der Regionen ist es auch sehr wichtig, kein „Ausbeuterfestival“ zu sein. Wir wollen der KünstlerInnenschaft und den MitarbeiterInnen faire Honorare bezahlen.
EL<: Und wie wirkt dann auf Sie die Tatsache, dass neue Formate aus dem Boden gestampft werden während beständige Formate, die über lange Jahre hinweg erfolgreiche Arbeit leisten, die regional wie überregional Beachtung finden, mit immer weniger Budget arbeiten müssen? Und dann diese neuen Formate, mit einem noch geringeren Budget ausgestattet, dieselbe Leistung erbringen sollen. Wie stehen Sie dazu? GH: Auch diesbezüglich bleibe ich entspannt. Man streckt sich halt nach der Decke. Was natürlich schon traurig ist, ist die Einschränkung an Ideen, die Budgetkürzungen und viel zu kleine Projektbudgets mit sich bringen.
EL: Was halten Sie davon, dass das neue Festivalformat für Linz als Veranstaltung der Linz Kultur gedacht wird?
GH: Man kann bei diesen Projekten durchaus politisch die Frage stellen, ob die Kulturabteilung einer Stadt, vom Land oder Bund überhaupt als Veranstalterin eines Kunstfestivals auftreten soll. Ob es nicht eher die Aufgabe einer Kulturabteilung wäre, die Förderungen zu verwalten. So wie es auch früher Usus war.
Für das Festival der Regionen sehe ich es schon als Vorteil, dass das Festival unabhängig als Verein agiert und niemand aus dem Team bei einer öffentlichen Behörde angestellt ist.
EL: Wo würden Sie die Gefahren sehen, wenn eine Stadt als Veranstalterin eines Kunstfestivals auftritt und das Budget selbst verwaltet? Wenn lediglich eine künstlerische Leitung von extern an Bord geholt wird?
GH: Eine Gefahr sehe ich darin, dass dadurch Ressourcen gebunden werden. Aber andererseits fließen natürlich auch Ressourcen zurück in die Organisation des Festivals. Es hängt sicherlich sehr stark davon ab, wie die künstlerische Leitung installiert wird und vor allem, welchen Freiraum sie dann auch hat. Ressourcen und Personal zur Verfügung zu stellen ist sicher eine gute Sache. Auch den Apparat der Öffentlichkeitsarbeit zu nutzen finde ich unbedenklich. Das sind zum Beispiel Kosten, die das Festival der Regionen selbst tragen muss. Darin liegen aber wiederum auch viele Vorteile, sei es in der freien Wahl des Grafikbüros usw. Am wichtigsten ist für mich die Frage, wie viel inhaltlichen Freiraum die künstlerische Leitung des Festivals haben wird.
Ich denke dennoch, dass ein Maximum an Unabhängigkeit sehr viel wert ist. Eine externe Organisation in einem Verein oder einer GmbH hat auf jeden Fall mehr Vorteile und man kann inhaltlich scharfsinniger arbeiten. Die optimalen Bedingung für ein biennales Kunstfestival im öffentlichen Raum sind meiner Meinung nach inhaltlicher Freiraum und die Möglichkeit, sich wirklich langfristig mit einem Ort, einer Region, einem Stadtteil auseinandersetzen zu können. Wenn man sich lediglich „im Kopf“ ein Thema ausdenkt und das dann an einen beliebigen Ort „hinsetzt“, dann wird es an diesem Ort wohl niemanden wirklich interessieren. Es sollte gelingen, dass die BewohnerInnen vor Ort das Gefühl bekommen, dass das Kunstfestival etwas mit ihnen zu tun hat.
EL: Etwas mit der Kunst „zu tun zu haben“, das ist eine sehr schöne Formulierung. Da komme ich auf Partizipation zu sprechen. Der neue Linz-Slogan soll ja „Kultur mit allen“ lauten, anstelle des althergebrachten und zu Tode kritisierten „Kultur für alle“. Was sagen Sie dazu?
GH: Da gibt es nicht viel dazu zu sagen. Ich habe noch nie gehört, dass ein Künstler oder eine Künstlerin bestimmte Personen im Vorhinein ausgeschlossen hätte. Kultur ist eigentlich immer für alle offen. Nun den Anspruch zu formulieren, alle miteinbeziehen zu wollen, empfinde ich persönlich als Unmöglichkeit, die letztendlich nur in eine Nivellierung führen kann. Ich sehe diesbezüglich eine große Gefahr, in zu „seichte Gewässer“ zu kommen. Meiner Meinung nach muss man auch nicht „alle“ für Kunst begeistern. Dieser Anspruch ist nicht notwendig. Also würde ich das so sehen, dass die Kritik, die zuvor an Kultur für alle formuliert wurde, auch für Kultur mit allen gilt.
Dennoch muss ich sagen, für Linz ist es sicher nicht unspannend, sich mit einem bestimmten Stadtteil auseinander zu setzen. Da fällt mir zum Beispiel Peter Arlt ein, der schon lange Jahre im Linzer Franckviertel arbeitet.
EL: Peter Arlt wurde für diesen Report auch interviewt.
GH: Er arbeitet ja eher aus einer soziologischen Perspektive heraus, und wirklich langfristig und durchgängig in einem Linzer Stadtteil. Das finde ich äußerst beachtenswert und vorbildlich als Vorgehensweise.
EL: Eben unter diesem Aspekt, nicht einfach das Zelt der Kunst auf einen Ort drauf zu setzen?
GH: Ja, genau. Eher die Kunst wachsen zu lassen. Aus der Mitte heraus.
EL: Ich bedanke mich für das Gespräch. Alles Gute für die Arbeit am Festival der Regionen 2017 in Marchtrenk!
Gottfried Hattinger (*1950 in Oberösterreich) ist Kurator, Buchdesigner und arbeitet mit Vorliebe in Zwischengebieten der zeitgenössischen Kunst und Kultur. Seit 2010 ist er künstlerischer Leiter des Festivals der Regionen, das biennal an unterschiedlichen Orten Oberösterreichs stattfindet.
Interview mit Thomas Philipp und Andre Zogholy
Kontroverse Stimmen zum neuen Format und zur Abschaffung des Linzfests kommen von Thomas Philipp und Andre Zogholy vom Kollektiv QujOchÖ. Elisabeth Lacher traf die beiden am 10. August 2016 mit dem Anliegen, über den Begriff der Kunst im öffentlichen Raum zu sprechen. Im Gespräch ergaben sich interessante inhaltliche Abgrenzungen zum Thema des öffentlichen Raums. Was kann dieser? Wie definiert er sich? Weiters gewähren Thomas Philipp und Andre Zogholy Einblicke in die Arbeit des Linzer Kollektivs QujOchÖ und wagen dabei den Unversuch einer Zuordnung, was Kunst im öffentlichen Raum ist und wie man daran von verschiedenen Seiten herantreten kann.
EL: Ich möchte mit euch vom Kollektiv QujOchÖ gerne einen Direkteinstieg in unser Gespräch wagen und euch als Stichwort Kunst im öffentlichen Raum geben. Derzeit in aller Munde, nicht nur von den politischen VertreterInnen hochgewollt und forciert. KünstlerInnen sollen Projekte im öffentlichen Raum entwickeln und Fragen der Stadtentwicklung bearbeiten. Es werden als großer Bonus Publikumszahlen und niederschwelliger Zugang genannt. Wie reagiert ihr darauf?
AZ: Zunächst und zuerst geht es für mich vor allem um eine Definition des Begriffs Kunst im öffentlichen Raum. Allein die Definition von öffentlichem Raum ist eine klar abgrenzbare von der Definition von Kunst. Aber dieses Thema würde für sich schon den Rahmen dieses Interviews sprengen. Dennoch ist es mir ein Anliegen, die Begrifflichkeit der Kunst im öffentlichen Raum kurz zu umreißen, auch in Bezug darauf, was die Linz Kultur als neuen Schwerpunkt ankündigt und mit dem neuen Festivalformat erreichen will.
Für mich stellt sich bei Kunst im öffentlichen Raum immer auch die Frage nach dem öffentlichen Raum selbst. Und damit zusammenhängend geht es um große Themen wie Privatisierung, Politisierung und Entpolitisierung des öffentlichen Raums. Gerade die Entwicklungen in den letzten 20 bis 30 Jahren, und hier fällt das wichtige Stichwort Neoliberalismus, der in der Diskussion um öffentlichen Raum eine große Rolle spielt.
Was mir in deiner Aufzählung in der Frage nach Konnotationen noch gefehlt hat, war die Partizipation. Ich weiß nicht, ob das absichtlich war…
EL: Du kannst den Begriff der Partizipation gerne mit einflechten.
AZ: Partizipation spielt bei diesem Anspruch an Kunst imöffentlichen Raum natürlich eine ganz große Rolle, und das kann man durchaus ambivalent sehen. Es gibt diesen Partizipationsimperativ, der bei Kunst im öffentlichen Raum immer wieder auftaucht.
EL:Ich stimme dir hier zu, und das wird auch von Kulturreferent Bernhard Baier öfters erwähnt, dass Partizipation erwünscht und gewollt ist für das neu konzipierte Linzer Festivalformat. Was ich an deiner anfänglichen Ausführung zu Kunst im öffentlichen Raum sehr interessant finde, ist die Frage nach dem Begriff des öffentlichen Raums per se. Was beinhaltet er, welche Themen wirft öffentlicher Raum auf? Soweit ich eure Projekte als QujOchÖ kenne, beschäftigt ihr euch generell sehr intensiv mit dem Thema Raum. Ich erinnere mich sofort an das Projekt [H:UMMMM], bei dem ihr in den akustischen Raum der städtischen Wellnessoase Hummelhofbad interveniert habt. Würdet ihr das als Projekt zu Kunst im öffentlichen Raum sehen?
TP: Für mich war[H:UMMMM] kein Projekt zu Kunst im öffentlichen Raum. Als städtisches Bad würde ich das Hummelhofbad zu den halböffentlichen Räumen zählen.
Ich versuche mich der Definition von öffentlichem Raum mal über die Abgrenzung zu privatem und halböffentlichem Raum anzunähern. Für mich ist öffentlicher Raum, in Zusammenhang mit Kunst, ganz klar der Außenraum, also kein gebauter Raum. Keine Galerie, kein Museum, kein Wohnzimmer, keine Firmenhalle. Und wenn Linz mit einem Festivalformat einen Schwerpunkt bei Kunst im öffentlichen Raum setzen möchte, dann ist es mir auch wichtig, dass es letztendlich auch wirklich im öffentlichen Raum stattfindet. Ich sehe da keine Verbindungen zu beispielsweise Volkshäusern oder Bibliotheken. Ausgeschlossen sind für mich auch Werbeformate im öffentlichen Raum, Kunsthandwerks- oder Designmärkte, oder ein musikalisches Format. Dies würden wir nicht unter Kunst im öffentlichen Raum verstehen. Und hier beginnt es sich zu spießen mit dem, was der Kulturreferent als neues Format ankündigt. Ich glaube, dass man bei der Begrifflichkeit und Definition von Kunst im öffentlichen Raum sehr klar wissen sollte, worauf man sich einlässt. Weil bestimmte Dinge dann höchstens noch am Rande denkbar sind. Was derzeit jedoch über dieses neue Format kommuniziert wird, geht in eine völlig andere Richtung, man will quasi alles inkludieren.
AZ:Auch für mich hat unser Projekt [H:UMMMM], obwohl es im halböffentlichen Raum der Stadt stattgefunden hat, nichts mit Kunst im öffentlichen Raum zu tun. Der künstlerische Ansatz ging zurück auf das Konzept der Heterotopie von Michel Foucault, das sogenannte andere Räume beschreibt. Unsere Herangehensweise lag in der Normativität bestimmter Architekturen. Das hat weniger mit Fragen von öffentlichem Raum zu tun. Hier ging es uns dezidiert um bewusste Ein- und Ausschlusskriterien, die in einer Heterotopie wie etwa einer städtischen Wellnessoase zum Tragen kommen. Beim Projekt [H:UMMMM] stand die Auseinandersetzung mit einem grundlegend neoliberalen Konzept im Mittelpunkt, das sehr eng mit dem Wellnessbegriff des Neoliberalismus verwoben ist. Nämlich eine bestimmte Architektur für genau diesen bestimmtenZweck der schnellen Erholung zu bauen, um in kürzester Zeit wieder und bestmöglich für den Arbeitsalltag gerüstet zu sein. Allein diese klare Zweckmäßigkeit beim Hummelhofbad unterscheidet sich sehr stark und in vielerlei Hinsicht davon, wofür zum Beispiel der Linzer Hauptplatz steht.
EL:Aber wenn man sich den öffentlichen Raum als solchen ansieht, ist dieser ja auch normativ, repräsentiert Gesellschaft, schließt ein oder grenzt aus. Es wirken Architektur, Stadtplanung, Verkehr. Würdet ihr den öffentlichen Raum, den Außenraum als freieren Raum als den gebauten Raum bezeichnen?
TP: Egal ob man von gebautem oder offenem Raum spricht, oder zwischen öffentlichem und halböffentlichem Raum unterscheidet, wenn man tatsächlich „freie“ Räume sucht, dann kommt man in unserer Gesellschaft sehr schnell ans Ende der Möglichkeiten. Unter freien Räumen verstehe ich solche, die wenig reglementiert sind und viel Freiheit bieten. Meiner Meinung nach muss öffentlicher Raum nicht heißen, dass es ein freierer Raum ist. Es gibt hier, wie überall, Regeln, Strukturen und Einschränkungen. Aber dadurch wird der öffentliche Raum nicht weniger öffentlich, er ist nur anders reglementiert. Ein Thema dazu ist zum Beispiel die Tendenz der letzten Jahre, Freiheitsrechte im öffentlichen Raum immer stärker einzuschränken mit dem Argument von mehr Sicherheit. Und das ist höchst kritisch zu reflektieren.
AZ:Und gerade das ist ein wichtiges Thema bei Kunst im öffentlichen Raum, nämlich der eigentliche Verlust des öffentlichen Raums als Raum der Öffentlichkeit und Freiheit. Einschränkungen wie Bettelverbot oder Alkoholverbot an öffentlichen Plätzen. Damit befasst sich vor allem Kunst im öffentlichen Raum. Und dieser öffentliche Raum ist klar abzutrennen und zu definieren, es braucht hier Begrifflichkeiten und Definitionen. Ohne Abgrenzung ist jeder Raum plötzlich alles und nichts.
Und das ist genau der Punkt, den wir an diesem neuen Format der Linz Kultur kritisieren. Das Konzept ist völlig schwammig definiert. Ich persönlich frage mich auch, was an diesem Formatüberhaupt neu sein soll. Oder was es überhaupt sein soll. Da ist die Rede von den drei Eckpfeilern: Kunst im öffentlichen Raum, Partizipation und wechselnde Veranstaltungsorte. Aber jeder dieser Begriffe ist wiederum alles und nichts. Für mich persönlich ist das Vorhaben viel zu vage. Ich würde bisher weder von einem Konzept für einen kulturpolitischen Schwerpunkt bei Kunst im öffentlichen Raum sprechen, noch von einem Konzept für ein Kunstfestival.
EL: Der derzeitige Konzeptentwurf ist leider noch nicht für die Presse freigegeben, ich muss mich inhaltlich derzeit darauf beschränken, was Bernhard Baier im Interview erwähnt hat. Dass es ein biennales Kunstfestival sein soll, mit Schwerpunkt Kunst im öffentlichen Raum und mit einem Schwerpunkt bei partizipativen Kunstprojekten. Es sollen Fragen der Stadtentwicklung bearbeitet werden und Ergebnisse für die Politik liefern. Mit dem Anspruch: Kultur mit allen statt Kultur für alle.
Für mich ist zu diesem frühen Zeitpunkt aber vor allem interessant, was unterschiedliche Kulturschaffende in Linz generell zu diesem Vorhaben, zu Kunst im öffentlichen Raum, zu Partizipation zu sagen haben. Ob es allgemeine Wünsche und Bedürfnisse an das neue Format gibt. Ob nicht von der Linz Kultur auch angedacht werden muss, unterschiedliche Vereine, AkteurInnen und Institutionen, die schon lange im öffentlichen Raum der Stadt Linz arbeiten, miteinzubeziehen. Gäbe es von eurer Seite das Bedürfnis, programmatisch oder inhaltlich miteinbezogen zu werden? Gibt es den Wunsch, mit dabei zu sein?
TP: Wenn es um ein Festival für Kunst im öffentlichen Raum geht, ist von meiner Seite natürlich großes Interesse vorhanden. Aber da spreche ich vorerst nur für mich persönlich. Wenn es aber um dieses Konglomerat an Schlagworten geht, also um Kultur im öffentlichen Raum, um ein Festival „für alle“ oder „mit allen“ im öffentlichen Raum, was dann auch immer daraus wird, dann würde ich eine Beteiligung von QujOchÖ für eher unwahrscheinlich halten. Bei Kunst im öffentlichen Raum steht für uns der Kunstbegriff im Vordergrund, und der sollte dann nicht durch ein „Kultur für alle“ oder „Kultur mit allen“ zu sehr verwässert werden.
EL: Kann ich das so verstehen, dass ihr euch für das neu angekündigte Format eine inhaltliche Schärfung wünscht, besonders bezüglich Kunst im öffentlichen Raum?
TP: Das trifft es ganz gut. Wir wollen keine Eier legende Wollmilchsau für Linz. Das heißt, lieber ein klares Konzept, das gut definiert ist, anstatt alles an möglichen Inhalten hineinpacken zu wollen.
Aber für mich stellt sich in diesem Zusammenhang auch eine weitere, wichtige Frage: Warum man eigentlich das Linzfest abgeschafft hat. Was ist hier die tatsächliche Intention? Worum geht es wirklich? Was ist das Ziel? Geht es hier tatsächlich um einen neuen Schwerpunkt bei Kunst im öffentlichen Raum? Diesbezüglich ist die Vorgehensweise wirklich unverständlich.
AZ: Ich würde diesbezüglich auch gerne Bezug zu dieser Presseausendung nehmen, die von der Linz Kultur versendet wurde, ich glaube das war im Juli. Darin war tatsächlich ein großes Schlagwort nach dem anderen zu lesen, was dieses Festival alles leisten soll. Da sind wir dann ganz schnell bei der Eier legenden Wollmilchsau. Und da las ich einen Begriff, der völlig unglaublich ist, nämlich das neue Festival „mit internationaler Strahlkraft“.
Und ich gehe davon aus, dass in den Diskussionen vorab auch die ökonomische Situation des neuen Formats diskutiert wurde. Wenn man nun in Linz ein Festival von internationaler Strahlkraft installieren möchte, das dezentral ausgerichtet ist, würde meiner Meinung nach nicht einmal das doppelte Budget des Linzfests dazu ausreichen. Die internationale Wahrnehmung kann meiner Meinung nach schon mal aus ökonomischen Gründen gar nicht erreicht werden. Und da sich die Linz Kultur in den allgemeinen Sparkurs einordnet, ist allein dieser Anspruch an breite Wirksamkeit schon eine Fehlkonzeption.
EL: Ich stimme dir hier zu, dass diese Wirkungskraftso sicher nicht erreichbar ist. Aber lassen wir vorerst die Wünsche an die öffentliche Wirksamkeit beiseite. Meine Frage ist, wenn das Festival in etwa so installiert wird, wie derzeit angekündigt, wünscht ihr euch Anknüpfungspunkte?
AZ: Bevor ich darüber nachdenke, muss ich dennoch noch einmal auf die Abschaffung des Linzfests zurückkommen. Ich empfinde das als Affront. Das kulturpolitische Vorgehen zeugt von Ellbogenmentalität, gepaart mit Scheuklappen. Die Abschaffung des Linzfests, das ja größtenteils sehr gut funktioniert hat, zugute eines neuen Festivals ist unverständlich. Auch das Linzfest hat sich ja immer redlich bemüht, verschiedene Zielgruppen anzusprechen, nämlich nicht nur Jugendliche sondern zum Beispiel auch Kinder. Dessen Inhalte waren durchaus auch mit einem politischen Anspruch versehen. Das Linzfest hat in den letzten Jahren auch mit einer Dezentralisierung Richtung Innenstadt gearbeitet, beispielsweise den Nightwalks. Da gab es vieles, das wirklich gut funktioniert hat. Und dieses bekannte Format nun einfach abzudrehen, und etwas so Vages wie dieses neue Format für Linz in den Raum zu stellen, das ist eigentlich völlig inakzeptabel.
TP: Ich sehe das ähnlich. Wenn man von einem Festival für Kunst im öffentlichen Raum mit internationaler Strahlkraft spricht, dann fallen mir Formate wie skulpturprojektemünster oder die Manifesta ein. Da reden wir von deutlich höheren Budgets.
Ich persönlich bin der Meinung, dass man das Linzfest weiter finanzieren und weiterentwickeln hätte sollen.
Oder man greift auf bereits Bestehendes zurück. Man könnte zum Beispiel an das Festival der Regionen andocken, die zum Beispiel jedes zweite Jahr auch ein Format in Linz realisieren könnten. Aber das nur als grobe Idee erwähnt.
EL: Ihr wünscht euch etwas wirklich Durchdachtes, das in den Diskurs um Kunst im öffentlichen Raum passt und man dann ganz genau weiß: Das ist es und das ist es eben nicht. Würdet ihr es dann auch als Potential sehen, zur Programmatik des neuen Formates etwas beizutragen?
TP: Ja, aber ich würde das vielleicht eher im Rahmen von den bewährten Sonderförderprogrammen machen. Ansonsten taucht wahrscheinlich das Problem auf, dass nur altbewährte Linzer Kunst- und Kulturinitiativen miteinbezogen werden, und das würde ich schade finden.
EL:Zu Kunst im öffentlichen Raum gäbe es ja, prinzipiell und allgemein gesehen, auch viele andere Fördermöglichkeiten. Wenn man einen kulturpolitischen Impuls bei Kunst im öffentlichen Raum setzen will und das wirklich ernst nimmt, müsste hier ganz sicher breiter gedacht werden. Mir fällt da zum Beispiel die KöR Wien ein, die als GmbH organisiert ist und ganzjährig und relativ niederschwellig Kunst im öffentlichen Raum fördert.
AZ:Und da komme ich gleich zu einem weiteren Kritikpunkt an der derzeitigen Forderung nach einem Linzer Schwerpunkt bei Kunst im öffentlichen Raum. Man sollte sich, wenn man hier einen Schwerpunkt setzt, bereits bestehende Programme genau ansehen und abwägen, was man mit welchem Budget auch wirklich umsetzen kann. Als gutes Beispiel fällt mir auch Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich ein.
Diese budgetäre Abwägung ist, neben der Auseinandersetzung mit den theoretischen Diskursen, als Basis bei der Konzeption mit zu berücksichtigen, um eine fundierte und realistische kulturpolitische Vision für eine Stadt wie Linz zu entwickeln.
Derzeit scheint es für mich eher so zu sein, dass man aus einer kurzfristigen Laune heraus sagt: Wir wollen Kunst im öffentlichen Raum fördern und ein Festival dazu konzipieren. Aber dazu braucht es schon ein Mehr an Auseinandersetzung. Und das erwarte ich mir von der Linz Kultur: Dass inhaltlich fundiert konzipiert wird.
TP: Derzeit hat es wirklich den Anschein von allem und nichts. Das ist unzulänglich.
EL:Dann danke ich euch an dieser Stelle für eure kontroversen Beiträge zum Thema. Und schlage als Abschluss eine kleine Phantasiereise ins Jahr 2018 vor. Gehen wir davon aus, dass dieses neue Kunstfestival, mit dem budgetären Rahmen des Linzfests, dann tatsächlich das erste Mal stattfindet. Wie müsste es sein, damit ihr sagen könnt, dass es passt? Dass es inhaltlich fundiert ist, am Puls der Zeit und dem entspricht, was Linz braucht. Ein neues Format, an dem ihr auch gerne mitarbeiten würdet.
TP: Für mich müsste es einen sehr starken Fokus auf gesellschaftspolitische Themen haben. Das wäre das, was meiner Meinung nach die Ars Electronica in den letzten Jahren immer wieder einmal verloren hat. Die großen Themen Arbeit, Industrie, neue Industrien würde ich gerne als Beispiele nennen, weil Linz für uns einfach eine „Hacklerstadt“ geblieben ist. Das Thema Arbeit könnte von Künstlerinnen und Künstlern in einer kritischen, künstlerischen Perspektive gut im öffentlichen Raum bearbeitet werden. Auch im Zuge eines Festivals. Das fände ich spannend. Und alleine der Fokus auf ein Thema und Kunst im öffentlichen Raum, ohne die ganzen zusätzlichen Ansprüche und Schlagworte. Ich will da kein Messeformat dabei haben, auch keine supertechnologischen Produkte wie Drohnen. Einfach: Kunst im öffentlichen Raum.
AZ: Mir ist bezüglich Kunst im öffentlichen Raum auch eine gute Vermittlungsarbeit wichtig, also genügend budgetäre Mittel für zeitgemäße Vermittlungskonzepte zur Verfügung zu stellen und dadurch der Kunstvermittlung das Gewicht geben, das sie braucht. Nicht nur lose immer wieder die Wichtigkeit der Vermittlung zu erwähnen, sondern auch entsprechend Budget dafür bereit zu stellen. Und gerade in Bezug auf gute Vermittlungskonzepte ist, auch im internationalen Kontext, bei Kunstfestivals oft ein Defizit zu verfolgen. Bei der zeitgenössischen Vermittlung gibt es wirklich großen Nachholbedarf.
EL: Ich danke euch für das Gespräch,eure interessanten Denkansätze zu Kunst im öffentlichen Raum und die subversiven Wortmeldungen zum neu angekündigten Festivalformat. Alles Gute weiterhin für eure künstlerische Arbeit!
Thomas Philipp ist 1975 geboren und arbeitet im Kollektiv QujOchÖ in den Schwerpunkten experimentelle Kunst und Kulturwissenschaften.
Andre Zogholy ist 1975 geboren und arbeiten im Kollektiv QujOchÖ in den Bereichen Audio, experimentelle Kunst und Kulturwissenschaften.
Interview mit Stella Rollig
Elisabeth Lacher traf am 10. August 2016 Stella Rollig, die künstlerische Direktorin des LENTOS Kunstmuseum, um mit ihr über Kunst im öffentlichen Raum, Kunst und Öffentlichkeit und das von Kulturreferent Bernhard Baier neu angekündigte Festivalformat zu sprechen.
EL: Kulturreferent Bernhard Baier kündigt ein neues Festivalformat anstelle des Linzfests an, das biennal im öffentlichen Raum von Linz veranstaltet werden soll. Wie stehen Sie als Museumsdirektorin zu Kunst im öffentlichen Raum? Empfinden Sie Kunst im öffentlichen Raum als einen „Hype“, der alle Probleme des Kunstbetriebs, wie zum Beispiel Publikum und Fragen nach Partizipation, zu lösen scheint? Was denken Sie als Museumsdirektorin dazu, wie ist ihr Blick darauf?
SR: Auch das Museum ist ein öffentlicher Raum, wenn auch natürlich mit bekannten Zugangsschwellen, die bei der Eintrittsgebühr beginnen und über eine gewisse Auratisierung führen, die historische Gründe hat. Aber ich bin davon überzeugt, dass Kunst im Außenraum und Kunst im Museumsraum einander ergänzen müssen. Aus meiner Geschichte als Kuratorin und Kunsttheoretikerin ist vielleicht bekannt, dass ich mich in den 1990er Jahren sehr stark gemacht habe für Kunst im öffentlichen Raum und mich intensiv damit beschäftigt habe. Auch mit partizipativen Formaten, mit Bürger- und Bürgerinnenbeteiligung. In und mit einem Museum zu arbeiten, das war schon eine starke Veränderung, ein ziemlicher Sprung – nicht im Sinne von crack, eher im Sinne von jump – in meiner Biografie. Ich meine, dass heute beide Formate: sowohl die Kunst im Museum als auch die Kunst im Außenraum sehr starke Beachtung finden.
Sie haben nach einem Hype der Kunst im öffentlichen Raum gefragt. Aus meiner Sicht stimmt sowohl der Hype wie auch der rapide Bedeutungsverlust. Das ist eine zutiefst paradoxe Aussage, die nichts desto trotz ihre Richtigkeit hat. Auf der einen Seite bekommt Kunst einen immer höheren Stellenwert, sie ist schick, sie hat Lifestyle-Aspekte und Lifestyle-Charakter. Auf der anderen Seite gibt es auch Rückgänge in Museen bei BesucherInnenzahlen, zum Beispiel in Deutschland. Es werden dort mehr und mehr Museen gebaut, und sie haben weniger und weniger Budget. Und gleichzeitig gibt es erstarkte Formate und Veranstaltungen von Kunst im Außenraum. Zum Beispiel die Emscherkunst, die derzeit aktuell ist und auch in den Medien sehr präsent ist. Sie findet im Ruhrgebiet statt, an diesem sehr verschmutzten Fluss Emscher. Die Emscher wird renaturiert und dieser Prozess, der sehr teuer und aufwändig ist, wird begleitet von künstlerischen Projekten. Hier geht es um die Vermittlung und Vermarktung einer politischen Entscheidung. Und hat offenbar, auch in Hinblick auf Besuch, sehr großen Erfolg.
Ich glaube, dass beide Formate, Kunst im Museum und Kunst im Außenraum, unbedingt parallel und miteinander existieren sollen und müssen. Einerseits hat für mich die Kunst im Museum ihre großen Qualitäten, sozusagen das Museum als eine schützende Hülle und als Ort einer Utopie und Reflexion. Auf der anderen Seite darf man nicht versäumen, die Kunst auch draußen im öffentlichen Raum zu positionieren, denn sonst verschwindet die Kunst aus breiten Teilen der Gesellschaft, sonst kennt man Kunst nicht mehr. Es ist auch notwendig, quasi über die Kunst zu „stolpern“, um dann zu begreifen und zu erfahren, was Kunst kann. Und um sich dann auch im Museum tiefergehend damit auseinander zu setzen.
EL: Stichwort: Was die Kunst kann. Kulturpolitischen Stimmen und Äußerungen zufolge, kann besonders Kunst im öffentlichen Raum, Kunst im Außenraum, im Stadtraum ja fast alles leisten. Sie ist nicht nur ein Publikumsmagnet mit immens hohen BesucherInnenzahlen, durch beispielsweise PassantInnen und AnrainerInnen, sondern sie wird auch in gesellschaftlich transformativen Prozessen, wie bei der von Ihnen erwähnten Emscherkunst, eingesetzt. Kunst kann quasi die Gesellschaft mitgestalten, vielleicht fast schon retten. Sie ist Instrument der Stadtentwicklung, wird in prekären Stadtvierteln als Stadtteilkulturarbeit eingesetzt.
Ist dies eine Überforderung, eine Überlastung der Kunst? Ist es arrogant, soviel von der Kunst zu wollen? Kann die Kunst das?
SR: Meines Erachtens ist das weder eine Überforderung noch eine Überfrachtung der Kunst. Die Kunst kann ja a priori sehr, sehr viel. Dann kommt es natürlich auf die einzelnen Künstlerinnen und Künstler und deren Projekte an. Und man muss sich auch immer jedes Projekt genau anschauen, um zu sehen, was es wirklich leisten kann. Und auch im Nachhinein überprüfen, wie es funktioniert hat. Wurde das, was die Künstlerinnen und Künstler vorab in Aussicht gestellt haben, auch wirklich eingelöst? Ich denke, möglich ist tatsächlich sehr viel, und Kunst im öffentlichen Raum hat ja auch schon eine lange Geschichte.
EL: Wo würden Sie den Beginn verorten? In den 1960er Jahren?
SR: Ja, ich würde den Beginn in den1960er Jahren sehen. Es gibt natürlich eine historische Ahnenlinie, zurück zu den russischen Konstruktivistinnen und Konstruktivisten. Damals ist in der Revolutionskunst die Idee entstanden, dass Künstlerinnen und Künstler, und damals waren Künstlerinnen schon sehr eingebunden und emanzipiert, was später und andernorts leider wieder verloren gegangen ist, aber damals wollte man mit der Kunst hinaus zu den Menschen gehen, zu den Arbeiterinnen und Arbeitern, zu den Bäuerinnen und Bauern.
Ich würde mir jetzt nicht anmaßen wollen zu beurteilen, wie erfolgreich das dann wirklich war. Und es ist ja bekannt, dass all diese Bestrebungen von Stalin dann gewalttätig unterbunden wurden. Aber es gibt schon eine Geistes- und Praxisgeschichte, die länger zurückreicht als bis zu den 1960er Jahren. In den Sechzigern gab es dann, auch im Zuge von Bürger- und Bürgerinnenbewegungen und einer beginnenden Institutionskritik, vermehrt Aktionen im öffentlichen Raum. Man kann den Beginn der Kunst im öffentlichen Raum, wie sie heute passiert, sicher dorthin zurückverfolgen.
EL: Was sind nun Ihrer Ansicht nach die Herausforderungen an diese beiden, sich ergänzende Formate: Kunst im Außenraum und Kunst im Museum? Sie haben schon vorhin angesprochen, dass auch das Museum als öffentlicher Raum zu verstehen ist. Es ist ja tatsächlich eine öffentliche Einrichtung, die eigentlich allen Bürgerinnen und Bürgern „gehört“. Vielleicht sogar mehr als der Stadtraum selbst, der viel eher Marktkonzepten und Privatisierung unterworfen ist als das Museum.
Sie sprechen von gegenseitiger Ergänzung von Kunst im Außenraum und Kunst im Museum. Ein Nebeneinander und ein Miteinander. Wo sehen Sie die Überschneidungspunkte, und wie kann man als Museum an die Kunst im öffentlichen Raum, die Kunst im Außenraum herantreten?
SR: Zum einen kann man auch als Museum Projekte an der Schnittstelle und im Außenraum veranstalten. Das machen wir mit der Reihe RAUM LENTOS, die jetzt schon seit einigen Jahren im Programm ist. Gestartet wurde sie, um kleinere Räume, Zwischenräume im Museum zu erkunden und zu bespielen. Und vor einiger Zeit sind wir dann auch in den Außenraum gegangen und haben die Reihe LENTOS X PARK definiert. 2015 haben wir mit dem Projekt Der Zaun von Claudia Seigmann und Markus Zett das Thema Ein- und Ausgrenzungen thematisiert. Das war nicht nur eine skulpturale Setzung mit einem weißen Gartenzaun, sondern auch eine sogenannte performative Intervention. Das heißt, die beiden KünstlerInnen haben draußen agiert und mit Passantinnen und Passanten darüber gesprochen, warum hier ein Zaun errichtet wird und was er bedeutet. Wer ist drinnen, wer ist draußen? Hier wurden für einige Tage wichtige Themen wie Einschließung und Ausgrenzung verhandelt.
Im Grunde genommen hat das Lentos auch eine „Filiale“ im Außenraum, mit den Skulpturen des Forum Metall im Donaupark. Diese sind Ende der 1970er Jahre entstanden und gehören auch zum Museum. Das ist eine sehr klassische Form eines Skulpturenparks, den wir hier verwalten.
EL: Würden Sie auch mögliche Verknüpfungspunkte zu einem Kunstfestival im öffentlichen Raum sehen?
SR: Natürlich könnte man, wenn man an ein neues Festivalformat denkt, zu fantasieren beginnen. Mit Projekten, die im Innen- und Außenraum stattfinden. Dass zum Beispiel eine KünstlerInnengruppe oder eine Einzelperson etwas in der Stadt macht, und in irgendeiner Weise wird das dann angeknüpft an einen zweiten Schauplatz, eine Aktion im Museum. Das muss aber auch nicht unbedingt sein. Mir geht es nicht darum, konkret zu sagen, dass es eine Zusammenarbeit geben muss. Sondern es geht eher darum, gemeinsam ein Bewusstsein für Kunst zu stärken. Zum Beispiel in der Wahrnehmung dass Kunst in unserer pluralistischen Zeit sehr viele unterschiedliche Erscheinungsformen haben kann und nicht nur Malerei und Skulptur ist, was noch immer eine tief verwurzelte Annahme ist. Und das allein ist schon eine sehr wichtige Erkenntnis, die man vermitteln sollte.
EL: Kunst als Vielfalt. In unterschiedlicher Form und vielfältigen Formaten. Kann man das diesbezüglich so sagen?
SR: Ja, das würde ich so unterstreichen.
EL: Dann würde mich interessieren, woran Sie zuerst denken beim Begriff Kunst im öffentlichen Raum?
SR: Die erste Assoziation ist natürlich Kunst im Stadtraum. Kunst, die sich grundsätzlich an alle wendet. Wobei das die Kunst im Museum auch tut… Manchmal wird auch eine Gruppe an Mitschaffenden definiert, dabei denke ich an partizipative Projekte. Mir fällt dazu auch das Festival der Regionen ein. Wir haben in Oberösterreich seit vielen Jahren dieses biennale Format eines Festivals, das durch das ganze Bundesland wandert. Hier werden beispielhaft die Möglichkeiten von Kunst im öffentlichen Raum ausgelotet und praktiziert. Das kann eine Installation in einer Galerie sein, die frei zugänglich geöffnet wird. Oder eine Tanzveranstaltung im öffentlichen Raum, die von Künstlerinnen und Künstlern konzipiert wird.
Ich würde sagen, dass Kunst im öffentlichen Raum auch immer eine Art „neuen Raum“ eröffnen muss. Einen Raum, in dem all das möglich ist, was Kunst ausmacht und was Kunst auslöst. Also eine gewisse Freiheit, eine gewisse Komplexität. Wahrscheinlich muss man sagen, dass der Grad der Komplexität sich im öffentlichen Raum und im Museum unterscheiden muss. Weil im Museum habe ich die Ruhe und die Möglichkeit, mich ganz einem Werk zu widmen und mich damit auseinanderzusetzen. Ich kann auch die Vermittlungsangebote in Anspruch zu nehmen. Im Außenraum muss ein Projekt meist schneller und zugänglicher funktionieren. Das heißt aber nicht, dass es immer laut oder unterhaltsam sein muss. James Turrell zum Beispiel ist ein Künstler, der sehr stille, sehr poetische Arbeiten mit Licht macht. Der Orte schafft, an denen man zum Beispiel durch eine Öffnung in einem Dach bestimmte Himmelsstimmungen beobachten kann. Das sind sehr ruhige, sehr sinnliche und verständliche Arbeiten, und sie funktionieren auf der kognitiven Ebene völlig ohne Intellektualisierung.
EL: Dann möchte ich noch einmal zum neu angekündigten Format des biennalen Kunstfestivals für Linz zurückkommen. Und hier wäre meine Frage, ob es von Ihrer Seite, von Seiten des LENTOS das Bedürfnis oder den Wunsch gibt, programmatisch oder in irgendeiner Form miteinbezogen zu werden?
SR: Ja, durchaus. Da Linz eine mittelgroße Stadt ist, kennen einander viele Akteure und Akteurinnen im Kunstbetrieb, und das sollte man als Chance nutzen. Ich selbst habe zum Beispiel sehr große Hochachtung vor den beiden Macherinnen des KunstRaum Goethestrasse xtd und finde, dass Susanne Blaimschein und Beate Rathmayr seit vielen Jahren wirklich beispielhaft hier in Linz arbeiten. Und es gibt eigentlich viel zu selten Anlass, an einem Tisch miteinander zu diskutieren, was schade ist.
Aber ich möchte das nicht falsch verstanden wissen. Ich möchte nicht, dass es so wahrgenommen wird, dass das Museum sich in das Festival hineinreklamieren und irgendeine Art von Deutungshoheit ausbauen möchte. Aber es wäre eine gute Möglichkeit, auch voneinander zu lernen.
Es wäre schade, einfach eine neue Person oder Gruppe zu definieren, die sich um dieses Festival kümmert. Und Museen und andere Institutionen, die sich in Linz langjährig und langfristig mit Kunst beschäftigen, dabei ausgeschlossen wären. Auch das NORDICO als zeitgenössisches Stadtmuseum ist hier ins Spiel zu bringen. Das NORDICO zeigt sehr gut, wie dialogische Ausstellungen und Projekte mit der Stadt ausschauen und funktionieren können.
EL: Also gäbe es von Ihrer Seite ganz klar das Interesse, zum Programm des Festivals etwas beizutragen? Und vielleicht auch gemeinsam mit anderen Einrichtungen in Linz?
SR: Ja, bestimmt. Aber wie gesagt, dieses Voneinander-Lernen wäre vorerst ein wichtiger und interessanter Ausgangspunkt, und auch durchaus ein Wunsch. Wenn man gemeinsam an einem Tisch sitzt, entstehen immer die besten Ideen. Aber es wäre zum aktuellen Zeitpunkt vorweggenommen, hier konkreter zu werden. Wir wissen noch sehr wenig von diesem neuen Festival.
EL: Als letzte Frage darf ich Ihnen noch das Stichwort Von Kultur für Alle zu Kultur mit Allen geben. Was fällt Ihnen dazu ein?
SR: (lacht) Ich habe ein köstliches Posting in den Oberösterreichischen Nachrichten gelesen, als Kommentar zur redaktionellen Ankündigung Jetzt kommt Kultur mit Allen. Jemand hat darunter geschrieben Who the hell is Allen? Das würde ich am liebsten so stehen lassen.
Stella Rollig (* 1960 in Wien) ist eine österreichische Kulturmanagerin, Autorin und Journalistin. Sie ist seit 2004 künstlerische Direktorin des LENTOS Kunstmuseum und seit 2011 zusätzlich des NORDICO Stadtmuseum in Linz.